Militärseelsorge im Hitlerkrieg


 
Ein neues Dokumentationsbuch beleuchtet die staatskirchliche Assistenz beim Vernichtungsfeldzug gen Osten – ein Angebot auch für Leser, die sich keine teure Fachliteratur leisten können

(Text: Peter Bürger)

Nahezu ausnahmslos standen die Kirchenleitungen der beiden großen Konfessionen 1939 bereit, um dem Staatswesen – wie schon 1914-1918 – erneute Kriegsbeihilfe zu leisten, und sie waren keineswegs unvorbereitet. Rückblickend wird der römisch-katholische Feldgeneralvikar der Wehrmacht – und nachmalige erste Militärgeneralvikar der Bundeswehr – Georg Werthmann dies noch in einer Notiz vom 23. Mai 1945 (!) stolz vermerken: „Es kann schon heute gesagt werden, dass die mobmässige [d.h.: im Zuge der Mobilmachung erfolgte, Anm.] Vorbereitung der Feldseelsorge in den Jahren von 1937 bis zum Beginn Kriegs besser und gründlicher durchgeführt wurde als in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Das Feldgesangbuch war gedruckt, die Kriegspfarrer namhaft gemacht.“

Die Kirchenleitungen unterstützten von Anfang an die Kriegsführung des nationalsozialistischen Führers, und 1941 erinnerten sie daran, dass sie ja schon lange einem christlichen Feldzug gegen den „gottlosen Bolschewismus“ das Wort geredet hätten. In vielen Aufsätzen taucht später die Behauptung auf, von einer eigentlichen Kriegsbegeisterung sei aber nichts zu spüren gewesen. Nach dem Studium der Primärquellen fragt man sich, was mit diesem Stereotyp eigentlich ausgesagt werden soll. Wie wären denn die Kriegsworte der Hirten – samt der Voten für „Lebensraum-Sicherung“ – im Fall von noch mehr „Begeisterung“ ausgefallen?

Hitlers Rasse- und Vernichtungskrieg begann nicht erst 1941, sondern schon im September 1939, als Einheiten der Wehrmacht Tausende von polnischen Katholiken und Juden, Zivilisten und Kriegsgefangene ermordeten. Hinsichtlich des Völkermordes an etwa 17 Millionen sowjetischen Zivilisten (und Zwangsarbeitern) und weit über vier Millionen kriegsgefangenen Sowjetsoldaten (Mord durch Waffen, Hungerregime, biologische Kriegsführung) im Verlauf des „Ostfeldzuges“ hat sich bis heute keine öffentliche Gedenkkultur in unserem Land entwickeln dürfen. Doch die seit Ende des Kalten Krieges in der Geschichtswissenschaft vollends vollzogene Revolution der Faktenermittlung ist wohl nicht mehr rückgängig zu machen, auch wenn die neuen Deutschnationalen im Parlament die Genozide von Wehrmacht und SS-Einheiten als „Vogelschiss“ in der Geschichte bewertet wissen wollen und ein „Recht“ einfordern, „stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.

Das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) war sich 1941 voll bewusst, dass nicht etwa eine Bekämpfung der „bolschewistischen Weltanschauung“ das Kriegsziel war, sondern der Raub von Ressourcen und die Eroberung von neuem Lebensraum für die „arische Rasse“. Hierzu mussten die „slawischen Untermenschen“ diesen „Lebensraum“ unfreiwillig verlassen, was nur durch systematischen Völkermord erfolgen konnte. Von vornherein plante man bis zu 30 Millionen Hungertote ein, weil die Wehrmacht sich als berechtigt ansah, die eigene Versorgung über den Diebstahl der Lebensmittel der von ihr als lebensunwert betrachteten Bevölkerung in eroberten Gebieten zu organisieren (und z.B. Kinder als lebendige „Blutkonserven“ für deutsche Soldaten zu internieren). Die genozidale „Partisanenbekämpfung“ der Wehrmacht, bei der die wirkliche Zahl der bewaffneten Widerstandskämpfer gegen die Angreifer einfach per Definition verzehnfacht wurde, diente zur Rechtfertigung, die Bevölkerung Dorf für Dorf für Dorf … vollständig zu ermorden.

Ein sogenannter „Sühnebefehl“ vom 16.9.1941 bestimmte, für jeden vom Untergrund erschossenen Angehörigen der Wehrmacht 50 oder 100 Zivilisten hinzumetzeln. Die Vernichtung der Juden während des Ostfeldzugs wurde vorzugsweise von großen Hinrichtungskommandos „geleistet“, die Tag und Nacht im Schichtdienst ihr Massenmordhandwerk verrichteten. All dies war selbstredend nur zu bewerkstelligen, wenn man die eigenen Soldaten so zurichtete, dass vielen von ihnen das Abknallen, Quälen, Vergewaltigen und Rauben am Ende regelrecht Spaß bereitete und ungezählte Waffenträger innerlich starben, hernach auch als seelisch Tote aus dem Krieg heimkehrten …

Das Wissen um diese Potenzierung des modernen Kriegsgrauens, das so lange verschüttet war, macht es heute notwendig, die Kriegsaufzeichnungen aus dem militärkirchlichen Apparat des „Ostfeldzugs“ und die Nachkriegserinnerungen von beteiligten Militärgeistlichen mit ganz anderen Augen zu lesen. Die Priester und Pastoren in Soldatenuniform, erhoben in den Offiziersrang, waren nahe Zeugen der Verbrechen. Ihnen hatte man die Aufgabe zugewiesen, die Gewissen zu beruhigen, die Deserteure zum Schuldeingeständnis zu bewegen, den Verwundeten beizustehen und die Soldatengräber – bisweilen auch die Mordwaffen – einzusegnen.

Nach 1945 etablierten sich freilich zunächst Deutungsmuster, die jegliche Beunruhigung von vornherein abwehrten: Der Krieg gegen die Sowjetunion galt trotz allem irgendwie einer „richtigen Sache“. Die Wehrmacht war summa summarum – in „guter deutscher Militärtradition“ – „anständig“ geblieben, denn nur der Waffen-SS musste vorgeworfen werden, den Weg der Ritterlichkeit bisweilen verlassen zu haben. Die Soldaten hatten schier „Übermenschliches“ geleistet (die „Besten“ waren wie eh und je „gefallen“). Auch die – von Hitler ausdrücklich gebilligte, von der Partei aber zunehmend drangsalierte – Militärseelsorge hatte nach eigenem Bekunden im Verein mit dem traditionsbewussten Teil der Wehrmacht Unglaubliches unter schwierigsten Bedingungen vollbracht …

Man nehme nur das 1964 veröffentlichte Geschichts- und Geschichtenbuch des evangelischen Wehrmachtdekans a. D. Albrecht Schübel über „300 Jahre Evangelische Soldatenseelsorge“ zur Hand. Der Verfasser ist sich nicht sicher, ob Hitler überhaupt Krieg gewollt hat. Vieles, was uns ungeheuerlich erscheint, wird von ihm ganz unbefangen und stolz vorgetragen. Dieser hochrangige Feldgeistliche schätzt sich u.a. glücklich, vorzügliche Referenzen von Generälen der Wehrmacht über die Militärseelsorge im Zweiten Weltkrieg anonymisiert abdrucken zu können. Mit solch guten Zeugnissen versehen konnten viele Kriegstheologen im Zuge der Wiederbewaffnung problemlos ihre militärkirchliche Karriereplanung wieder aufnehmen.

Hitlers Kriegsapparat ist von deutschnationalen und NS-nahen Priestern, von bekennenden und deutschchristlichen Pastoren … und sogar von ausgesprochenen Regimegegnern in der Geistlichkeit gestützt worden. Die Apologeten übersehen einen entscheidenden Punkt: Für die Opfer sind die unterschiedlichen vaterländischen Ausrichtungen der Assistenten des Vernichtungskrieges nicht von Belang gewesen. So oder so waren Millionen Tode das Ergebnis.

