Dateninstitut: Versprechen auf Gemeinwohl aus der Start-Up-Garage … netzpolitik
Historiopraxis: Zur Analyse pluralistischer Geschichtspraktiken: In Hamburg liegt seit gut zwei Jahren ein Schiff, das die einen als Symbol für Hamburgs Weltoffenheit und globalwirtschaftliche Bedeutung feiern und die anderen als Zeichen kolonialer Unterdrückung verstehen … publicHistory
W.E.B. du Bois – Along the color line: Der C.H. Beck-Verlag hat in seiner textura-Reihe ein nettes, schmales Bändchen mit Reportagen veröffentlicht, welche der schwarze US-Bürgerrechtler W.E.B. du Bois 1936 von seiner langen Reise durch Nazi-Deutschland veröffentlicht hat … schmalenstroer
Nachgefragt: Der Napoleonstein auf dem Melatenfriedhof Köln … historischdenken
Dr. Hans-Günther Bracht hat ein neues Forschungswerk veröffentlicht
Dr. Hans-Günther Bracht (Brilon) hat soeben eine umfangreiche Forschungsdokumentation über die sauerländische Schriftstellerin und Nationalsozialistin Maria Kahle (1891-1975) veröffentlicht.
Die nationalistisch-völkische Radikalisierung dieser Autorin vollzog sich schon während des ersten Weltkrieges, als bei einem Aufenthalt in Brasilien 1913-1920 ihre lebenslange Mission für das „Auslandsdeutschtum“ grundgelegt wurde.
Nach der Rückkehr aus Südamerika wirkte die erfolgreiche Vortragsrednerin vor allem als Aktivistin des Jungdeutschen Ordens. In ihrem Lyrikband „Volk, Freiheit, Vaterland“ (1923) betete sie: „Deutscher Gott, Du Gott der Freien, … Eh wir denn zu Knechten werden, … Laß uns lieber untergehen!“ (Sie stand seit seit 1921 in engem Kontakt mit dem früh zur NSDAP gehörenden Priester Lorenz Pieper, über den vor kurzem im WOLL-Verlag das Forschungswerk „Am Anfang war der Hass“ erschienen ist.)
Nach dem Putschversuch der Republikfeinde in München schrieb die Rechtskatholikin mit Blick auf Adolf Hitler: „Einst sollst du stolz uns deine Jünger heißen“. Ab 1933 erfolgte eine problemlose Integration in die NS-Kulturarbeit. Ende 1939 beantragte M. Kahle die Mitgliedschaft in der NSDAP und stellte sich als Aktivistin in den Dienst der Kriegspropaganda. Nach 1945 verhielten sich die Wahl-Sauerländerin und ihre Anhängerschaft jahrzehntelang so, „als wäre nichts geschehen …“
Seit Ende der 1980er Jahre konnte sich Hans-Günther Bracht umfassende Einblicke in Lebensweg und Wirken dieser Autorin verschaffen. Für sein jetzt vorgelegtes Buch hat er auch den seit 2014 zugänglichen Kahle-Nachlass (ULB Münster), einen langjährigen Schriftverkehr mit Ilda Schlegel (Stadtarchiv Olsberg) und die Entnazifizierungsunterlagen (Landesarchiv NRW) gesichtet. Die Erschließung der Originalquellen (u.a. revanchistische Hassverse, Hetze gegen die Demokratie, Antisemitismus, Rassenkult, „Führer“-Verherrlichung) beendet die Geschichte eines unrühmlichen Gedächtnisverlustes.
