Verliebt in unser Grundgesetz – Dr. Matthias Burchardt von der Universität Köln über PISA, einem „Projekt“ der OECD: „Was kommt in den Blick, und was verschwindet?“

In den letzten Tagen wurden viele Artikel geschrieben und Reden gehalten zum 70. Geburtstag unseres Grundgesetzes am 23.Mai. Eine der wichtigsten und schönsten hielt heute Matthias Burchardt in der „Redezeit“ am 4.6.2019 auf WDR 5 (1), und eigentlich möchte ich nur dieses Interview mit Achim Schmitz-Forte empfehlen, das man unter

https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/193/1932213/wdr5neugiergenuegtredezeit_2019-06-04_wasbringtpisawirklichmatthiasburchard_wdr5.mp3

nachhören kann. Denn wenn jemand in so kurzer Zeit so viele interessante Fragen stellt und Fakten darlegt, ist es unmöglich, eine wirklich gute Auswahl zu treffen. Aber eine Frage entspricht so dermaßen meinem so oft wiederholten „Was ist von wem geblieben?“ (2), daß ich sie doch hier weitergeben möchte: „Was kommt in den Blick, und was verschwindet?“

Und vielleicht doch noch einige Zitate aus der Laudatio auf unser Grundgesetz und auf Bildung:

„Es gibt christliche Wurzeln. Es gibt antike, es gibt jüdische Wurzeln. Ich möchte vor allem den Begriff der Aufklärung ganz stark machen – das liegt mir so am Herzen, gerade in den Zeiten von ,fake news’ und all dem ganzen Kram -: Wage, Dich Deines eigenen Verstandes ohne die Anleitung eines Anderen zu bedienen. Und vor allem: Befreie Dich von der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Weil: Es gibt überall Vormünder, also es hat Autoritäten, die Dir die Freiheit abkaufen möchten und es Dir leicht machen möchten, weil Du zu faul oder zu feige bist,von Deinem Verstand Gebrauch zu machen. Also all diese Aspekte. Und dann bitte auch den Humboldt mit, mit der Entwicklung aller Kräfte des Menschen zu einem Ganzen. Das bildet das Fundament unserer Bildungsvorstellung, und das läuft der OECD völlig zuwider.

Sie haben nach den Interessen gefragt, und da ist es vielleicht ganz interessant: Welches Bildungsverständnis propagiert denn die OECD? Und für sie ist der Mensch ,Human-Kapital’. Da geht’s also darum, daß ich Investitionen in bestimmte Fähigkeiten tätigen muß, um mich auf dem Markt der Lebenschancen irgendwie zu bewähren. Und da ist das Maß für gelungene Bildung nicht das Mensch-Sein oder die Entwicklung von Individualität, sondern die Anpassung an Nachfrage/Angebot-Konstellationen. Und da -würde ich sagen – ist eine harte Zäsur markiert. Und Ihre Kritikwürde ich völlig teilen: Es ist ein Drama, daß wir es nicht geschafft haben, [Bildung] allen Menschen zugänglich zu machen. Aber dann würde ich sagen: Lassen Sie uns doch den Bildungsbegriff ausweiten – und nicht ersetzen durch einen, der wesentlich zynischer ist als das, was wir vorher hatten. …

Sehr gute Frage – tatsächlich – , weil wir ja eigentlich unter demokratischen Bedingungen davon ausgehen sollten, daß politische Veränderungen veranlasst werden durch den Souverän. ,Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.’ Ja? Herzlichen Glückwunsch, liebes Grundgesetz. Ich bin verliebt in Dich und gerade in diesen Satz.

Wenn er nämlich stimmen würde, wäre der Ursprung von Bildungsreformen sozusagen die Menschen, die diskutieren würden im öffentlichen Raum: Lehrerinnen, Lehren, Eltern und so weiter. Und da hätte die OECD keinen Platz; die kommt in unserem Grundgesetz nicht vor. Und insofern muß sie Maßnahmen ergreifen, die man wissenschaftlich beschreibt unter dem Begriff ,soft-governments’, eine Form ,weicher Regierung’, d.h. die Einflussnahme auf nationale Gesetzgebungsverfahren unter Umgehung der demokratischen Verfahren, die dort eine Rolle spielen.

Wie schafft es die OECD, Einfluß zu nehmen, wenn sie tatsächlich nicht vorkommt im Grundgesetz und dort zuständig ist für Bildungsfragen? Die Kollegen des Sonderforschungsbereich 597 der Universität zu Bremen haben erforscht, wie diese Wege der weichen Regierung, der ,soft-governments’, genau verlaufen, und da werden vor allem zwei benannt:

das Eine ist das Schaffen von Ideen, von neuen Vorstellungen. Das heißt: Die Denk- und Redeweisen von Bildung haben sich massiv verändert; wir sprechen von Wettbewerb, Standortnachteilen und Konkurrenz;

und das Zweite ist das ,Standard-setting’, das heißt das Etablieren von Zielvorgaben, denen sich die Politik fügen muß. Es ist dann frei, wie sie die erfüllt; aber sie darf selber nicht mehr bestimmen: Was sind eigentlich die Ziele? Und damit auch der Souverän, das Volk, gewissermaßen ausgehebelt.“

25 Minuten und 20 Sekunden für Bildung und unser Grundgesetz, von dem ein Artikel so selten erwähnt wird: „Forschung und Lehre sind frei.“

Matthias Borchardt: „Wissen sedimentiert sich und schafft Horizonte der Weltbetrachtung …“ (3)

Hans Roth: „Mit einem Hinweis auf Artikel 5 Absatz 3 GG verabschiede ich mich.“ (4)

Und jetzt kommt noch eine Liebeserklärung von mir:

Artikel 5, Absatz 3 GG heißt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Welche Ehre und Freude, aber auch welche Verpflichtung und wie viel Arbeit ist mit der Tatsache verbunden, Bürger unseres Staates zu sein, der solch ein schönes Buch wie das Grundgesetz seine Verfassung nennt! Wie schade, daß „der Ball“ eben nicht rund ist!

