Meer, Strand, Dünen, Wald, Land, Himmel und Wolken (foto: zoom)
Folter und Mord: Das Gestapo-Gefängnis im badischen Ettlingen … endstationrechts
Nachgefragt: Kriegsveteranen als “Euthanasie”-Opfer … historischdenken
Es werden ein paar harte Jahre: Wir werden es dennoch schaffen, aber nicht mit Deppenpolitik … misik
Und dann war der Strom weg: Ich mache mir, wie vermutlich jede und jeder von Euch, Gedanken über den kommenden Winter. Das was mich dabei am Meisten beunruhigt ist, dass ich einen flächendeckenden, längerfristigen Stromausfall für nicht unwahrscheinlich halte … unkreativ
Klimawandel: Stadt Haarlem will als Erste auf der Welt Fleischreklame verbieten … scilogs
Mit Fotos wirksam „Übers Klima reden“: Webinar zur Bildsprache in der Klimakommunikation … klimafakten
Cookie-Banner der meistbesuchten Websites: Miese Tricks und fiese Klicks … netzpolitik
Zwischen Trauer, Stolz und Hoffnung: 7.000 Demonstrierende beim CSD Dortmund … nordstadtblogger
Ein neuer Sammelband erschließt Forschungen eines halben Jahrhunderts
Buchumschlag: Der neue Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl“
Auf diesem Blog wurde vor einigen Wochen ein Forschungsprojekt zu dem aus (Meschede-)Eversberg stammenden Priester Dr. Lorenz Pieper (1875-1951) vorgestellt. Er trat schon 1922 der NSDAP bei, wurde 1923 Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus zahlreiche Propagandavorträge in Süddeutschland. Kein anderer römisch-katholischer Kleriker hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten wie dieser Sauerländer.
(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)
Schon seit den frühen 1920er Jahren war Lorenz Pieper befreundet mit der Lehrerin und Malerin Josefa Berens, die aus (Meschede-)Grevenstein stammte und nach eigenem Bekunden bereits 1918 oder 1920 aus der Kirche ausgetreten ist. Der braune Priester hat auch diese Künstlerin wie andere Sauerländer früh dem Nationalsozialismus zugeführt, was das Westfälisches Volksblatt (Paderborn) später am 27.01.1936 ausdrücklich rühmen wird.
Josefa Berens beantragte 1931 von Spanien aus eine Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt am 1. Januar 1932 die Parteinummer 831978. Nach 1933 erfolgte bald ein Umstieg auf den Schriftstellerberuf; zu den Lesebögen für die Umschaltung des schulischen Unterrichts steuerte die Sauerländerin im Anschluss an die „Machtergreifung“ ihrer Partei ein antisemitisches Hetz-Märchen bei. Den 1935 erstmals vergebenen „Westfälischen Literaturpreis“ erhielt J. Berens-Totenohl als Verfasserin eines Bestsellerromans, dessen erster Teil „Der Femhof“ von 1934 bis 1961 insgesamt eine Druckauflage von 280.000 Exemplaren erzielen konnte.
Das Gedenken an die einstmals in ganz Deutschland gelesene Autorin, die mit Propagandatexten und einem quasi religiösen Credo die „Treue zum Führer“ beschwor, hat im Sauerland wie bei wohl keiner anderen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aus der Zeit des „Dritten Reiches“ zu heftigen Kontroversen geführt. Ganze Generationen waren ja mit den „Femhof“-Romanen gleichsam großgeworden und wollten sich das schöne Bild „ihrer Dichterin“ nicht kaputtmachen lassen. Unter solchem Vorzeichen war es schwer, in ruhigem Studium Fakten und seriöse Forschungsarbeiten zu sichten. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die in der germanistischen Fachliteratur schon vor über vier Jahrzehnten nachgelesen werden konnten, blieben in den lokalen Heimatdisputen in der Regel unbeachtet.
Kaminrunde im „Femhof“-Haus von Josefa Berens-Totenohl: Über dem Sims als ‚kultisches Zentrum‘ eine Büste von Adolf Hitler (Digitales Fotoarchiv des Christine-Koch-Mundartarchivs am Museum Eslohe)
Ein jetzt in Kooperation mit dem Christine Koch-Mundartarchiv am Museum Eslohe herausgegebener Sammelband „Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte“ dokumentiert Beiträge zu „Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016“ von Dr. Christian Adam, Prof. Moritz Baßler, Peter Bürger, PD Dr. Karl Ditt, Prof. Rainer S. Elkar, Prof. Walter Gödden, Wolf-Dieter Grün, Prof. Hubertus Halbfas (†), Jürgen Kalitzki, Prof. Uwe-K. Ketelsen, PD Dr. habil. Reinhard Kiefer, Dr. Roswitha Kirsch-Stracke, Dr. Arnold M. Klein, Monika Löcken, Dr. Ortrun Niethammer, Dr. Ulrich F. Opfermann, Elmar Rademacher (†), Friedrich Schroeder und Gisbert Strotdrees.
Kultisches Zentrum im Haus der Dichterin zu Gleierbrück war ein Kaminfeuer, über dem gleichsam als Heiligtum eine Büste von Adolf Hitler prangte. Dies belegen Fotos, die uns 2018 zugesandt worden sind. Alle Versuche, die Sauerländerin Josefa Berens-Totenohl als eine unpolitische „Mitläuferin“ oder von den Nazis nur vereinnahmte Persönlichkeit vorzustellen, erweisen sich im Licht der Tatsachen als unhaltbare Erfindung.
Weitere Forschungen sind durchaus vonnöten, vor allem zum Werdegang von J. Berens in den Jahren der Weimarer Republik und bezogen auf den weiblichen „Emanzipationsweg nach rechts“, der bei ihr zu einer Unterwerfung unter das „Frauenbild“ des Nationalsozialismus führte.
