Die Klimakrise eskaliert und der Journalismus kommt nicht hinterher: Wir haben mittlerweile sechs von neun planetaren Grenzen überschritten, in wenigen Jahren reißen wir voraussichtlich das 1,5-Grad-Budget. Nur, was bedeutet das eigentlich? … uebermedien
Die extreme Rechte: Aufstandsphantasien und die Frage nach der Deutungshoheit … endstationrechts
Bescheiden, intellektuell, integer: Italiens KP-Chef Enrico Berlinguer, Erfinder des Eurokommunismus, war ein Gigant der Linken. Eine neue Biografie erinnert an diese packende Figur … misik
Im Haifischbecken der Berliner Politszene: Christoph Peters‘ Roman „Der Sandkasten“ … revierpassagen
Die Emscher. Bildgeschichte eines Flusses: Die Ausstellung präsentiert eine Bildgeschichte der Emscher von der Mühlenlandschaft über den Industriefluss bis zur Renaturierung. Aus dem Fotoarchiv der Emschergenossenschaft werden einmalige historische Aufnahmen aus über 100 Jahren gezeigt … zollverein
Dr. Aref Hajjaj zu Gast bei der Volkshochschule Hochsauerlandkreis
Dr. Aref Hajjaj arbeitete nach der Promotion im Auswärtigen Amt als Übersetzer und Dozent für Arabistik und interkulturelle Kommunikation.
Das Buch „Heimatlos mit drei Heimaten. Prosatexte über das Anderssein“ kreist um die Themen Mentalität und Identität, Rassismus und Vorurteile. Es bewegt sich zwischen Essay und Erzählung und ist eine einfühlsame und anschauliche Auseinandersetzung mit den Problemen der persönlichen Identität unter Berücksichtigung der kulturellen, ethnischen und nationalen Identität.
(Pressemitteilung Hochsauerlandkreis)
Aref Hajjaj, gebürtiger Palästinenser, besitzt die deutsche und schweizerische Staatsbürgerschaft und trägt diese drei Heimaten in sich. Er geht der Frage nach, was die Identität eines Menschen ausmacht und welche Rolle kulturelle, ethnische und nationale Faktoren, aber auch geografische Gegebenheiten und politische Entscheidungen spielen. Dadurch gewährt er einen einzigartigen Einblick in die Welt der Menschen seiner drei Heimaten. Es ist beeindruckend, mit welcher Subtilität und Sensibilität der Autor die Komplexität dieser Themen beschreibt. Dr. Aref Hajjaj arbeitete nach der Promotion im Auswärtigen Amt als Übersetzer und Dozent für Arabistik und interkulturelle Kommunikation. Die Volkshochschule Hochsauerlandkreis konnte ihn für eine Lesung aus seinem neuen Buch gewinnen.
Die Veranstaltung in Kooperation mit dem Kommunalen Integrationszentrum HSK ist entgeltfrei, die Veranstalter bitten jedoch dringend um eine Anmeldung aufgrund der begrenzten Sitzplätze.
Zeit: Samstag, 01. Oktober 2022, um 16:00 Uhr Ort: Bürgerzentrum / Alte Synagoge Meschede
Anmeldung entweder online über die Homepage der VHS HSK (https://vhs.link/3K8J2Q) oder telefonisch unter: 0291 94-1147 oder 0291 94-5130.
Das Podium der Pressekonferenz (Bild: (c) Ast_Juergens)
Die sechste Ausgabe der im Ruhrgebiet erfolgreich etablierten lit.RUHR und der dazugehörigen lit.kid.RUHR vom 19. bis 23. Oktober 2022 findet in äußerst unsteten Zeiten statt.
(Pressemitteilung der lit.Ruhr)
Umso bedeutender, dass das Programm des internationalen Literaturfestivals mit insgesamt 61 Veranstaltungen in Essen, Bochum, Gelsenkirchen und Oberhausen dem Publikum erneut ebenso Grundlagen für tiefgreifende Debatten und horizonterweiternde Gedanken bietet wie niveauvolle Unterhaltung, neue Perspektiven und gemeinschaftlich erlebte Kultur.