Jahrzehntelang wurden die Abgründe der staatskirchlichen Kriegsbeihilfe 1939-1945 verschleiert. Die neue, in Kooperation mit dem Ökumenischen Institut für Friedenstheologie herausgegebene Dokumentation erschließt auf 440 Seiten Forschungsbeiträge, Quellentexte, Interviews und Kommentare zur Militärseelsorge der beiden großen Kirchen in Hitlers Vernichtungsfeldzug. Die Richtlinien (24.5.1942) fielen denkbar eindeutig aus: „Die Feldseelsorge ist eine dienstliche Einrichtung der Wehrmacht. […] Der siegreiche Ausgang des nationalsozialistischen Freiheitskampfes entscheidet die Zukunft der deutschen Volksgemeinschaft und damit jedes einzelnen Deutschen. Die Wehrmachtseelsorge hat dieser Tatsache eindeutig Rechnung zu tragen.“

Durch die Vermittlung eines neuen Forschungsstandes wird deutlich, wie bereitwillig evangelische wie römisch-katholische Militärseelsorgekomplexe – nach Ablegung eines Treueids auf den „Führer“ – dieser Vorgabe zur Kollaboration beim Völkermord Folge geleistet haben. Nach Kriegsende warfen auch Soldaten den Militärgeistlichen vor, sie hätten als gutbezahlte Offiziere „im Solde derer gestanden, die uns zur Schlachtbank geführt haben“.

Das jetzt vorliegende Lesebuch enthält Beiträge von Christian Arndt, Holger Banse, Dieter Beese, Peter Bürger, Matthias-W. Engelke, Ulrich Finckh, Ulrike Heitmüller, Hartwig Hohnsbein, Herbert Koch, Dietrich Kuessner, Antonia Leugers, Heinrich Missalla (+), Kristian Stemmler, Erika Richter, Dieter Riesenberger und Martin Röw.

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Rainer Schmid / Thomas Nauerth / Matthias-W. Engelke / Peter Bürger (Hg.):
Im Sold der Schlächter – Texte zur Militärseelsorge im Hitlerkrieg.
(edition pace 6). Norderstedt 2019.
(ISBN 9783748101727; Seitenzahl: 440; fünfzehn farbige Abbildungen; Preis 14,99 Euro)
https://www.bod.de/buchshop/im-sold-der-schlaechter-9783748101727
(Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis oben links abrufbar)
Mit einer Direktbestellung bei BoD fördern Sie die Friedensbibliothek der edition pace; das Werk ist auch überall vor Ort im Buchhandel bestellbar.

Umleitung: Vom Ettelsbergturm durch die Medienkrise zu Selfies in Auschwitz, Game of Thrones, den Islandfischern und mehr …

Der Hochheideturm (auch Ettelsbergturm oder Willinger Hochheideturm genannt) ist ein 59 m hoher Aussichtsturm im Rothaargebirge auf dem 837,7 m ü. NHN hohen Ettelsberg bei Willingen im Landkreis Waldeck-Frankenberg, Hessen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hochheideturm (foto: zoom)

Comic-Zeichenkunst: Tarzan-Zeichner Burne Hogarth und die Kommunistenjagd in der McCarthy-Ära … endoplast

Rechtspopulistische Journalistenschelte erreicht die Mitte der Gesellschaft: Neu ist, dass diese rechtspopulistsiche Hetze gegen Journalisten inzwischen auch von Zeitgenossen kommt, die bisher eher der Mitte der Gesellschaft zugerechnet werden. So erreichte mich der Tweet einer Ex-CSU- Mitarbeiterin und Ex-DJV-Mitarbeiterin diesen Inhalts: … welchering

Merz: Schlechtes Timing … postvonhorn

Medienkrise: In Thüringen beherrscht die Funke-Mediengruppe die Printbranche. Seit Kürzungen bekannt wurden, spricht das Land über den Wert des Journalismus … taz

Warum ich Game of Thrones lieb(t)e: Soziologie rahmt Psychologie … scilogs

Islandfischer: Globalisierung historisch – und wie sich das Blatt wenden kann … harbuch

Doing Selfies in Auschwitz? Selfies machen in Auschwitz? Die heutigen Selfies sind nicht aus dem Nichts heraus entstanden, sondern sie stehen durchaus in einer gewissen Kontinuität touristischer Praktiken … publicHistory

Madrid: Wer will schon Atmen, wenn er Auto fahren kann? … unkreativ

Die Stadt, die auf ihre Autoren sch …: eine Polemik des Dortmunder Schriftstellers Jürgen Brôcan … revierpassagen

Gemeindefinanzen am Beispiel von Hagen: Bund drückt sich weiter vor Verantwortung. Keine Lösung für Altschulden in Sicht … doppelwacholder

Hartz IV im Hochsauerlandkreis: Verzögerungstaktik bei den Unterkunftskosten … sbl

Heute vor 51 Jahren starb Fritz Bauer: Nazi-Jäger, Kämpfer gegen das Vergessen

„Eichmann? Adolf Eichmann? Den Namen dieses Massenmörders habe er zuvor nie gehört, erklärte der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer im Juni 1960 seinem Gesprächspartner, dem israelischen Diplomaten Felix Shinnar. Dessen Landsleute, Agenten des Geheimdienstes Mossad, hatten den NS-Verbrecher gerade in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires festgenommen – um ihm in Jerusalem den Prozess machen zu können.“

Quelle: https://www.spiegel.de/einestages/nazi-jaeger-fritz-bauer-a-948218.html

Eichmann, so Georg Bönisch im Spiegel, habe ein Mann im Nacken gesessen, der wie kein zweiter in den Anfangsjahren der Bonner Republik die seltsam brach liegende Strafverfolgung von NS-Verbrechern gegen viele Widerstände energisch voranzutreiben suchte – Fritz Bauer, Generalstaatsanwalt in Hessen.

Es lohnt sich immer wieder auf den lange vergessenen Fritz Bauer zurückzugreifen.

Schriften, Filme – alles ist auch heute (wieder) von gespenstischer Aktualität.

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https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Bauer

Hier im Blog:

https://www.schiebener.net/wordpress/?s=%22Fritz+Bauer%22

Die Perspektive wechseln II: Clear Cut?

Auf einer Wanderung gesehen (foto: zoom)

Am Sonntag war ich im Ort unterwegs. Zeit zum Nachdenken.

Heute habe ich mich in der Freizeit mit dem NSU und dem Nazi-Mord an Walter Lübcke in Istha beschäftigt. Mir ist mein alter kommentierender Beitrag zu den NSU-Morden vom November 2011 eingefallen:

Wo bleibt die Gedenkminute?

https://www.schiebener.net/wordpress/wo-bleibt-die-gedenkminute/

Walter Lübcke hat 2015 sein Epitaph gesprochen:

Am 14. Oktober 2015 fand in Lohfelden bei Kassel eine Bürgerversammlung zur dortigen Erstaufnahmeunterkunft des Landes Hessen statt. Empörten Zwischenrufern, die nach Angaben der HNA zum Teil aus dem Pegida-Umfeld stammten, entgegnete Lübcke, das Zusammenleben in Deutschland beruhe auch auf christlichen Werten wie etwa der Hilfe für Menschen in Not, und ergänzte:

„Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Im Internet wurde daraufhin in zahlreichen Schreiben Lübckes Rücktritt als Regierungspräsident gefordert. Lübcke erklärte hingegen, bei seiner Aussage bleiben zu wollen – diese sei an „jene gerichtet, die durch Zwischenrufe ihre Verachtung unseres Staates artikuliert oder diesen Schmähungen applaudiert haben“. Er habe mit seiner strittigen Aussage lediglich auf Teile des Publikums reagiert, die die Veranstaltung mit Parolen, wie etwa „Scheiß Staat!“, gestört und Lübcke persönlich beschimpft hätten:

„Ich wollte diese Zwischenrufer darauf hinweisen, dass in diesem Land für jeden und für jede, die diese Werte und die Konsequenzen aus unseren Werten so sehr ablehnen und verachten, die Freiheit besteht, es zu verlassen; im Gegensatz zu solchen Ländern, aus denen Menschen nach Deutschland fliehen, weil sie diese Freiheit dort nicht haben.“

Der rechtspopulistische Schriftsteller Akif Pirinçci bezog sich während einer Pegida-Demonstration am 19. Oktober 2015 in Dresden auf Lübckes Aussage und meinte dazu, die „Macht“ in Deutschland scheine „die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er [sich] gefälligst nicht pariert“. Sie habe zwar auch andere Alternativen, aber „die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“. Infolge seiner Rede vom 19. Oktober 2015 wurde Pirinçci vom Amtsgericht Dresden wegen Volksverhetzung verurteilt.