Peter Bürger (Hg.): Über Josefa Berens-Totenohl und westfälische Literaturgeschichte. Beiträge zu Forschung und Straßennamendebatte 1992-2016. Norderstedt: BoD 2022 (ISBN: 978-3-7568-0023-0 ; Paperback; 452 Seiten; 17,99 Euro) Portofreie Bestellung (auch überall im Buchhandel) und Leseprobe (links oben anklicken) über die Verlags-Website: https://www.bod.de/buchshop/ueber-josefa-berens-totenohl-und-westfaelische-literaturgeschichte-9783756800230
Zwei Jahre nach dem Sturm auf das Reichstagsgebäude am 29.08.2020 warnt die Amadeu Antonio Stiftung: „Sturm auf den Reichstag”, Fackelmärsche vor den Wohnhäusern von Politikern, Angriffe auf Ärzte, „Spaziergänge”, bei denen regelmäßig Polizisten angegriffen werden: Die Feinde der Demokratie in Deutschland seien so selbstbewusst wie nie und erreichten mit ihrer Agenda mehr Menschen als je zuvor. Jetzt vollziehe sich der nahtlose Übergang zu Protesten in Sachen Energiekrise. Über zwei Jahre Dauerbeschallung mit Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Desinformation hätten ein ein neues demokratiefeindliches Milieu entstehen lassen, das für immer neue Anlässe mobilisierbar bleibt. Das sei das Ergebnis einer Analyse, die die Amadeu Antonio Stiftung heute vorstellte.
(Pressemitteilung der Amadeu Antonio Stiftung)
Am 29. August 2020 durchbrachen mehrere hundert Demonstranten Absperrgitter und Polizeiketten, um die Treppen zum Reichstag zu stürmen, wo Reichsfahnen geschwungen wurden. Die rechte Szene feierte diese Bilder als Triumph und Ermächtigungsmoment. Bis heute wurde die Aufarbeitung verschleppt und lediglich 85 Verfahren eingeleitet, von denen 52 bereits eingestellt wurden.
„Während der Sturm auf das Kapitol in den USA als Fanal eines versuchten rechtsextremen Systemsturzes juristisch verfolgt wird, scheint der Reichstagssturm hierzulande nicht einmal als Weckruf verstanden zu werden. Die juristische Aufarbeitung wird verschleppt, das radikale Potenzial dieser antidemokratischen Mischszene, die den Systemsturz will, wird nach wie vor unterschätzt”, kritisiert Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung.
Energiekrise droht zur Demokratiekrise zu werden
“Wir stehen vor einem Herbst der Demokratiefeindlichkeit. Das Protestgeschehen hat eine neue Qualität. Lange konzentrierten sich Rechtsextreme auf ausgewählte Themen wie Einwanderung, heute wird unabhängig vom Thema gegen die Demokratie als solche mobilisiert. Mit dem aktuellen Themenumschwung von Corona zur Energiekrise stacheln die Feinde der Demokratie eine wütende Menge nahtlos weiter auf. Berechtigte Ängste werden missbraucht, um zu zündeln und in Wut und Hass zu wandeln, das ist nichts anderes als geistige Brandstiftung”, ergänzt Reinfrank.
Stark steigende Gas- und Benzinpreise, Inflation und Sparmaßnahmen bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen und drohender Arbeitslosigkeit führen zu berechtigten Existenzängsten der Deutschen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa aus dem Juli 2022 sagen 44 Prozent aller Befragten, sie würden „sicher oder mit großer Wahrscheinlichkeit an Demonstrationen gegen die hohen Energiepreise teilnehmen“. Demokratiefeinde erhoffen sich mit dieser Protestbereitschaft neue Anknüpfungspunkte für ihre Agenda. Mit vereinfachten Schuldzuweisungen wird der Hass gegen die parlamentarische Demokratie und ihre Repräsentanten weiter zugespitzt.
Radikales Zündeln mit Ängsten
„Die Feinde der Demokratie sind online besser vernetzt als je zuvor. Während der Pandemie ist eine digitale Propagandamaschinerie gewachsen, die für jede kommende Krise mobilisiert werden kann. Hinter dem geschickten Zusammenspiel verschiedener Kanäle und Formate steckt eine ausgeklügelte digitale Infrastruktur, die auf Desinformation und die Dauerbeschallung mit Verschwörungserzählungen setzt”, erklärt Veronika Kracher, Monitoring-Expertin der Amadeu Antonio Stiftung. “Der rechten Mobilisierung wird nichts entgegen gesetzt, es braucht eine klare Kante gegen Rechts. Es gibt genug Möglichkeiten gegen die Personen vorzugehen, die ohne jegliches Unrechtsbewusstein zu Gewalttaten anstacheln und Mordaufrufe verbreiten. Aufrufe zu Straftaten müssen endlich breitflächig verfolgt werden. Hassakteure müssen deplattformt werden, damit nicht immer neue Menschen den Weg in die digitalen Hasswelten finden.”
Längst ist etwa die rechtsextreme Kleinstpartei „Freie Sachsen“, die im Freistaat maßgeblich an der Vernetzung und Mobilisierung für die maßnahmenkritischen „Montagsspaziergänge“ beteiligt war, thematisch umgeschwenkt. Via Telegram erreicht die Partei rund 150.000 Menschen und mobilisiert zu Demonstrationen in dutzenden Orten unter dem Motto „Sommer, Sonne, Bürgerwiderstand! Vom Corona- in den Energielockdown?” und schürt mit Bezug auf den Lockdown gezielt Ängste vor neuen Einschränkungen.
“Organisierte rechtsextreme Akteure konnten mit den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen einen enormen Geländegewinn verzeichnen und sich noch fester als ‘Kümmerer’ vor Ort etablieren, obwohl sie selbst keine Antworten, aber klare Feindbilder bieten. Gerade in strukturschwachen Regionen und in Krisenzeiten geben die Proteste ein Gefühl von Stärke und bieten Zusammenhalt unter der großen Klammer Demokratiefeindlichkeit”, erklärt Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen. “Die Wut gegen ‚die da oben’ trifft Lokalpolitiker genauso wie Engagierte und schafft ein Klima der Angst, in dem Betroffene allein gelassen werden.”
Innenministerium muss handeln, statt zu warnen
Die Protagonisten sind keine Unbekannten: Für viele Influencer der Szene waren die „Montagsmahnwachen“ von 2014 zum Beginn der Ukraine-Krise ein Moment der Politisierung. Andere waren schon an den flüchtlingsfeindlichen Protesten ab 2013 beteiligt. Impfgegner und Verschwörungsgläubige mobilisieren seit Jahren gegen Wissenschaft und evidenzbasierte Fakten.