Anmerkungen:

(1) https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-neugier-genuegt-redezeit/audio-was-bringt-pisa-wirklich—matthias-burchard-100.html

(2) siehe auf der Liste meiner Artikel auf http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Links/Artikel-N-T-K20190516.pdf die Artikel Nr. 17, 19, 22, 27, 44, 53 („Von Nachlässen und möglichen Projekten“), 132, 133, 149 und 157

(3) „Das heißt: Ich vergesse zwar binomische Formeln, aber ich habe vielleicht eine erogene Zone für Zahlen, und mir erschließen sich mathematische Verhältnisse in der Welt, weil ich es einmal gelernt habe. Es geht um diese Horizontbildungen.“; siehe dazu: „Zeugnisse –für wen?“ auf http://afz-ethnos.org/index.php/aktuelles/75-zeugnisse-fuer-wen

(4) in seiner Erklärung vom 1.7.2009; in „Der Freiherr und der Citoyen“, Erstes Buch, S. 88 (http://berufsverbote.de/tl_files/HR/Freiherr-Citoyen1.pdf). Was ist von wem geblieben? (Und bei Kant muß ich eben immer an Hans Roth denken, der ihn so oft zitierte: „Alle auf das Recht anderer Menschen bezogenen Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind Unrecht.“ (Zum ewigen Frieden, Nachwort)

„Ganz oberflächlich geht’s um Geld. Der Soziologe Richard Münch hat ein ganz großartiges Buch veröffentlicht im letzten Jahr, das heißt ,Der bildungsindustrielle Komplex’. Und da zeigt er sehr schön –also Sie werden die Andeutung verstehen; es gibt ja auch natürlich den militärisch-industriellen Komplex’, so als Diktum – daß da Testindustrie und internationale Organisationen ein unglaubliches Geschäftsfeld entdeckt haben.“

Matthias Burchardt in der „Redezeit“ am 4.6.2019 auf WDR 5, nachzuhören auf
https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/193/1932213/wdr5neugiergenuegtredezeit_2019-06-04_wasbringtpisawirklichmatthiasburchard_wdr5.mp3

„Auch in Rüthen gab es Zwangsarbeiter“ (Der Patriot, 26.4.2019)
Bitte um gemeinsame Suche, auch in Rüthen (1)

Aufruf zum Forschen: Zwangsarbeiter in Rüthen. (Collage: Nadja Thelen-Khoder)

Mir wurde der Zeitungsartikel „Auch in Rüthen gab es Zwangsarbeiter. Hermann Krämer hofft auf Erinnerungen aus der Bevölkerung, um mehr über diese Geschichten zu erfahren“ von Christian Ziemke gleich mehrfach von Bürgern aus der Umgebung zugeschickt, und auch ich hoffe so sehr auf gemeinsame Erarbeitung unserer Geschichte(n).

Deswegen habe ich meine Funde aus Bad Arolsen, die ich bereits in Dateien veröffentlicht habe, zusammengefaßt und wäre glücklich, wenn sie zur weiteren Suche von möglichst vielen genutzt würden:

„ ,Auch in Rüthen gab es Zwangsarbeiter’. ,Der Patriot’, 26.4.2019“
http://www.hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/152_Auch_in_R%C3%BCthen_gab_es_Zwangsarbeiter.pdf

Mit herzlichen Grüßen

Nadja Thelen-Khoder

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Anmerkung:

(1) vgl. „ ,Art der Krankheit: Auf der Flucht erschossen’. Bitte um gemeinsame Suche, auch in Siedlinghausen“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/08/Siedlinghausen.pdf

Für Fritz Bauer und Ilona Ziok. Zum „Dreher-Gesetz“ von 1968

„Fritz Bauer. Tod auf Raten“ heißt das Meisterwerk von Ilona Ziok von  2010. (Filmplakat CV Films)

Am 14. April 2019 hieß ein Beitrag in „Titel Thesen Temperamente“ der ARD „Thriller um einen deutschen Justizskandal. ,Der Fall Collini’ nach Ferdinand von Schirach im Kino“. Zur Sendung steht geschrieben:

„1968 wurde das sogenannte Dreher-Gesetz vom Deutschen Bundestag beschlossen. Eduard Dreher, zur Nazizeit als Staatsanwalt tätig, hatte als hoher Ministerialbeamter ein Gesetz verfasst, das zahlreiche Kriegsverbrechen als Totschlag und nicht als Mord bewertete – wodurch viele Taten von Nazi-Tätern auf einmal als verjährt galten und straffrei blieben. Ein Justizskandal, der Pate für die Verfilmung dieser Geschichte stand.“

Dem „Filmtipp“ („Der Fall Collini. Drama, Thriller, Deutschland 2019, Regie: Marco Kreuzpaintner, mit Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach und anderen, FSK: 12 Jahre, ab 18. April im Kino) will ich einen weiteren hinzufügen.