Lübcke erhielt im Anschluss an die Bürgerversammlung und an die Pegida-Veranstaltung Morddrohungen und stand zeitweise unter Polizeischutz. Laut Hermann-Josef Klüber, dem stellvertretenden Regierungspräsidenten, erhielt Lübcke unter anderem auch Drohungen von sogenannten Reichsbürgern.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_L%C3%BCbcke

Walter Lübcke wird als großartiger Mensch und Humanist weit über seine(n) Mörder hinauswachsen.

Stephan E. war ein notorischer Straftäter, Nazi, Schläger und jetzt auch Mörder, wohl mit Kontakten bis in die AfD hinein.

https://exif-recherche.org/?p=6218

https://www.youtube.com/watch?v=vcNEZYl9BU0

Kloster Dalheim: Verschwörungstheorien früher und heute

Von allen Verschwörungstheorien ist die Bielefeldfeldverschwörung  die harmloseste. Besser noch – sie ist eine Satire. (foto: zoom)

Von der jüdischen Weltverschwörung über Hexen hin zu Illuminaten und Freimaurern; Reptiloide, Barcodes, Impfgegner und Klimawandelleugner – im LWL Museum Kloster Dalheim kann man die krudesten, aber auch gefährlichsten Verschwörungstheorien der Menschheitsgeschichte entdecken.

Ein Blick in die Geschichte zeige, dass unsichere Zeiten die Popularität von Verschwörungstheorien(VT) begünstigten. Im 300-seitigen Begleitband zur Ausstellung[1] heißt es, dass VTs den verunsicherten Menschen „willkommene Antworten auf drängende Fragen nach dem Warum“ lieferten[S.7].

Zugleich erzeugten VTs „Feindbilder – mit teils drastischen Folgen.“[ebendort]

Das Fotografieren in der Ausstellung ist verboten. Draußen findet man allerdings genügend Motive. (foto: zoom)

Dass Verschwörungstheorien verheerende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, zeigen, um hier nur zwei Beispiele zu nennen, die Hexenverbrennungen im Mittelalter und die Ermordung von sechs Millionen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland.

Wir hatten heute Glück. Weil irgendein „Tag der Museumsgärten“(?) war, mussten wir keinen Eintritt bezahlen. Dafür haben wir uns das Buch zur Ausstellung, welches einen gut hundertseitigen theoretischen Teil und fast 200 Seiten Dokumentation der Exponate umfasst, gegönnt.

Wer im Internet unterwegs ist, dem werden einige der in der Ausstellung behandelten „modernen“ VTs nicht fremd vorkommen: Chemtrails, böse Barcodes, die heimliche Flourvergiftung, Impf-Autismus, neue Weltordnung, Reichsbürger. Klimawandelleugner, AfD … schaut selber rein. Es lohnt sich.

Soweit der positive Teil meiner Eindrücke von heute. Nun die Einschränkung: die Ausstellung ist sehr „textlastig“. In den abgedunkelten Räumen sind manche Text-Täfelchen kaum zu lesen, andere hängen so tief, dass man sich niederknien muss, um sie zu lesen.

Exponate werden zwar ausgestellt und illustrieren die jeweilige Verschwörungstheorie, aber gerade bei den älteren Schriften hätte ich mir eine Übersetzung gewünscht. Wer kann den Hexenhammer im Originalschriftbild oder die Prawda vom 13. Januar 1953 zur Ärzteverschwörung im Original lesen?

Ich habe fast drei Stunden in der Ausstellung verbracht, weil ich noch aus der „Lesezeit“ stamme und alles, was dort für mich verständlich geschrieben stand, aufgesogen und keine Erklärungstafel, kein Exponat oder Erklärfilmchen ausgelassen habe.

Fazit: Die Ausstellung ist umfassend, man muss sich lesend anstrengen. Kauft das Buch und lest es.

Der Rest des ehemaligen Klosters Dalheim ist ebenfalls ganz interessant: Pflanzengarten, Café, Schafe und Bienenstöcke. Die Schmiede haben wir links liegen gelassen.

Die Außenanlagen des ehemaligen Klosters sind sehr pittoresque. (foto: zoom)

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[1] Verschwörungstheorien früher und heute, hrsg. Stiftung Kloster Dalheim, Lichtenau-Dalheim/Münster 2019

Drei Jahrestage: Zum 3. Juni 1969, 21. Juni 1949 und 7. Juli 1964

Zum 21. Juni 2019: Offener Brief an die Warsteiner Bürger

70 Jahre ist es her, daß „C.T.R. Gordon für Regional Governmental Officer“ das Schreiben „Betr.: Errichtung von Denkmälern und Unterhaltung von sowjetischen Gräbern. Bezug: Ziffer 4 unseres Schreibens vom 6. Mai 1949-NRW/RGO/526-“ an das „Innenministerium Land Nordrhein-Westfalen, z.Hd. Dr. S. [Name gekürzt] zeichnete, in dem u.a. die Forderung wiederholt wurde, „daß ein kleiner Stein auf jedes Einzelgrab gelegt wird (wo der Name des Toten bekannt ist) und sein Name darauf geschrieben wird“ (1)

Aber in Warstein kümmerte man sich nicht darum (2).

„Gedenk“-Stein auf dem Städtischen Friedhof in Warstein an der Bilsteinstraße (Photo vom Juni 2018: Thelen-Khoder)

Gregoriy Jakowlew, Nikolai Pezimachow, Nikolai Karpenko, Michael Pamasenko, Iwan Popow und Jan Sadowski erhielten keine Grabsteine, und ihre Namen, die einmalauf Holzkreuzen standen, sind verschwunden – seit wann, weiß ich nicht. Und so habe ich einen „Offenen Brief“ (3) geschrieben und hoffe, daß wir diesen Zustand zusammen ändern können!

 

Hier waren einmal „6 Einzelgräber, die mit Kieselsteinen eingefaßt, mit Blumen bepflanzt und mit Namensaufschriften auf Holzkreuzen versehen“ waren.

Zum 3. Juni 1969: Die Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz

50 Jahre ist es her, daß im „Bundesanzeiger. Herausgegeben vom Bundesjustizminister der Justiz. G 1990 A“ die „Bekanntmachung der Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz. Vom 21. Mai 1969“ veröffentlicht wurde. Aber in Meschede kümmerte man sich nicht darum (4).

„Auf dem Grabzeichen sollen in gut lesbarer, dauerhafter Schrift mindestens Vor- und Familienname, Geburts- und Todestag des Bestatteten, bei Ausländern auch die Staatsangehörigkeit angegeben sein.“ (Photo vom April 2019)

Zum 7. Juli 1964: „Nachlaß: 2 Ausweise, Maria Daniwagoz“-Geresheimer Glashütten“

„Umbettungsprotokoll“ Nr. 88 vom 10.8.1964 vom „Russenfriedhof, Grab 14“ zum „Waldfriedhof ,Fulmecke’ in Meschede, Nr. 166“: „Nachlaß: 2 Ausweise, Maria Daniwagoz“-Geresheimer Glashütten“ (5)

Der „Tag der Ausbettung“ war der 7. Juli 1964,die „Umbettungen“ fanden vom vom 26.6. bis 21.7.1964 statt. Die gefundenen Papiere und Ringe der Ermordeten vom Langenbachtal hat man einfach wieder vergraben. Sie liegen demnach seit 55 Jahren in Meschede auf dem „Franzosenfriedhof“; denn: „Die schwache Hoffnung, vielleicht doch irgendeine Form von Identitätsnachweis zu finden, hat sich nicht erfüllt.“ (6)

Zu „irgendeine Form von Identitätsnachweis“ siehe
„Nachlässe der ermordeten sowjetischen Zwangsarbeiter gefunden: 1945, 1947, 1964 und 2018. Aus den Prozeßakten (Arnsberger Prozeß von 1957/1958)“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/12/133.-Nachl%C3%A4sse-ermordeter-sowjetischer-Zwangsarbeiter-1945-1947-1964-2018.pdf
und
„Der ,Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.’ zu seinen Funden von 1964 im Langenbachtal“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/03/143.-Der-V.d.K.-e.V.-zu-seinen-Funden-von-1964-im-Langenbachtal.pdf

Wenn die in den Umbettungsprotokollen des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ vom 10.8.1964 angegebenen Ausweise (Maria Daniwagoz, Gerresheimer Glashütten), Ausweisreste (Bora Pronka) und beschrieben Ringe bei den Grabungen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe von den Archäologen nicht gefunden und tatsächlich „wieder mit ins Grab gegeben“ wurden: Werden dann auch auf Meschedes Waldfriedhof Grabungen vorgenommen, vielleicht zum 55. Jahrestag? Von „Totenruhe“ kann bei diesen Menschen ja seit Jahrzehnten keine Rede sein.