„Es gibt nach zweieinhalb Jahren keine Ausrede mehr, das Gefahrenpotenzial dieser Szene zu unterschätzen”, erklärt Timo Reinfrank: „Politik, Polizei und Justiz haben immer wieder massive Rechtsverstöße toleriert: von Ausschreitungen vor Geflüchtetenunterkünften 2014 bis hin zu Angriffen auf Polizisten bei sogenannten Spaziergängen 2022. Doch bisher bekommt man den Eindruck, das hätte alles kaum Konsequenzen. Das dadurch vermittelte Gefühl einer ‚Unantastbarkeit’, hat ein vermeintlich bürgerliches Spektrum ermutigt, sich diesen im Kern demokratiefeindlichen Protesten anzuschließen. Wenn Rechtsextreme während einer waschechten Inflation und Energiekrise weiterhin Proteste kapern und orchestrieren können, entsteht ein Brandsatz der Demokratiefeindlichkeit. Es droht ein Flächenbrand.”
Antidemokraten dürfen keine Partner im politischen Protest sein. Straftaten, analog wie digital, müssen konsequent verfolgt und geahndet werden, um eine erneute Deutungshoheit der organisierten Demokratiefeinde zu verhindern. Dabei muss insbesondere die digitale Infrastruktur ins Visier genommen werden. Trotz der angespannten Lage darf an politischer Bildung nicht gespart werden und müssen Hilfsangebote für Betroffene und Angehörige ausgebaut werden. Es braucht eine klare Kommunikation über politische Entscheidungen, da Unsicherheiten den Raum für Desinformation öffnen.
Über die Amadeu Antonio Stiftung:
Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent und überparteilich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Die gemeinnützige Stiftung steht unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Thierse.
Als Tourenradweg ausgezeichnet ist dieser Radweg nahe dem Nordhang des Kahlen Asten eine Zumutung/Frechheit. Ich weiche hier immer auf die Straße aus. (foto: zoom)
Comic-Zeichenkunst: Neal Adams, der Erfinder des visuellen Superhelden-Realismus im Kosmos des Unrealistischen … endoplast
Unergründlich zu allen Zeiten: Mariette Navarros Meeres-Roman „Über die See“ … revierpassagen
The Ministry for the future: Kim Stanley Robinson denkt wenigstens Wege, wie sich eine Katastrophe abschwächen kann. Wie die Menschheit doch noch die Kurve bekommen könnte. Und das ist wirklich höchst inspirierend … schmalenstroer
Das Grösste von allem – Dubai und Abu Dhabi: Dubai ist völlig surreal. Alles muss hier „das Größte“ sein. Die weltgrößte Mall. Das weltgrößte Hochhaus. Alles immer Weltgrößt. Das sieht man dann auch im Stadtbild … unkreativ
In den Tod gehetzt: Es gibt keine „Polarisierung“. Es gibt nur eine rechte Sekte, die sich in den letzten Jahren immer mehr radikalisiert hat. Zum Tod von Lisa-Maria Kellermayr … misik
Rechte Kampagne: Der Missbrauch des guten Namens von Simon Wiesenthal durch US-Trump-Dualisten … scilogs
Vom 17. bis 31. August geht es in Dortmund um „Jüdisch-Arabische Verflechtungen“: Themenreihe befasst sich mit Antisemitismus in postmigrantischen Gesellschaften … nordstadtblogger
Eine Erde, wie wir sie nicht kennen (wollen): Wie sieht eine Welt mit 3 Grad globaler Erwärmung aus? Was bedeutet das konkret für Klima und Wetter? Klimaforscher Stefan Rahmstorf schildert in diesem Beitrag aus »3 Grad mehr« die drohenden Folgen – und macht damit deutlich, warum wir sofort entschiedene Klimaschutzmaßnahmen brauchen … oekom
Prekäre Lage im Nahverkehr: Kommunen, Verbünde und Verkehrsunternehmen fordern mehr finanzielle Mittel für ÖPNV … doppelwacholder
#LastSeen-Ausstellung auf dem Opernplatz in Kassel: Juli bis 14. September 2022; täglich von 10 bis 21 Uhr geöffnet (Foto: Arolsen Archives)
Auf dem Opernplatz in Kassel öffnete heute die Ausstellung #LastSeen. Bilder der NS-Deportationen der Arolsen Archives und Partner. Die Wanderausstellung auf der Ladefläche eines historischen LKWs informiert über die Suche nach bisher unbekannten Fotos von NS-Deportationen und zeigt, wozu Antisemitismus im Holocaust geführt hat.
(Pressemitteilung der Arolsen Archives)
Aus Anlass des antisemitistischen Eklats rund um die documenta fifteen hat der #LastSeen-LKW, der zurzeit durch Deutschland tourt, seine Route kurzfristig geändert, um in Kassel ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Die Ausstellung ist bis zum 14. September täglich von 10 bis 21 Uhr dort zu sehen.
Im Zentrum von #LastSeen stehen die Fotos von Deportationen aus dem Deutschen Reich zwischen 1938 und 1945. Die meisten der Männer, Frauen und Kinder auf den Bildern sind ein letztes Mal zu sehen – bevor die Nationalsozialisten sie in die Vernichtungslager brachten und ermordeten. Der #LastSeen-LKW stammt aus den 1950er Jahren, ähnliche Fahrzeuge wurden aber auch für den Transport von Verfolgten zu Sammellagern und Bahnhöfen genutzt.
Floriane Azoulay: „Antisemitismus geht uns alle an“
Bei der Eröffnung von #LastSeen warnte Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, vor der Kontinuität antisemitischer Verschwörungsmythen und appellierte: „Antisemitismus ist keine Befindlichkeit von Jüdinnen und Juden, sondern eine alltägliche Realität, eine zentrale Frage der Demokratie und geht uns alle an.“
Floriane Azoulay im Gespräch mit einer TV-Journalistin bei der Eröffnung der #LastSeen-Ausstellung in Kassel (Foto: Arolsen Archives)
Antisemitische Vorfälle seien erschreckenderweise auf dem Vormarsch und stiegen seit Jahren überall auf der Welt an, so Azoulay weiter. Antisemitische Bildsprache und Kommunikationsformen, wie sie bei der documenta zu sehen gewesen seien, trügen dazu bei, antisemitische Positionen als normal anzuerkennen. Daran zeige sich: „Antisemitismus ist kein vergangenes Thema“. Sie forderte dazu auf, auch die Frage des strukturellen Antisemitismus und seiner Verharmlosung in kulturellen Institutionen in den Blick zu rücken und dieses Problem aktiv anzugehen.
