Internationales Literaturfestival lit.RUHR präsentiert facettenreiches Programm der sechsten Edition und eröffnet den Kartenvorverkauf

Das Podium der Pressekonferenz (Bild: (c) Ast_Juergens)

Die sechste Ausgabe der im Ruhrgebiet erfolgreich etablierten lit.RUHR und der dazugehörigen lit.kid.RUHR vom 19. bis 23. Oktober 2022 findet in äußerst unsteten Zeiten statt.

(Pressemitteilung der lit.Ruhr)

Umso bedeutender, dass das Programm des internationalen Literaturfestivals mit insgesamt 61 Veranstaltungen in Essen, Bochum, Gelsenkirchen und Oberhausen dem Publikum erneut ebenso Grundlagen für tiefgreifende Debatten und horizonterweiternde Gedanken bietet wie niveauvolle Unterhaltung, neue Perspektiven und gemeinschaftlich erlebte Kultur.

Diese Versprechen erfüllt gleich zur Eröffnung der ebenso profilierte Schauspieler wie begnadete Schriftsteller Joachim Meyerhoff. Seine autofiktionalen Romane (zuletzt: „Hamster im hinteren Stromgebiet“) sind große Literatur und allesamt Bestseller. Die lit.RUHR beehrt er mit einer Lesung ganz neuer, noch unveröffentlichter Texte. (19.10., 19.30 Uhr, Lichtburg Essen)

Der Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff liest neue, noch unveröffentlichte Texte.
(Bild: ©Ingo Pertramer)

Einige weitere, herausragende Lesungstermine:

Tupoka Ogette ist Bestseller-Autorin („exit RACISM“), Trainerin und Beraterin für Antirassismus im deutschsprachigen Raum. Ihre Bücher (zuletzt: „Und jetzt du“) unterstützen alltagsnah und konkret bei einem rassismuskritischen Leben. (20.10., 19.30 Uhr, Theater Oberhausen)

Eine hochkarätige Buch-Premiere feiert die profilierte Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf der lit.RUHR: Sie und ihre Großmutter, Dagmar Reemtsma, verhandeln in ihrem Buch „Gegen die Ohnmacht“ generationenübergreifend hundert Jahre deutscher und europäischer Geschichte zwischen NS-Diktatur und Klimakrise. (20.10., 20 Uhr, UNESCO-Welterbe Zollverein, Halle 5)

Ihre Buch-Premiere feiert Klimaaktivistin Luisa Neubauer (Bild: Oguz Yilmaz)

Der ehemalige Profifußballer Neven Suboticist einst als Flüchtling nach Deutschland gekommen und hat mit seinem Talent Millionen verdient. Heute ermöglicht Subotic mit seiner Stiftung Trinkwasser-projekte in Äthiopien. Sein Buch „Alles geben“ ist ein Appell für mehr Gerechtigkeit sowohl im Profifußball als auch in der globalisierten Welt. (21.10., 20 Uhr, UNESCO-Welterbe Zollverein, Salzlager)

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Bye-bye August 2022; heiß, trocken, überlebt.

Ende August zum Eis essen nach Marburg radeln … (foto: zoom)

Den August 2022 werde ich als heiß, trocken und streckenweise lebenswert in Erinnerung behalten.

Negativ überschattet vom Mordanschlag auf Salman Rushdie. Dazu gesellt sich die Energiekrise, die Klimakatastrophe und der Ukraine-Krieg.

Traurig der Tod von Michael Gorbatschow und Hans-Christian Ströbele.

Interessant die Lektüre von Volker Ullrichs Hitler-Biographie. Band I (Aufstieg) ist geschafft, jetzt rausche ich durch Band II, die Jahre des Untergangs.

Lachhaft und erschreckend zugleich der Dokumentenklau des ehemaligen Präsidenten der USA.

Bemerkenswert, dass eine Münchener Beteiligungsgesellschaft ein Grundsück am Waltenberg in Winterberg für das vierfache des Verkehrswerts ersteigert.

Positiv das Freibad in Siedlinghausen und das Stadtradeln Winterberg. Habe mich herausgefordert gefühlt, alle Strecken, die ich sonst im Laufe eines Jahres mindestens einmal radele, in drei Wochen abzufahren.

So bin ich seit langem auch wieder nach Marburg gerollt, habe festgestellt, dass die Stadt an einem sonnigen Sonntag sehr voll ist und habe mich mit einem Eis entschädigt.

Das Radfahren ist ein ganz eigenes Kapitel. Vielleicht später. Jetzt ist es zu spät am Abend.

Gute Nacht!

Über die sauerländische Nationalsozialistin Josefa Berens-Totenohl

Ein neuer Sammelband erschließt Forschungen eines halben Jahrhunderts

Buchumschlag: Der neue Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl“

Auf diesem Blog wurde vor einigen Wochen ein Forschungsprojekt zu dem aus (Meschede-)Eversberg stammenden Priester Dr. Lorenz Pieper (1875-1951) vorgestellt. Er trat schon 1922 der NSDAP bei, wurde 1923 Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus zahlreiche Propagandavorträge in Süddeutschland. Kein anderer römisch-katholischer Kleriker hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten wie dieser Sauerländer.

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

Schon seit den frühen 1920er Jahren war Lorenz Pieper befreundet mit der Lehrerin und Malerin Josefa Berens, die aus (Meschede-)Grevenstein stammte und nach eigenem Bekunden bereits 1918 oder 1920 aus der Kirche ausgetreten ist. Der braune Priester hat auch diese Künstlerin wie andere Sauerländer früh dem Nationalsozialismus zugeführt, was das Westfälisches Volksblatt (Paderborn) später am 27.01.1936 ausdrücklich rühmen wird.

