„Den bisherigen Erfahrungen entsprechend muß damit gerechnet werden, daß das Standesamt Niederhagen jährlich mindestens etwa 800 Sterbefälle – im Jahre 1942 = 884 Fälle – zu beurkunden hat.“
Das schrieb der Bürgermeister von Büren am 4.3.1943 über den Landrat an den Regierungspräsidenten in Minden. Das „Standesamt Niederhagen“ war zum 1.1.1943 ausschließlich für die Gefangenen des „Konzentrationslagers Niederhagen“ in Wewelsburg bei Paderborn eingerichtet worden, wo seit November 1942 die Toten im extra gebauten lagereigenen Krematorium verbrannt wurden [2] (vorher in Dortmund, Bielefeld, Bochum und Berlin [3]).
Warum schrieb Bürens Bürgermeister von „jährlich mindestens etwa 800 Sterbefälle – im Jahre 1942 = 884 Fälle“?
„Die Dauerausstellung ,Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945‘ steht kurz vor dem Aus. Stadt und Landkreis Göttingen müssen ihrer Verantwortung für diesen einzigartigen Lernort zur NS-Geschichte gerecht werden!
Die Ausstellung ,Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945‘ konnte in den vergangenen Jahren maßgeblich dazu beitragen, die nationalsozialistischen Verbrechen in Südniedersachsen aufzuarbeiten. Regional, national und international vernetzt, ist sie der einzige etablierte Ort in Stadt und Landkreis Göttingen, der sich der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit widmet.
Die Ausstellung ist von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (SnG) und dem Niedersächsischen Kultusministerium als außerschulischer Lernort anerkannt. Sie leistete (und leistet) damit auch einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung aktueller demokratiefeindlicher und rechtsextremer Tendenzen.
Ohne die Professionalisierung und Verstetigung der Arbeit, die mit der Schaffung der Stelle eines*einer Bildungsreferent*in im Jahr 2020 verbunden war, wäre das nicht möglich gewesen. Diese Stelle ist jetzt akut gefährdet – und damit steht die gesamte Existenz der Ausstellung auf dem Spiel. Ehrenamtlich lassen sich weder die Betreuung der Ausstellung während der Öffnungszeiten noch das vielfältige Vermittlungsprogramm für Jugendliche und Erwachsene aufrechterhalten. Die wenigen Stunden im Monat, für die eine Lehrkraft an die Ausstellung abgeordnet ist, reichen dafür bei Weitem nicht aus.
Noch bis zum 31. Dezember 2024 wird die Bildungsreferent*innen-Stelle vollständig von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten finanziert. Danach endet diese ungewöhnliche Komplettförderung. Die Stiftung ist aber bereit, die Ausstellung weiter zu unterstützen – vorausgesetzt, Stadt und Landkreis beteiligen sich zu jeweils 25 Prozent an den Personalkosten.
Der Antrag auf Förderung der Ausstellung wurde jedoch nicht in den Haushaltsentwurf der Stadt Göttingen aufgenommen. Vom Landkreis Göttingen gibt es noch keine feste Zusage. Ohne kommunale Finanzierung aber droht das Aus. Zum 1. Januar 2025 müsste die Ausstellung ihre Tore schließen. Die erfolgreiche Vermittlungsarbeit wäre vorbei.
Eine Schließung der Ausstellung wäre ein fatales politisches Signal. Wir appellieren an Stadt und Landkreis Göttingen, zu ihrer Verantwortung zu stehen und die Dauerausstellung ,Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945‘ zu erhalten. Die demokratischen Fraktionen in Stadtrat und Kreistag fordern wir auf, für die Rettung der Ausstellung zu sorgen.