Die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance, die sowohl die Bundesregierung als auch das Land Hessen zum Schutz jüdischen Lebens und dem Kampf gegen Antisemitismus übernommen haben, sei eine wichtige Grundlage zum Erkennen von Antisemitismus und solle dazu als Wegweiser dienen, erklärte Floriane Azoulay.
Claudia Roth: „#LastSeen führt die Folgen von Diskriminierung und Antisemitismus drastisch vor Augen“
Unterstützt wird die Ausstellung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die aus terminlichen Gründen nicht vor Ort sein konnte. In ihrem Grußwort bedankte sie sich bei den Arolsen Archives für die Intervention durch die Präsentation von #LastSeen während der documenta, da so in Kassel die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werde, zu welchen Bildern eine antisemitische Bildersprache führen könne. „Es ist eine Verantwortung für unser Land und für uns alle, dass Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung keinen Platz in Kunst, Kultur und unserer gesamten Gesellschaft bekommen.“
Mehr Bilder finden, entschlüsseln und verstehen
Die Ausstellung ist Teil einer Initiative der Arolsen Archives zusammen mit vier Partnern, bei der es um die Suche nach bisher unbekannten Fotos von NS-Deportationen und ein tieferes Verständnis der Bilder geht. Bisher sind rund 550 Fotos von NS-Deportationen aus knapp 60 Orten bekannt. Ziel von #LastSeen ist es, diese Bilder virtuell zusammenzuführen, weitere Fotos zu finden und Hintergründe zu recherchieren, um den Verfolgten ihre Namen und Geschichten zurückzugeben. Der #LastSeen-LKW macht auf die Initiative aufmerksam und bittet Freiwillige, sich an der Suche vor Ort zu beteiligen. Erste Ergebnisse von #LastSeen werden Ende 2022 in einem digitalen Bildatlas veröffentlicht. Ergänzend dazu wird für Schülerinnen und Schüler ein interaktives Lernspiel angeboten.
#LastSeen auf dem Opernplatz: 26. Juli bis 14. September 2022 Täglich von 10 bis 21 Uhr geöffnet
Die Arolsen Archives sind das weltweit umfassendste Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Die Sammlung gehört zum UNESCO-Weltdokumentenerbe. #LastSeen ist eine Initiative der Arolsen Archives & Partner:
Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Institut für Stadtgeschichte und Erinnerungskultur, Kulturreferat der Landeshauptstadt München
USC Dornsife Center for Advanced Genocide Research, Los Angeles
Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin
Das Projekt wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht gefördert.
Einblicke in ein Publikationsprojekt über Lorenz Pieper (1875-1951)
Buchumschlag „Am Anfang war der Hass“
Werner Neuhaus (Sundern) und ich haben in diesem Sommer ein umfangreiches Werk veröffentlicht über den Lebensweg eines sauerländischen Geistlichen aus dem Gefüge des Sozialkatholizismus, der sich ab Ende des 1. Weltkrieges ganz dem völkischen Nationalismus und Judenhass verschrieben hat: Dr. Lorenz Pieper (1875-1951), geboren in Meschede-Eversberg, trat schon 1922 als Kaplan von Hüsten der NSDAP bei. Er wurde 1923 sogar für einige Monate Mitarbeiter Adolf Hitlers und hielt von München aus im schwarzen Priesterrock zahlreiche NS-Propagandavorträge.
(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)
Kein anderer römisch-katholischer Kleriker in Deutschland hat so früh ein Parteibuch der Nationalsozialisten erhalten. Kurz vor der sogenannten Machtergreifung 1933 bekannte der gewaltbereite Antisemit: „Und naturgemäß wurde ich ein Soldat Hitlers. Es ist mein Stolz, dass ich gleich zu Anfang der Bewegung zu ihr stieß!“ „Das Wort ‚Das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube!‘ gilt auch von unserer Bewegung. Der Sieg steht felsenfest!“
Das „Evangelium“ Hitlers wurde für Lorenz Pieper anstelle der christlichen Botschaft zur zentralen Sinngebung seines Lebens. Bis hin zum Schluss wird er seinem „Führer“ die Treue halten. Zu den Widersprüchen dieses Fanatikers gehört allerdings auch sein Widerstand gegen die planmäßig betriebene Ermordung von Kranken während der Zeit als Anstaltsgeistlicher in Warstein.
Die nationalsozialistischen Kleriker Joseph Roth (1897-1941) aus München, links, und Lorenz Pieper (1875-1951) aus dem Sauerland, in der Mitte, bei einem Treffen „brauner Priester“, vermutlich im Jahr 1933. (Foto-Reproduktion: Peter Bürger (Original im Pieper-Nachlass, Abtei Königsmünster).)
Ohne Lorenz Pieper wären viele NSDAP-Aktivitäten zur Zeit der Weimarer Republik im katholischen ‚Zentrums-Sauerland‘ wohl kaum möglich gewesen. Schon im Mai 1922 plant er eine nationalsozialistische Gründung in Hüsten und meldet in einem Eintrag vom 8.10.1922: „Vor 14 Tagen habe ich es ermöglicht, dass von Hagen aus auch hier ein nationalsozialistischer Redner sprach; es war eine vorläufige kleine Versammlung, bei der ca. 15 Mitglieder beitraten; aber immerhin haben wir nun eine kleine Ortsgruppe hier, die weiter arbeitet und den Völkischen Beobachter hält.“ (Nach Ausweis der NSDAP-Mitgliederkartei ist Pieper im Laufe der Jahre bis 1945 noch für folgende lokale Gliederungen der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei eingetragen gewesen: Wehrden – Höxter, Halingen – Menden – Langschede, Eversberg, Münster, Warstein – Suttrop und zuletzt Meschede.)