Immer wieder stelle ich mir vor, wie Familienmitglieder die Gräber ihrer Lieben besuchen wollen und diese Steine finden – und schäme mich als Deutsche in Grund und Boden. Wahrscheinlich höre ich deshalb die Schreie der Toten so laut: Ihre Klagen auf Würde aus ihren Gräbern heraus!

Lebendige Vergangenheit …

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Anmerkungen:

(1) Vollständige Abschrift in „Grabsteine? Zu den Akten!“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/01/24.-Grabsteine.-Zu-den-Akten.pdf

(2) „ … dass ein kleinerer Stein auf jedes Einzelgrab gelegt wird (wo der Name des Toten bekannt ist) und sein Name darauf geschrieben wird
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/06/69.-%C3%9Cberall-bekannte-sowjetische-Unbekannte.pdf

(3) „Zum 21. Juni 2019: Offener Brief an die Warsteiner Bürger“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/06/160.-Zum-21.6.2019.-Offener-Brief-an-die-Warsteiner-B%C3%BCrger.pdf

(4) „Die Verwaltungsvorschrift zum Gräbergesetz und der ,Franzosenfriedhof’ in Meschede. Der Bundesminister des Innern“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/03/144.-Der-Bundesminister-des-Innern.pdf

(5) „Ein weiterer Name vom Langenbachtal: Maria Daniwagoz – Geresheimer Glashütten. Das Umbettungsprotokoll (U.-Nr. 88) im Stadtarchiv Warstein“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/03/38.-Ein-weiterer-Name.pdf

(6) https://www.youtube.com/watch?v=Kf0OfBZcTf4

Und sind wir auch Israels Kinder
Der Erste Band der „Beiträge zur Geschichte der Esloher Juden“ ist erschienen

„Und sind wir auch Israels Kinder“ – Buchcover

Wenn der katholische Oberhirte aus Paderborn kam, hängten Goldschmidts ein Schild ins Schaufenster: „Sind wir auch Israels Kinder, wir lieben den Bischof nicht minder …“.

Ein soeben erschienenes Buch, herausgegeben in Kooperation mit dem Museum Eslohe, erschließt Berichte und Forschungen zur Geschichte der Juden im Gebiet der Gemeinde Eslohe ab dem 18. Jahrhundert.

Die chronologische Darbietung der Beiträge aus den Jahren 1988-2013 ermöglicht es, Irrtümer, Erkenntnisfortschritte und einen Wandel der Sichtweisen nachzuvollziehen. Dem Ansatz „Ich male mir mein Dorf schön“ folgt z.B. die Einsicht, dass der Antisemitismus nicht erst durch „Nazis von einem fremden Stern“ ins Esloher Land gekommen ist.

In der Gesamtschau zeigt sich ein erstaunlich facettenreiches Bild, ermöglicht durch die Unterschiedlichkeit der Autoren, Perspektiven und Herangehensweisen. Der Erste Band der „Beiträge zur Geschichte der Esloher Juden“ enthält Beiträge von Dr. Alfred Bruns, Peter Bürger, Rudolf Franzen, Eugen Henkel, Anton Mathweis, Helmut Neunzig, Wilfried Oertel, Hans Jürgen Rade, Dr. Erika Richter, Rita Römer, Gudrun Schulte, Dierk W. Stoetzel und Dr. Henry Wahlig.

Rudolf Franzen, Gudrun Schulte, Peter Bürger (Hg.):
„Und sind wir auch Israels Kinder“: Beiträge zur Geschichte der Esloher Juden – Erster Band. ISBN: 978-3-7357-3723-6 (312 Seiten; Paperback; farbige Abbildungen; BoD 2019; Preis 14,90 €, überall im Buchhandel bestellbar, auch vor Ort)
Mit einer BoD-Direktbestellung fördern Sie das Publikations-Projekt (Leseprobe / Inhaltsverzeichnis oben links abrufbar):
https://www.bod.de/buchshop/und-sind-wir-auch-israels-kinder-9783735737236

Nachfolgend dokumentieren wir als Leseprobe das Vorwort zur Sammlung (unter Wegfall der Fußnoten) und eine Übersicht zum Inhalt des Buches.

Einleitung

„Etliche Bücher, die an die Geschichte von Juden und Christen in einem bestimmten Ort oder einer Region erinnern, betonen, hier sei das Verhältnis wirklich von gegenseitiger Toleranz geprägt gewesen. […] Nun fragt sich aber, wo dann noch der Antisemitismus seinen Ort hat, wenn – zugespitzt formuliert – beinahe jede Lokalgeschichte von einem friedlichen Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden zu berichten weiß.“
Olaf Blaschke

Die erste greifbare Chroniknachricht ist eine Vertreibungsgeschichte aus dem Jahr 1700: Wilhelm Engelhard hat in seinem nahe der Esloher Kirche gelegenen Haus einen aus Mainz kommenden Juden aufgenommen – sehr zum Missfallen des örtlichen Pastors. Der Kölner Generalvikar weist Engelhard unter empfindlicher Strafandrohung an, seinen jüdischen Hausgenossen wieder vor die Tür zu setzen. – Im Kopfschatzregister für das Gericht Eslohe und Reiste von 1764/ 1765 wird mit Sander Laiser ein ortsansässiger Jude namentlich genannt.

Sander Laiser ist wohl der Vater des 1791 in einem Verzeichnis aufgeführten Jackel (Jockel, Jakob) Sander zu Eslohe, der dann ab 1809 den Familiennamen Goldschmidt führt. Wenn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der römisch-katholische Oberhirte aus Paderborn zur Firmung in den Ort kam, soll ein Urenkel des Jakob ein Schild in sein Schaufenster gestellt haben: „Sind wir auch Israels Kinder, /So lieben wir doch / Den Bischof nicht minder.“ Wer mit den historischen Verhältnissen im kurkölnischen Südwestfalen vertraut ist, wird dies keinesfalls als Indiz für nachhaltige ‚Integration‘ und Harmonie deuten. Ende 1942 werden die letzten am Ort lebenden Nachfahren von Sander Laiser und Jakob Sander im Zuge der Massenverschleppung von westfälischen Juden aus Eslohe deportiert.

Bislang gab es keine eigenständige, in Buchform veröffentlichte Darstellung zu den Esloher Juden. Der hier vorgelegte Sammelband erschließt Berichte, Forschungen und andere Wortmeldungen zur Geschichte der jüdischen Bewohner des Gemeindegebietes ab dem 18. Jahrhundert, die zuerst in den Jahren 1988 bis 2013 erschienen sind. (Die meisten Texte stammen aus Ausgaben des von Rudolf Fran­zen begründeten Jahrbuchs „Esloher Museumsnachrichten“.) Die chronologische Darbietung dieser Beiträge ermöglicht es, Irrtümer, Erkenntnisfortschritte und einen Wandel der Sichtweisen nachzuvollziehen. In der Gesamtschau zeigt sich ein erstaunlich facettenreiches Bild, ermöglicht durch die Unterschiedlichkeit der Autorenpersönlichkeiten, Perspektiven und Herangehensweisen.

Als 1987 eine wegweisende Dokumentation zu den Juden des ehemaligen Kreises Meschede von Dr. Alfred Bruns erschien, gab es noch keine lokale Darstellung, die an jüdische Bewohnerinnen und Bewohner des Esloher Landes erinnerte. Die von Bruns edierten Quellen lenkten den Blick zurück ins 19. Jahrhundert. 1818 lebten 23.045 Einwohner im Kreis Eslohe/Meschede; von ihnen waren 210 Juden.

Im entsprechenden Verzeichnis sind folgende Zahlen für Orte im heutigen Gemeindegebiet berücksichtigt: Eslohe-Dorf: 6 jüdische Bewohner; Cobbenrode: 7; Hengsbeck: 3; Salwey: 8. Für das Jahr 1839 wurden dann folgende Zahlen ermittelt: Eslohe-Dorf: 9 jüdische Bewohner; Cobbenrode: 7; Wenholthausen: 7; Mathmecke: 5. – „1846 machte der Anteil der Juden im Amt Eslohe fast genau 1 % der Bevölkerung aus.“ (->Kapitel XIV.12) Die „Mitbürger israelitischen Glaubens“ blieben stets eine sehr kleine Minderheit. Nach 1945 gab es auch für Dorfgemeinschaften im Sauerland viele Gründe, sich an ihre Namen nicht mehr zu erinnern.