Josefa Berens beantragte 1931 von Spanien aus eine Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt am 1. Januar 1932 die Parteinummer 831978. Nach 1933 erfolgte bald ein Umstieg auf den Schriftstellerberuf; zu den Lesebögen für die Umschaltung des schulischen Unterrichts steuerte die Sauerländerin im Anschluss an die „Machtergreifung“ ihrer Partei ein antisemitisches Hetz-Märchen bei. Den 1935 erstmals vergebenen „Westfälischen Literaturpreis“ erhielt J. Berens-Totenohl als Verfasserin eines Bestsellerromans, dessen erster Teil „Der Femhof“ von 1934 bis 1961 insgesamt eine Druckauflage von 280.000 Exemplaren erzielen konnte.

Das Gedenken an die einstmals in ganz Deutschland gelesene Autorin, die mit Propagandatexten und einem quasi religiösen Credo die „Treue zum Führer“ beschwor, hat im Sauerland wie bei wohl keiner anderen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aus der Zeit des „Dritten Reiches“ zu heftigen Kontroversen geführt. Ganze Generationen waren ja mit den „Femhof“-Romanen gleichsam großgeworden und wollten sich das schöne Bild „ihrer Dichterin“ nicht kaputtmachen lassen. Unter solchem Vorzeichen war es schwer, in ruhigem Studium Fakten und seriöse Forschungsarbeiten zu sichten. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die in der germanistischen Fachliteratur schon vor über vier Jahrzehnten nachgelesen werden konnten, blieben in den lokalen Heimatdisputen in der Regel unbeachtet.

Kaminrunde im „Femhof“-Haus von Josefa Berens-Totenohl: Über dem Sims als ‚kultisches Zentrum‘ eine Büste von Adolf Hitler (Digitales Fotoarchiv des Christine-Koch-Mundartarchivs am Museum Eslohe)

Ein jetzt in Kooperation mit dem Christine Koch-Mundartarchiv am Museum Eslohe herausgegebener Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte“ dokumentiert Beiträge zu „Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016“ von Dr. Christian Adam, Prof. Moritz Baßler, Peter Bürger, PD Dr. Karl Ditt, Prof. Rainer S. Elkar, Prof. Walter Gödden, Wolf-Dieter Grün, Prof. Hubertus Halbfas (†), Jürgen Kalitzki, Prof. Uwe-K. Ketelsen, PD Dr. habil. Reinhard Kiefer, Dr. Roswitha Kirsch-Stracke, Dr. Arnold M. Klein, Monika Löcken, Dr. Ortrun Niethammer, Dr. Ulrich F. Opfermann, Elmar Rademacher (†), Friedrich Schroeder und Gisbert Strotdrees.

Kultisches Zentrum im Haus der Dichterin zu Gleierbrück war ein Kaminfeuer, über dem gleichsam als Heiligtum eine Büste von Adolf Hitler prangte. Dies belegen Fotos, die uns 2018 zugesandt worden sind. Alle Versuche, die Sauerländerin Josefa Berens-Totenohl als eine unpolitische „Mitläuferin“ oder von den Nazis nur vereinnahmte Persönlichkeit vorzustellen, erweisen sich im Licht der Tatsachen als unhaltbare Erfindung.

Weitere Forschungen sind durchaus vonnöten, vor allem zum Werdegang von J. Berens in den Jahren der Weimarer Republik und bezogen auf den weiblichen „Emanzipationsweg nach rechts“, der bei ihr zu einer Unterwerfung unter das „Frauenbild“ des Nationalsozialismus führte.


Peter Bürger (Hg.): Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte.
Beiträge zu Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016.
Norderstedt: BoD 2022 (ISBN: 978-3-7568-0023-0 ; Paperback; 452 Seiten; 17,99 Euro)
Portofreie Bestellung (auch überall im Buchhandel) und Leseprobe (links oben anklicken) über die Verlags-Website:
https://www.bod.de/buchshop/ueber-josefa-berens-totenohl-und-westfaelische-literaturgeschichte-9783756800230

Umleitung: Radwege, Comics, Romane, Städte, Freicorps, Faschismus, Klimakrise, rechte Hetze und mehr…

Als Tourenradweg ausgezeichnet ist dieser Radweg nahe dem Nordhang des Kahlen Asten eine Zumutung/Frechheit. Ich weiche hier immer auf die Straße aus. (foto: zoom)

Comic-Zeichenkunst: Neal Adams, der Erfinder des visuellen Superhelden-Realismus im Kosmos des Unrealistischen … endoplast

Unergründlich zu allen Zeiten: Mariette Navarros Meeres-Roman „Über die See“ … revierpassagen

The Ministry for the future: Kim Stanley Robinson denkt wenigstens Wege, wie sich eine Katastrophe abschwächen kann. Wie die Menschheit doch noch die Kurve bekommen könnte. Und das ist wirklich höchst inspirierend … schmalenstroer

Das Grösste von allem – Dubai und Abu Dhabi: Dubai ist völlig surreal. Alles muss hier „das Größte“ sein. Die weltgrößte Mall. Das weltgrößte Hochhaus. Alles immer Weltgrößt. Das sieht man dann auch im Stadtbild … unkreativ

Eine Symbiose: Freikorps und Faschismus … endstationrechts

In den Tod gehetzt: Es gibt keine „Polarisierung“. Es gibt nur eine rechte Sekte, die sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert hat. Zum Tod von Lisa-Maria Kellermayr … misik