NSDAP-Gründerzeit an der Weser
In der nächsten Pfarrstelle, die seinem Münchener Einsatz bei Hitler ab dem 23. Oktober 1923 folgt, führt er die Parteiagitation fort. Dazu vermerkt sein Parteigenosse Eduard Schulte: „An der Weser setzte sofort Pieper altes Ringen um Deutschlands Zukunft wieder ein, als er dort Pfarrvikar in Wehrden bei Höxter wurde. Für die NSDAP und den Jungdo [Jungdeutschen Orden] war er aufs intensivste tätig, privat und öffentlich, rednerisch und journalistisch, bei Bannerweihen und Aufmärschen. … Die Ausbreitung des Hitler-Gedankens an der mittleren Weser und im Paderborner Lande ist wesentlich ihm mit zu verdanken; dabei diente Pieper dem unermüdlichen Wegbereiter der NSDAP in Norddeutschland, dem allzu früh verstorbenen ‚Rucksack-Major‘ Dinklage (Hannover)“.
Kreisleiter Dr. Heinrich Trost schreibt in seinem Beitrag „Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Stadt und Kreis Höxter“ für die Festausgabe ‚50 Jahre Huxaria‘ im November 1933 rückblickend: „Nach einem verheißungsvollen Anfang, der in einigen gut besuchten Versammlungen, in denen u.a. auch der Bergmann Heinrich Dolle sprach, zum Ausdruck kam, begann ein ebenso schneller Abstieg, an dessen Ende unsere kleine Gruppe und einige Vertreter des Blocks, darunter der verdienstvolle Vorkämpfer in unserem Gebiete, der Vikar Dr. Pieper, als verlorener Haufen übrig blieb. Damit schloss das Jahr 1924; Ende Dezember war der Führer aus der Festungshaft in Landsberg entlassen worden. … Die Mitglieder mussten wir persönlich werben und an dem Defizit einer Versammlung hatten wir monatelang zu tragen. Wir verlegten unsere Versammlungstätigkeit daher auf die Dörfer, wo die Säle nichts kosteten und handgeschriebene Versammlungsplakate genügten. Vor allem waren es die Dörfer Boffzen, Amelunxen und Wehrden, die schon frühzeitig bearbeitet wurden.“ Christoph Reichardt und Wolfgang Schäfer resümieren in ihrem Buch ‚Nationalsozialismus im Weserbergland‘: „Am 23. Oktober 1923 trat Pieper zunächst stellvertretend die Stelle des Pfarrvikars in Wehrden an der Weser an, die er im September 1928 wieder verließ, um nach Halingen bei Menden versetzt zu werden. In diesen wenigen Jahren wurde Pieper zum glühenden Vorkämpfer der NS-Bewegung im Weserbergland“.
In „bewusster Anspielung auf das jungdeutsche Credo Lorenz Piepers“ – so Wieland Vogel – hat der Breslauer Ortsbischof Kardinal Adolf Bertram übrigens am 10. Januar 1924 seine Absage an den völkischen Jungdeutschen Orden formuliert: „Der Umstand, daß sich in einzelnen Gegenden Deutschlands Katholiken vereinzelt und selbst katholische Geistliche von dieser Bewegung ergreifen lassen, beweist nichts. Es gibt bei solchen Bewegungen stets Männer von wenig Lebenserfahrung, die nicht merken, wohin eigentlich die Fahrt geht. … Ich werde unter keinen Umständen dulden, dass ein Priester meiner Diözese dieselbe fördert oder ihr beitritt.“
Von Wehrden aus war Dr. Lorenz Pieper in der Frühzeit der Weimarer Republik beteiligt an überregionalen Bestrebungen zur Vernetzung der Rechtskatholiken in einem zu gründenden „Ring“, wobei auch seine Münchener Verbindungen zum Zuge kommen sollten. Federführend bei den Paderborner Vernetzungsaktivitäten war der Rechtskatholik Ferdinand Freiherr von Lüninck aus Ostwig.
Brauner Partei-Aktivismus im Raum Menden
Im nächsten Seelsorgeort Halingen ist Lorenz Pieper nach dem 1. September 1928 alsbald Organisator einer eigenen NSDAP-Sektion am Ort. Seine dortigen ‚Predigten‘ für den Nationalsozialismus wirken sich bei Wahlen zugunsten der Partei aus, und die Dekanatskonferenz Menden sieht „die Gefahr eines nationalsozialistischen Einbruchs in die katholische Zentrumsfront“. Nicht nur im Vergleich zu anderen Orten des Amtes Menden sind die Wahlergebnisse der NSDAP in Halingen geradezu spektakulär (Reichstagswahl 1930: über 27 %; Reichstagswahl März 1933: 44,3 %). Anton Schulte hat die Stimmenzuwächse 1995 in einer Ortschronik für Halingen differenziert dargestellt und kommt zu folgenden Schlüssen:
„Die prozentualen Stimmenanteile des Halinger Zentrums gingen zwischen 1919 und 1933 von 82 % auf 35,3 % zurück, für eine alte Zentrumshochburg bedeutete dies einen ungewöhnlich großen Wählerverlust. Er erfolgte allerdings während der vierzehn Jahre nicht gleichermaßen kontinuierlich. … In keiner der übrigen Gemeinden des Amtes Menden und auch nicht in der Stadt Menden war der Rückgang der Zentrumsstimmen derart groß wie in Halingen. … Hier wirkte sich – keine andere Erklärung liegt näher – der Einfluss eines Mannes aus, der zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Verfügung der erzbischöflichen Behörde vom 30. Dezember 1932 Halingen schon hatte verlassen müssen – des Pfarrvikars Dr. Lorenz Pieper. – In den vier Jahren seiner Halinger Tätigkeit hatte