Diese Versprechen erfüllt gleich zur Eröffnung der ebenso profilierte Schauspieler wie begnadete Schriftsteller Joachim Meyerhoff. Seine autofiktionalen Romane (zuletzt: „Hamster im hinteren Stromgebiet“) sind große Literatur und allesamt Bestseller. Die lit.RUHR beehrt er mit einer Lesung ganz neuer, noch unveröffentlichter Texte. (19.10., 19.30 Uhr, Lichtburg Essen)
Tupoka Ogette ist Bestseller-Autorin („exit RACISM“), Trainerin und Beraterin für Antirassismus im deutschsprachigen Raum. Ihre Bücher (zuletzt: „Und jetzt du“) unterstützen alltagsnah und konkret bei einem rassismuskritischen Leben. (20.10., 19.30 Uhr, Theater Oberhausen)
Eine hochkarätige Buch-Premiere feiert die profilierte Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf der lit.RUHR: Sie und ihre Großmutter, Dagmar Reemtsma, verhandeln in ihrem Buch „Gegen die Ohnmacht“ generationenübergreifend hundert Jahre deutscher und europäischer Geschichte zwischen NS-Diktatur und Klimakrise. (20.10., 20 Uhr, UNESCO-Welterbe Zollverein, Halle 5)
Ihre Buch-Premiere feiert Klimaaktivistin Luisa Neubauer (Bild: Oguz Yilmaz)
Der ehemalige Profifußballer Neven Suboticist einst als Flüchtling nach Deutschland gekommen und hat mit seinem Talent Millionen verdient. Heute ermöglicht Subotic mit seiner Stiftung Trinkwasser-projekte in Äthiopien. Sein Buch „Alles geben“ ist ein Appell für mehr Gerechtigkeit sowohl im Profifußball als auch in der globalisierten Welt. (21.10., 20 Uhr, UNESCO-Welterbe Zollverein, Salzlager)
Ende August zum Eis essen nach Marburg radeln … (foto: zoom)
Den August 2022 werde ich als heiß, trocken und streckenweise lebenswert in Erinnerung behalten.
Negativ überschattet vom Mordanschlag auf Salman Rushdie. Dazu gesellt sich die Energiekrise, die Klimakatastrophe und der Ukraine-Krieg.
Traurig der Tod von Michael Gorbatschow und Hans-Christian Ströbele.
Interessant die Lektüre von Volker Ullrichs Hitler-Biographie. Band I (Aufstieg) ist geschafft, jetzt rausche ich durch Band II, die Jahre des Untergangs.
Lachhaft und erschreckend zugleich der Dokumentenklau des ehemaligen Präsidenten der USA.
Bemerkenswert, dass eine Münchener Beteiligungsgesellschaft ein Grundsück am Waltenberg in Winterberg für das vierfache des Verkehrswerts ersteigert.
Positiv das Freibad in Siedlinghausen und das Stadtradeln Winterberg. Habe mich herausgefordert gefühlt, alle Strecken, die ich sonst im Laufe eines Jahres mindestens einmal radele, in drei Wochen abzufahren.
So bin ich seit langem auch wieder nach Marburg gerollt, habe festgestellt, dass die Stadt an einem sonnigen Sonntag sehr voll ist und habe mich mit einem Eis entschädigt.
Das Radfahren ist ein ganz eigenes Kapitel. Vielleicht später. Jetzt ist es zu spät am Abend.
Ein neuer Sammelband erschließt Forschungen eines halben Jahrhunderts
Buchumschlag: Der neue Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl“
Auf diesem Blog wurde vor einigen Wochen ein Forschungsprojekt zu dem aus (Meschede-)Eversberg stammenden Priester Dr. Lorenz Pieper (1875-1951) vorgestellt. Er trat schon 1922 der NSDAP bei, wurde 1923 Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus zahlreiche Propagandavorträge in Süddeutschland. Kein anderer römisch-katholischer Kleriker hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten wie dieser Sauerländer.
(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)
Schon seit den frühen 1920er Jahren war Lorenz Pieper befreundet mit der Lehrerin und Malerin Josefa Berens, die aus (Meschede-)Grevenstein stammte und nach eigenem Bekunden bereits 1918 oder 1920 aus der Kirche ausgetreten ist. Der braune Priester hat auch diese Künstlerin wie andere Sauerländer früh dem Nationalsozialismus zugeführt, was das Westfälisches Volksblatt (Paderborn) später am 27.01.1936 ausdrücklich rühmen wird.