,Nie wieder ist jetzt‘ muss mehr sein als ein Appell für Sonntagsreden.“ [2]
Zur Ausstellung:
Deutsch:
Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945 [3]
Mehrere zehntausend Menschen aus den von Deutschland überfallenen Ländern wurden im Zweiten Weltkrieg gezwungen, in Südniedersachsen Zwangsarbeit zu leisten. Die Ausstellung Auf der Spur europäischer Zwangsarbeit. Südniedersachsen 1939-1945 zeichnet das Schicksal dieser Menschen aus europäischer Perspektive nach und liefert Hintergrundinformationen zum NS-Zwangsarbeitseinsatz im südlichen Niedersachsen.
Polnisch (leider ohne Akzente):
Sladami. Praca przymusowa Europejczyków w Poludniowej Dolnej Saksonii 1939-1945 [4]
Dziesiatki tysiecy ludzi z okupowanych krajow europejskich znalazlo sie w Poludniowej Dolnej Saksonii w latach 1939-1945. Zwerbowani, zobowiazani do pelnienia sluzby lub deportowani przemoca, pracowali tu przymusowo. Po wojnie roznie potoczyly sie ich losy.
Wystawa „Sladami. Praca przymusowa Europejczykoww Poludniowej Dolna Saksonia 1939-1945” na nowo chwyta luzne nitki, ktore oplataja Europe i tworzy przy tym nowa siec: partnerzy z Polski, Holandii, Wloch i Niemiec pracuja wspolnie i z roznych perspektyw opowiadaja o przezyciach i losach bylych robotnikow przymusowych w Poludniowej Dolnej Saksonii.
Italienisch:
Sulle tracce del lavoro forzato in Europa. Bassa Sassonia meridionale 1939-1945 [5]
La mostra Sulle tracce del lavoro forzato europeo – Bassa Sassonia meridionale 1939-1945 ripercorre il destino di decine di migliaia di persone da una prospettiva europea fornendo informazioni sull’impiego di lavoratori coatti nella Bassa Sassonia meridionale durante il regime nazionalsocialista.
Nelle versioni online italiana e olandese vengono riportate solo le parti della mostra tematicamente più rilevanti per ciascun Paese.
Niederländisch:
Op het spoor van de Europese dwangarbeid. Zuidnedersaksen 1939-1945 [6]
De tentoonstelling Op het spoor van de Europese dwangarbeid – Zuidnedersaksen 1939-1945 schetst het lot van enkele tienduizend mensen uit een Europees perspectief en levert chtergrondinformaties over de inzet van NS-dwangarbeid in het zuidelijke Nedersaksen.
De Italiaanse en de Nederlandse internet-versie beperken zich tot telkens thematisch belangrijke bestanddelen van de complete tentoonstelling.
Der Stadtrat Göttingen entscheidet am 15.11.2024 über den Doppelhaushalt 2025-2026. Bis zum 12.11.2024 werden möglichst viele Unterschriften benötigt. Die Online-Petition läuft danach aber noch weiter.
„Hier ruhen 19 sowjetische Bürger, die am 1.4.1945 fern von ihrer Heimat starben.“
Auf dem Friedhof in Erwitte steht ein „Gedenkstein“ mit der Aufschrift „Hier ruhen 19 sowjetische Bürger, die am 1.4.1945 fern von ihrer Heimat starben.“ Es folgen 18 Namen und ein „Unbekannter Russe“. Der Stein ist abgebildet in der Broschüre „Der Gedenkstein“ [2] und wurde 2021 „wieder sichtbar“ gemacht [3].
Mit diesem „Gedenkstein“ habe ich drei Probleme: I. fehlende Todesursache, II. fehlende Geburtsdaten, III. Pawel Kusmin. Nachfolgend Punkt für Punkt erklärt.
Bitte lesen Sie das Interview von Olaf Przybilla mit Prof. Frewer in der Süddeutschen Zeitung [3] und unterschreiben Sie bitte die Petition gegen den unmittelbar bevorstehenden geplanten Abriß. Bis vor ein paar Tagen hatten viele noch nie etwas davon gehört, und so bitte ich Sie von ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Verstand und Seele: Bitte unterschreiben Sie die Petition [4], denn das ist keine Angelegenheit Bayerns, sondern dieses Bauwerk gehört zu unserer Republik!