Pieper nicht nur als Seelsorger, sondern auch aufgrund der Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit, die andere für sich einzunehmen verstand, an Ansehen und Einfluss gewonnen. … In seinen Ansprachen anlässlich nationaler Feiertage betonte er den Wert vaterländisch-nationaler Gesinnung. – Pieper machte nie ein Hehl aus seiner Sympathie für Hitler und die NS-Ideologie. Zu den führenden Köpfen des (Partei-) Gaues Westfalen-Süd oder der Mendener NSDAP-Ortsgruppe um Wilhelm Pferdekämper hielt er enge Verbindung. Der NSDAP galt er als eine Art Aushängeschild, als Beweis für die angebliche Vereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus. … Die Entfernung Piepers aus seiner Halinger Pfarrvikarstelle war für die NS-Presse ein Anlass zu heftigen Vorwürfen und Angriffen gegen die kirchlichen Behörden. Dabei hob sie die zweifelsohne bemerkenswerte persönliche Anspruchslosigkeit des Pfarrvikars sowie seine nationale Gesinnung hervor und feierte ihn als einen ihrer Märtyrer. Sie konnte in ihrer Argumentation auf die Zustimmung großer Teile der Halinger Bevölkerung rechnen, die Pieper am Abend vor seinem Weggang mit einem Fackelzug ehrte. … Seit den Kulturkampftagen hatten katholische Geistliche ihren seelsorgerischen Einfluss zugunsten der Zentrumspartei einzusetzen verstanden. Der kirchliche ‚Außenseiter‘ Pieper dagegen arbeitete nicht ohne Erfolg gegen die überkommene Vorherrschaft des Zentrums in Halingen. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass wegen der Weltwirtschaftskrise und der damit einhergehenden politischen Staatskrise die NSDAP für manchen bisherigen Zentrumswähler als eine hoffnungsvolle Alternative erscheinen mochte, darf Piepers Einfluss auf das Wahlverhalten vieler Halinger zwischen 1930 und 1933 nicht unterschätzt werden. Seine Gedanken und Anregungen … entsprachen in ihrer politischen Tendenz auch den nationalen und ‚völkischen‘ Grundströmungen in den Jahren der Endkrise der Weimarer Republik.“
In seinem Buch über die politische Geschichte Mendens (1989) bezieht Anton Schulte auch noch einen zweiten Priester in seine Überlegungen mit ein: „Eine lokale Sonderrolle bei der wachsenden Verschiebung der Wählerschaft zu Lasten jener Parteien, die den demokratischen Staat bejahten, spielten die beiden katholischen Geistlichen Dr. Lorenz Pieper, Pfarrvikar in Halingen, und Dr. Ferdinand Heimes, von 1924 bis 1938 Religionslehrer am damaligen Walburgis-Lyceum. Sie setzten sich z.T. massiv im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung ein und verunsicherten damit die bisher relativ geschlossene Front des katholischen Bevölkerungsteils. Die Gefahr eines nationalsozialistischen Einbruchs in die katholische Zentrumsfront wurde von den Dekanatskonferenzen nicht unterschätzt. Das bestätigt eine der Öffentlichkeit übergebene Erklärung zur Septemberwahl 1930, in der es heißt: ‚Die Nationalsozialisten benutzen im Wahlkampf vereinzelt ihnen nahestehende katholische Geistliche als Aushängeschild … Ihre politischen Ansichten lehnen wir als verhängnisvollen Irrweg ab‘.“
Späte Amtsenthebung
Lange ließ man Lorenz Pieper einfach gewähren. Doch 1930 und 1931 muss das Paderborner Generalvikariat den Priester dazu aufgefordert haben, seine NSDAP-Mitgliedschaft aufzugeben. Wegen anhaltender politischer Agitation folgt Ende Dezember 1932 die Mitteilung, dass er zum 15. Januar 1933 seines Amtes enthoben wird. Das entsprechende, von Erzbischof Caspar Klein und Vertretern des Generalvikariats am 30.12.1932 unterzeichnete Verwaltungsdokument vermerkt über den Priester Dr. Lorenz Pieper: „Eine andere Seelsorgestelle wird ihm nicht wieder übertragen. … Jede öffentliche politische Tätigkeit in der Politik wird ihm untersagt. … Über seine Pension wird eine besondere Verordnung erlassen. … Die Personalakten dieses Priesters füllen 2 starke Aktenbände …. Die Eigenart dieses Priesters ist gekennzeichnet durch Eigensinn und unbelehrbare Starrköpfigkeit … und einen Hochmut, der ihn zu immer neuen Konflikten führte und selbst zu Frechheiten gegenüber seiner [Bischofs-]Behörde verleitete …. Durch diese von ihm nie hinreichend unterdrückten Charakterfehler haben seine anerkennenswerten Gaben des Geistes und des Gemütes für die Seelsorge nie zur segensreichen Geltung kommen lassen [sic]. Wo immer er in der Seelsorge tätig gewesen ist, mußten seine Pfarrer … bei der Behörde über ihn Beschwerde führen. Die Gemeinden sind durch … seine öffentliche nichtseelsorgerische Betätigung in Verwirrung und Gegensätze mancherlei Art hineingetrieben worden. Aus keiner seiner Stellen ist er in Frieden geschieden“. Lokale Sympathisanten und die NSDAP-Presse nutzten diesen Bescheid für eine Kampagne. Die Rückkehr L. Piepers in seine Heimatstadt gab Anlass zu einer wirkungsvollen Inszenierung.