Den Filmen „Der Staat gegen Fritz Bauer“, „Die Akte General“ und „Im Labyrinth des Schweigens“ ging ein Film voraus: „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ heißt das Meisterwerk von Ilona Ziok von 2010. Der international hoch gerühmte Film (2), den man in Deutschland nicht „normal“ kaufen kann (3), beinhaltet die Kapitel „Adolf Eichmann“, „Der Remer-Prozess“ und „Ernst Achenbach“; über den Coup von Eduard Dreher wird ausführlich berichtet. Auf den Seiten zum Film (4) läßt sich vieles nachlesen.

Und ich werde nicht müde, die kleine aber feine Schrift des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer zu bewerben, dem wir unter anderen die Gerichtsverhandlung gegen Adolf Eichmann (und damit Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“) und den Auschwitz-Prozeß zu verdanken haben (und so vieles Andere mehr):

Fritz Bauer: „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“, Frankfurt am Main 1965.

Auch dieses Büchlein war ein halbes Jahrhundert lang nicht „normal“ im Buchhandel zu kaufen, ist aber inzwischen neu bei der Europäischen Verlagsanstalt erschienen.

Dies ist eine Liebeserklärung an Fritz Bauer und Hannah Arendt und an das Filmteam: Buch und Regie Ilona Ziok, Schnitt Pawel Kocambasi, Schnittassistenz Olmo Pini und Carolin Mader, Kamera Jacek Blawut, Ton Manuel Göttsching, Mischung Hansi Jüngling, Produktionsleitung Myriam Abeillon, Dokumentation Dr. Thymian Bussemer, Redaktion SR Dr. Michael Meyer und Andrea Etspüler (Der Film ist eine CV Films Produktion in Koproduktion mit dem Saarländischen Rundfunk), Produzenten Manuel Göttsching und Ilona Ziok.

Institutionen kann man nicht lieben, aber ihnen danken. Als Partner werden auf der Internetseite genannt: Informations- und Presseamt der BRD, Friedrich Ebert Stiftung, Otto Brenner Stiftung, Hessische Filmförderung, Filmstiftung und Saarländischer Rundfunk.

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Anmerkungen:

(1) https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/schirach-fall-collini-100.html
(2) https://www.berlinale.de/external/de/filmarchiv/doku_pdf/20106770.pdf
(3) zu bestellen bei CV Films, Postfach 330152, 14171 Berlin, 030 / 23627167, cvfilmsberlin[at]aol.com
(4) http://www.fritz-bauer-film.de/ge/index.htm

„NS-Verbrechen an Zwangsarbeitern im Sauerland 1945 – LWL gräbt nach Spuren der über 200 Ermordeten“.

Pressetermin am Freitag, 8. März 2019 um 11 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses in Warstein (Dieplohstraße 1).

Am 20., 21. und 22. März 1945 erschossen und erschlugen deutsche Soldaten 208 völlig wehr- und arglose sowjetische und polnische Männer, Frauen und Kinder, die sie zu diesem Zweck aus zwei „Ostarbeiterlagern“ (der Schule in Suttrop im damaligen Landkreis Lippstadt, Amt Rüthen, und dem „Ostarbeiterlager Herrenberg“, heute „Sauerlandhalle“ in Warstein im damaligen Landkreis Arnsberg) unter falschen Vorwänden, also heimtückisch, herausgeholt hatten.

(Näheres siehe Datei „Pressetermin am Freitag, 8. März 2019 um 11 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses in Warstein (Dieplohstraße 1)“ auf
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/02/142.-Pressetermin-am-8.3.2019-um-11-Uhr.pdf)

Nach den drei Massakern an drei aufeinander folgenden Tagen im Langenbachtal, im Körtlinghausener Forst und auf der Eversberger Kuhwiese (Landkreis Meschede) wurde das „Gemeinschaftslager Herrenberg“ mit mehreren hundert Menschen in Brand gesetzt und brannte bis auf die Grundmauern nieder; den französischen Kriegsgefangenen gelang es, ihre sowjetischen Kameraden, die hinter eigens für sie verrammelten Türen zu verbrennen drohten, zu befreien.

Nach den Funden von 1945 (1), 1947 (2) und 1964 (3) – von denen mir bisher niemand sagt, was mit ihnen gemacht wurde bzw. wo sie geblieben sind – findet nun ein Pressetermin zu den Funden von 2018 statt:

„NS-Verbrechen an Zwangsarbeitern im Sauerland 1945 LWL gräbt nach Spuren der über 200 Ermordeten“.

So steht es auf der Seite des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (4). Und weiter:

„Die Forscher stießen sowohl auf die persönlichen Habseligkeiten der Opfer, als auch auf die Werkzeuge der Täter. Die Funde zeugen nicht nur von den letzten Stunden im Leben der Ermordeten, sondern geben auch Aufschlüsse über den genauen Ablauf der grausamen Taten.

