Würde jemand ein KZ abreißen?“ (Prof. Andreas Frewer [1])

Ein Teil der Nordfassade der ehemaligen „Heil- und Pflegeanstalt“ [2] („HuPfla“) in Erlangen. Der Westflügel wurde schon 2020 abgerissen. Photos: Harald Sippel

Bitte lesen Sie das Interview von Olaf Przybilla mit Prof. Frewer in der Süddeutschen Zeitung [3] und unterschreiben Sie bitte die Petition gegen den unmittelbar bevorstehenden geplanten Abriß. Bis vor ein paar Tagen hatten viele noch nie etwas davon gehört, und so bitte ich Sie von ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Verstand und Seele: Bitte unterschreiben Sie die Petition [4], denn das ist keine Angelegenheit Bayerns, sondern dieses Bauwerk gehört zu unserer Republik!

Regelrecht elektrisiert war ich, als ich nicht nur den „Hungerkost-Erlaß“ [5] auf der Seite des „Historischen Lexikons Bayers“ fand, sondern auch das Plakat zum Film „Nebel im August“, der teilweise in der heutigen LWL-Klinik in Warstein-Suttrop [6] gedreht wurde. Von dort wurden 1575 Menschen in den Tod deportiert, u.a. 21 Jüdinnen und Juden (als erste), der „psychisch kranke“ „Querulant“ Ernst Putzki und drei sowjetische Zwangsarbeiterinnen (Natalia Tarutina „aus Neheim-Hüsten“, Pelaneja Babjuk „aus Letmathe“ und Anna Ikliw „aus Lüdenscheid“ nach Hadamar) [7].

Daß Alfred Siepmann als „alter Nationalsozialist“ (Selbstbezeichnung) den Anstaltsleiter Ferdinand Hegemann 1933 denunzierte und 1951 gleichwohl „in den Herzen der jetzigen Generation wie der kommenden den Entschluß festigen“ wollte, „es den Vorgängern gleichzutun“ [8], gehört auch zu meinem Warsteiner Erbe [9] – wie die Erzählung meiner Mutter (geb. 1927), sie hätten als Jugendliche den Aufdruck „R.I.F.“ auf der Seife mit „Reines Idioten-Fett“ übersetzt.

Bitte setzen Sie sich dafür ein, daß dieser Ort erhalten bleibt – dieser Ort, an dem die „Euthanasie“, also der „Massenmord auf dem Dienstweg“ [10], tatsächlich auch vollzogen wurde. Prof. Frewer im Interview mit Olaf Przybilla: „Aber einen solchen Ort der ,Euthanasie‘ nahezu komplett abzureißen, ist vielleicht sogar noch dramatischer. Denn hier sind Tötungen inmitten der Zivilgesellschaft passiert.“

„Denn hier sind Tötungen inmitten der Zivilgesellschaft passiert.“
Würde jemand ein KZ abreißen?“
Interview von Olaf Przybilla mit Prof. Andreas Frewer, „Süddeutsche Zeitung“, 17.2.2023 [11]

Ein Buch kann man zuschlagen und weglegen, Musik kann man ausschalten, und niemand ist gezwungen, ein Bild aufzuhängen, das ihm nicht gefällt. An einem Haus oder an einem Gebäude kann man nicht vorbeigehen, ohne es zu sehen. Architektur hat die größte sichtbare gesellschaftliche Wirkung. (Bundespräsident Johannes Rau)“ [12]

An der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg [13] soll nun auch der „Männerflügel“ abgerissen werden. [14]

Das Aktionsbündnis „Gedenken gestalten — HuPfla erhalten“ hat folgende Petition gestartet und richtet sie an die Stadt Erlangen, das Uniklinikum Erlangen und Michael Piazolo, Freie Wähler und den Bayerischen Minister für Unterricht und Kultus:

„In wenigen Wochen [15] soll der Abriss des letzten erhaltenen Patiententraktes der Erlanger HUPFLA (Heil- und Pflegeanstalt) beginnen. Bei dem Gebäude, das gegenwärtig noch von der Universität genutzt wird, geht es nicht nur um ein historisch erhaltenswertes Gebäude, sondern auch um eines, das Zeugnis ablegt über die Schrecken der NS-Zeit.

Genau hier ereigneten sich nach neuesten Forschungen grauenhafte Krankenmorde (Verhungern-Lassen von so genanntem ,lebensunwerten Leben‘). Über 900 ,Pfleglinge‘ wurden in der Zeit des Nationalsozialismus im Rahmen der sogenannten T4-Aktion des ,Euthanasie‘-Programms in Tötungsanstalten deportiert, eine ähnlich hohe Anzahl von Menschen in dem Gebäude absichtlich dem Hungertod ausgeliefert.

Das Aktionsbündnis ,Gedenken gestalten — Hupfla erhalten‘ setzt sich dafür ein, an diesem authentischen Opferort eine Gedenk- und Lernstätte aufzubauen und einen möglichst großen Teil des historischen Gebäudes von 1879 zu erhalten.

Die Stadt Erlangen, die Klinik, die Universität und das Staatliche Bauamt müssen unbedingt von ihrem Abrissvorhaben abgehalten werden.