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Der Autor des neuen Forschungswerkes: Dr. Hans-Günther Bracht, geb. 1946, acht Jahre Volksschule, Abitur am Aufbaugymnasium 1966, verkürzter Wehrdienst, Lehramtsstudium an der Universität Köln Geographie, Zeitgeschichte und Sozialwissenschaft (Politik, Volkswirtschaft, Soziologie) und Diplomstudium an der Sporthochschule Köln, Abschlüsse 1972/74, Referendarszeit in Arnsberg/Neheim-Hüsten, ab 1976 Lehrer am Friedrich-Spee-Gymnasium Rüthen (2001-2013 als Schulleiter: Schwerpunkt Unterrichtsentwicklung und Einführung der 67,5 Minuten-Stunde).Geprägt von den in der NS-Zeit emigrierten und später zurückgekehrten Kölner Professoren König, Newman und Silbermann Entwicklung eines ausgeprägten Interesses an einer demokratisch-liberalen Gesellschaft. Fortbildung an der Universität Paderborn (Prof. Wolfgang Keim) zur Reformpädagogik und zur Erziehung im Nationalsozialismus. Promotion 1998 in historischer Pädagogik mit der Dissertation „Das höhere Schulwesen im Spannungsfeld von Demokratie und Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Kontinuitätsdebatte am Beispiel der preußischen Aufbauschule „. Mitherausgeber der Alternativ-Zeitung „das blatt für Brilon und Umgebung“ von 1985-1996. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Briloner und Rüthener Lokalgeschichte zwischen 1918 und 1950, seit 1991 regelmäßig auch Aufsätze zur Sauerländer Schriftstellerin Maria Kahle. Einige weitere Veröffentlichungen zu taktischen Fragen des Basketballspiels und zur Unterrichtsentwicklung.
Die Buch-Neuerscheinung:
Hans-Günther Bracht Maria Kahle – Einblicke in Leben und Wirken einer rechtskatholischen Schriftstellerin Eine dokumentarische Darstellung entlang der Originalquellen. (= edition leutekirche sauerland, Bd. 25). Norderstedt: BoD 2022. (592 Seiten)
Aus der Benediktinerabtei in Meschede: Impuls am Dienstag der Ersten Adventswoche (29.11.2022) … koenigsmuenster
NRW: Antisemitische Anschläge in Essen und Bochum … endstationrechts
Hausbesuch? Ein wie ich finde unfassbarer Vorgang, der nicht unkommentiert bleiben darf: Für Montag, den 28. November, haben Dortmunder Querdenker, namentlich der sogenannte „Demokratischer Widerstand Dortmund“, eine Demonstration angemeldet. So weit, so normal. Wäre da nicht der Umstand, dass diese, so mein Verständnis der mir bekannten Straßennamen, direkt an meinem Wohnhaus vorbeiführt … gedankensplitter
Die letzten Überlebenden: Ausstellung erinnert an die nationalsozialistische Vernichtung – Konzert von „Bejarano und Microphone Mafia“ im Keuninghaus … nordstadtblogger
Klage gegen Twitter & DGB-Debatte: Wann sind Medienunternehmen gut genug? … scilogs
Meta kassiert dritthöchstes DSGVO-Bußgeld: Weil es die Telefonnummern und E-Mailadressen von Nutzer:innen unzureichend geschützt hat, soll Meta 265 Millionen Euro Strafe zahlen … netzpolitik
ÖPNV in Hagen: Gutachten empfiehlt Straßenbahn … doppelwacholder
The Walking Dead: das Ende einer Ära (ohne Spoiler) … unkreativ
Zum heutigen Tag kann ich in meinem Webtagebuch lediglich die Abenddämmerung in Olsberg vermelden.
Das Motiv ist vielleicht merkwürdig, aber nach dem Schwimmen im AquaOlsberg blieb mir nichts anderes übrig, keine Blumen, keine Berge, keine romantischen Sonnenuntergänge. Ein Tag wie jeder andere.
Eine Kleinigkeit noch: falls ihr die Dokumentation zum Massaker im Arnsberger Wald gesehen habt, dann schaut euch doch bitte den aktuellen Kommentar von Nadja-Thelen-Khoder an, direkt am Beitrag oder in der Kommentarspalte rechts.
Wenn ihr die Doku nicht gesehen habt, dann ist noch reichlich Gelegenheit, denn der Film steht, vom Zeitpunkt der Ausstrahlung Ende Oktober, ein Jahr in der ARD-Mediathek bereit.
Vom Hochsauerlandkreis nach Mecklenburg-Vorpommern ist es kein Katzensprung, aber am Sonntag vor dem 3. Oktober sind die Autobahnen leer. Einzig um Berlin wurde der Verkehr etwas nervöser und es gab hier und da einen Crash und in der Folge einen kleinen Stau.