Im Altkreis Meschede
Die sechstälteste NSDAP-Ortsgruppe des Kreises Meschede war nun die lokale Parteigliederung in Piepers Geburtsort Eversberg, gegründet im Oktober 1931. In deren Chronik von 1938 heißt es für die ‚Zeit der ersten Anfeindungen‘: „Unser Landsmann, Pfarrvikar Dr. Lorenz Pieper (Halingen), der uns stets mit Parteizeitungen und sonstigem Werbematerial versah, war den Eversbergern ein leuchtendes Vorbild, so dass trotz allem die Stimmenzahl von Wahl zu Wahl anstieg, und zwar derartig, dass noch bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 ein Zuwachs gegenüber dem Juli 1932 von 15 Prozent zu verzeichnen war“. – Über das RAD-Nebenlager Eversberg schreibt Rudolf Franzen: „Ein besonderer Förderer dieses kleinen Lagers war … Pieper.“
Ulrich Hillebrand hat auf der Grundlage von Zeitzeugenberichten der 1980er Jahre mitgeteilt: „Ältere Mitbürger erinnern sich noch, dass Pieper Nationalsozialisten in Parteiuniform kirchlich traute. So führte Pieper im Jahre 1932 die kirchliche Trauung des Briloner Kreisleiters durch, nachdem die katholische Geistlichkeit dieses abgelehnt hatte. Pieper zelebrierte im Januar 1934 auch das Brautamt für den damaligen Standartenführer Schulte-Mimberg in der Mescheder Walburga-Kirche. Es war damals die erste ‚braune Hochzeit‘ im Kreis Meschede.“
Im ‚Entnazifizierungsverfahren Lorenz Pieper‘ vermerkt der Ausschuss für die Kreise Arnsberg, Meschede und Brilon in seinem Beschluss vom 6. Oktober 1948 zu Piepers Wegbereiterfunktion in der Landschaft: „Der Berufungsausschuss konnte nicht außer Acht lassen, dass die Beurteilung des Dr. Pieper, der im Sauerlande allenthalben bekannt ist und bei der Durchdringung des Sauerlandes durch den Nazismus wesentlichen Anteil hat, in sämtlichen Bevölkerungskreisen ein lebhaftes Echo zur Folge haben muß.“
Neuerscheinung (Buch): Peter Bürger – Werner Neuhaus (Hg.): Am Anfang war der Hass. Der Weg des katholischen Priesters und Nationalsozialisten Lorenz Pieper (1875-1951): Erster Teil. Schmallenberg: Woll-Verlag 2022. (Forschung & Quellen; ISBN: 978-3-948496-49-4 ; 652 Seiten; Fester Einband; 29,90 Euro; www.woll-verlag.de) – Im nahen Buchhandel bestellbar. Ein zweiter Teil mit den Schwerpunkten „Euthanasie-Morde“ und „Entnazifizierung“ soll 2023 erscheinen.
Inhaltsverzeichnis des neuen Buches (PDF-Leseprobe):
Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005
Heute vor 81 Jahren begann der „Hakenkeuzzug“ gegen die Sowjetunion [1], und ich möchte Ihnen meine neue Datei zur „Sonderbehandlung“ der Bürger*innen aus der UdSSR an Herz, Verstand und Seele legen.
Ich habe sie für Michael Schwarz, Jelena Kekachina, Maria Markielowa, Halina Wolkow und all die Anderen [2] geschrieben und freue mich besonders über die Veröffentlichung „auf LISA“ unter „Zu Wewelsburg“ [3] und „Kennzeichen ,OST‘“ [4].
Ansonsten möchte ich an diesem für mich in diesem Jahr aus mehreren Gründen ganz besonders schmerzhaften Jahrestag nur auf drei Bücher hinweisen. Sie begleiten mich seit vielen Jahren, und mit dem letztgenannten bin ich groß geworden; es gehört auch zum Erbe meiner Eltern:
Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
Wolfram Wette: „Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden“, Frankfurt am Main 2005
Harald Welzer: „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“, Frankfurt am Main 2007
Wolfgang Borchert: „Das Gesamtwerk“, Hamburg 1949
„Wenn sie Dir morgen befehlen, … dann gibt es nur eins: Sag NEIN!“ (S. 318 ff.)
„Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Haus. Aber er hatte kein Brot. Da sah er einen, der hatte Brot. Den schlug er tot.
Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter.
Christliche Soldaten der Wehrmacht – eine Erinnerung zum 81. Gedenktag des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion
Deutsche Soldaten beim Vormarsch nahe der deutsch-sowjetischen Interessengrenze, 22. Juni 1941 (Foto gemeinfrei: Bundesarchiv, Bild 146-2007- 0127 / CC-BY-SA 3.0)
Der größte zusammenhängende Genozid der Geschichte wurde von deutschen Waffenträgern nebst Helfershelfern 1941-1945 ausgeführt und ist doch nicht, wie das 80. Jahresgedenken 2021 auf besonders traurige Weise gezeigt hat, Teil der „nationalen Erinnerungskultur“ in Deutschland geworden.
(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)
1941 setzte die Wehrmacht den in Polen begonnenen „NS-Vernichtungsfeldzug gen Osten“ in der Sowjetunion mit Morden an über 20 Millionen Zivilisten (darunter drei Millionen Juden, sowie Sinti und Roma) und drei Millionen Kriegsgefangenen fort. Die großen Kirchen im Deutschen Reich predigten den Gläubigen, der Gehorsam gegenüber der staatlichen Kriegsobrigkeit sei von Gott verordnet.
Mit Blick auf Jesus von Nazareth muss man an dem Widerspruch, dem David Schmiedel in seiner Dissertation „Du sollst nicht morden“ (2017) aus religions- und geschichtswissenschaftlicher Perspektive nachgeht, irre werden: „Wie konnten christlich sozialisierte Menschen, die an einen gütigen und vergebenden Gott glaubten, einen Krieg führen, der ganze Bevölkerungsteile vernichtete und ganze Landstriche verwüstete? Wie konnten die Soldaten ihre Handlungen im Krieg gegen die Sowjetunion mit Gott rechtfertigen?“ (S. 12) Die Propaganda hatte ihnen die Bevölkerung als „slawische Untermenschen“, gelenkt von einer „jüdisch-bolschewistischen Funktionärsschicht“, vor Augen gestellt. Nachfolgend stelle ich Beispiele aus den von D. Schmiedel in seiner Studie herangezogenen Zeugnissen zusammen.
„Sie opferten sich, wie Christus“
Hitler hatte am 19. September 1939 schon den Sieg über Polen in biblische Sprache gegossen: „Mit Mann und Ross und Wagen, hat der Herr sie geschlagen.“ (S. 179) Der röm.-kath. Militärpfarrer Eickhoff glaubte geschichtstheologisch, „dass die Vorsehung Deutschland vielleicht dazu ausersehen habe, die Sowjetherrschaft zu zerschlagen“ (S. 299). Es schwebte ihm aber auch „vor, eine Einigung der Kulturstaaten herbeizuführen und dann gegen den Bolschewismus mit allen Kräften zu Felde zu ziehen“ (S. 177).