Rechte Kampagne: Der Missbrauch des guten Namens von Simon Wiesenthal durch US-Trump-Dualisten … scilogs

Vom 17. bis 31. August geht es in Dortmund um „Jüdisch-Arabische Verflechtungen“: Themenreihe befasst sich mit Antisemitismus in postmigrantischen Gesellschaften … nordstadtblogger

Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen): Wie sieht eine Welt mit 3 Grad globaler Erwärmung aus? Was bedeutet das konkret für Klima und Wetter? Klimaforscher Stefan Rahmstorf schildert in diesem Beitrag aus »3 Grad mehr« die drohenden Folgen – und macht damit deutlich, warum wir sofort entschiedene Klimaschutzmaßnahmen brauchen … oekom

Prekäre Lage im Nahverkehr: Kommunen, Verbünde und Verkehrsunternehmen fordern mehr finanzielle Mittel für ÖPNV … doppelwacholder

Umleitung: Klima-Krise, ein Wall um Lützerath, Gewalt, Documenta, Anarchismus, die Vorhölle in Niendorf und mehr…

Kann man die Documenta in Kassel (Bild oben) und das Humbold-Forum in Berlin vergleichen? Ja, meint der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer in der Berliner Zeitung. (Link s.u) (foto: zoom)

Extremwetter: Bisherige Rekorde werden deutlich überschritten … bpb

„Hätten sich Ökonomen nicht eingemischt, wären wir zwanzig Jahre weiter“: Was uns zu einer tieferen Klimakrise führte als möglich gewesen wäre … scilogs

Ein Wall um Lützerath: Kohlekonzern RWE bereitet Abbaggerung vor und stößt auf Protest … nd

Das Gewalt-Dilemma: Zwischen „Die Waffen nieder!“ und „gerechter Krieg“ – Pazifismus und Anti-Militarismus in Kriegszeiten … misik

Humboldt-Forum und Documenta: Wir sollten aufhören mit zweierlei Maß zu messen … bz

Dortmund: Fünftes Anarchistisches Parkfest im Blücherpark … nordstadtblogger

Die besten Fernseh- oder Streaming-Serien – Teil 2: Die 10 schlimmsten Fehler der TV-Serien … endoplast

Rückzug in die Vorhölle: Heinz Strunks Roman „Ein Sommer in Niendorf“ … revierpassagen

Hagen-Hohenlimburg: Die renaturierte Lenne mit dem Rad erkunden … doppelwacholder

Ein Priester als NSDAP-Parteiorganisator im katholischen Landschaftsgefüge

Einblicke in ein Publikationsprojekt über Lorenz Pieper (1875-1951)

Buchumschlag „Am Anfang war der Hass“

Werner Neuhaus (Sundern) und ich haben in diesem Sommer ein umfangreiches Werk veröffentlicht über den Lebensweg eines sauerländischen Geistlichen aus dem Gefüge des Sozialkatholizismus, der sich ab Ende des 1. Weltkrieges ganz dem völkischen Nationalismus und Judenhass verschrieben hat: Dr. Lorenz Pieper (1875-1951), geboren in Meschede-Eversberg, trat schon 1922 als Kaplan von Hüsten der NSDAP bei. Er wurde 1923 sogar für einige Monate Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus im schwarzen Priesterrock zahlreiche NS-Propagandavorträge.

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

Kein anderer römisch-katholischer Kleriker in Deutschland hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten. Kurz vor der sogenannten Machtergreifung 1933 bekannte der gewaltbereite Antisemit: „Und naturgemäß wurde ich ein Soldat Hitlers. Es ist mein Stolz, dass ich gleich zu Anfang der Bewegung zu ihr stieß!“ „Das Wort ‚Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube!‘ gilt auch von unserer Bewegung. Der Sieg steht felsenfest!“

Das „Evangelium“ Hitlers wurde für Lorenz Pieper anstelle der christlichen Botschaft zur zentralen Sinngebung seines Lebens. Bis hin zum Schluss wird er seinem „Führer“ die Treue halten. Zu den Widersprüchen dieses Fanatikers gehört allerdings auch sein Widerstand gegen die planmäßig betriebene Ermordung von Kranken während der Zeit als Anstaltsgeistlicher in Warstein.

Die nationalsozialistischen Kleriker Joseph Roth (1897-1941) aus München, links, und Lorenz Pieper (1875-1951) aus dem Sauerland, in der Mitte, bei einem Treffen „brauner Priester“, vermutlich im Jahr 1933. (Foto-Reproduktion: Peter Bürger (Original im Pieper-Nachlass, Abtei Königsmünster).)

Ohne Lorenz Pieper wären viele NSDAP-Aktivitäten zur Zeit der Weimarer Republik im katholischen ‚Zentrums-Sauerland‘ wohl kaum möglich gewesen. Schon im Mai 1922 plant er eine nationalsozialistische Gründung in Hüsten und meldet in einem Eintrag vom 8.10.1922: „Vor 14 Tagen habe ich es ermöglicht, dass von Hagen aus auch hier ein nationalsozialistischer Redner sprach; es war eine vorläufige kleine Versammlung, bei der ca. 15 Mitglieder beitraten; aber immerhin haben wir nun eine kleine Ortsgruppe hier, die weiter arbeitet und den Völkischen Beobachter hält.“ (Nach Ausweis der NSDAP-Mitgliederkartei ist Pieper im Laufe der Jahre bis 1945 noch für folgende lokale Gliederungen der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei eingetragen gewesen: Wehrden – Höxter, Halingen – Menden – Langschede, Eversberg, Münster, Warstein – Suttrop und zuletzt Meschede.)