Vor Ort berichten wir über die neuesten Recherche-Ergebnisse und zeigen Ihnen eine Auswahl der archäologischen Funde.“ (4)

Es stünden „zur Verfügung Matthias Löb, LWL-Direktor, Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, LWL-Kulturdezernentin, Dirk Wiese, Russlandbeauftragter der Bundesregierung, Dr. Thomas Schöne, Bürgermeister Stadt Warstein, Christoph Weber, Bürgermeister Stadt Meschede, Dr. Manuel Zeiler, LWL-Archäologie für Westfalen, und Dr. Marcus Weidner, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte.“

Text: Die „verschwundene“ Stele am Friedhof der 57 Ermordeten (5)

„Im Anschluss an den Termin im Rathaus besuchen wir einen der drei Tatorte in Suttrop. Ein Teil der Opfer war hier bestattet und wurde 1964 auf den Waldfriedhof ,Fulmecke’ in Meschede umgebettet. Der Friedhof ist die dritte Station des Pressetermins. Die Stadt Meschede plant eine Umgestaltung der Kriegsgräberstätte, die erinnerungspolitisch und historisch außergewöhnlich ist.“

Text: Grabstein von Valentina und Nina Woronina; siehe „Eine Familie stirbt“ (6)

„Ein Teil der Opfer war hier bestattet.“ Warum kann ich solche Formulierungen kaum mehr ertragen? 57 Ermordete waren dort in Einzelgräbern begraben und eine Stele sprach von Mord. 1964 wurden sie durch den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ nach Meschede „umgebettet“, wo kein Einzelgrab mehr von ihnen zu sehen ist.

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Anmerkungen:

(1) siehe die Eidesstattliche Erklärung des Bürgermeisters von Suttrop vom 7.9.1946 (2.2.0.1/82413822, ITS Digital Archive, Bad Arolsen)
(2) siehe die Exhumierungsberichte von Dr. Petrasch vom 28. und 29.3.1947 [2.2.0.1/82416675 (2 Seiten) und 82416678 (1 Seite)] sowie des Amtsdirektors von Meschede vom 31.3.1947 [2.2.0.1 / 82416677 (2 Seiten)]
(3) „Nachlässe der ermordeten sowjetischen Zwangsarbeiter gefunden: 1945, 1947, 1964 und 2018. Aus den Prozeßakten (Arnsberger Prozeß von 1957/1958)“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/12/133.-Nachl%C3%A4sse-ermordeter-sowjetischer-Zwangsarbeiter-1945-1947-1964-2018.pdf
(4) https://www.lwl.org/pressemitteilungen/nr_mitteilung.php?urlID=47233
(5) „Eine ,verschwundene’ Stele ruft. ,Ein Fund größeren Ausmaßes’“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/12/130.-Habseligkeiten.pdf
(6) http://www.zug-der-erinnerung.eu/download/137.%20Eine%20Familie%20stirbt.pdf; zum „Zug der Erinnerung“ siehe https://www.youtube.com/watch?v=FtVY2oES4G4

Bücher zur Vorbereitung auf den 8. März 2019 in Warstein, Suttrop und Meschede:

1. Peter Bürger / Jens Hahnwald / Georg D. Heidingsfelder: „Sühnekreuz Meschede. Die Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte eines schwierigen Gedenkens“; Norderstedt 2016 (edition leutekirche sauerland 3; erweiterte Buchausgabe von „Zwischen Jerusalem und Meschede“)

2. Nadja Thelen-Khoder: „Der ,Franzosenfriedhof’ in Meschede. Drei Massaker, zwei Gedenksteine, eine „Gedenktafel“ und 32 Grabsteine. Dokumentation einer Spurensuche“; (Norderstedt 2018 (edition leutekirche sauerland 14).

Das letzte Kapitel als eigene Datei „XII. Gewissen heißt ,conscience’“ auf http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Pbab2018/NTK2018-XII.Gewissen-heisst-conscience.pdf

Nebel im August

Gestern lief der hervorragende Film „Nebel im August“ von Kai Wessel im Fernsehen, den es schon lange als DVD zu kaufen gibt.

DVD mit Begleitheft (fotos: thelen-khoder)

Der DVD liegt ein Begleitheft bei.

Zeittafel 1933 – 1945

Gedreht wurden die Szenen in Schlaf- und Speisesaal in der „Westfälischen Klinik für Psychiatrie“ in Warstein, kurz LWL-Klinik, der ehemaligen ,Provinzialheilanstalt Warstein“ und „Provinzialheilstätte Stillenberg“.[1]

Dr. Werner Veithausen (Sebastian Koch) und Schwester Sophia (Fritzi Haberlandt) © Studiocanal / Bernd Spauke
Still aus „Nebel im August“

Von Warstein aus wurden 1575 Menschen u.a. nach Weilmünster und Hadamar deportiert, von denen die ersten 21 Juden waren.[2]

Es folgten u.a. Ernst Putzki aus Hagen und Natalia Tarutina („Ostarbeiterin“)[3].

Andere „Ostarbeiter“, die bereits selbst an Tuberkulose erkrankt waren, wurden an die „Provinzialheilstätte Stillenberg“ über Arbeitsämter (z.B. in Lüdenscheid und Siegen)vermittelt, um dort mit dieser hochinfektiösen Krankheit als „Küchenhilfe“ oder „Putzhilfe“ zu arbeiten. Einige von Ihnen liegen auf dem „Russischen Ehrenfriedhof des Anstaltsfriedhofes“[4].