Josefa Berens beantragte 1931 von Spanien aus eine Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt am 1. Januar 1932 die Parteinummer 831978. Nach 1933 erfolgte bald ein Umstieg auf den Schriftstellerberuf; zu den Lesebögen für die Umschaltung des schulischen Unterrichts steuerte die Sauerländerin im Anschluss an die „Machtergreifung“ ihrer Partei ein antisemitisches Hetz-Märchen bei. Den 1935 erstmals vergebenen „Westfälischen Literaturpreis“ erhielt J. Berens-Totenohl als Verfasserin eines Bestsellerromans, dessen erster Teil „Der Femhof“ von 1934 bis 1961 insgesamt eine Druckauflage von 280.000 Exemplaren erzielen konnte.
Das Gedenken an die einstmals in ganz Deutschland gelesene Autorin, die mit Propagandatexten und einem quasi religiösen Credo die „Treue zum Führer“ beschwor, hat im Sauerland wie bei wohl keiner anderen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aus der Zeit des „Dritten Reiches“ zu heftigen Kontroversen geführt. Ganze Generationen waren ja mit den „Femhof“-Romanen gleichsam großgeworden und wollten sich das schöne Bild „ihrer Dichterin“ nicht kaputtmachen lassen. Unter solchem Vorzeichen war es schwer, in ruhigem Studium Fakten und seriöse Forschungsarbeiten zu sichten. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die in der germanistischen Fachliteratur schon vor über vier Jahrzehnten nachgelesen werden konnten, blieben in den lokalen Heimatdisputen in der Regel unbeachtet.
Kaminrunde im „Femhof“-Haus von Josefa Berens-Totenohl: Über dem Sims als ‚kultisches Zentrum‘ eine Büste von Adolf Hitler (Digitales Fotoarchiv des Christine-Koch-Mundartarchivs am Museum Eslohe)
Ein jetzt in Kooperation mit dem Christine Koch-Mundartarchiv am Museum Eslohe herausgegebener Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte“ dokumentiert Beiträge zu „Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016“ von Dr. Christian Adam, Prof. Moritz Baßler, Peter Bürger, PD Dr. Karl Ditt, Prof. Rainer S. Elkar, Prof. Walter Gödden, Wolf-Dieter Grün, Prof. Hubertus Halbfas (†), Jürgen Kalitzki, Prof. Uwe-K. Ketelsen, PD Dr. habil. Reinhard Kiefer, Dr. Roswitha Kirsch-Stracke, Dr. Arnold M. Klein, Monika Löcken, Dr. Ortrun Niethammer, Dr. Ulrich F. Opfermann, Elmar Rademacher (†), Friedrich Schroeder und Gisbert Strotdrees.
Kultisches Zentrum im Haus der Dichterin zu Gleierbrück war ein Kaminfeuer, über dem gleichsam als Heiligtum eine Büste von Adolf Hitler prangte. Dies belegen Fotos, die uns 2018 zugesandt worden sind. Alle Versuche, die Sauerländerin Josefa Berens-Totenohl als eine unpolitische „Mitläuferin“ oder von den Nazis nur vereinnahmte Persönlichkeit vorzustellen, erweisen sich im Licht der Tatsachen als unhaltbare Erfindung.
Weitere Forschungen sind durchaus vonnöten, vor allem zum Werdegang von J. Berens in den Jahren der Weimarer Republik und bezogen auf den weiblichen „Emanzipationsweg nach rechts“, der bei ihr zu einer Unterwerfung unter das „Frauenbild“ des Nationalsozialismus führte.