Trotz der langen Fahrt haben wir um den Tollensesee herum ein paar interessante Orte entdeckt. Ein kleiner Bericht soll in den nächsten Tagen folgen. Soviel sei schon verraten: bei Alt-Rehse geht es um ein Dorf mit düsterer Geschichte, in dem die deutsche Ärzteschaft auf die Massenmorde durch die sogenannte Euthanasie vorbereitet und geschult wurde und dessen verstörende Architektur sich bis in die Gegenwart vererbt hat.
Für heute Abend muss der Sonnenuntergang über dem Tollensesee reichen.
So ist es, ich zu sein: Hochrisikopatientin. Tina* wird oft aufgefordert, ihren Mundschutz abzunehmen – mit dem genervten Hinweis, man müsse ja keinen mehr tragen. Als Organtransplantierte macht sie das wütend … fluter
Neue Omikron-Impfstoffe kommen: Wer sich jetzt mit welchem Vakzin impfen lassen könnte … handelsblatt
Friedrich Merz und der angebliche „Sozialtourismus“: Keine Belege für angeblichen Hartz-IV-Betrug durch Ukrainer, die per Flixbus einreisen … correctiv
Völkische Kulturarbeit: Die „Gesellschaft für freie Publizistik“ gehört zu den langjährigen nationalsozialistisch-geprägten Organisationen und Netzwerken im Hintergrund. Aktuell suchen die traditionellen ideologischen VorkämpferInnen erneut den Schulterschluss zur „Neuen Rechten“ … endstationrechts
Die Schattenseite des Sports: Erstmals dokumentiert eine Fallstudie umfassend sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Vereinen. Betroffene leiden oft ihr Leben lang, auch weil sie häufig keine Hilfe fanden – so wie eine Ex-Biathletin … tagesschau
Folter und Mord: Das Gestapo-Gefängnis im badischen Ettlingen … endstationrechts
Nachgefragt: Kriegsveteranen als “Euthanasie”-Opfer … historischdenken
Es werden ein paar harte Jahre: Wir werden es dennoch schaffen, aber nicht mit Deppenpolitik … misik
Und dann war der Strom weg: Ich mache mir, wie vermutlich jede und jeder von Euch, Gedanken über den kommenden Winter. Das was mich dabei am Meisten beunruhigt ist, dass ich einen flächendeckenden, längerfristigen Stromausfall für nicht unwahrscheinlich halte … unkreativ
Klimawandel: Stadt Haarlem will als Erste auf der Welt Fleischreklame verbieten … scilogs
Mit Fotos wirksam „Übers Klima reden“: Webinar zur Bildsprache in der Klimakommunikation … klimafakten
Cookie-Banner der meistbesuchten Websites: Miese Tricks und fiese Klicks … netzpolitik
Zwischen Trauer, Stolz und Hoffnung: 7.000 Demonstrierende beim CSD Dortmund … nordstadtblogger
Ein neuer Sammelband erschließt Forschungen eines halben Jahrhunderts
Auf diesem Blog wurde vor einigen Wochen ein Forschungsprojekt zu dem aus (Meschede-)Eversberg stammenden Priester Dr. Lorenz Pieper (1875-1951) vorgestellt. Er trat schon 1922 der NSDAP bei, wurde 1923 Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus zahlreiche Propagandavorträge in Süddeutschland. Kein anderer römisch-katholischer Kleriker hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten wie dieser Sauerländer.
(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)
Schon seit den frühen 1920er Jahren war Lorenz Pieper befreundet mit der Lehrerin und Malerin Josefa Berens, die aus (Meschede-)Grevenstein stammte und nach eigenem Bekunden bereits 1918 oder 1920 aus der Kirche ausgetreten ist. Der braune Priester hat auch diese Künstlerin wie andere Sauerländer früh dem Nationalsozialismus zugeführt, was das Westfälisches Volksblatt (Paderborn) später am 27.01.1936 ausdrücklich rühmen wird.
Josefa Berens beantragte 1931 von Spanien aus eine Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt am 1. Januar 1932 die Parteinummer 831978. Nach 1933 erfolgte bald ein Umstieg auf den Schriftstellerberuf; zu den Lesebögen für die Umschaltung des schulischen Unterrichts steuerte die Sauerländerin im Anschluss an die „Machtergreifung“ ihrer Partei ein antisemitisches Hetz-Märchen bei. Den 1935 erstmals vergebenen „Westfälischen Literaturpreis“ erhielt J. Berens-Totenohl als Verfasserin eines Bestsellerromans, dessen erster Teil „Der Femhof“ von 1934 bis 1961 insgesamt eine Druckauflage von 280.000 Exemplaren erzielen konnte.