Die von 10 bis 15 Millionen bundesdeutschen Zuschauern verfolgte – zunächst äußerst umstrittene – Ausstrahlung der vierteiligen US-Fernsehproduktion „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ Anfang 1979 wird gemeinhin als „erinnerungsgeschichtliche Zäsur“ betrachtet – mit Auswirkungen gerade auch in der heimatkundlichen Forschung. Ein knappes Jahrzehnt später erschien auf Privatinitiative hin eine kleine Dokumentation zu den November-Pogromen des Jahres 1938 im Hochsauerland. Über Eslohe war in dieser Publikation nichts zu lesen.

Auch auf einer Karte zu den Pogromen von 1938 im Holthausener Ausstellungskatalog „Das Hakenkreuz im Sauerland“ (1988) fehlten Hinweise zu Gewaltakten in Eslohe. Dies war Ansporn für Rudolf Franzen, 1988 für das CDU-Mitteilungsblatt „Essel-Bote“ den ersten ortsgeschichtlichen Beitrag über „Das Schicksal der Esloher Juden“ (->Kapitel I) zu verfassen.

Somit steht am Anfang der ‚lokalen Erinnerungs- und Forschungsgeschichte‘ – durchaus nicht untypisch – der Blick auf Unterdrückung und Ermordung der jüdischen Minderheit in der NS-Zeit. Die Basis der mündlichen Zeitzeugenberichte war 1988 noch recht schmal. In diesem Sammelband ist der Beitrag mit drei Fußnoten versehen, die bereits die Grenzen von „oral history“ erahnen lassen.

1989 veröffentlichten Rudolf Franzen und ich „Das Buch vom Pampel“ (auf der Grundlage einer umfassenden Geschichtensammlung – nach Mitteilungen von 69 Erzählerinnen und Erzählern). Dieses Werk, ein anekdotisch erzählter „Schelmenroman“, erhebt den in mancherlei Hinsicht unangepassten Dorfbewohner Willi Jungbluth (1897-1960) zur „Heldengestalt“. Auszüge aus dem Erzählkapitel über die NS-Zeit werden im vorliegenden Band dokumentiert (->Kapitel II).

Die Sammlung der mündlich mitgeteilten „Pampel“-Geschichten und erst recht die literarische Buchfassung können freilich nicht als historische Quellen herangezogen werden! Vielmehr folgen die zugrundegelegten lokalen Erzähltraditionen und die redaktionelle Linie des Buchbearbeiters (Peter Bürger) in den 1980er Jahren noch dem Ansatz: „Ich male mir mein Dorf und seine Geschichte schön.“

Maria Lüttcke, geb. Schulte (1919-1997) hat allerdings am 25.6.1995 bei einer weiteren Befragung erneut betont, die Geschichte über Pampels Anstreicherarbeiten am Haus Goldschmidt sei „wahr“! Für Nachträge, die in den „Esloher Museumsnachrichten 2000“ veröffentlicht worden sind, gab Marianne Schulte, geb. Schmidt (Jg. 1925) zu Protokoll, Willi Jungbluths Frau Änne habe sich von ihrer Mutter in der NS-Zeit während der Haft des Gatten trösten lassen. Immerhin denkbar ist also, dass zu Nonkonformismus und Konflikten des W. Jungbluth (alias „Pampel“) in den 1930er Jahren einmal eine amtliche Quelle auftaucht.

Vor drei Jahrzehnten deutete ich in einem zuerst 1992 veröffentlichten Beitrag (->Kapitel III) einen sechseckigen Stern auf dem z.T. schon verwitterten Grabstein des – vermeintlich jüdischen – Mädchen Louise Gabriel an der katholischen Kirche im Einklang mit anderen Eslohern leichtfertig als Davidstern. Von den älteren Gewährsleuten – darunter Wilhelm Molitor (1904-1997) und Dr. Magdalene Padberg (1926-2019) – hatte ich erfahren, dass alter Dorfüberlieferung zufolge die Familie Gabriel auf jüdische Vorfahren zurückging.

Sehr bald nach einem zweiten Abdruck des Textes fragte Dierk W. Stoetzel mich mit freundschaftlichem Forscherspott, ob ich fußlahm sei und deshalb den allerchristlichen Taufeintrag zur Esloherin Louise Gabriel (1814-1830) im nahen Pfarrarchiv nicht hätte nachschlagen können (->Kapitel XIV.14). Es handelt sich erwiesenermaßen nicht um ein jüdisches Grabdenkmal!

Die Kunde zur ‚jüdischen Vorgeschichte‘ der Esloher Familie Gabriel konnte indessen durch überaus gründliche Forschungen von Hans Jürgen Rade bestätigt werden (->Kapitel XI; XVI). Noch nicht zufriedenstellend beantwortet ist lediglich die Frage, ob die Symbolik des Grabsteins von Louise Gabriel (Stern, Schmetterling in Kreisschlange) vielleicht doch noch eine Nähe zur Bildsprache auf jüdischen Friedhöfen des 19. Jahrhunderts anzeigt.

1993 folgte ein Beitrag zu einigen antisemitische Textfunden aus dem Museums- und Mundartarchiv (->Kapitel VI). Ob diese Quellen als repräsentativ für die sauerländische Landschaft gelten können oder ihr Auftauchen eher dem „Zufall“ geschuldet ist, war damals noch nicht zu entscheiden. Inzwischen konnte aber durch eine systematische Studie im Buchband „Liäwensläup“ (Eslohe 2012) gezeigt werden, dass judenfeindliche Inhalte in den Sprachzeugnissen des katholischen Sauerlandes keine Ausnahmeerscheinungen sind.

Im gleichen Jahr feierte der Ballspielclub Eslohe (BCE) sein 75-jähriges Bestehen. Ein in der Festschrift 1993 veröffentlichter Beitrag zur Vereinsgeschichte von Eugen Henkel (1912-1987) vermittelt die Bedeutung der Brüder Robert und Julius Goldschmidt in den Gründerjahren zumindest vage über dokumentierte Zeitungsberichte des Jahres 1927 (->Kapitel VI). Weitere Nachforschungen (->Kapitel VIII.6) ergeben ein zwiespältiges Bild: Nach 1933 kam es zu „Spannungen“ und vermutlich auch zu Handgreiflichkeiten, die dem aktiven Fußballer Dr. med. Julius Goldschmidt zeigten, dass er sich in der ‚Neuen Zeit‘ keineswegs rückhaltlos auf alte Spielerkameradschaft verlassen konnte.

Andererseits stellte das antisemitische Hetzblatt den Esloher Verein Anfang 1935 an den Pranger, weil er 1934 am Grab des Robert Goldschmidt einen Kranz niedergelegt hatte. – Nur durch die 2007 auch im Esloher Museums-‚Jahrbuch‘ veröffentlichten Forschungen (->Kapitel XIII) des Sporthistorikers Dr. Henry Wahlig wissen wir, dass sich Dr. Julius Goldschmidt nach seinem Ausscheiden aus dem BCE stark für das jüdische Fußball-Vereinswesen engagiert hat und hierbei als Fußballobmann des Schild-Verbands in Westdeutschland sehr erfolgreich gewesen ist: „Er gehörte […] zu den wichtigsten Funktionären des jüdischen Fußballs in Deutschland.“ (H. Wahlig)

Alfred Bruns legt 1993 in Band I der „Esloher Forschungen“ einen soliden Gesamtüberblick zur Geschichte der Juden für das gesamte Gemeindegebiet (->Kapitel IV) vor, der in „kirchengeschichtlichen Kontexten“ auch erstmals bedeutsame Nachrichten ab 1700 erschließt. Ein Beitrag „Sind wir auch Israels Kinder …“ (->Kapitel VIII), zuerst erschienen 50 Jahre nach Niederwerfung des deutschen Faschismus, bringt Neues für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem auf der Grundlage ausgiebiger Zeitzeugenbefragungen.