NSDAP-Gründerzeit an der Weser

In der nächsten Pfarrstelle, die seinem Münchener Einsatz bei Hitler ab dem 23. Oktober 1923 folgt, führt er die Parteiagitation fort. Dazu vermerkt sein Parteigenosse Eduard Schulte: „An der Weser setzte sofort Pieper altes Ringen um Deutschlands Zukunft wieder ein, als er dort Pfarrvikar in Wehrden bei Höxter wurde. Für die NSDAP und den Jungdo [Jungdeutschen Orden] war er aufs intensivste tätig, privat und öffentlich, rednerisch und journalistisch, bei Bannerweihen und Aufmärschen. … Die Ausbreitung des Hitler-Gedankens an der mittleren Weser und im Paderborner Lande ist wesentlich ihm mit zu verdanken; dabei diente Pieper dem unermüdlichen Wegbereiter der NSDAP in Norddeutschland, dem allzu früh verstorbenen ‚Rucksack-Major‘ Dinklage (Hannover)“.

Kreisleiter Dr. Heinrich Trost schreibt in seinem Beitrag „Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Stadt und Kreis Höxter“ für die Festausgabe ‚50 Jahre Huxaria‘ im November 1933 rückblickend: „Nach einem verheißungsvollen Anfang, der in einigen gut besuchten Versammlungen, in denen u.a. auch der Bergmann Heinrich Dolle sprach, zum Ausdruck kam, begann ein ebenso schneller Abstieg, an dessen Ende unsere kleine Gruppe und einige Vertreter des Blocks, darunter der verdienstvolle Vorkämpfer in unserem Gebiete, der Vikar Dr. Pieper, als verlorener Haufen übrig blieb. Damit schloss das Jahr 1924; Ende Dezember war der Führer aus der Festungshaft in Landsberg entlassen worden. … Die Mitglieder mussten wir persönlich werben und an dem Defizit einer Versammlung hatten wir monatelang zu tragen. Wir verlegten unsere Versammlungstätigkeit daher auf die Dörfer, wo die Säle nichts kosteten und handgeschriebene Versammlungsplakate genügten. Vor allem waren es die Dörfer Boffzen, Amelunxen und Wehrden, die schon frühzeitig bearbeitet wurden.“ Christoph Reichardt und Wolfgang Schäfer resümieren in ihrem Buch ‚Nationalsozialismus im Weserbergland‘: „Am 23. Oktober 1923 trat Pieper zunächst stellvertretend die Stelle des Pfarrvikars in Wehrden an der Weser an, die er im September 1928 wieder verließ, um nach Halingen bei Menden versetzt zu werden. In diesen wenigen Jahren wurde Pieper zum glühenden Vorkämpfer der NS-Bewegung im Weserbergland“.

In „bewusster Anspielung auf das jungdeutsche Credo Lorenz Piepers“ – so Wieland Vogel – hat der Breslauer Ortsbischof Kardinal Adolf Bertram übrigens am 10. Januar 1924 seine Absage an den völkischen Jungdeutschen Orden formuliert: „Der Umstand, daß sich in einzelnen Gegenden Deutschlands Katholiken vereinzelt und selbst katholische Geistliche von dieser Bewegung ergreifen lassen, beweist nichts. Es gibt bei solchen Bewegungen stets Männer von wenig Lebenserfahrung, die nicht merken, wohin eigentlich die Fahrt geht. … Ich werde unter keinen Umständen dulden, dass ein Priester meiner Diözese dieselbe fördert oder ihr beitritt.“

Von Wehrden aus war Dr. Lorenz Pieper in der Frühzeit der Weimarer Republik beteiligt an überregionalen Bestrebungen zur Vernetzung der Rechtskatholiken in einem zu gründenden „Ring“, wobei auch seine Münchener Verbindungen zum Zuge kommen sollten. Federführend bei den Paderborner Vernetzungsaktivitäten war der Rechtskatholik Ferdinand Freiherr von Lüninck aus Ostwig.

Brauner Partei-Aktivismus im Raum Menden

Im nächsten Seelsorgeort Halingen ist Lorenz Pieper nach dem 1. September 1928 alsbald Organisator einer eigenen NSDAP-Sektion am Ort. Seine dortigen ‚Predigten‘ für den Nationalsozialismus wirken sich bei Wahlen zugunsten der Partei aus, und die Dekanatskonferenz Menden sieht „die Gefahr eines nationalsozialistischen Einbruchs in die katholische Zentrumsfront“. Nicht nur im Vergleich zu anderen Orten des Amtes Menden sind die Wahlergebnisse der NSDAP in Halingen geradezu spektakulär (Reichstagswahl 1930: über 27 %; Reichstagswahl März 1933: 44,3 %). Anton Schulte hat die Stimmenzuwächse 1995 in einer Ortschronik für Halingen differenziert dargestellt und kommt zu folgenden Schlüssen:

„Die prozentualen Stimmenanteile des Halinger Zentrums gingen zwischen 1919 und 1933 von 82 % auf 35,3 % zurück, für eine alte Zentrumshochburg bedeutete dies einen ungewöhnlich großen Wählerverlust. Er erfolgte allerdings während der vierzehn Jahre nicht gleichermaßen kontinuierlich. … In keiner der übrigen Gemeinden des Amtes Menden und auch nicht in der Stadt Menden war der Rückgang der Zentrumsstimmen derart groß wie in Halingen. … Hier wirkte sich – keine andere Erklärung liegt näher – der Einfluss eines Mannes aus, der zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Verfügung der erzbischöflichen Behörde vom 30. Dezember 1932 Halingen schon hatte verlassen müssen – des Pfarrvikars Dr. Lorenz Pieper. – In den vier Jahren seiner Halinger Tätigkeit hatte Pieper nicht nur als Seelsorger, sondern auch aufgrund der Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit, die andere für sich einzunehmen verstand, an Ansehen und Einfluss gewonnen. … In seinen Ansprachen anlässlich nationaler Feiertage betonte er den Wert vaterländisch-nationaler Gesinnung. – Pieper machte nie ein Hehl aus seiner Sympathie für Hitler und die NS-Ideologie. Zu den führenden Köpfen des (Partei-) Gaues Westfalen-Süd oder der Mendener NSDAP-Ortsgruppe um Wilhelm Pferdekämper hielt er enge Verbindung. Der NSDAP galt er als eine Art Aushängeschild, als Beweis für die angebliche Vereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus. … Die Entfernung Piepers aus seiner Halinger Pfarrvikarstelle war für die NS-Presse ein Anlass zu heftigen Vorwürfen und Angriffen gegen die kirchlichen Behörden. Dabei hob sie die zweifelsohne bemerkenswerte persönliche Anspruchslosigkeit des Pfarrvikars sowie seine nationale Gesinnung hervor und feierte ihn als einen ihrer Märtyrer. Sie konnte in ihrer Argumentation auf die Zustimmung großer Teile der Halinger Bevölkerung rechnen, die Pieper am Abend vor seinem Weggang mit einem Fackelzug ehrte. … Seit den Kulturkampftagen hatten katholische Geistliche ihren seelsorgerischen Einfluss zugunsten der Zentrumspartei einzusetzen verstanden. Der kirchliche ‚Außenseiter‘ Pieper dagegen arbeitete nicht ohne Erfolg gegen die überkommene Vorherrschaft des Zentrums in Halingen. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass wegen der Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehenden politischen Staatskrise die NSDAP für manchen bisherigen Zentrumswähler als eine hoffnungsvolle Alternative erscheinen mochte, darf Piepers Einfluss auf das Wahlverhalten vieler Halinger zwischen 1930 und 1933 nicht unterschätzt werden. Seine Gedanken und Anregungen … entsprachen in ihrer politischen Tendenz auch den nationalen und ‚völkischen‘ Grundströmungen in den Jahren der Endkrise der Weimarer Republik.“

In seinem Buch über die politische Geschichte Mendens (1989) bezieht Anton Schulte auch noch einen zweiten Priester in seine Überlegungen mit ein: „Eine lokale Sonderrolle bei der wachsenden Verschiebung der Wählerschaft zu Lasten jener Parteien, die den demokratischen Staat bejahten, spielten die beiden katholischen Geistlichen Dr. Lorenz Pieper, Pfarrvikar in Halingen, und Dr. Ferdinand Heimes, von 1924 bis 1938 Religionslehrer am damaligen Walburgis-Lyceum. Sie setzten sich z.T. massiv im Sinne der nationalsozialistischen Welt­anschauung ein und verunsicherten damit die bisher relativ ge­schlossene Front des katholischen Bevölkerungsteils. Die Gefahr eines nationalsozialistischen Einbruchs in die katholische Zentrumsfront wurde von den Dekanatskonferenzen nicht unterschätzt. Das bestätigt eine der Öffentlichkeit übergebene Erklärung zur Septemberwahl 1930, in der es heißt: ‚Die Nationalsozialisten benutzen im Wahlkampf vereinzelt ihnen nahestehende katholische Geistliche als Aushängeschild … Ihre politischen Ansichten lehnen wir als verhängnisvollen Irrweg ab‘.“

Späte Amtsenthebung

Lange ließ man Lorenz Pieper einfach gewähren. Doch 1930 und 1931 muss das Paderborner Generalvikariat den Priester dazu aufgefordert haben, seine NSDAP-Mitgliedschaft aufzugeben. Wegen anhaltender politischer Agitation folgt Ende Dezember 1932 die Mitteilung, dass er zum 15. Januar 1933 seines Amtes enthoben wird. Das entsprechende, von Erzbischof Caspar Klein und Vertretern des Generalvikariats am 30.12.1932 unterzeichnete Verwaltungsdokument vermerkt über den Priester Dr. Lorenz Pieper: „Eine andere Seelsorgestelle wird ihm nicht wieder übertragen. … Jede öffentliche politische Tätigkeit in der Politik wird ihm untersagt. … Über seine Pension wird eine besondere Verordnung erlassen. … Die Personalakten dieses Priesters füllen 2 starke Aktenbände …. Die Eigenart dieses Priesters ist gekennzeichnet durch Eigensinn und unbelehrbare Starrköpfigkeit … und einen Hochmut, der ihn zu immer neuen Konflikten führte und selbst zu Frechheiten gegenüber seiner [Bischofs-]Behörde verleitete …. Durch diese von ihm nie hinreichend unterdrückten Charakterfehler haben seine anerkennenswerten Gaben des Geistes und des Gemütes für die Seelsorge nie zur segensreichen Geltung kommen lassen [sic]. Wo immer er in der Seelsorge tätig gewesen ist, mußten seine Pfarrer … bei der Behörde über ihn Beschwerde führen. Die Gemeinden sind durch … seine öffentliche nichtseelsorgerische Betätigung in Verwirrung und Gegensätze mancherlei Art hineingetrieben worden. Aus keiner seiner Stellen ist er in Frieden geschieden“. Lokale Sympathisanten und die NSDAP-Presse nutzten diesen Bescheid für eine Kampagne. Die Rückkehr L. Piepers in seine Heimatstadt gab Anlass zu einer wirkungsvollen Inszenierung.