Michail Woronin, der ebenfalls dort liegt, gehört auch zum „Franzosenfriedhof“ in Meschede, wo seine Frau Nina und seine Tochter Valentina liegen.[5]

Nebel, nicht nur im August …


und

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[1] „Suttrop II. Zum Russischen Ehrenfriedhof der LWL-Klinik“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/05/65.-Suttrop-II.-Zum-Russischen-Ehrenfriedhof-der-LWL-Klinik.pdf

[2] „ ,Euthanasie’ in Warstein. Der erste Transport: 21 Juden nach Wunstorf“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/12/131.-Euthanasie-in-Warstein.pdf

[3] „ ,Euthanasie’ in Warstein. Rosa Löwenstein, Ernst Putzki, Pelaheja Babjuk, Anna Ilkiw, Taitjanna Kasa(n)kowa, Natalia Tarutina, Schenja Hunens oder Humena, Katharina Jermakowa, Helena Wendesle oder Wendisla. Neun von 1575 Menschen“
http://www.hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/139_Neun_von_1575_Menschen.pdf

[4] „Die Grabsteine auf dem ,Russischen Ehrenfriedhof des Anstaltsfriedhofs’“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2017/11/Die-Grabsteine-auf-dem-Anstaltsfriedhof-klein.pdf

[5] „Eine Familie stirbt. Die Sterbeurkunden der Familie Woronin (StA Suttrop II und StA Meschede)“
https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/01/137.-Eine-Familie-stirbt.pdf

Anmerkungen zu Luther: Aus Fritz Bauers „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“, Frankfurt am Main 1965

Ein kleines, aber wichtiges Werk (bild: thelen-khoder)

Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer[1] hat sich zu Martin Luther geäußert. Im Folgenden ein kleiner Text zur Kölner Luther-Ausstellung. Siehe auch hier im Blog.

„Ganz im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern war der deutsche Protestantismus im Zeichen eines Bündnisses von Thron und Altar dem Thron gehorsam. Luther hat einen berühmten Bibeltext – abweichend von dem, was in England und Frankreich geschah – mit den Worten übersetzt: ,Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat; denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet; wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Ordnung.’ (Römer 13, 1ff.) Das ist die Weltanschauung und politische Sittenlehre, die man die Deutschen seit dem 16. Jahrhundert bis zum Nazismus gelehrt hat. Höchstes Gut der Erdenkinder ist die Obrigkeit.

Ganz ähnlich wie Luther dachten unsere Philosophen. …“

Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, über den Ilona Ziok ihren Film „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ drehte – das Meisterwerk, das an alle Schulen gehört, ebenso wie Fritz Bauers kleines 37seitiges Büchlein „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ – sagte:

„Das, was die Leute nicht hören wollen: daß es in unserem Leben eine Grenze gibt, wo wir nicht mehr mitmachen dürfen.“

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[1] „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ – Ein Film von Ilona Ziok

 

Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland …

Photo: Helmut Monzlinger, Warstein

„Dies sind ein paar Bilder, die ich mit dem Sauerland verbinde. Wald, Bier, Berge und Heißluftballons sind für mich die Sachen, die das Sauerland auszeichnen. Kurz und knapp. Das Sauerland ist einfach nur geil. Die Lied im Hintergrund ist ,Sauerland – mein Herz schlägt für das Sauerland’ von der Kultband Zoff aus dem Sauerland.“

So las ich zu einem Video zu Warstein (1), und seit den Grabungen der Archäologen im Langenbachtal (2) kann ich die Anfangszeile des Refrains nur mitsingen:

„Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland, …“

Die 71 erschossenen „Ostarbeiter“ (3) des Massakers im Langenbachtal, von denen jetzt weitere Habseligkeiten (4) gefunden wurden, liegen alle auf Meschedes Waldfriedhof, den viele „Franzosenfriedhof“ nennen, und wo bisher nur die Stele

Photo vom Oktober 2018. Wann wird die Stele restauriert?

die Wahrheit sagt. Wie dankbar bin ich dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe, dessen Archäologen nach dieser Wahrheit graben – und allen, die mir so viele Zeitungsausschnitte zugeschickt haben!

„Hier ruhen 27 sowjetische Bürger“ – der Massaker in Warstein und Suttrop am 20. bzw. 21.3.1945 im Langenbachtal bzw. im Körtlinghausener Forst.

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Anmerkungen:

  1.  https://www.youtube.com/watch?v=uAi7qJQELvQ
  2.  https://www.siegerlandkurier.de/siegen/fremdarbeiter-1945-warstein-erschossen-habseligkeiten-geborgen-arbeitet-10818520.html
  3.  siehe „Merkblatt für die Behandlung und den Arbeitseinsatz der Arbeitskräfte aus dem altsowjetrussischen Gebiet (Stempel: Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Dortmund)“ in „Der ,Franzosenfriedhof’ in Meschede“, Norderstedt 2018 (im ITS-Bibliothek-online-Katalog unter https://its-libcat.iserver-online2.de/objekt_start.fau?prj=its&dm=Bibliothekskatalog&ref=36145)
  4.  siehe „Eine ,verschwundene’ Stele ruft. ,Ein Fund größeren Ausmaßes’“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2018/12/130.-Habseligkeiten.pdf

Wenn Nazis auf der Tribüne johlen und ein Vater laut betet
Der NSU-Prozeß – ein Feature und ein Literaturhinweis

„Diesen Prozeß schüttelt man nicht ab. Der frißt sich nach einiger Zeit wirklich so in die Seele. Das ist so, als wenn sich das Gift Tröpfchen für Tröpfchen in die Haut brennt.“ (2)

Seit am 6.5.2013 der Prozeß gegen „den“ „Nationalsozialistischen Untergrund“ in der Bundesrepublik Deutschland begann, protokollierten ihn Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler – bis zur Urteilsverkündung am 438. Verhandlungstag am 11.7.2018.

„Dieser Prozeß hat so gezehrt. Er hat einem die Seele aus dem Leib gezehrt.“ (2)

Diese Protokolle sind als Buch erschienen: „Der NSU Prozeß. Das Protokoll“. WDR 5 sendete dazu in „Neugier genügt“ am 22.11.2018 (1) ein Feature, das auf der Seite heruntergeladen werden kann (2) – und sollte.