Das Gedenken an die einstmals in ganz Deutschland gelesene Autorin, die mit Propagandatexten und einem quasi religiösen Credo die „Treue zum Führer“ beschwor, hat im Sauerland wie bei wohl keiner anderen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aus der Zeit des „Dritten Reiches“ zu heftigen Kontroversen geführt. Ganze Generationen waren ja mit den „Femhof“-Romanen gleichsam großgeworden und wollten sich das schöne Bild „ihrer Dichterin“ nicht kaputtmachen lassen. Unter solchem Vorzeichen war es schwer, in ruhigem Studium Fakten und seriöse Forschungsarbeiten zu sichten. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die in der germanistischen Fachliteratur schon vor über vier Jahrzehnten nachgelesen werden konnten, blieben in den lokalen Heimatdisputen in der Regel unbeachtet.
Ein jetzt in Kooperation mit dem Christine Koch-Mundartarchiv am Museum Eslohe herausgegebener Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte“ dokumentiert Beiträge zu „Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016“ von Dr. Christian Adam, Prof. Moritz Baßler, Peter Bürger, PD Dr. Karl Ditt, Prof. Rainer S. Elkar, Prof. Walter Gödden, Wolf-Dieter Grün, Prof. Hubertus Halbfas (†), Jürgen Kalitzki, Prof. Uwe-K. Ketelsen, PD Dr. habil. Reinhard Kiefer, Dr. Roswitha Kirsch-Stracke, Dr. Arnold M. Klein, Monika Löcken, Dr. Ortrun Niethammer, Dr. Ulrich F. Opfermann, Elmar Rademacher (†), Friedrich Schroeder und Gisbert Strotdrees.
Kultisches Zentrum im Haus der Dichterin zu Gleierbrück war ein Kaminfeuer, über dem gleichsam als Heiligtum eine Büste von Adolf Hitler prangte. Dies belegen Fotos, die uns 2018 zugesandt worden sind. Alle Versuche, die Sauerländerin Josefa Berens-Totenohl als eine unpolitische „Mitläuferin“ oder von den Nazis nur vereinnahmte Persönlichkeit vorzustellen, erweisen sich im Licht der Tatsachen als unhaltbare Erfindung.
Weitere Forschungen sind durchaus vonnöten, vor allem zum Werdegang von J. Berens in den Jahren der Weimarer Republik und bezogen auf den weiblichen „Emanzipationsweg nach rechts“, der bei ihr zu einer Unterwerfung unter das „Frauenbild“ des Nationalsozialismus führte.
Peter Bürger (Hg.): Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte. Beiträge zu Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016. Norderstedt: BoD 2022 (ISBN: 978-3-7568-0023-0 ; Paperback; 452 Seiten; 17,99 Euro) Portofreie Bestellung (auch überall im Buchhandel) und Leseprobe (links oben anklicken) über die Verlags-Website: https://www.bod.de/buchshop/ueber-josefa-berens-totenohl-und-westfaelische-literaturgeschichte-9783756800230
Zwei Jahre nach dem Sturm auf das Reichstagsgebäude am 29.08.2020 warnt die Amadeu Antonio Stiftung: „Sturm auf den Reichstag”, Fackelmärsche vor den Wohnhäusern von Politikern, Angriffe auf Ärzte, „Spaziergänge”, bei denen regelmäßig Polizisten angegriffen werden: Die Feinde der Demokratie in Deutschland seien so selbstbewusst wie nie und erreichten mit ihrer Agenda mehr Menschen als je zuvor. Jetzt vollziehe sich der nahtlose Übergang zu Protesten in Sachen Energiekrise. Über zwei Jahre Dauerbeschallung mit Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Desinformation hätten ein ein neues demokratiefeindliches Milieu entstehen lassen, das für immer neue Anlässe mobilisierbar bleibt. Das sei das Ergebnis einer Analyse, die die Amadeu Antonio Stiftung heute vorstellte.