Im Altkreis Meschede

Die sechstälteste NSDAP-Ortsgruppe des Kreises Meschede war nun die lokale Parteigliederung in Piepers Geburtsort Eversberg, gegründet im Oktober 1931. In deren Chronik von 1938 heißt es für die ‚Zeit der ersten Anfeindungen‘: „Unser Landsmann, Pfarrvikar Dr. Lorenz Pieper (Halingen), der uns stets mit Parteizeitungen und sonstigem Werbematerial versah, war den Eversbergern ein leuchtendes Vorbild, so dass trotz allem die Stimmenzahl von Wahl zu Wahl anstieg, und zwar derartig, dass noch bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 ein Zuwachs gegenüber dem Juli 1932 von 15 Prozent zu verzeichnen war“. – Über das RAD-Nebenlager Eversberg schreibt Rudolf Franzen: „Ein besonderer Förderer dieses kleinen Lagers war … Pieper.“

Ulrich Hillebrand hat auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten der 1980er Jahre mitgeteilt: „Ältere Mitbürger erinnern sich noch, dass Pieper Nationalsozialisten in Parteiuniform kirchlich traute. So führte Pieper im Jahre 1932 die kirchliche Trauung des Briloner Kreisleiters durch, nachdem die katholische Geistlichkeit dieses abgelehnt hatte. Pieper zelebrierte im Januar 1934 auch das Brautamt für den damaligen Standartenführer Schulte-Mimberg in der Mescheder Walburga-Kirche. Es war damals die erste ‚braune Hochzeit‘ im Kreis Meschede.“

Im ‚Entnazifizierungsverfahren Lorenz Pieper‘ vermerkt der Ausschuss für die Kreise Arnsberg, Meschede und Brilon in seinem Beschluss vom 6. Oktober 1948 zu Piepers Wegbereiterfunktion in der Landschaft: „Der Berufungsausschuss konnte nicht außer Acht lassen, dass die Beurteilung des Dr. Pieper, der im Sauerlande allenthalben bekannt ist und bei der Durchdringung des Sauerlandes durch den Nazismus wesentlichen Anteil hat, in sämtlichen Bevölkerungskreisen ein lebhaftes Echo zur Folge haben muß.“

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Neuerscheinung (Buch):
Peter Bürger – Werner Neuhaus (Hg.): Am Anfang war der Hass. Der Weg des katholischen Priesters und Nationalsozialisten Lorenz Pieper (1875-1951): Erster Teil. Schmallenberg: Woll-Verlag 2022.
(Forschung & Quellen; ISBN: 978-3-948496-49-4 ; 652 Seiten; Fester Einband; 29,90 Euro; www.woll-verlag.de) – Im nahen Buchhandel bestellbar. Ein zweiter Teil mit den Schwerpunkten „Euthanasie-Morde“ und „Entnazifizierung“ soll 2023 erscheinen.

Inhaltsverzeichnis des neuen Buches (PDF-Leseprobe):

Umleitung: Scheinblüte SPD, Landnahme von Verschwörungsgläubigen, Krieg in Europa, Windkraft-Akzeptanz im Sauerland und sechs Lesetipps

Keine Scheinblüten in Battenberg. Den kleinen Flieger habe ich erst im Nachhinein bemerkt. (foto: zoom)

Schwindende Scheinblüte: Was denken sich die Wähler? Vor einem Jahr gaben sie der SPD bei Forsa 14 Prozent. Drei Monate später, bei der Bundestagswahl, machten sie die Partei mit 25,7 Prozent zur stärksten Kraft. Heute, neun Monate nach der Wahl, befindet sich seine Partei auf dem Abstieg … postvonhorn

Landnahme-Objekt Immenhof: Ein Anwesen in der Lüneburger Heide steht vor der Versteigerung. Corona-Leugner und Verschwörungsgläubige treffen sich auf dem Gelände um ihr visionäres Dorf zu planen … endstationrechts

Krieg in Europa? Ob wir es nun wahrhaben wollen oder nicht: Ein großer Krieg in Europa ist nicht ausgeschlossen, auch wenn ihn niemand will. Die Gründe liegen eher in der Psychologie als in der Politik … scilogs

Windkraft-Akzeptanzstudie: Gäste und Tagesausflügler akzeptieren Windkraft-Ausbau im Sauerland … ihkarnsberg

Zwischen Seelentrost und Menschheitsdämmerung: sechs Bücher über beinahe alles … revierpassagen

Heute vor 81 Jahren


Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005

Heute vor 81 Jahren begann der „Hakenkeuzzug“ gegen die Sowjetunion [1], und ich möchte Ihnen meine neue Datei zur „Sonderbehandlung“ der Bürger*innen aus der UdSSR an Herz, Verstand und Seele legen.

Ich habe sie für Michael Schwarz, Jelena Kekachina, Maria Markielowa, Halina Wolkow und all die Anderen [2] geschrieben und freue mich besonders über die Veröffentlichung „auf LISA“ unter „Zu Wewelsburg“ [3] und „Kennzeichen ,OST‘“ [4].