Peter Bürger (Hg.): Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte. Beiträge zu Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016. Norderstedt: BoD 2022 (ISBN: 978-3-7568-0023-0 ; Paperback; 452 Seiten; 17,99 Euro) Portofreie Bestellung (auch überall im Buchhandel) und Leseprobe (links oben anklicken) über die Verlags-Website: https://www.bod.de/buchshop/ueber-josefa-berens-totenohl-und-westfaelische-literaturgeschichte-9783756800230
Als Tourenradweg ausgezeichnet ist dieser Radweg nahe dem Nordhang des Kahlen Asten eine Zumutung/Frechheit. Ich weiche hier immer auf die Straße aus. (foto: zoom)
Comic-Zeichenkunst: Neal Adams, der Erfinder des visuellen Superhelden-Realismus im Kosmos des Unrealistischen … endoplast
Unergründlich zu allen Zeiten: Mariette Navarros Meeres-Roman „Über die See“ … revierpassagen
The Ministry for the future: Kim Stanley Robinson denkt wenigstens Wege, wie sich eine Katastrophe abschwächen kann. Wie die Menschheit doch noch die Kurve bekommen könnte. Und das ist wirklich höchst inspirierend … schmalenstroer
Das Grösste von allem – Dubai und Abu Dhabi: Dubai ist völlig surreal. Alles muss hier „das Größte“ sein. Die weltgrößte Mall. Das weltgrößte Hochhaus. Alles immer Weltgrößt. Das sieht man dann auch im Stadtbild … unkreativ
In den Tod gehetzt: Es gibt keine „Polarisierung“. Es gibt nur eine rechte Sekte, die sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert hat. Zum Tod von Lisa-Maria Kellermayr … misik
Rechte Kampagne: Der Missbrauch des guten Namens von Simon Wiesenthal durch US-Trump-Dualisten … scilogs
Vom 17. bis 31. August geht es in Dortmund um „Jüdisch-Arabische Verflechtungen“: Themenreihe befasst sich mit Antisemitismus in postmigrantischen Gesellschaften … nordstadtblogger
Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen): Wie sieht eine Welt mit 3 Grad globaler Erwärmung aus? Was bedeutet das konkret für Klima und Wetter? Klimaforscher Stefan Rahmstorf schildert in diesem Beitrag aus »3 Grad mehr« die drohenden Folgen – und macht damit deutlich, warum wir sofort entschiedene Klimaschutzmaßnahmen brauchen … oekom
Prekäre Lage im Nahverkehr: Kommunen, Verbünde und Verkehrsunternehmen fordern mehr finanzielle Mittel für ÖPNV … doppelwacholder
Kann man die Documenta in Kassel (Bild oben) und das Humbold-Forum in Berlin vergleichen? Ja, meint der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer in der Berliner Zeitung. (Link s.u) (foto: zoom)
Extremwetter: Bisherige Rekorde werden deutlich überschritten … bpb
„Hätten sich Ökonomen nicht eingemischt, wären wir zwanzig Jahre weiter“: Was uns zu einer tieferen Klimakrise führte als möglich gewesen wäre … scilogs
Ein Wall um Lützerath: Kohlekonzern RWE bereitet Abbaggerung vor und stößt auf Protest … nd
Das Gewalt-Dilemma: Zwischen „Die Waffen nieder!“ und „gerechter Krieg“ – Pazifismus und Anti-Militarismus in Kriegszeiten … misik
Humboldt-Forum und Documenta: Wir sollten aufhören mit zweierlei Maß zu messen … bz
Dortmund: Fünftes Anarchistisches Parkfest im Blücherpark … nordstadtblogger
Die besten Fernseh- oder Streaming-Serien – Teil 2: Die 10 schlimmsten Fehler der TV-Serien … endoplast
Rückzug in die Vorhölle: Heinz Strunks Roman „Ein Sommer in Niendorf“ … revierpassagen
Hagen-Hohenlimburg: Die renaturierte Lenne mit dem Rad erkunden … doppelwacholder
Einblicke in ein Publikationsprojekt über Lorenz Pieper (1875-1951)
Buchumschlag „Am Anfang war der Hass“
Werner Neuhaus (Sundern) und ich haben in diesem Sommer ein umfangreiches Werk veröffentlicht über den Lebensweg eines sauerländischen Geistlichen aus dem Gefüge des Sozialkatholizismus, der sich ab Ende des 1. Weltkrieges ganz dem völkischen Nationalismus und Judenhass verschrieben hat: Dr. Lorenz Pieper (1875-1951), geboren in Meschede-Eversberg, trat schon 1922 als Kaplan von Hüsten der NSDAP bei. Er wurde 1923 sogar für einige Monate Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus im schwarzen Priesterrock zahlreiche NS-Propagandavorträge.
(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)
Kein anderer römisch-katholischer Kleriker in Deutschland hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten. Kurz vor der sogenannten Machtergreifung 1933 bekannte der gewaltbereite Antisemit: „Und naturgemäß wurde ich ein Soldat Hitlers. Es ist mein Stolz, dass ich gleich zu Anfang der Bewegung zu ihr stieß!“ „Das Wort ‚Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube!‘ gilt auch von unserer Bewegung. Der Sieg steht felsenfest!“
Das „Evangelium“ Hitlers wurde für Lorenz Pieper anstelle der christlichen Botschaft zur zentralen Sinngebung seines Lebens. Bis hin zum Schluss wird er seinem „Führer“ die Treue halten. Zu den Widersprüchen dieses Fanatikers gehört allerdings auch sein Widerstand gegen die planmäßig betriebene Ermordung von Kranken während der Zeit als Anstaltsgeistlicher in Warstein.