Gudrun Schulte er­innert in einem NS-Kapitel der 1995 erschienenen Esloher „Sparkassen-Geschichte“ an die systematische Ausraubung der jüdischen Bewohner (->Kapitel VII). In einem zuerst 2006 veröffentlichten Beitrag (->Kapitel XII) vermittelt Anton Mathweis (1926-2016) auf sehr persönliche Weise familiäre und eigene Erinnerungen an die letzten Nachfahren der Familie Isaak Goldschmidt.

Auf eine 1796 niedergeschriebene und 1800 dem Jacob Zander (d.i. Jakob Goldschmidt) verehrte Hebräische Liedhandschrift, die irgendwann ins Esloher Pfarrarchiv gelangt ist, wird schon im Beitrag von Bruns hingewiesen. Der Düsseldorfer Helmut Neunzig hat für die „Esloher Museumsnachrichten 2001“ die elf Strophen dieser Gebetsdichtung nicht nur übersetzt, sondern auch die Herkunft des Liedes und seine liturgische Bedeutung beleuchtet (->Kapitel IX).

Im Rahmen seines unermüdlichen Einsatzes für die Erinnerungsarbeit hat der evangelische Theologe Wilfried Oertel (1947-2018) im Jahr 2004 einen Sammelband „Jüdisches Leben im Synagogenbezirk Meschede“ herausgegeben, aus dem im vorliegenden Buch fünf Auszüge aufgenommen worden sind: Im Text von Dr. Erika Richter wird u.a. dargelegt, dass die Esloher Jonas und Isaak Goldschmidt schon 1905/1906 eine Aufnahme in die Mescheder Synagogengemeinde beantragt haben (->Kapitel X.1).

Vom Herausgeber Wilfried Oertel selbst stammen dokumentarische Kapitel zum Waldfriedhof Oesterberge (->Kapitel X.2) und zur Reister Familie Steinberg (->Kapitel X.3) sowie eine Gedenkansprache (->Kapitel X.5). Rita Römer erhellt die lokale Geschichte der Velmeder Familie Bachmann, aus der die Esloher Geschäftsfrau Anneliese Goldschmidt (geb. 9.7.1906) stammte (->Kapitel X.4).

Dierk W. Stoetzel veröffentlichte 2009 einen exzellenten Überblick zu den „Spuren jüdischen Lebens“ im gesamten Esloher Gemeindegebiet (->Kapitel XIV); im Jahr darauf konnte er auch seine neuen Forschungen zum „Schicksal der letzten in Eslohe ansässigen Mitglieder der Familie Goldschmidt“ – insbesondere der Hannah Simon – vorlegen (->Kapitel XV).

In diesen beiden Beiträgen werden neben den eigenen Quellenrecherchen des Verfassers Arbeiten aus zwei Jahrzehnten ausgewertet und einer gründlichen Kritik unterzogen. Stoetzel klärt Widersprüche auf und zeigt, warum bestimmte Mitteilungen von Zeitzeugen nicht haltbar sind. Für ‚eilige Leser‘ bietet es sich an, mit der Lektüre seiner beiden Texte zu beginnen.

Einen neuen Stand der Erinnerungskultur vor Ort markierte am 10. Oktober 2013 die Präsentation der Ausstellung „Kicker – Kämpfer – Legenden: Juden im deutschen Fußball“ im Museum Eslohe (->Kapitel XVII). Mit der Eröffnungsrede zur Ausstellung schließt dieses Buch. Es dokumentiert nicht zuletzt, wie die Gemeinde Eslohe beschenkt ist nicht nur durch die Mühen der nahen Lokalforscher, son­dern auch durch hochkarätige Beiträge von sieben Forschenden, die durch keinen direkten biographischen Bezug mit dem Gebiet der Kom­mune verbunden sind.

Den Autorinnen und Autoren sei gedankt, nicht minder allen anderen Menschen, die durch Hinweise und mannigfache Hilfestellungen das Erscheinen des ersten Teilbandes möglich gemacht haben: Magdalene Fiebig und Karl-Arnold Reinartz, die übrigens beide auch eigene Beiträge im Zweiten Band veröffentlichen werden; eben­so Bodo Bischof, Anne Boskamp, Daniel Brandes (Gemeindearchiv Finnentrop), Philip Bürger, Michael Gosmann (SüdWestfalenArchiv), Ulrich Hengesbach (Bürgerzentrum Alte Synagoge e. V. – Meschede), Franz-Josef Keite, Bernd Schaller, David Schächter, Siegbert Tillmann, Horst Vielhaber und dem Vorstand des BallspielClubs Eslohe.

Ein Gesamt-Namenregister für alle Teile soll der noch in Vorbereitung befindliche Zweite Band dieses Sammelwerkes zur „Geschichte der Esloher Juden“ enthalten.

Düsseldorf, 9. Mai 2019: Peter Bürger

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Übersicht zum Buchinhalt
„Und sind wir auch Israels Kinder“

I. Das Schicksal der Esloher Juden
Von Rudolf Franzen (1988)

II. Das Buch vom Pampel
Geschichten aus Eslohe (1989)
Hg. Peter Bürger & Rudolf Franzen

III. „Schmetterling im Kreis der Schlange“
Anmerkungen zu einem Relief auf dem Grabstein des [jüdischen] Mädchens Louise Gabriel auf dem Kirchhof zu Eslohe
Von Peter Bürger (1992)

IV. Der jüdische Kultus im Raum Eslohe
Von Alfred Bruns (1993)

V. 75 Jahre Ballspielclub Eslohe und wie alles begann
Aus der BCE-Festschrift von 1993
Von Eugen Henkel

VI. „Heimatbewegtes“?
Antisemitische Spuren aus dem Archiv
Von Peter Bürger (1993)

VII. Juden als Sparkassenkunden
Ein Beitrag zur Geschichte der Esloher Juden
Von Gudrun Schulte (1995)

VIII. „Sind wir auch Israels Kinder …“
Nachträge zur Geschichte der Esloher Juden
Von Peter Bürger (1995)

IX. „Meine Seele dürstet nach Gott“
Hebräische Liedhandschrift der
Esloher Juden aus dem Jahre 1796
Von Helmut Neunzig (2001)

X. Jüdisches Leben im Synagogenbezirk Meschede
Herausgegeben von Wilfried Oertel (2004)
(Erika Richter: Wie Meschede Synagogenbezirk wurde
Wilfried Oertel (Bearb.): Versteckt und doch entdeckt. Waldfriedhof Oesterberge
Wilfried Oertel: Familie Steinberg, Kirchrarbach und Reiste
Rita Römer: Die Familie Bachmann in Velmede)

XI. Die jüdischen Wurzeln der Arnsbergerin Christina Gabriel (1766-1835)
[Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Esloher Familie Gabriel]
Von Hans-Jürgen Rade (2005)

XII. Erinnerungen an die letzte jüdische Familie aus Eslohe
Bitter war der Abschied der Familie Isaak aus Niedereslohe – 1941 wurde sie „einberufen“ …
Von Anton Mathweis (2006)

XIII. Julius Goldschmidt:
Ein vergessener Sportmäzen und -manager aus Eslohe
Von Henry Wahlig (2007)

XIV. Postkarte von 1916 bei ebay ersteigert
Spuren jüdischen Lebens in Eslohe
Von Dierk W. Stoetzel (2009)

XV. Hannah Simon und die Deportation der Esloher Juden
Neue Entdeckungen geben Auskunft über das Schicksal der letzten in Eslohe ansässigen Mitglieder der Familie Goldschmidt
Von Dierk W. Stoetzel (2010)

XVI. Ein jüdischer Grabstein auf dem Esloher Kirchplatz?
Ein Blick in die Geschichte der Familie Gabriel in Eslohe hilft, das Rätsel zu lösen
Von Hans Jürgen Rade (2010)

XVII. „Geschichtliche Erinnerungen“
Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Kicker – Kämpfer – Legenden: Juden im deutschen Fußball“ am 10. Oktober 2013 im Museum Eslohe
Von Peter Bürger (2013)

Grenzüberschreitungen im Hochsauerland: rechter AfD-Flügel vernetzt sich in Neheim

Gezielte Provokation oder Zufall? Plakate vor der Gaststätte Bühner, dem Versammlungsort der AfD in Neheim. (foto: zoom)

Die Vortragsveranstaltung „Wie frei ist die Meinungsfreiheit“ des AfD-Kreisverbandes Hochsauerland mit der vom Parteiausschluss bedrohten Höcke-Sympathisantin Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein fand am Freitag Abend nach einigem Hin und Her in der Gaststätte Bühner in Neheim statt.