Regelrecht elektrisiert war ich, als ich nicht nur den „Hungerkost-Erlaß“ [5] auf der Seite des „Historischen Lexikons Bayers“ fand, sondern auch das Plakat zum Film „Nebel im August“, der teilweise in der heutigen LWL-Klinik in Warstein-Suttrop [6] gedreht wurde. Von dort wurden 1575 Menschen in den Tod deportiert, u.a. 21 Jüdinnen und Juden (als erste), der „psychisch kranke“ „Querulant“ Ernst Putzki und drei sowjetische Zwangsarbeiterinnen (Natalia Tarutina „aus Neheim-Hüsten“, Pelaneja Babjuk „aus Letmathe“ und Anna Ikliw „aus Lüdenscheid“ nach Hadamar) [7].
Daß Alfred Siepmann als „alter Nationalsozialist“ (Selbstbezeichnung) den Anstaltsleiter Ferdinand Hegemann 1933 denunzierte und 1951 gleichwohl „in den Herzen der jetzigen Generation wie der kommenden den Entschluß festigen“ wollte, „es den Vorgängern gleichzutun“ [8], gehört auch zu meinem Warsteiner Erbe [9] – wie die Erzählung meiner Mutter (geb. 1927), sie hätten als Jugendliche den Aufdruck „R.I.F.“ auf der Seife mit „Reines Idioten-Fett“ übersetzt.
Bitte setzen Sie sich dafür ein, daß dieser Ort erhalten bleibt – dieser Ort, an dem die „Euthanasie“, also der „Massenmord auf dem Dienstweg“ [10], tatsächlich auch vollzogen wurde. Prof. Frewer im Interview mit Olaf Przybilla: „Aber einen solchen Ort der ,Euthanasie‘ nahezu komplett abzureißen, ist vielleicht sogar noch dramatischer. Denn hier sind Tötungen inmitten der Zivilgesellschaft passiert.“
„Ein Buch kann man zuschlagen und weglegen, Musik kann man ausschalten, und niemand ist gezwungen, ein Bild aufzuhängen, das ihm nicht gefällt. An einem Haus oder an einem Gebäude kann man nicht vorbeigehen, ohne es zu sehen. Architektur hat die größte sichtbare gesellschaftliche Wirkung. (Bundespräsident Johannes Rau)“ [12]
Das Aktionsbündnis „Gedenken gestalten — HuPfla erhalten“ hat folgende Petition gestartet und richtet sie an die Stadt Erlangen, das Uniklinikum Erlangen und Michael Piazolo, Freie Wähler und den Bayerischen Minister für Unterricht und Kultus:
„In wenigen Wochen [15] soll der Abriss des letzten erhaltenen Patiententraktes der Erlanger HUPFLA (Heil- und Pflegeanstalt) beginnen. Bei dem Gebäude, das gegenwärtig noch von der Universität genutzt wird, geht es nicht nur um ein historisch erhaltenswertes Gebäude, sondern auch um eines, das Zeugnis ablegt über die Schrecken der NS-Zeit.
Genau hier ereigneten sich nach neuesten Forschungen grauenhafte Krankenmorde (Verhungern-Lassen von so genanntem ,lebensunwerten Leben‘). Über 900 ,Pfleglinge‘ wurden in der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen der sogenannten T4-Aktion des ,Euthanasie‘-Programms in Tötungsanstalten deportiert, eine ähnlich hohe Anzahl von Menschen in dem Gebäude absichtlich dem Hungertod ausgeliefert.
Das Aktionsbündnis ,Gedenken gestalten — Hupfla erhalten‘ setzt sich dafür ein, an diesem authentischen Opferort eine Gedenk- und Lernstätte aufzubauen und einen möglichst großen Teil des historischen Gebäudes von 1879 zu erhalten.