Die nationalsozialistischen Kleriker Joseph Roth (1897-1941) aus München, links, und Lorenz Pieper (1875-1951) aus dem Sauerland, in der Mitte, bei einem Treffen „brauner Priester“, vermutlich im Jahr 1933. (Foto-Reproduktion: Peter Bürger (Original im Pieper-Nachlass, Abtei Königsmünster).)
Ohne Lorenz Pieper wären viele NSDAP-Aktivitäten zur Zeit der Weimarer Republik im katholischen ‚Zentrums-Sauerland‘ wohl kaum möglich gewesen. Schon im Mai 1922 plant er eine nationalsozialistische Gründung in Hüsten und meldet in einem Eintrag vom 8.10.1922: „Vor 14 Tagen habe ich es ermöglicht, dass von Hagen aus auch hier ein nationalsozialistischer Redner sprach; es war eine vorläufige kleine Versammlung, bei der ca. 15 Mitglieder beitraten; aber immerhin haben wir nun eine kleine Ortsgruppe hier, die weiter arbeitet und den Völkischen Beobachter hält.“ (Nach Ausweis der NSDAP-Mitgliederkartei ist Pieper im Laufe der Jahre bis 1945 noch für folgende lokale Gliederungen der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei eingetragen gewesen: Wehrden – Höxter, Halingen – Menden – Langschede, Eversberg, Münster, Warstein – Suttrop und zuletzt Meschede.)
NSDAP-Gründerzeit an der Weser
In der nächsten Pfarrstelle, die seinem Münchener Einsatz bei Hitler ab dem 23. Oktober 1923 folgt, führt er die Parteiagitation fort. Dazu vermerkt sein Parteigenosse Eduard Schulte: „An der Weser setzte sofort Pieper altes Ringen um Deutschlands Zukunft wieder ein, als er dort Pfarrvikar in Wehrden bei Höxter wurde. Für die NSDAP und den Jungdo [Jungdeutschen Orden] war er aufs intensivste tätig, privat und öffentlich, rednerisch und journalistisch, bei Bannerweihen und Aufmärschen. … Die Ausbreitung des Hitler-Gedankens an der mittleren Weser und im Paderborner Lande ist wesentlich ihm mit zu verdanken; dabei diente Pieper dem unermüdlichen Wegbereiter der NSDAP in Norddeutschland, dem allzu früh verstorbenen ‚Rucksack-Major‘ Dinklage (Hannover)“.
Kreisleiter Dr. Heinrich Trost schreibt in seinem Beitrag „Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Stadt und Kreis Höxter“ für die Festausgabe ‚50 Jahre Huxaria‘ im November 1933 rückblickend: „Nach einem verheißungsvollen Anfang, der in einigen gut besuchten Versammlungen, in denen u.a. auch der Bergmann Heinrich Dolle sprach, zum Ausdruck kam, begann ein ebenso schneller Abstieg, an dessen Ende unsere kleine Gruppe und einige Vertreter des Blocks, darunter der verdienstvolle Vorkämpfer in unserem Gebiete, der Vikar Dr. Pieper, als verlorener Haufen übrig blieb. Damit schloss das Jahr 1924; Ende Dezember war der Führer aus der Festungshaft in Landsberg entlassen worden. … Die Mitglieder mussten wir persönlich werben und an dem Defizit einer Versammlung hatten wir monatelang zu tragen. Wir verlegten unsere Versammlungstätigkeit daher auf die Dörfer, wo die Säle nichts kosteten und handgeschriebene Versammlungsplakate genügten. Vor allem waren es die Dörfer Boffzen, Amelunxen und Wehrden, die schon frühzeitig bearbeitet wurden.“ Christoph Reichardt und Wolfgang Schäfer resümieren in ihrem Buch ‚Nationalsozialismus im Weserbergland‘: „Am 23. Oktober 1923 trat Pieper zunächst stellvertretend die Stelle des Pfarrvikars in Wehrden an der Weser an, die er im September 1928 wieder verließ, um nach Halingen bei Menden versetzt zu werden. In diesen wenigen Jahren wurde Pieper zum glühenden Vorkämpfer der NS-Bewegung im Weserbergland“.