„In diesem Prozeß haben am Schluß Neonazis auf der Tribüne gejohlt. Und sie wurden kurz ermahnt vom Richter: ,Seien Sie still. Nicht, daß ich Sie am Ende noch ’rausschmeißen muß.’

Aber sie wurden nicht ’rausgeschmissen. Sie wurden nicht ’rausgeschmissen. Sie saßen da und johlten. Und unten saßen die Angehörigen.“ (2)

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Anmerkungen:

(1) https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/neugier-genuegt/fuenf-jahre-nsu-prozess-100.html
(2) https://wdrmedien-a.akamaihd.net/medp/podcast/weltweit/fsk0/178/1782542/wdr5neugiergenuegtdasfeature_2018-11-22_fuenfjahrensuprozess_wdr5.mp3
 
 

Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler
„Der NSU Prozess. Das Protokoll“
München 2018 (Verlag Antje Kunstmann, 2000 Seiten, 80 Euro)

„Fritz Bauer. Tod auf Raten“ – Ein Film von Ilona Ziok

By Dontworry [CC BY-SA 3.0 ], from Wikimedia Commons
„Fritz Bauer war der wohl profilierteste Staatsanwalt, den die Bundesrepublik je hatte. Er war engagierter Geburtshelfer der Demokratie, als sie sich aus den Abgründen der Diktatur erhob: In dem von ihm 1952 geführten Remer- Prozess erklärt ein deutsches Gericht den NS-Staat erstmalig zum Unrechts-Staat.

Mit derselben Zielgerichtetheit hat er die Aufhellung und Ahndung der NS-Verbrechen in Gang gesetzt. Als hessischer Generalstaatsanwalt war er der Initiator des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, als Verdrängung und Beschweigung noch an der Tagesordnung waren. Da er Zweifel hegte, dass die deutsche Justiz nachdrücklich genug die Auslieferung Adolf Eichmanns fordern und ihn wegen Mordes in vielen tausend Fällen anklagen würde, verriet er den Aufenthaltsort des berüchtigten ,Buchhalters der Endlösung’ an den israelischen Geheimdienst. Dadurch konnte Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt werden.“

So bewarb die Urania den Film „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ von Ilona Ziok auf Ihrer Internetseite.

Filmplakat (Copyright CV Films)

Ilona Zioks Film kann man nicht einfach kaufen, sondern muss ihn bei „CV Films“ direkt bestellen. Wann wird er in unseren Schulen als selbstverständliches Unterrichtsmaterial gezeigt und zusammen gelesen mit Fritz Bauers Text, dem „größte(n) lebende(n) Zeuge(n) … für ein besseres Deutschland“, dem „größte(n) Botschafter, den die Bundesrepublik hatte“, wie Robert Kempner, stellvertretender Hauptankläger der USA beim Nürnberger Prozeß, Fritz Bauer nannte.

Immer noch lesenswert: Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns (bild: thelen-khoder)

Wenn ein so großer Mensch seine Gedanken so knapp zusammenfasst, fällt es schwer, etwas herauszugreifen. Und so bitte ich Fritz Bauer um Entschuldigung, wenn ich ihn so zu Wort kommen lasse:

1. Zum „Heiligen Römischen Reich (Deutscher Nation)“
Unter VII. auf S. 17: „Tendenzen, die Freiheit abzuschaffen, gab es vor allem in Italien, in Deutschland, in Russland, in Spanien und in Portugal … Diese fünf Länder sind ehemalige Weltreiche, die aber den Anschluß an den modernen Imperialismus nicht gefunden oder verloren haben. Man könnte also ihren Rückgriff auf archaische Weltreichvorstellungen als Ersatz für das Scheitern ihrer imperialen Bestrebungen in der Neuzeit verstehen, als eine Art Cäsarentum, das sie dem modernen Kolonialismus der anderen Staaten entgegensetzten. Die faschisierten Länder West- und Osteuropas sind genau diejenigen, die sich als Erben des römischen Cäsarentums und berufen fühlten, das Weltreich der Cäsaren fortzusetzen.
In Westeuropa bestimmte während des ganzen Mittelalters die Idee des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation die große Politik. Die Deutschen glaubten, eine Mission zu haben, das römische Kaiserreich zu erhalten und fortzusetzen. Ähnliches finden wir in Osteuropa, in Rußland. Das römische Weltreich war zum Schluß geteilt; es gab einen westlichen Teil, dessen Mittelpunkt Rom war, und einen östlichen, dessen Zentrum sich in Byzanz befand. Das byzantinisch-römische Erbe wurde von den russischen Zaren übernommen. Ein guter Teil des russischen Nationalismus und der Vorstellung der Weltmission des Russentums hat hier seine Quelle. Auch Spanien und Portugals Geschichte stand im Bannkreis solcher Ideen, und Mussolini ist nie müde geworden, an das alte Rom zu erinnern.
Das alte Rom war cäsarisch, nicht demokratisch …“.