Die Stadt Erlangen, die Klinik, die Universität und das Staatliche Bauamt müssen unbedingt von ihrem Abrissvorhaben abgehalten werden.
Setzen Sie sich bitte mit Ihrer Unterschrift dafür ein!“
[1] „Andreas Frewer ist Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der FAU Erlangen-Nürnberg. Arzt in der Inneren und Intensivmedizin an Virchow-Klinikum und Charité, HU Berlin (1994–1998). Promotion an der FU Berlin (1998). European Master in Bioethics in Leuven et al. (2002–2003). Habilitation für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und Professor in Hannover (2002–2006). Leitung der Institute für Geschichte und Ethik der Medizin in Frankfurt/M. (2004), Hannover (2006/07) und Erlangen (2008/09). EFI-Exzellenz-Projekt ,Human Rights in Healthcare‘ (2014–2017) und GRK ,Menschenrechte und Ethik in der Medizin für Ältere‘ (seit 2018). 2012 Brocher Award, 2019 Medizinpreis, 2021 Schöller-Sonderpreis. Senior Advisory Consultant der World Health Organization (WHO).“ (https://www.steiner-verlag.de/person/Andreas-Frewer-273001, abgerufen 21.3.2023)
[2] „Werner R. Leibbrand (1896–1974) … praktizierte als Nervenarzt in Berlin und … war … international hoch geschätzt. Als Nazi-Gegner wurde er drangsaliert, im Zweiten Weltkrieg nach Bayern zwangsversetzt und musste schließlich sogar mit der jüdischen Ehefrau in einer ,Odyssee‘ 1944 untertauchen. Nach dem Krieg wurde Leibbrand Leiter der Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen, gründete dort das Universitätsseminar für Medizingeschichte und war der einzige deutsche Sachverständige im Nürnberger Ärzteprozess.“ (zu Andreas Frewers Buch „Werner Leibbrand: Leben – Weiterleben – Überleben“, Stuttgart 2021 (https://www.steiner-verlag.de/Werner-Leibbrand-Leben-Weiterleben-UEberleben/9783515129404)
[17] Der Abriß soll im April beginnen; deshalb schicke ich diesen Artikel jetzt schon weiteren voraus. Die Zeit drängt so sehr, und ich kann nicht so schnell lesen und schreiben, wie ich will und sollte. So viele wunderbare Menschen haben sich schon so lange bzw. ganz aktuell gegen jeden bzw. den weiteren Abriß eingesetzt – darunter die Ärzte für Frieden und soziale Verantwortung e.V. (IPPNW), das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland und die Jüdische Kultusgemeinde. Und es gibt so viele Veröffentlichungen dazu …
Heute vor 81 Jahren begann der „Hakenkeuzzug“ gegen die Sowjetunion [1], und ich möchte Ihnen meine neue Datei zur „Sonderbehandlung“ der Bürger*innen aus der UdSSR an Herz, Verstand und Seele legen.
Ich habe sie für Michael Schwarz, Jelena Kekachina, Maria Markielowa, Halina Wolkow und all die Anderen [2] geschrieben und freue mich besonders über die Veröffentlichung „auf LISA“ unter „Zu Wewelsburg“ [3] und „Kennzeichen ,OST‘“ [4].
Ansonsten möchte ich an diesem für mich in diesem Jahr aus mehreren Gründen ganz besonders schmerzhaften Jahrestag nur auf drei Bücher hinweisen. Sie begleiten mich seit vielen Jahren, und mit dem letztgenannten bin ich groß geworden; es gehört auch zum Erbe meiner Eltern:
Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005
Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
Wolfgang Borchert: „Das Gesamtwerk“, Hamburg 1949
„Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot.
Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter.