In „bewusster Anspielung auf das jungdeutsche Credo Lorenz Piepers“ – so Wieland Vogel – hat der Breslauer Ortsbischof Kardinal Adolf Bertram übrigens am 10. Januar 1924 seine Absage an den völkischen Jungdeutschen Orden formuliert: „Der Umstand, daß sich in einzelnen Gegenden Deutschlands Katholiken vereinzelt und selbst katholische Geistliche von dieser Bewegung ergreifen lassen, beweist nichts. Es gibt bei solchen Bewegungen stets Männer von wenig Lebenserfahrung, die nicht merken, wohin eigentlich die Fahrt geht. … Ich werde unter keinen Umständen dulden, dass ein Priester meiner Diözese dieselbe fördert oder ihr beitritt.“
Von Wehrden aus war Dr. Lorenz Pieper in der Frühzeit der Weimarer Republik beteiligt an überregionalen Bestrebungen zur Vernetzung der Rechtskatholiken in einem zu gründenden „Ring“, wobei auch seine Münchener Verbindungen zum Zuge kommen sollten. Federführend bei den Paderborner Vernetzungsaktivitäten war der Rechtskatholik Ferdinand Freiherr von Lüninck aus Ostwig.
Brauner Partei-Aktivismus im Raum Menden
Im nächsten Seelsorgeort Halingen ist Lorenz Pieper nach dem 1. September 1928 alsbald Organisator einer eigenen NSDAP-Sektion am Ort. Seine dortigen ‚Predigten‘ für den Nationalsozialismus wirken sich bei Wahlen zugunsten der Partei aus, und die Dekanatskonferenz Menden sieht „die Gefahr eines nationalsozialistischen Einbruchs in die katholische Zentrumsfront“. Nicht nur im Vergleich zu anderen Orten des Amtes Menden sind die Wahlergebnisse der NSDAP in Halingen geradezu spektakulär (Reichstagswahl 1930: über 27 %; Reichstagswahl März 1933: 44,3 %). Anton Schulte hat die Stimmenzuwächse 1995 in einer Ortschronik für Halingen differenziert dargestellt und kommt zu folgenden Schlüssen:
„Die prozentualen Stimmenanteile des Halinger Zentrums gingen zwischen 1919 und 1933 von 82 % auf 35,3 % zurück, für eine alte Zentrumshochburg bedeutete dies einen ungewöhnlich großen Wählerverlust. Er erfolgte allerdings während der vierzehn Jahre nicht gleichermaßen kontinuierlich. … In keiner der übrigen Gemeinden des Amtes Menden und auch nicht in der Stadt Menden war der Rückgang der Zentrumsstimmen derart groß wie in Halingen. … Hier wirkte sich – keine andere Erklärung liegt näher – der Einfluss eines Mannes aus, der zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Verfügung der erzbischöflichen Behörde vom 30. Dezember 1932 Halingen schon hatte verlassen müssen – des Pfarrvikars Dr. Lorenz Pieper. – In den vier Jahren seiner Halinger Tätigkeit hatte Pieper nicht nur als Seelsorger, sondern auch aufgrund der Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit, die andere für sich einzunehmen verstand, an Ansehen und Einfluss gewonnen. … In seinen Ansprachen anlässlich nationaler Feiertage betonte er den Wert vaterländisch-nationaler Gesinnung. – Pieper machte nie ein Hehl aus seiner Sympathie für Hitler und die NS-Ideologie. Zu den führenden Köpfen des (Partei-) Gaues Westfalen-Süd oder der Mendener NSDAP-Ortsgruppe um Wilhelm Pferdekämper hielt er enge Verbindung. Der NSDAP galt er als eine Art Aushängeschild, als Beweis für die angebliche Vereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus. … Die Entfernung Piepers aus seiner Halinger Pfarrvikarstelle war für die NS-Presse ein Anlass zu heftigen Vorwürfen und Angriffen gegen die kirchlichen Behörden. Dabei hob sie die zweifelsohne bemerkenswerte persönliche Anspruchslosigkeit des Pfarrvikars sowie seine nationale Gesinnung hervor und feierte ihn als einen ihrer Märtyrer. Sie konnte in ihrer Argumentation auf die Zustimmung großer Teile der Halinger Bevölkerung rechnen, die Pieper am Abend vor seinem Weggang mit einem Fackelzug ehrte. … Seit den Kulturkampftagen hatten katholische Geistliche ihren seelsorgerischen Einfluss zugunsten der Zentrumspartei einzusetzen verstanden. Der kirchliche ‚Außenseiter‘ Pieper dagegen arbeitete nicht ohne Erfolg gegen die überkommene Vorherrschaft des Zentrums in Halingen. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass wegen der Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehenden politischen Staatskrise die NSDAP für manchen bisherigen Zentrumswähler als eine hoffnungsvolle Alternative erscheinen mochte, darf Piepers Einfluss auf das Wahlverhalten vieler Halinger zwischen 1930 und 1933 nicht unterschätzt werden. Seine Gedanken und Anregungen … entsprachen in ihrer politischen Tendenz auch den nationalen und ‚völkischen‘ Grundströmungen in den Jahren der Endkrise der Weimarer Republik.“
In seinem Buch über die politische Geschichte Mendens (1989) bezieht Anton Schulte auch noch einen zweiten Priester in seine Überlegungen mit ein: „Eine lokale Sonderrolle bei der wachsenden Verschiebung der Wählerschaft zu Lasten jener Parteien, die den demokratischen Staat bejahten, spielten die beiden katholischen Geistlichen Dr. Lorenz Pieper, Pfarrvikar in Halingen, und Dr. Ferdinand Heimes, von 1924 bis 1938 Religionslehrer am damaligen Walburgis-Lyceum. Sie setzten sich z.T. massiv im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung ein und verunsicherten damit die bisher relativ geschlossene Front des katholischen Bevölkerungsteils. Die Gefahr eines nationalsozialistischen Einbruchs in die katholische Zentrumsfront wurde von den Dekanatskonferenzen nicht unterschätzt. Das bestätigt eine der Öffentlichkeit übergebene Erklärung zur Septemberwahl 1930, in der es heißt: ‚Die Nationalsozialisten benutzen im Wahlkampf vereinzelt ihnen nahestehende katholische Geistliche als Aushängeschild … Ihre politischen Ansichten lehnen wir als verhängnisvollen Irrweg ab‘.“
Späte Amtsenthebung
Lange ließ man Lorenz Pieper einfach gewähren. Doch 1930 und 1931 muss das Paderborner Generalvikariat den Priester dazu aufgefordert haben, seine NSDAP-Mitgliedschaft aufzugeben. Wegen anhaltender politischer Agitation folgt Ende Dezember 1932 die Mitteilung, dass er zum 15. Januar 1933 seines Amtes enthoben wird. Das entsprechende, von Erzbischof Caspar Klein und Vertretern des Generalvikariats am 30.12.1932 unterzeichnete Verwaltungsdokument vermerkt über den Priester Dr. Lorenz Pieper: „Eine andere Seelsorgestelle wird ihm nicht wieder übertragen. … Jede öffentliche politische Tätigkeit in der Politik wird ihm untersagt. … Über seine Pension wird eine besondere Verordnung erlassen. … Die Personalakten dieses Priesters füllen 2 starke Aktenbände …. Die Eigenart dieses Priesters ist gekennzeichnet durch Eigensinn und unbelehrbare Starrköpfigkeit … und einen Hochmut, der ihn zu immer neuen Konflikten führte und selbst zu Frechheiten gegenüber seiner [Bischofs-]Behörde verleitete …. Durch diese von ihm nie hinreichend unterdrückten Charakterfehler haben seine anerkennenswerten Gaben des Geistes und des Gemütes für die Seelsorge nie zur segensreichen Geltung kommen lassen [sic]. Wo immer er in der Seelsorge tätig gewesen ist, mußten seine Pfarrer … bei der Behörde über ihn Beschwerde führen. Die Gemeinden sind durch … seine öffentliche nichtseelsorgerische Betätigung in Verwirrung und Gegensätze mancherlei Art hineingetrieben worden. Aus keiner seiner Stellen ist er in Frieden geschieden“. Lokale Sympathisanten und die NSDAP-Presse nutzten diesen Bescheid für eine Kampagne. Die Rückkehr L. Piepers in seine Heimatstadt gab Anlass zu einer wirkungsvollen Inszenierung.
