Zum 26. Oktober: „Ein Abgrund von Landesverrat“

Der Spiegel (abfotografiert von nadja thelen-khoder)

Heute vor 57 Jahren besetzte die Polizei die Redaktion des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ und verhaftete mehrere Redakteure. Der Herausgeber Rudolf Augstein stellte sich am nächsten Tag der Polizei und blieb für 103 Tage in Untersuchungshaft, Conrad Ahlers wurde als stellvertretender Chefredakteur auf einen Anruf des damaligen Bundesverteidigungsministers Franz-Josef Strauß im Spanien Francos verhaftet.

„Dieses Vorgehen ,etwas außerhalb der Legalität’ – so Bundesinnenminister Hermann Höcherl – führt zu einer schweren Regierungskrise“ (1), zumal der Herr Minister auch noch das Parlament belog und behauptete, mit der Verhaftung „nichts, im buchstäblichen Sinne nichts“ zu tun gehabt zu haben (a.a.O.).

Ausgelöst wurde dieser „massive Eingriff in die Pressefreiheit“ (a.a.O.) durch eine Anzeige wegen „Landesverrats“ von Friedrich August Freiherr von der Heydte (2), und ich kann nur immer wieder meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen. Wie ist es nur möglich, daß so viele Menschen diesen Riesen nicht kennen? Von der Staatsaffäre, die wir „Spiegelaffäre“ zu nennen gewohnt sind, ist so manches Mal die Rede, aber von dem „General-Anzeiger“ (3) fast nie (auch in dem oben zitierten Artikel nicht).

Als vor vier Jahren gegen André Meister und Markus Beckedahl von „Netzpolitik.org“ ebenfalls der Vorwurf des „Landesverrats“ erhoben wurde, schrieb Gerhard Baum: „Dieser Vorwurf ist angesichts der veröffentlichten Tatsachen absurd. Netzpolitik.org bemüht sich um Aufklärung von möglicherweise gesetz- und verfassungswidrigen Praktiken der Nachrichtendienste. Das Ziel ist die öffentliche Diskussion“ (4).

Und um die geht es mir hier auch. Wie kommt es, daß so selten von Friedrich August Freiherr von der Heydte und seinen zahlreichen Aktivitäten gesprochen wird?

Orden und ihre Bedeutung …

In seinen Lebenserinnerungen schreibt der Freiherr: „Die ganze ,Spiegel-Affäre’ zeigte, daß in der Bundesrepublik das militärische Geheimnis keinen allzu großen Wert hatte – ein Faktum, das spätere Verfahren wegen Spionage oder sonstiger Geheimnisverletzungen nur bestätigen. Manchmal schien es, als sei das deutsche Volk für die Wahrung eines Geheimnisses noch nicht reif genug …“ (5). Mir scheint es vielmehr, als schleppten sich manche Geheimnisse „von Geschlechte zu Geschlechte wie eine ew’ge Krankheit fort“ (aus Goethes „Faust“).

So kennen auch viele das „Centro Europeo de Documentación e Información (CEDI)“(6) nicht, obwohl sich bei jährlichen Kongressen, vorzugsweise im „Escorial“ und im „Vaille de los Caídos“ (7), dort hoch- und höchstrangige Vertreter vieler Staaten [Militärs, Politiker, Verleger, Bankiers und Staatsoberhäupter wie Franco, Juan Carlos, Otto von Habsburg, Salazar und eben Friedrich August Freiherr von der Heydte (8) und sein Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß] versammelten.

„20 años/années/years/Jahre C.E.D.I.“ heißt die Festschrift von Georg von Gaupp-Berghausen, die 1971 in Madrid erschien und mit ihren zahlreichen Photos die intensive Zusammenarbeit höchster bundesdeutscher Politiker und Militärs mit Spanien „unter Franco“ im wahrsten Sinne des Wortes veranschaulicht (9).

Er war begeistert von Dr. Gerhard Krolls „Grundlagen abendländischer Erneuerung. Das Manifest der Abendländischen Aktion“ (München 1951) und schrieb am 19.10.1953 an den spanischen Außenminister Martín Artajo: „España es la conciencia católica de Europa” [„Spanien ist das katholische Gewissen Europas” (8)].

Das Landgerichts in Würzburg urteilte (zu 3/14 über ihn) am 20.1.1965: „Zweifellos werden derartige von der Abendländischen Aktion vertretene Gedankengänge gefährlich, wenn sie von Menschen in Besitz genommen werden, die … durch Sturz der bestehenden Ordnung ihr Gedankengut verwirklichen wollen“ (10).

Anmerkungen:

(1) siehe Grau, Andreas: Spiegel-Affäre, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, http://www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-modernisierung/bundesrepublik-im-wandel/spiegel-affaere.html, abgerufen am 26.10.2019

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_August_Freiherr_von_der_Heydte

(3) „Der General-Anzeiger“, Titelgeschichte des SPIEGEL 47/1962 vom 21.11.1962 zur „Spiegel-Affäre“, S. 55-66: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45124776.html

(4) https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/gastkommentar-von-gerhart-baum-zu-netzpolitik-org-a-1046240.html

(5) Friedrich August Freiherr von der Heydte: „ ,Muß ich sterben, will ich fallen…’.Ein ,Zeitzeuge’ erinnert sich“, Berg am See 1987 (Vowinckel), S. 212

(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4isches_Dokumentations-_und_Informationszentrum

(7) „Die schönste Sprache der Welt. ,Asociación para Recuperación de la Memória Histórica’“ auf https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/10/194.-Die-sch%C3%B6nste-Sprache-der-Welt.pdf

(8) „Von ,Kriegsauszeichnungen und –beförderungen’. ,Kirchliches Amtsblatt für die Erzdiözese Paderborn’ vom 4.12.1944“ auf http://www.hpgrumpe.de/ns_verbrechen_an_zwangsarbeitern_suttrop,_warstein,_meschede/193_Von_Kriegsauszeichnungen_und_-befoerderungen.pdf

(9) siehe auch Birgit Aschmann: „ ,Treue Freunde …’. Westdeutschland und Spanien 1945-1963“, Stuttgart 1999; darin u.a. 5.4.3 „Die Abendländische Aktion und das CEDI“, S. 425-435)

(10) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46169649.html

„Aus „Der Freiherr und der Citoyen“, Sieben Bücher auf http://berufsverbote.de/tl_files/HR/Freiherr-Citoyen1.pdf bis http://berufsverbote.de/tl_files/HR/Freiherr-Citoyen7.pdf
– mit vielen Zitaten aus Büchern und Zeitungsartikeln über bzw. von Friedrich August Freiherr von der Heydte