Und wieder wurde mir ein „Hinweis aus der Bevölkerung“ zugeschickt. Diesmal war es der Zeitungsartikel „Suche nach toten Zwangsarbeitern. Nach Kriegsende soll ein Mann aus Padberg zwei sowjetische Zwangsarbeiter im Rheneggerfeld erschossen haben. Historiker suchen das Grab und bitten um Hilfe“ von Benedikt Schülter.
In diesem Artikel lese ich so oft die Sprache der Toten, daß mir ganz schwindelig wird. Es sind vier Tote, die in diesem Artikel sprechen: Zunächst Jagos Zečević und Nadja Klimenko. Jagos Zečević ist der einzige mit Geburts- und Sterbedatum auf seinem Grabstein und der einzige Jugoslawe auf Meschedes Waldfriedhof, „Umgebettet von einer Weide in Schederberge5 lt. Erlaß des IM NW vom 13.02.79, I C 4/ 18 – 86.12“; Nadja Klimenko starb entweder an „Selbstmord durch Erhängen“ (Meldung des Staatsanwaltes in Arnsberg vom 19.12.1949, Aktenzeichen 2 AR 69/45) oder an „Lungen-TBC“ (Meldung eines Todesfalles des Amtsdirektors Bestwig vom 6.2.1950).
Wie kommt ein Kriegsgefangener am Tag seiner Befreiung in seinem „Wohnort“ in eine Weide und wie starb Nadja Kimenko? Aktenzeichen XY ungelöst!
Alles lesen:
„Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, sagt der berühmt-berüchtigte Volksmund, und am 20.8.2021 hat es mir gleich mehrfach die Sprache verschlagen.
Noch immer fällt es mir schwer, für meine Eindrücke Ausdrücke zu finden, und dieser Artikel will sich weitgehend auf Bilder beschränken.
Es sind Photos, die ich in den vergangenen sechs Jahren gemacht habe, als ich mein schweres Erbe antrat, von zwei Steinen, die mir – wie einige andere – mehr an Herz, Verstand und Seele liegen, die mein Leben mehr verändert haben als ich es jemals für möglich gehalten hätte:
der eingangs abgebildete Stein mit der Aufschrift
„Hier ruhen 27
sowjetische Bürger,
die in der schweren Zeit
1941 – 1945
fern von ihrer
Heimat starben.“
und die Suttroper Stele, deren Schwester in Warstein vergraben wurde, mit den auf den drei Seiten in Russisch, Englisch und Deutsch angebrachten Aufschriften und
HIER
RUHEN RUSSISCHE
BÜRGER BESTIALISCH
ERMORDET
IN FASCHISTISCHER
GEFANGENSCHAFT.
EWIGER RUHM
DEN GEFALLENEN HELDEN
DES GROSSEN
VATERLÄNDISCHEN
KRIEGES
1941 – 1945
„Hier ruhen
27 sowjetische Bürger, die in der schweren Zeit 1941 – 1945 fern von ihrer Heimat
starben.“
„Hier ruhen
russische Bürger, bestialisch ermordet in faschistischer Gefangenschaft. Ewiger Ruhm
den gefallenen Helden des großen vaterländischen Krieges 1941-1945.“
„Hagen-Halden, Dezember 1945. In einem Bombentrichter im Wald werden zwölf Leichen gefesselt gefunden, anscheinend von der Gestapo ermordet. Darunter ist der junge Soldat Eduard Dunker. Wer ist er?
Wie Eduard Dunker wurden tausende Wehrmachtssoldaten als Staatsfeinde erklärt und verfolgt. Allein in Hagen waren es mindestens 50, von denen die meisten den Krieg nicht überlebten. Nach 1945 galten sie als Verbrecher, nicht als Opfer. Warum?