Im Altkreis Meschede
Die sechstälteste NSDAP-Ortsgruppe des Kreises Meschede war nun die lokale Parteigliederung in Piepers Geburtsort Eversberg, gegründet im Oktober 1931. In deren Chronik von 1938 heißt es für die ‚Zeit der ersten Anfeindungen‘: „Unser Landsmann, Pfarrvikar Dr. Lorenz Pieper (Halingen), der uns stets mit Parteizeitungen und sonstigem Werbematerial versah, war den Eversbergern ein leuchtendes Vorbild, so dass trotz allem die Stimmenzahl von Wahl zu Wahl anstieg, und zwar derartig, dass noch bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 ein Zuwachs gegenüber dem Juli 1932 von 15 Prozent zu verzeichnen war“. – Über das RAD-Nebenlager Eversberg schreibt Rudolf Franzen: „Ein besonderer Förderer dieses kleinen Lagers war … Pieper.“
Ulrich Hillebrand hat auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten der 1980er Jahre mitgeteilt: „Ältere Mitbürger erinnern sich noch, dass Pieper Nationalsozialisten in Parteiuniform kirchlich traute. So führte Pieper im Jahre 1932 die kirchliche Trauung des Briloner Kreisleiters durch, nachdem die katholische Geistlichkeit dieses abgelehnt hatte. Pieper zelebrierte im Januar 1934 auch das Brautamt für den damaligen Standartenführer Schulte-Mimberg in der Mescheder Walburga-Kirche. Es war damals die erste ‚braune Hochzeit‘ im Kreis Meschede.“
Im ‚Entnazifizierungsverfahren Lorenz Pieper‘ vermerkt der Ausschuss für die Kreise Arnsberg, Meschede und Brilon in seinem Beschluss vom 6. Oktober 1948 zu Piepers Wegbereiterfunktion in der Landschaft: „Der Berufungsausschuss konnte nicht außer Acht lassen, dass die Beurteilung des Dr. Pieper, der im Sauerlande allenthalben bekannt ist und bei der Durchdringung des Sauerlandes durch den Nazismus wesentlichen Anteil hat, in sämtlichen Bevölkerungskreisen ein lebhaftes Echo zur Folge haben muß.“
Neuerscheinung (Buch): Peter Bürger – Werner Neuhaus (Hg.): Am Anfang war der Hass. Der Weg des katholischen Priesters und Nationalsozialisten Lorenz Pieper (1875-1951): Erster Teil. Schmallenberg: Woll-Verlag 2022. (Forschung & Quellen; ISBN: 978-3-948496-49-4 ; 652 Seiten; Fester Einband; 29,90 Euro; www.woll-verlag.de) – Im nahen Buchhandel bestellbar. Ein zweiter Teil mit den Schwerpunkten „Euthanasie-Morde“ und „Entnazifizierung“ soll 2023 erscheinen.
Inhaltsverzeichnis des neuen Buches (PDF-Leseprobe):
Keine Scheinblüten in Battenberg. Den kleinen Flieger habe ich erst im Nachhinein bemerkt. (foto: zoom)
Schwindende Scheinblüte: Was denken sich die Wähler? Vor einem Jahr gaben sie der SPD bei Forsa 14 Prozent. Drei Monate später, bei der Bundestagswahl, machten sie die Partei mit 25,7 Prozent zur stärksten Kraft. Heute, neun Monate nach der Wahl, befindet sich seine Partei auf dem Abstieg … postvonhorn
Landnahme-Objekt Immenhof: Ein Anwesen in der Lüneburger Heide steht vor der Versteigerung. Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige treffen sich auf dem Gelände um ihr visionäres Dorf zu planen … endstationrechts
Krieg in Europa? Ob wir es nun wahrhaben wollen oder nicht: Ein großer Krieg in Europa ist nicht ausgeschlossen, auch wenn ihn niemand will. Die Gründe liegen eher in der Psychologie als in der Politik … scilogs
Windkraft-Akzeptanzstudie: Gäste und Tagesausflügler akzeptieren Windkraft-Ausbau im Sauerland … ihkarnsberg
Zwischen Seelentrost und Menschheitsdämmerung: sechs Bücher über beinahe alles … revierpassagen
Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005
Heute vor 81 Jahren begann der „Hakenkeuzzug“ gegen die Sowjetunion [1], und ich möchte Ihnen meine neue Datei zur „Sonderbehandlung“ der Bürger*innen aus der UdSSR an Herz, Verstand und Seele legen.
Ich habe sie für Michael Schwarz, Jelena Kekachina, Maria Markielowa, Halina Wolkow und all die Anderen [2] geschrieben und freue mich besonders über die Veröffentlichung „auf LISA“ unter „Zu Wewelsburg“ [3] und „Kennzeichen ,OST‘“ [4].
Ansonsten möchte ich an diesem für mich in diesem Jahr aus mehreren Gründen ganz besonders schmerzhaften Jahrestag nur auf drei Bücher hinweisen. Sie begleiten mich seit vielen Jahren, und mit dem letztgenannten bin ich groß geworden; es gehört auch zum Erbe meiner Eltern:
Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005
Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
Wolfgang Borchert: „Das Gesamtwerk“, Hamburg 1949
„Wenn sie Dir morgen befehlen, … dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ (S. 318 ff.)
„Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot.
Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter.
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