(Pressemitteilung der Amadeu Antonio Stiftung)
Am 29. August 2020 durchbrachen mehrere hundert Demonstranten Absperrgitter und Polizeiketten, um die Treppen zum Reichstag zu stürmen, wo Reichsfahnen geschwungen wurden. Die rechte Szene feierte diese Bilder als Triumph und Ermächtigungsmoment. Bis heute wurde die Aufarbeitung verschleppt und lediglich 85 Verfahren eingeleitet, von denen 52 bereits eingestellt wurden.
„Während der Sturm auf das Kapitol in den USA als Fanal eines versuchten rechtsextremen Systemsturzes juristisch verfolgt wird, scheint der Reichstagssturm hierzulande nicht einmal als Weckruf verstanden zu werden. Die juristische Aufarbeitung wird verschleppt, das radikale Potenzial dieser antidemokratischen Mischszene, die den Systemsturz will, wird nach wie vor unterschätzt”, kritisiert Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung.
Energiekrise droht zur Demokratiekrise zu werden
“Wir stehen vor einem Herbst der Demokratiefeindlichkeit. Das Protestgeschehen hat eine neue Qualität. Lange konzentrierten sich Rechtsextreme auf ausgewählte Themen wie Einwanderung, heute wird unabhängig vom Thema gegen die Demokratie als solche mobilisiert. Mit dem aktuellen Themenumschwung von Corona zur Energiekrise stacheln die Feinde der Demokratie eine wütende Menge nahtlos weiter auf. Berechtigte Ängste werden missbraucht, um zu zündeln und in Wut und Hass zu wandeln, das ist nichts anderes als geistige Brandstiftung”, ergänzt Reinfrank.
Stark steigende Gas- und Benzinpreise, Inflation und Sparmaßnahmen bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen und drohender Arbeitslosigkeit führen zu berechtigten Existenzängsten der Deutschen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa aus dem Juli 2022 sagen 44 Prozent aller Befragten, sie würden „sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit an Demonstrationen gegen die hohen Energiepreise teilnehmen“. Demokratiefeinde erhoffen sich mit dieser Protestbereitschaft neue Anknüpfungspunkte für ihre Agenda. Mit vereinfachten Schuldzuweisungen wird der Hass gegen die parlamentarische Demokratie und ihre Repräsentanten weiter zugespitzt.
Radikales Zündeln mit Ängsten
„Die Feinde der Demokratie sind online besser vernetzt als je zuvor. Während der Pandemie ist eine digitale Propagandamaschinerie gewachsen, die für jede kommende Krise mobilisiert werden kann. Hinter dem geschickten Zusammenspiel verschiedener Kanäle und Formate steckt eine ausgeklügelte digitale Infrastruktur, die auf Desinformation und die Dauerbeschallung mit Verschwörungserzählungen setzt”, erklärt Veronika Kracher, Monitoring-Expertin der Amadeu Antonio Stiftung. “Der rechten Mobilisierung wird nichts entgegen gesetzt, es braucht eine klare Kante gegen Rechts. Es gibt genug Möglichkeiten gegen die Personen vorzugehen, die ohne jegliches Unrechtsbewusstein zu Gewalttaten anstacheln und Mordaufrufe verbreiten. Aufrufe zu Straftaten müssen endlich breitflächig verfolgt werden. Hassakteure müssen deplattformt werden, damit nicht immer neue Menschen den Weg in die digitalen Hasswelten finden.”
Längst ist etwa die rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“, die im Freistaat maßgeblich an der Vernetzung und Mobilisierung für die maßnahmenkritischen „Montagsspaziergänge“ beteiligt war, thematisch umgeschwenkt. Via Telegram erreicht die Partei rund 150.000 Menschen und mobilisiert zu Demonstrationen in dutzenden Orten unter dem Motto „Sommer, Sonne, Bürgerwiderstand! Vom Corona- in den Energielockdown?” und schürt mit Bezug auf den Lockdown gezielt Ängste vor neuen Einschränkungen.
“Organisierte rechtsextreme Akteure konnten mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen einen enormen Geländegewinn verzeichnen und sich noch fester als ‘Kümmerer’ vor Ort etablieren, obwohl sie selbst keine Antworten, aber klare Feindbilder bieten. Gerade in strukturschwachen Regionen und in Krisenzeiten geben die Proteste ein Gefühl von Stärke und bieten Zusammenhalt unter der großen Klammer Demokratiefeindlichkeit”, erklärt Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen. “Die Wut gegen ‚die da oben’ trifft Lokalpolitiker genauso wie Engagierte und schafft ein Klima der Angst, in dem Betroffene allein gelassen werden.”