Der ursprünglich angekündigte Ort, das Hotel Waldschlößchen in Voßwinkel, hatte der AfD die Räumlichkeiten gekündigt. Besitzer Peter Keitsch betonte gegenüber den Medien, bei der Buchung von einem öffentlichen AfD-Vortrag nichts gewusst zu haben.

Für die Leserinnen dieses Blogs, die mit dem Namen von Sayn-Wittgenstein nichts anzufangen wissen, folgen hier ein paar Hinweise zur Person.

Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein (* 1. Oktober 1954 als Doris Ulrich in Arolsen) ist laut Wikipedia eine deutsche Politikerin der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Sie wurde bei der Landtagswahl 2017 in den Landtag von Schleswig-Holstein gewählt und war seit dem 8. Juli 2017 Landessprecherin der AfD Schleswig-Holstein, wurde jedoch im Dezember 2018 aus der AfD-Landtagsfraktion ausgeschlossen. Am 19. Dezember 2018 erklärte sie ihren Rücktritt vom Amt der AfD-Vorsitzenden in Schleswig-Holstein.

Hintergrund für den Ausschluss seien, so Wikipedia weiter, Sayn-Wittgensteins Aktivitäten für den als rechtsextrem eingestuften Verein Gedächtnisstätte e.V. im thüringischen Guthmannshausen, für den sie am 18. Dezember 2014 in einem Schreiben um Unterstützung geworben haben soll. Ob sie Mitglied des Vereins ist oder war, sei umstritten. Nach Angaben von Andreas Speit in der taz habe sie jedoch weitere Kontakte zur rechtsextremen Szene: So habe sie zwischen 2014 und 2017 Veranstaltungshinweise verschiedener rechtsextremer Gruppen per E-Mail weiterverbreitet. Auf Nachfrage der taz bestritt Sayn-Wittgenstein diese Kontakte. Sie beabsichtige, ihr Landtagsmandat zu behalten.

Am 17. Dezember 2018 beschloss der AfD-Bundesvorstand die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens gegen Sayn-Wittgenstein und „vor dem Hintergrund mutmaßlich strafrechtlich relevanter Vorgänge“ den vorläufigen Ausschluss von der Ausübung aller Parteiämter bis zur Entscheidung des zuständigen Schiedsgerichts. Das schleswig-holsteinische Landesschiedsgericht wies den Antrag im April 2019 erstinstanzlich ab, da Sayn-Wittgenstein nicht Mitglied des Vereins Gedächtnisstätte gewesen sei und sich aus einer „einmaligen Unterstützung […] keine zwingenden Rückschlüsse auf ein noch heute andauerndes rechtsextremistisches Weltbild“ ergäben. Ferner habe sie sich in einem Zeitungsinterview und der mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgericht von dem Verein und ihrer damaligen Aktion distanziert. Der AfD-Bundesvorstand beschloss daraufhin nach Informationen von Zeit Online, das Bundesschiedsgericht der Partei anzurufen.

Stand Freitag Abend schwebt das Parteiausschlussverfahren weiter über Sayn-Wittgenstein. Man tut der Referentin des Freitagabends kein Unrecht an, wenn man sie zu den Rechtsauslegern der AfD zählt.

Sie selbst bekannte in ihrem 30-minütigen Vortrag Sympathie für den „Flügel“ von Björn Höcke, distanzierte sich aber im gleichen Atemzug von einer Mitgliedschaft. Dabei muss man wissen, dass es keine „Mitgliedschaften“  in irgendwelchen Parteiströmungen gibt.

Jürgen Antoni von der AfD HSK begrüßte zu Beginn der Veranstaltung eine für Hochsauerländer Verhältnisse große Zuhörerschaft. Der Saal der Gastwirtschaft Bühner war zu klein. Zusätzliche Stühle wurden herbeigeschafft. Einige ZuhörerInnen mussten im Thekenbereich nebenan stehen.

Ich schätze grob, dass mindestens 40 Personen anwesend waren.

Sayn-Wittgenstein als Vertreterin des rechten Spektrums hatte auch Funktionäre und Mitglieder aus anderen Teilen NRWs (MK, Münster) angezogen. Aus dem Düsseldorfer Landtag war bspw. Christian Blex vor Ort.

In ihrem Vortrag griff Doris von Sayn-Wittgenstein (DSW) den Verfassungsschutz an. Bei diesem würde sie als Extremistin gehandelt, obwohl dies nicht nachgewiesen wäre.

Der Verfassungsschutz wolle, so DSW, die Meinungsfreiheit einschränken. Artikel 5 des Grundgesetzes gewähre zwar die Meinungsfreiheit, aber eine Zensur fände doch statt, und zwar besonders als Nachzensur, indem Presseprodukte, die schon auf dem Markt seien, beschlagnahmt würden.

Eine besondere Art der Zensur sei die „political correctness“. Dürfe man mit der Schere im Kopf die Begriffe „Kameradschaft“ und „Volk“ überhaupt noch benutzen?

Biologische Begriffe wie „Rasse“ würden „weggedrückt“, „Abgrenzungen“ von Migranten seien rassistisch.

Die Alliierten hätten nach dem Krieg viele Dokumente beschlagnahmt und sie seien heute immer noch unter Verschluss. Es würden „Quellen vor uns verborgen“.

Es wäre gefährlich, wenn der Verfassungsschutz Leute angriffe. Überhaupt sei der Verfassungsschutz eine Behörde, die es nur in der Bundesrepublik gäbe.

Dabei bezweifelte DSW die Existenz einer Verfassung für die Bundesrepublik, da sie ja nur „Grundgesetz“ hieße und eben nicht „Verfassung“.

Darüber hinaus stehe der Verfassungsschutz, der links oder rechts Meinungen abstrafe, nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Er verkörpere den Extremismus der Mitte. Es gebe Studien, dass die Verfassungsschutzberichte verfassungswidrig seien.

Ihren Volksbegriff suchte sie über die Genetik hinaus in Geschichte, Zeit und Raum sowie der Archetypik festzumachen, kehrte jedoch zur Genetik zurück: der Ursprung des deutschen Volkes wäre in der Nachfolge des dreißigjährigen Krieges (alles ausgeblutet) zu suchen.

Der Verfassungsschutz sei eine „Waffe der Regierung“. Eine Erwähnung in den Berichten rufe „Irritationen hervor“, schrecke ab, obwohl „Feind der Regierung“ eigentlich ein Qualitätskriterium sei, welches einen Orden verdiente.

Als Rechtsauslegerin beklagte DSW, dass die identitäre Bewegung und Heimatschutzverbände sowohl beim Verfassungsschutz als auch bei der AfD gelistet seien.

Das NPD Urteil des Bundesverfassungsgerichtes begrüßte sie, weil auf diese Weise klar sei, „woran man sich zu halten habe“. Die NPD zu unterstützen sei naiv.

Doris von Sayn-Wittgenstein stellte die rhetorische Frage, ob das Bundesverfassungsgericht einem „Volk“ vorgeben könne, wie es sich selbst zu definieren habe oder ob sich dieses „Volk“ selbstbestimmt definieren könne, um dann kokett zu mutmaßen, ob sie „hier schon im schwarzen oder schwarz-braunen Verfassungsschutzbericht“ wäre.

Wer Lust hat, sich den Vortrag samt Diskussion anzuschauen, kann das auf dem Kanal eines AfDlers tun. Ich habe hier wirklich nur stückweise referiert.

https://www.youtube.com/watch?v=U7J2m7wNjEg

Mein Eindruck: Reichsbürger, Identitäre, Höcke-Flügel – alles angedeutet, aber manchmal auch nicht ausgesprochen.

In der nachfolgenden Aussprache/Diskussion wurde es dann ganz hart Steuerbord.