75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wendet sich dieses Buch an die ,vergessenen Opfer’ der NS-Militärjustiz in Hagen.“
So schreibt Pablo Arias Meneses auf dem Umschlag seines Buches „Das kurze Leben des Eduard Dunker. Hagener Opfer der Militärjustiz“3, das er am 1.9.2021 („Anti-Kriegstag“) in der Katholischen St. Michaelskirche, Pelmkestraße 12 (Wehringhausen) vorstellt.
Dieser Grabstein kann allein schon wegen des Datums nicht so bleiben; der Überfall deutscher Soldaten auf die Sowjetunion begann am 22. Juni 1941, und ich meine, daß der heutige 80. Jahrestag gutes Datum wäre, um den sowjetischen Zwangsarbeitern würdige Grabsteine zu geben – mit ihren Vornamen und ihren Geburtstagen. Ich denke am Geburtstag meiner toten Mutter an sie, und am Todestag zünde ich eine Kerze an; beides gilt auch für meinen Vater. Und genau das sollte man auch an den Gräbern der 29 tun können!
Andrej Sergeew einer der fünf „Unbekannten“ der sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Friedhof in Siedlinghausen, die Zwangsarbeiter von „Dietrich Krämer & Co.“ in Siedlinghausen und der „Firma Josef Hütemann“ in Bigge waren. Auf seiner „Personalkarte I: Personelle Angaben“ (2) vom „Kriegsgefangenen-Stammlager: Stalag 326 Forellkrug“, also Stukenbrock, sieht sein Todesdatum wie „17.XI.41“ aus, und es wird vermerkt: „Gem. m. Abg. Liste No v. 10.11.-20.11.41“. Leider habe ich diese „Abgangsliste“ nicht gefunden, aber Andrej Sergejew trägt die „Erkennungsmarke Nr. 16190“, und mit dieser Nummer steht er auf der Skizze zu „Grabstätten russ. Kriegsgefangener in Siedlinghausen – kath. Friedhof“ (3), wo nur die ersten fünf Toten von Dietrich Krämer & Co. (4) noch begraben wurden. Alle weiteren verschwanden auf dem Viehfriedhof „Am Röbbecken“(5), und weil Andrej Sergeew unter den ersten Fünf war, muß er bis zum 15.11.1944 gestorben sein (6).
Die Skizze zum Katholischen Friedhof gibt zu den fünf Gräbern an: „Montschuk“, „Schur“, „Tschainikow“, „10913“ und „16190“. ??????? ????????, dem Kriegsgefangenen Nr. 7242 (7), hatte man wenigstens noch seinen Nachnamen „Tschainikow“ gelassen; er wurde am 26.9.1941 „auf der Flucht erschossen“ und am 31.1.1950 beurkundet.
Auch ????? ???, Kriegsgefangener Nr. 10921 (8), steht noch mit seinem Nachnamen „Schur“ auf der Skizze, ebenso wie ??????? ??????, der Kriegsgefangene Nr. 10817 (9), der noch mit „Montschuk“ verzeichnet wird. Die nächsten beiden aber sind völlig entmenschlicht, völlig entpersonifiziert; sie sind nur Nummern: „10913“ und „16190“ auf der Skizze.
„10913“ ist „Peter“ Glasurenko (10), geboren 25.11.1915 in Lwow, gestorben am 3.10.41. Als „Todesursache“ wird im „Nachweis über Sterbefall eines russischen Kriegsgefangenen“ (11) „Ruhr“ angegeben. Für diese vier liegen Steine mit ihren Nachnamen und ihren Todestagen. Aber nicht für Andrej Sergejew; der 29jährige blieb entpersonifiziert und namenlos begraben mit definitiv falschem Todestag.