2. Zu „Ordnungssinn“ und „Sachlichkeit“
Unter X. auf S. 26f: „Die Deutschen wurden auf ihre sachliche Arbeit ausgerichtet. Dem Anspruch des Staates auf Machtentfaltung nach außen und innen entsprach die Forderung nach fragloser, mechanischer Disziplin des Untertanen. Hier galt die Ideologie ,Gesetz ist Gesetz’ und ,Befehl ist Befehl’, sie sicherte Präzision. Weltanschaulicher, moralischer und humanitärer Ballast machten nach der herrschenden Auffassung einen Staat schwach und anfällig. Theorie und Praxis einer doppelten Moral überwucherte – wo sie sich erst einmal breit gemacht hatte – zwangsläufig die zum privaten Gebrauch degradierte Ethik des einzelnen und machte die Bürger zu gefügigen Staatsbürgern, die, indem sie kritiklos den Machtapparat stützten, zu ihrer eigenen Entmachtung beitrugen. Das Gebot der Sachlichkeit schuf ausgezeichnete Beamte, ausgezeichnete Offiziere und ausgezeichnete Handwerker und Arbeiter. Sie funktionierten besser, reibungsloser und widerstandsloser als die Beamten, Offiziere, Handwerker und Arbeiter anderer Länder. Die Präzision, die roboterartige Tüchtigkeit geschah aber auf Kosten des Menschlichen. Das Moralische wurde hintangestellt. Man tat seine Pflicht. Nun ist zwar Pflichterfüllung etwas Schönes und Großes, aber es gibt nicht nur eine Verpflichtung gegenüber der Sachaufgabe, die gestellt ist, sondern auch gegenüber den Menschen.
Es gab einen Dichter in Deutschland, der schon vor über einem Jahrhundert bitter darüber geklagt hat. Hölderlin litt und zerbrach. In seinem Hyperion lesen wir:

,Handwerker siehst du, aber keine Menschen,
Denker, aber keine Menschen,
Priester, aber keine Menschen,
Herren und Knechte, aber keine Menschen.’

Der Deutsche fühlte sich stets verantwortlich für seine Arbeit, er ging in ihr auf, aber die öffentlichen Dinge, das Politische im weitesten Sinne, das alles Zusammenleben zu Hause und mit den Menschen jenseits der Grenzen umfaßt, waren ihm ,ein garstiges Lied’, in das einzustimmen er ablehnte. Er folgte nicht nur im Sinne handwerklicher Tüchtigkeit der Maxime ,Schuster bleib bei deinem Leisten’. Im Dritten Reich haben wir erlebt, daß die Generäle groteskerweise zu erklären pflegten, sie seien Generäle und Offiziere, aber keine Politiker. Die Politik überließen sie Hitler. Für sie, sagten sie, trügen sie keine Verantwortung. Das waren Generäle, aber keine Menschen.
Man hat oft zwei Typen europäischer Menschen unterschieden; der eine Typus denkt vorzugsweise an Ordnung, der andere an Freiheit. Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch, Justizminister der Weimarer Republik, …, schrieb einmal, dem Menschen mit Ordnungssinn verdankten wir Großes; er könne aber zuzeiten zu kulturbedrohender Übertreibung neigen. …“

Ernst Klees „Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945“ führt sehr viele deutsche Juristen auf – Fritz Bauer aber nicht. Er war es vor 1933 und nach 1945, aber während des häufig immer noch mit dem Propagandawort der Nazis bezeichneten „Dritten Reiches“ war der Hessische Generalstaatsanwalt eben „nichts“, war ein Flüchtling.

Weil er wusste, vertrat, lebte, vorlebte und uns allen ins Stammbuch schrieb, „dass es in unserem Leben eine Grenze gibt, wo wir nicht mehr mitmachen dürfen.“

Fritz Bauer:

„Eine Politik im Dienste des Rechts eines jeden auf Glück wird aber nicht nur in politischen Zirkeln, durch Diskussionen und Wahlen getrieben. Jede Stunde des Alltags gibt allen Gelegenheit dazu, zu Hause, bei der Arbeit, auf der Straße, im Umgang und in Zusammenarbeit mit den Menschen aller Stände, Rassen und Weltanschauungen. Goethe hat einmal gesagt: ,Der Zweck des Lebens ist das Leben selbst.’ Leben meint Leben und Lebenlassen, heißt das Leben und alle Menschen lieben. Das ist, gerade weil es mitunter recht schwerfällt, jedenfalls heroischer, als die Menschen zu quälen, zu plagen und totzuschlagen.“

Zum 115. Geburtstag von Fritz Bauer stellt „CV Films“ ihren Film „Fritz Bauer. Tod auf Raten“ von Ilona Ziok (Weltpremiere 2010 auf der Berlinale, mehrfach ausgestrahlt von 3SAT, PHOENIX und dem SWR in Deutschland und auf vielen internationalen Festivals und TV-Sendern, bis zur kommenden Sonntagnacht kostenlos auf YouTube ein.

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„Bitte klicken Sie dazu den folgenden Link:
https://www.youtube.com/channel/UC1t3kuGEnXBFdgbwvr-v3ag?feature=em-share_video_user“, heißt es in einer Nachricht der Produktionsfirma. Nähere Informationen zum Film findet man unter www.fritz-bauer-film.de.

Das „Ostarbeiterlager Herrenberg“ und die Stadt Warstein: Zivilgefangener Iwan Schewtschenko

„Chronik der Bürgerschützengesellschaft Warstein“, aus den Quellen bearbeitet von Werner Giese, Warstein 1988, S. 66. Bildunterschrift: „Die Schützenhalle im Jahre 1945. Das Bild zeigt den Kleinen Saal, an dem rechts deutlich noch die Sperrgitter in den Fenstern zu sehen sind. Das ganze Ausmaß der Zerstörung durch die Brandkatastrophe wird uns hier vor Augen geführt.“

Nachdem deutsche Soldaten am 20., 21. und 22. März 1945 aus zwei „Ostarbeiterlagern“ in Suttrop (Schule) und Warstein (ehemalige Schützenhalle auf dem Herrenberg) 208 völlig wehrlose Männer, Frauen und Kinder an drei verschiedenen Orten (Langenbachtal, Körtlinghausener Forst und Eversberger Kuhwiese, Flur „Im Kramwinkel“) in drei verschiedenen Landkreisen (Arnsberg, Lippstadt und Meschede) ermordet hatten, brannte in der Nacht des dritten Massakers um 22 Uhr 30 noch das ganze „Gemeinschaftslager auf dem Herrenberg“ bis auf die Grundmauern nieder.