Zitate/Notizen

  • „Ohnesorg war eine Geschichte der Stasi.“
  • Schändungen jüdischer Friedhöfe (60er Jahre) von der Stasi
  • Verfassungsschutz am Rand einer kriminellen Vereinigung.
  • Wir sind die letzte Hoffnung für dieses Land. Eine Schande.
  • Harte Zeiten. 11 Mio von Altersarmut bedroht. Wie die russischen Mütterchen. Wer nicht hören will muss fühlen.
  • „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier an einem Bürgerkrieg vorbeikommen.“
  • Verfassungsschutz, Behörde, die nach der Gesinnung schnüffelt.
  • In den anderen Parteien: Kiffer, Pädophile und Terroristen als Mitarbeiter
  • „Wir steuern auf dramatische Gegebenheiten zu.“
  • Die BRD Gründung durch den parlamentarischen Rat – gesteuert.
  • Meinungsfreiheit nur noch gelenkt, geschult durch die Atlantik-Brücke
  • Reeducation, Kriegsschuld hat Deutschland erpressbar gemacht
  • Mehr Selbstbewusstsein zeigen, nicht zurückweichen: „wenn wir das Feld freigeben, rückt der politische Gegner sofort nach.“
  • Wenn wir mit Parteiausschlussverfahren beschädigt werden sollen, müssen wir diejenigen „chirurgisch entfernen“.
  • Eigene Leute, die Unruhe in die Partei bringen („Keller-Nazis“, Helmut Seifen LaVo NRW), das sind unsere Feinde.
  • Verfassungsschutz werde als Keule gegen Beamte benutzt. Ratschlag: „Wenn ich [als Beamter] erpressbar bin, bleibe ich in der letzten Reihe und falle denjenigen, die vorne an der Front kämpfen, nicht in den Rücken.“
  • Die Partei (i.e. AfD) werde zersetzt, wenn die Führung nicht gerecht ist.
  • Bundesrepublik durch Auschwitz als Gründungsmythos erpressbar
  • Altparteien reduzieren die ganze deutsche Geschichte auf 12 Jahre Nazi-Zeit (Hitler-Diktatur)
  • Alle, wie wir hier sind, sind nach dem zweiten Weltkrieg geboren. Wir haben keine Verantwortung.
  • Die Linken brauchen den Adolf, nicht wir.
  • Schauen Sie sich die Lehrbücher an. Geschichtsunterricht 7./8. Klasse. Wir müssen bei den Jugendlichen anfangen.
  • Sayn-Wittgenstein: Ich bin ein großer Anhänger von Verschwörungstheorien. Umerziehung ist dann gelungen, wenn wir uns selbst umerziehen. Wenn Höcke nur ein Komma falsch setzt, gibt es Geschrei.
  • Der Höcke ist ein Vordenker. Der Höcke macht eine Gratwanderung.
  • Wir werden ja schon von außen als Nazis diffamiert, aber es ist zutiefst verkommen, wenn man das bei Parteifreunden macht, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
  • Nicht in vorauseilendem Gehorsam über das Stöckchen der Systempresse springen.

Um 21 Uhr war die offizielle Veranstaltung zu Ende.

Fazit: Die AFD Hochsauerlandkreis hat den äußeren Rechten in der rechten AfD ein regionales Vernetzungstreffen ermöglicht und ist damit selbst weiter nach rechts gerutscht.

Sayn-Wittgenstein hat Fußtruppen sammeln können, um Druck gegen ein drohendes Parteiausschlussverfahren auszuüben.

Ein Wort noch zum Publikum:

viele Akademiker, kein Haufen von dummen Jungs und Mädels, fanatisch, aber geschult. Der ein oder andere Nazi im Anzug.

„Auch in Rüthen gab es Zwangsarbeiter“ (Der Patriot, 26.4.2019)
Bitte um gemeinsame Suche, auch in Rüthen (1)

Aufruf zum Forschen: Zwangsarbeiter in Rüthen. (Collage: Nadja Thelen-Khoder)

Mir wurde der Zeitungsartikel „Auch in Rüthen gab es Zwangsarbeiter. Hermann Krämer hofft auf Erinnerungen aus der Bevölkerung, um mehr über diese Geschichten zu erfahren“ von Christian Ziemke gleich mehrfach von Bürgern aus der Umgebung zugeschickt, und auch ich hoffe so sehr auf gemeinsame Erarbeitung unserer Geschichte(n).

Deswegen habe ich meine Funde aus Bad Arolsen, die ich bereits in Dateien veröffentlicht habe, zusammengefaßt und wäre glücklich, wenn sie zur weiteren Suche von möglichst vielen genutzt würden:

„ ,Auch in Rüthen gab es Zwangsarbeiter’. ,Der Patriot’, 26.4.2019“
http://www.hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/152_Auch_in_R%C3%BCthen_gab_es_Zwangsarbeiter.pdf

Mit herzlichen Grüßen

Nadja Thelen-Khoder

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Anmerkung:

(1) vgl. „ ,Art der Krankheit: Auf der Flucht erschossen’. Bitte um gemeinsame Suche, auch in Siedlinghausen“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/08/Siedlinghausen.pdf

Für Fritz Bauer und Ilona Ziok. Zum „Dreher-Gesetz“ von 1968

„Fritz Bauer. Tod auf Raten“ heißt das Meisterwerk von Ilona Ziok von  2010. (Filmplakat CV Films)

Am 14. April 2019 hieß ein Beitrag in „Titel Thesen Temperamente“ der ARD „Thriller um einen deutschen Justizskandal. ,Der Fall Collini’ nach Ferdinand von Schirach im Kino“. Zur Sendung steht geschrieben:

„1968 wurde das sogenannte Dreher-Gesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen. Eduard Dreher, zur Nazizeit als Staatsanwalt tätig, hatte als hoher Ministerialbeamter ein Gesetz verfasst, das zahlreiche Kriegsverbrechen als Totschlag und nicht als Mord bewertete – wodurch viele Taten von Nazi-Tätern auf einmal als verjährt galten und straffrei blieben. Ein Justizskandal, der Pate für die Verfilmung dieser Geschichte stand.“

Dem „Filmtipp“ („Der Fall Collini. Drama, Thriller, Deutschland 2019, Regie: Marco Kreuzpaintner, mit Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach und anderen, FSK: 12 Jahre, ab 18. April im Kino) will ich einen weiteren hinzufügen.

Den Filmen „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Die Akte General“ und „Im Labyrinth des Schweigens“ ging ein Film voraus: „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ heißt das Meisterwerk von Ilona Ziok von 2010. Der international hoch gerühmte Film (2), den man in Deutschland nicht „normal“ kaufen kann (3), beinhaltet die Kapitel „Adolf Eichmann“, „Der Remer-Prozess“ und „Ernst Achenbach“; über den Coup von Eduard Dreher wird ausführlich berichtet. Auf den Seiten zum Film (4) läßt sich vieles nachlesen.

Und ich werde nicht müde, die kleine aber feine Schrift des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer zu bewerben, dem wir unter anderen die Gerichtsverhandlung gegen Adolf Eichmann (und damit Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“) und den Auschwitz-Prozeß zu verdanken haben (und so vieles Andere mehr):

Fritz Bauer: „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“, Frankfurt am Main 1965.

Auch dieses Büchlein war ein halbes Jahrhundert lang nicht „normal“ im Buchhandel zu kaufen, ist aber inzwischen neu bei der Europäischen Verlagsanstalt erschienen.

Dies ist eine Liebeserklärung an Fritz Bauer und Hannah Arendt und an das Filmteam: Buch und Regie Ilona Ziok, Schnitt Pawel Kocambasi, Schnittassistenz Olmo Pini und Carolin Mader, Kamera Jacek Blawut, Ton Manuel Göttsching, Mischung Hansi Jüngling, Produktionsleitung Myriam Abeillon, Dokumentation Dr. Thymian Bussemer, Redaktion SR Dr. Michael Meyer und Andrea Etspüler (Der Film ist eine CV Films Produktion in Koproduktion mit dem Saarländischen Rundfunk), Produzenten Manuel Göttsching und Ilona Ziok.

Institutionen kann man nicht lieben, aber ihnen danken. Als Partner werden auf der Internetseite genannt: Informations- und Presseamt der BRD, Friedrich Ebert Stiftung, Otto Brenner Stiftung, Hessische Filmförderung, Filmstiftung und Saarländischer Rundfunk.

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Anmerkungen:

(1) https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/schirach-fall-collini-100.html
(2) https://www.berlinale.de/external/de/filmarchiv/doku_pdf/20106770.pdf
(3) zu bestellen bei CV Films, Postfach 330152, 14171 Berlin, 030 / 23627167, cvfilmsberlin[at]aol.com
(4) http://www.fritz-bauer-film.de/ge/index.htm