Es gibt viele Gräber, auf denen Namen fehlen, wo „Unbekannte“ liegen. In Warstein auf dem Friedhof an der Bilsteinstraße liegen Gregoriy Jakowlew – 1893 bis 2.8.1943 -, Michael Pamasenko – 27.7.1912 bis 2.9.1944 -, Nikolai Karpenko – 20.8.1927 bis 13.2.1944 -, Jan Sadowski – 1.5.1894 bis 9.1.1945 -, Iwan Popow – 1923 oder 1924 (21 Jahre) bis 2.3.1945 – und Nikolei Pezimachow – 3.3.1912 bis 31.12.1944. Alle wurden regulär beurkundet, und seit 1949 (13) wurden immer wieder Grabsteine verlangt. Aber erst am 7. Juni 2021, nach einer Zeitungsveröffentlichung (14) und zahlreichen Anschreiben (15), bekamen diese Sechs ihre Namen zurück.
Es gibt viele Grabsteine, auf denen die Geburts- und Sterbetage fehlen, wie sie vom „Gräbergesetz“ vorgeschrieben sind. Dort steht in Paragraph 2 Absatz 6: „ … Auf dem Grabzeichen sollen in gut lesbarer, dauerhafter Schrift mindestens Vor- und Familienname, Geburts- und Todestag des Bestatteten, bei Ausländern auch die Staatsangehörigkeit angegeben sein.“ (16) Jeder, der schon einmal in einem Archiv oder einer Datenbank nach einem Toten gesucht hat, weiß um die Wichtigkeit des Geburts- und Sterbedatums – sowohl, um schneller fündig zu werden als auch, um Verwechslungen auszuschließen zu können.
Und es gibt Grabsteine, die widersprechen so dermaßen allen Vorschriften des „Gräbergesetzes“, daß ich mich als Deutsche in Grund und Boden schäme, daß so etwas in meiner Republik möglich sein konnte. In Paragraph 2 Absatz 7 steht: „Die Gräber sind gegen Beschädigung und Verfall zu schützen. Sie sind so zu pflegen, daß die Grabflächen als solche erkennbar und von Unkraut frei bleiben. Die Bepflanzung und die Grabzeichen sind in gutem Zustand zu erhalten. Die Beschriftung der Grabzeichen muß leserlich bleiben.“ (16)
Hiermit fasse ich die Informationen zu den 29 sowjetischen Zwangsarbeitern zusammen, die auf dem Friedhof in Siedlinghausen liegen. Fast alle verdanke ich Frau Marmontowa, die auch die Namensliste von 1945 der in Suttrop und Warstein Ermordeten gefunden hat.
Die Tabelle (siehe PDF unten) soll Grundlage für weitere Recherchen sein und erfordert m.E. neue Grabsteine, da die jetzigen – bis auf zwei – keine Vornamen und keine Geburtsdaten aufweisen, die laut „Bekanntmachung der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz. Vom 21. Mai 1969“ in §2 (6) gefordert sind: „Auf dem Grabzeichen sollen in gut lesbarer, dauerhafter Schrift mindestens Vor- und Familienname, Geburts- und Todestag des Bestatteten, bei Ausländern auch die Staatsangehörigkeit angegeben sein.“
Von den sechs „Unbekannten“ stehen fünf mit Namen und Daten auf dieser Liste; nur der 1965 aus Madfeld Hinzugelegte steht noch aus.
Und so bitte ich mit dieser Datei sowohl um Grabsteine für die nun nicht mehr „Unbekannten“ als auch um die Ergänzung der Vornamen und Geburtsdaten sowie um Korrekturen einiger Nachnamen und um eine Informationstafel, die auch darüber berichtet, wie viele russische Kriegsgefangene „Auf der Flucht“ erschossen wurden. Die beiden „Gedenktafeln“, die zudem nur auf Russisch sind, reichen m.E. nicht aus.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Dieser wunderschöne erste Satz unseres Grundgesetzes ist mir ewige Verpflichtung und gebietet mir, mich auch für die Würde der Toten auf dem Friedhof in Siedlinghausen einzusetzen.
Möge diese Liste dafür dienlich sein, ebenso wie die Dateien 241 bis 250 auf der Liste meiner Arbeiten!
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