(Die umfangreichen Forschungsarbeiten von Nadja Thelen-Khoder sind hier im Blog unter dem Menü-Punkt „Franzosenfriedhof“ einzusehen.)

Laut Angaben zum Lager auf dem Gelände der ehemaligen Bürgerschützengesellschaft der Josef Albers Straßen- und Tiefbau „verteilen sich (die Insassen des Lagers) auf folgende Firmen: Josef Albers, Kalkwerk Feldmann, Ernst Fisch, F. J. Risse, Franz Köster, Stadt Warstein, Forstverwaltung“.

Mehrere Listen dieser Firmen habe ich gefunden und konnte so folgende Namen von Menschen finden, die diesen Brand sehr wahrscheinlich erleben mußten, wenn sie nicht schon vorher ermordet wurden: Alex Naomenke, Valentin Nilatschenko, Michel Paslauski, Iwan Schewtschenko, Michel Truchatscho, Kljeksandro Oblisob, Aljeskey Woschenko, Wasilij Woschenko, Iwan Michailow, Michail Sadkin, Wasiliy Rjasanzew, Drawin Poppoff, Mitschisowsci Diatschenko, Grigoris Krawtschenko, Alex Korsch, ? Motschieslaw, Alex Petroum, (?) Sinitza, (?) Schalajew, Alex Bondar, Iwan Haltschenko, Alexander Kiritschenko, Iwan Kriwoscheja, Dusha Kutschmak, Iwan Mischenko und Petro Nikolai.

Diese Menschen konnten also von dem Feuer erzählen – und vielleicht auch von den 56 Frauen, 14 Männern und dem Kind, die deutsche Soldaten am 20. März abholten, um sie im Langenbachtal zu ermorden, darunter Bora Pronka, geb. 1897, und Maria Daniwagoz (mit Ausweis, aber anscheinend ohne Geburtsdatum) und von den 80 Männern, die deutsche Soldaten am 22. März aus obiger Halle abholten, um sie auf der Eversberger Kuhwiese zu erschießen und zu erschlagen.

Vielleicht kannten sie sich untereinander, weil sie lange Todesmärsche gemeinsam hinter sich gebracht hatten. Vielleicht haben überlebende Zwangsarbeiter ihren Kindern erzählt von den „Jugendliche(n) unter 2o Jahren“ in ihren „Monteuranzügen“, deren „Weisheitszähne noch nicht vorhanden oder eben erst im Kommen“ waren“, von den Menschen, deren Papiere man gefunden, „gesammelt und dem zuständigen britischen Offizier zur Verfügung gestellt“ hatte, von den Ermordeten, die „Lohnabrechnungen“ von „verschiedenen Arbeitsstellen im rhein.westfälischen Industriegebiet“ bei sich trugen, die „Cpt. Grahah vom englischen Sonderdienst an sich genommen“ hat.

Vielleicht haben Überlebende ihren Kindern erzählt, und vielleicht leben ja ihre Kinder noch und erinnern sich. Ich suche die Ermordeten – und also auch nach Kindern, Freunden und Bekannten.

Papiere der Ermordeten fand man schon im April 1945 in Suttrop („Eidesstattliche Erklärung! Ich erkläre hiermit an Eides Statt, dass die auf dem Friedhof im Stein bestatteten Russen nach dem Einmarsch der Alliierten umgebettet wurden. Die gefundenen Papiere wurden dem seinerzeit anwesenden amerikanischen Kapitän Meier ausgehändigt, der diese angeblich der russischen Kommandantur übergeben wollte. Der Bürgermeister“), 1947 in Eversberg (s.o.) und 1964 in Warstein (s.o.).

Warum hat man damals die Namen nicht gesammelt und auf Grabsteinen verewigt? War das die „Deutsche Kriegsgräberfürsorge“? Gab es keine Anweisungen, Grabsteine für Menschen zu errichten, deren Namen man kannte, keine diesbezüglichen bilateralen Abkommen?

Ich suche die Ermordeten – und also auch nach Überlebenden, nach Freunden und Bekannten. Alex Bondar hat es anscheinend bis Lippstadt geschafft.

Auf der Liste der Stadt Warstein fehlen sämtliche Geburtsdaten der fünf Zivilgefangenen, deren „Beschäftigungsdauer“ mit „1943 – April 1945“ angegeben wird: Alex Naomenke, Valentin Nilatschenko, Michel Paslauski, Iwan Schewtschenko und Michel Truchatscho. Vielleicht kann ich bei Iwan Schewtschenko diese Angabe ergänzen. Die folgende Liste enthält nur zwei Namen; daher ordne ich die Spalten der Tabelle aus Gründen der Lesbarkeit vertikal an: … weiterlesen ->

Das ganze Dokument mit sämtlichen Abbildungen, Quellenhinweisen und Fußnoten hier als PDF lesen oder herunterladen.