Setzen Sie sich bitte mit Ihrer Unterschrift dafür ein!“

Petition „HuPfla retten“ [16]. Jetzt sind es nur noch wenige Tage!

Bitte unterschreiben Sie die Petition auf

https://innn.it/Hupfla-retten

vielen herzlichen Dank! [17]

———————————–

Anmerkungen:

[1] „Andreas Frewer ist Professor am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der FAU Erlangen-Nürnberg. Arzt in der Inneren und Intensivmedizin an Virchow-Klinikum und Charité, HU Berlin (1994–1998). Promotion an der FU Berlin (1998). European Master in Bioethics in Leuven et al. (2002–2003). Habilitation für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin und Professor in Hannover (2002–2006). Leitung der Institute für Geschichte und Ethik der Medizin in Frankfurt/M. (2004), Hannover (2006/07) und Erlangen (2008/09). EFI-Exzellenz-Projekt ,Human Rights in Healthcare‘ (2014–2017) und GRK ,Menschenrechte und Ethik in der Medizin für Ältere‘ (seit 2018). 2012 Brocher Award, 2019 Medizinpreis, 2021 Schöller-Sonderpreis. Senior Advisory Consultant der World Health Organization (WHO).“ (https://www.steiner-verlag.de/person/Andreas-Frewer-273001, abgerufen 21.3.2023)

[2] „Werner R. Leibbrand (1896–1974) … praktizierte als Nervenarzt in Berlin und … war … international hoch geschätzt. Als Nazi-Gegner wurde er drangsaliert, im Zweiten Weltkrieg nach Bayern zwangsversetzt und musste schließlich sogar mit der jüdischen Ehefrau in einer ,Odyssee‘ 1944 untertauchen. Nach dem Krieg wurde Leibbrand Leiter der Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen, gründete dort das Universitätsseminar für Medizingeschichte und war der einzige deutsche Sachverständige im Nürnberger Ärzteprozess.“ (zu Andreas Frewers Buch „Werner Leibbrand: Leben – Weiterleben – Überleben“, Stuttgart 2021 (https://www.steiner-verlag.de/Werner-Leibbrand-Leben-Weiterleben-UEberleben/9783515129404)

[3] https://www.sueddeutsche.de/bayern/erlangen-heil-und-pflegeanstalt-ns-vergangenheit-euthanasie-1.5752669?reduced=true

[4] https://innn.it/Hupfla-retten

[5] https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hungerkosterlass_(30._November_1942)

[6] Liste der Dateien zum „Standesamt Suttrop II“ auf https://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Links/NTK-Dateien-zu-SuttropII-20230313.pdf

[7] Datei 138 auf https://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Links/NTK-Art-138.E.Putzki-N.Tarutina-P.Babjuk-u-A.Ilkiw.pdf

[8] Datei 301, S. 11-18: „Heute vor 76 Jahren. Siepmann-Werke Belecke, Warstein. Für Iwan Scharow und all die Anderen“ auf https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/am_15._august_vor_76_jahren._fuer_iwan_scharow_und_all_die_anderen_bei_siepmann_werke_aktiengesellschaft_belecke_moehne_warstein?nav_id=10600

[9] https://www.wp.de/staedte/meschede-und-umland/spurensuche-die-toten-vom-franzosenfriedhof-in-meschede-id215107945.html

[10] Vgl. dazu Datei 205: „ ,Massenmord auf dem Dienstweg’. Texte aus dem Landeshaus“ auf https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/massenmord_auf_dem_dienstweg?nav_id=8758

[11] https://www.sueddeutsche.de/bayern/erlangen-heil-und-pflegeanstalt-ns-vergangenheit-euthanasie-1.5752669?reduced=true

[12] Aus Datei 151: „Architektur hat die größte sichtbare gesellschaftliche Wirkung“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/04/151.-Architektur-hat-die-gr%C3%B6%C3%9Fte-gesellschaftliche-Wirkung.pdf

[13] http://www.igem-ethik.med.fau.de (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg). Höre „Vor 75 Jahren wurde das Urteil im Nürnberger Ärzteprozess gesprochen“ auf https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/notizbuch/medizin-und-gewissen-zum-jahrestag-des-nuernberger-aerzteprozesses-100.html. Dokumente zu Schwangerschaftsabbrüchen in Bayern auf https://collections.arolsen-archives.org/de/document/70501353 und https://collections.arolsen-archives.org/de/archive/2-1-1-2-BY-038-9.

[14] Erhalten werden soll nur ein sehr kleiner Teil des ursprünglich rund 166m langen, schlossartigen Gebäudes aus dem Jahr 1879.

[15] Jetzt sind es nur noch wenige Tage!

[16] https://innn.it/Hupfla-retten

[17] Der Abriß soll im April beginnen; deshalb schicke ich diesen Artikel jetzt schon weiteren voraus. Die Zeit drängt so sehr, und ich kann nicht so schnell lesen und schreiben, wie ich will und sollte. So viele wunderbare Menschen haben sich schon so lange bzw. ganz aktuell gegen jeden bzw. den weiteren Abriß eingesetzt – darunter die Ärzte für Frieden und soziale Verantwortung e.V. (IPPNW), das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik Deutschland und die Jüdische Kultusgemeinde. Und es gibt so viele Veröffentlichungen dazu …