Ansonsten möchte ich an diesem für mich in diesem Jahr aus mehreren Gründen ganz besonders schmerzhaften Jahrestag nur auf drei Bücher hinweisen. Sie begleiten mich seit vielen Jahren, und mit dem letztgenannten bin ich groß geworden; es gehört auch zum Erbe meiner Eltern:


Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
  1. Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005
  2. Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
  3. Wolfgang Borchert: „Das Gesamtwerk“, Hamburg 1949

„Wenn sie Dir morgen befehlen, … dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ (S. 318 ff.)

„Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot.

Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter.

Warum nicht, fragte der Soldat.“ (S. 317)

„Wenn sie Dir morgen befehlen, …

dann gibt es nur eins:

Sag NEIN!“

Anmerkungen:

[1] Wolfram Wette: „Der Hakenkreuzzug“, in „DIE ZEIT“ Nr. 24 vom 10.6.2021 auf http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/PB2021/ZEIT20210610S19WetteHakenkreuzzug.pdf

und von heute:

Peter Bürger: „Die ,Auserwählten‘ in Rußland. Christliche Soldaten der Wehrmacht – eine Erinnerung zum 81. Gedenktag des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/die-auserwaehlten-in-russland/

[2] siehe Ende der Datei auf http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Links/NTK-Art-299.Sonderbehandlung1942.F-A.Kaslow-E.Skosarecy-M.Markielowa-u-H.Wolkowa.pdf

[3] https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/zur_wewelsburg?nav_id=10163

[4] https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/das_kennzeichen_ost_und_der_internationale_frauentag?nav_id=10429

Umleitung: Krieg, Buch, Depression, Mastodon, Fußball & Literatur, Bahn, Verbraucherzentrale und erneut ein Unfall im Bikepark Winterberg.

Heute Morgen um 7:45 Uhr in Niedersorpe. Wer als Radfahrer im Hochsauerland den Motorrädern ein Schnippchen schlagen will, sollte losfahren, bevor die Biker gefrühstückt haben. Danach kann es nicht nur im Sorpetal ungemütlich werden. (foto: zoom)

Scholz: Mit Putin oder gegen ihn? … postvonhorn

Buchpräsentation: Das große Beginnergefühl – Wien, Berlin, Stroheim, Kassel … misik

Depressionen sind keine Einbildung: Für Außenstehende sind Depressionen oft schwer nachzuvollziehen. Für die Betroffenen ist es schwierig zu erklären was mit ihnen los ist. Was wirklich im Gehirn passiert und wieso eine Depression mehr ist als nur ein bisschen Traurigkeit … scilogs

Mastodon – Fazit nach 2 Monaten: Im April haben ich mich bei Mastodon angemeldet und dieses Schritt bis heute nicht bereut. Ganz im Gegenteil, ich habe dort mein Social-Media-Zuhause gefunden. Tolle Menschen, Interaktion ohne Ende, gute Diskussionen und eine interessante Timeline, die nicht von einem Algorithmus gesteuert wird … jansenspott

Ein gelungener Pass ist wie ein gelungener Satz: Was Fußball und Literatur verbindet … revierpassagen

Von elektrischen Zügen und elektrischen Autos: Kaum gibt es ein billiges Ticket für die Züge, da kaufen sich Millionen Menschen(!) eines. Der sonst typische Pfingststau wird zu einem Bahnstau und alle gucken irritiert … unkreativ

Verbraucherzentrale startet Online-Angebot für Fragen rund um Energie: Steigende Energiepreise und der Wunsch vieler Verbraucher nach klimafreundlichen Lösungen führen aktuell der Verbraucherzentrale NRW zu einer großen Nachfrage nach Energieberatung. Um möglichst viele Ratsuchende kompetent und kurzfristig zu informieren, startet nun ein neues Online-Beratungsformat … doppelwacholder

Gefährliches Hobby: Erneut Unfall im Bikepark Winterberg … polizeihsk

Sexueller Missbrauch im Bistum Münster: Mindestens 196 Kleriker beschuldigt

Forschungsteam legt Ergebnis einer Studie der Jahre 1945 bis 2020 vor / Vorwurf des „massiven Leitungsversagens“

Das Team der Aufarbeitungsstudie (v.l.): Dr. Bernhard Frings, Prof. Dr. Thomas Großbölting, Dr. Natalie Powroznik, Dr. David Rüschenschmidt und Prof. Dr. Klaus Große Kracht (Foto: © WWU – Michael Möller)

In der Zeit von 1945 bis 2020 sollen mindestens 196 Kleriker aus dem Bistum Münster sexuellen Missbrauch an Minderjährigen begangen haben – konkret handelte es sich um 183 Priester, einen ständigen Diakon und 12 Brüder einer dem Bischof lange Zeit unterstellten Ordensgemeinschaft.

(Pressemitteilung WWU Münster)

Dies ist das zentrale Ergebnis einer im Jahr 2019 begonnenen Studie, die ein Wissenschaftsteam der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster am Montag (13. Juni) vorgestellt hat. „Die Bischöfe und andere Verantwortliche in der Bistumsleitung wussten über die Taten zum Teil ausführlich Bescheid“, betont Prof. Dr. Thomas Großbölting, der mit Prof. Dr. Klaus Große Kracht hauptverantwortlich für die Studie ist. „Nicht erst seit dem Jahr 2010 – als der Missbrauchsskandal in der deutschen Öffentlichkeit hohe Wellen schlug – war ihnen in vielen Fällen bekannt, dass Priester des Bistums Münster Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene sexuell missbraucht haben.“