Innenministerium muss handeln, statt zu warnen
Die Protagonisten sind keine Unbekannten: Für viele Influencer der Szene waren die „Montagsmahnwachen“ von 2014 zum Beginn der Ukraine-Krise ein Moment der Politisierung. Andere waren schon an den flüchtlingsfeindlichen Protesten ab 2013 beteiligt. Impfgegner und Verschwörungsgläubige mobilisieren seit Jahren gegen Wissenschaft und evidenzbasierte Fakten.
„Es gibt nach zweieinhalb Jahren keine Ausrede mehr, das Gefahrenpotenzial dieser Szene zu unterschätzen”, erklärt Timo Reinfrank: „Politik, Polizei und Justiz haben immer wieder massive Rechtsverstöße toleriert: von Ausschreitungen vor Geflüchtetenunterkünften 2014 bis hin zu Angriffen auf Polizisten bei sogenannten Spaziergängen 2022. Doch bisher bekommt man den Eindruck, das hätte alles kaum Konsequenzen. Das dadurch vermittelte Gefühl einer ‚Unantastbarkeit’, hat ein vermeintlich bürgerliches Spektrum ermutigt, sich diesen im Kern demokratiefeindlichen Protesten anzuschließen. Wenn Rechtsextreme während einer waschechten Inflation und Energiekrise weiterhin Proteste kapern und orchestrieren können, entsteht ein Brandsatz der Demokratiefeindlichkeit. Es droht ein Flächenbrand.”
Antidemokraten dürfen keine Partner im politischen Protest sein. Straftaten, analog wie digital, müssen konsequent verfolgt und geahndet werden, um eine erneute Deutungshoheit der organisierten Demokratiefeinde zu verhindern. Dabei muss insbesondere die digitale Infrastruktur ins Visier genommen werden. Trotz der angespannten Lage darf an politischer Bildung nicht gespart werden und müssen Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige ausgebaut werden. Es braucht eine klare Kommunikation über politische Entscheidungen, da Unsicherheiten den Raum für Desinformation öffnen.
Über die Amadeu Antonio Stiftung:
Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.
Comic-Zeichenkunst: Neal Adams, der Erfinder des visuellen Superhelden-Realismus im Kosmos des Unrealistischen … endoplast
Unergründlich zu allen Zeiten: Mariette Navarros Meeres-Roman „Über die See“ … revierpassagen
The Ministry for the future: Kim Stanley Robinson denkt wenigstens Wege, wie sich eine Katastrophe abschwächen kann. Wie die Menschheit doch noch die Kurve bekommen könnte. Und das ist wirklich höchst inspirierend … schmalenstroer
Das Grösste von allem – Dubai und Abu Dhabi: Dubai ist völlig surreal. Alles muss hier „das Größte“ sein. Die weltgrößte Mall. Das weltgrößte Hochhaus. Alles immer Weltgrößt. Das sieht man dann auch im Stadtbild … unkreativ
In den Tod gehetzt: Es gibt keine „Polarisierung“. Es gibt nur eine rechte Sekte, die sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert hat. Zum Tod von Lisa-Maria Kellermayr … misik
Rechte Kampagne: Der Missbrauch des guten Namens von Simon Wiesenthal durch US-Trump-Dualisten … scilogs
Vom 17. bis 31. August geht es in Dortmund um „Jüdisch-Arabische Verflechtungen“: Themenreihe befasst sich mit Antisemitismus in postmigrantischen Gesellschaften … nordstadtblogger
Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen): Wie sieht eine Welt mit 3 Grad globaler Erwärmung aus? Was bedeutet das konkret für Klima und Wetter? Klimaforscher Stefan Rahmstorf schildert in diesem Beitrag aus »3 Grad mehr« die drohenden Folgen – und macht damit deutlich, warum wir sofort entschiedene Klimaschutzmaßnahmen brauchen … oekom
Prekäre Lage im Nahverkehr: Kommunen, Verbünde und Verkehrsunternehmen fordern mehr finanzielle Mittel für ÖPNV … doppelwacholder
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