Bezogen auf die Gruppe der Priester macht die Zahl von 196 Beschuldigten rund vier Prozent aller Priester in der Diözese zwischen 1945 und 2020 aus. Bei fünf Prozent der Täter könne man von „Serientätern“ sprechen, da sie für mehr als zehn Taten verantwortlich seien. Die Zahl der Betroffenen liegt den Wissenschaftlern zufolge bei mindestens 610 Personen, wobei das Dunkelfeld „erheblich höher“ liegen dürfte – die Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Zahlen acht bis zehn Mal höher liegen. Viele der Betroffenen erlebten wiederholt sexuellen Missbrauch durch die Täter, in 43 Fällen habe es „starke körperliche Gewalt“ gegeben. Die psychischen und physischen Folgen der Tat begleiteten und begleiten sie oft ihr Leben lang. Etwa drei Viertel der Betroffenen waren männlich, ein Viertel weiblich. Häufig besaßen sie über den Ministrantendienst oder andere Gruppierungen eine enge kirchliche Bindung, die die Täter skrupellos ausnutzten.

Die Forscher fanden bei ihrem Aktenstudium heraus, dass ein Großteil der beschuldigten Geistlichen lediglich versetzt wurde, ohne in ihren seelsorglichen Tätigkeiten eingeschränkt zu werden. „Die erschreckende Bilanz lautet, dass bis über das Jahr 2000 hinaus die Personalverantwortlichen des Bistums Münster ihrem Wächteramt im Hinblick auf den sexuellen Missbrauch durch Kleriker der Diözese nicht gerecht geworden sind“, unterstreicht Klaus Große Kracht. „Sie haben vertuscht, geschwiegen und lediglich vordergründig eingegriffen, wenn es darum ging, einen öffentlichen Skandal zu vermeiden. Die Betroffenen hatten sie nicht im Blick.“

Dieses „massive Leitungsversagen“ betrifft demnach die Amtszeiten der Bischöfe Michael Keller (1947 – 1961), Joseph Höffner (1962 – 1969), Heinrich Tenhumberg (1969 – 1979) und Reinhard Lettmann (1980 – 2008) gleichermaßen. Selbst unter Bischof Felix Genn (seit 2009) brauchte die Bistumsleitung zunächst eine gewisse Zeit, bis sie gegen Missbrauchstäter in den eigenen Reihen so rigoros und unzweideutig vorging, wie es in den vergangenen Jahren zum Standard im Bistum Münster geworden ist.

Die Forscher der Universität Münster – eine Sozialanthropologin und vier Historiker – zeichnen das Ausmaß wie auch die Entwicklung und Auswirkungen des sexuellen Missbrauchs im Bistum Münster anhand von zwölf Fallbeispielen, einer quantitativen Bilanz sowie einer Untersuchung verschiedener Akteursgruppen nach, die mit dem Wissen um den Missbrauch im Bistum Münster in Kontakt kamen. Darunter befinden sich die Gruppe der Therapeuten sowie die sogenannten Bystander, also jene Personen, die in den jeweiligen Gemeinden über die Missbrauchsvorwürfe Kenntnis hatten, aber nicht einschritten. Daran könne man, berichten die Wissenschaftler, nicht nur die lange Zeit „feste Verankerung der Pastoralmacht der Priester, sondern auch die Bedeutung des Klerikalismus von unten“ erkennen. Zudem beleuchteten die Wissenschaftler in ihrer Analyse die inneren Machtverhältnisse und Kommunikationsstrukturen in der Bistumsleitung, die in vielen Fällen die Vertuschung erst möglich gemacht haben.

Freier Download der Studie

Die Forscher betonten, dass sie die kirchlichen Akten des Bistums ungehindert einsehen konnten und mit zahlreichen Betroffenen gesprochen haben. Die Studie steht unter folgender Adresse zum freien Download zur Verfügung: https://go.wwu.de/aubim-studie.

Die Wissenschaftler haben die Ergebnisse ihrer Forschung in zwei Büchern vorgelegt. (Foto: © WWU – Michael Möller)

Zudem haben die Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Forschung in zwei Büchern vorgelegt:

Bernhard Frings/Thomas Großbölting/Klaus Große Kracht/Natalie Powroznik/David Rüschenschmidt: Macht und sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche. Betroffene, Beschuldigte und Vertuscher im Bistum Münster seit 1945, Freiburg i. Br.: Herder 2022, 589 Seiten.

Thomas Großbölting: Die schuldigen Hirten. Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, Freiburg i.Br.: Herder 2022, 288 Seiten.

Zur Studie

Das Projekt, das die Jahre 1945 bis 2020 umfasst, begann am 1. Oktober 2019. Die Initiative für die auf zweieinhalb Jahre angelegte Studie ging vom Bistum Münster aus, das dafür rund 1,3 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Hauptverantwortlich für die Studie sind Prof. Dr. Thomas Großbölting (ehemals Universität Münster, jetzt Forschungsstelle für Zeitgeschichte der Universität Hamburg) und Prof. Dr. Klaus Große Kracht (Universität Münster). Ein achtköpfiger Beirat begleitet die Forschung und berät bei der Beachtung wissenschaftlicher und juristischer Standards. Auch drei Betroffene, darunter der Initiator einer Selbsthilfegruppe, sind vertreten.

Wenn Sie Fragen zum Projekt haben oder als Betroffener oder Zeitzeuge Informationen weitergeben möchten, nutzen Sie bitte folgende email-Adresse: missbrauchsstudie@uni-muenster.de oder wenden Sie sich persönlich an einen der Mitarbeiter*innen des Forschungsprojektes.

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