Die deutschen Kirchenleitungen assistierten der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie mit einem „christlich“ aufgeladenen Kreuzzug gegen das ‚Reich der Gottlosigkeit‘. Diese religiöse Hybris, so Schmiedel, „war Teil eines militärischen, kulturellen und rassischen Überlegenheitsgefühls gegenüber den Rotarmisten und gegenüber der Bevölkerung in den besetzten Teilen der Sowjetunion. Für die christlichen Wehrmachtssoldaten, die der Verschmelzung von politischer und religiöser Ideologie anheimgefallen waren, erwuchs ihr Herrschaftsanspruch vor allem aus ihrer Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde – sie waren die Menschen, die Kinder Gottes unter den ‚Tieren‘ und ‚Dämonen‘ der Sowjetunion. … Diese Art des Denkens erlaubte es diesen deutschen Soldaten zu töten, ohne im eigenen Verständnis gegen die Gebote Gottes zu verstoßen. … Doch da die Wehrmachtssoldaten ihrer eigenen Wahrnehmung nach in der göttlichen Ordnung der Dinge über den BewohnerInnen der Sowjetunion standen, waren es folglich auch sie selbst, die für die Verbrechen des sowjetischen Systems sühnen mussten – sie waren in ihrem Selbstverständnis die Einzigen, die es – als christliche Menschen in einem von Gott verlassenen Land – konnten. Die Soldaten wurden damit zu Märtyrern, die durch ihren Tod das vom sowjetischen System angerichtete Unrecht aufhoben und Gottes Ordnung auf Erden wiederherstellten. In dieser Ausdeutung kämpften die deutschen Soldaten nicht mehr für oder gegen eine bestimmte politische Ideologie, sie kämpften für Gott und dessen Ordnung – sie opferten sich, wie Christus es getan hatte“ (S. 454).
„Sie stürzten wie die Tiere über eine Regenpfütze“
Die Botschaft des „Heiligen Krieges“ wirkte als völkisch-religiöses Gemisch, wie es Leutnant Willy Fackler in einem Brief vom 18. August 1941 so zu Wort bringt: „Hier stehen Ordnung gegen Zerfall, Kultur gegen Barbarei, Seele und Geist gegen Materie, Persönlichkeit gegen Masse, im letzten Grunde – Gott gegen den Teufel. So ist dieser Kampf, weil er die Gesetze der Natur – und diese sind göttlichen Herkommens – verteidigt, ein wahrhaft heiliger Krieg. Es wird einen Sieg geben und einen Frieden, in dem die Völker dieser Erde nach ihrer Art und Leistung glücklich werden. Das Wort jenes Dichters leuchtet heute mehr denn je: ‚Am Deutschen Wesen wird einst die Welt genesen!‘“ (S. 160)
Aufhorchen lassen uns die zahllosen von David Schmiedel erschlossenen Belege für Herrenmenschentum und Antisemitismus der christlichen Soldaten: „Es gibt in den wahreren Gesichtern der Russen eine Dämonie zu Zeiten, die uns erschreckt, selbst wenn wir den H(ieronymus). Bosch kennen und ihn ernst nehmen.“ (S. 162) „Und was gibt es schon zu sehen! Juden, Holzhäuser und ärmlich aussehendes Polenvolk und ein Zeichen höherer Kultur sind nur Kirchen.“ (S. 163) „Wenn die Ordnungen durchbrochen werden, wie es geschah, bleibt doch weiß weiß und schwarz schwarz. Neger bleibt Neger. Davon ist natürlich nicht das Verhältnis berührt, das ich zum Nächsten habe, der relativ einen unvergleichlich höheren Wert hat.“ (S. 164) „Sie trägt einen Judenstern auf dem Arm und ein scheußlich jüdisches Gesicht, eins von der unangenehmen Art, so dass man ein Foto von ihr ohne weiteres in den ‚Stürmer‘ aufnehmen könnte. … Wie gesagt, sie gehört zu den typischen Judengesichtern und ist mir daher ziemlich widerwärtig.“ (S. 210) „Zum Kartoffelschälen haben wir uns etliche Jüdinnen an Land gezogen. Es waren tolle Erscheinungen dabei – eine Karikatur könnte auch nicht mehr viel dahin zutun.“ (S. 210) „Du, diese neu erfundene Aufteilung der Menschen in Juden und Arier hat doch ihr Gutes. Die Juden benehmen sich kläglich. Alte Greise ziehen vor uns jungen Sprintern hier ‚untertänigst‘ die Mütze. Pfui, das ist charakterlos. Auch die Knechtschaft soll man würdig tragen.“ (S. 211) „Diese Tage hier haben wir in einem Haus verbracht, in dem auch eine Jüdin Zuflucht gesucht hatte. Sie kauderwelschte auch Deutsch, d.h. natürlich jiddisch. Ihr Gesabbere war einfach furchtbar anzuhören.“ (S. 212) „Unvergesslich wird mir der Zug der russischen Gefangenen bleiben. 20.000 zogen an uns vorüber, ein Völkergemisch, … Sobald eine Regenpfütze auf der Straße glänzte, stürzten sie sich wie die Tiere darüber her und tranken das Dreckwasser. … ‚So hat sie der Herr geschlagen,‘ ging es mir durch den Sinn.“ (S. 436)
„Die Verpflegung ist wieder gut und reichlich“
Die Aneignung der Lebensgrundlagen anderer Menschen wurde den christlichen Rekruten der Wehrmacht schon in Polen beigebracht (S. 103-104) und gilt beim Krieg gen Osten als deutsches Anrecht: „Holz nehmen wir natürlich zuerst von eingestürzten Häusern oder solchen, die nicht mehr bewohnt werden. Wenn es aber in den Winter hinein geht, so werden wohl ganze Häuser zum Bunkerbau dran glauben müssen und manches Haus auch langsam zu Brennholz zerkleinert werden. Was soll der deutsche Soldat schließlich anderes machen. Seine Sicherheit und Gesundheit muss den Belangen der Bevölkerung vorgehen.“ (S. 157) „Die Verpflegung ist wieder gut und reichlich, fast zu viel auf einmal. Auf jeden Fall wird es uns nie schlecht gehen. Die Bevölkerung hier tut mir leid. Sie hat vorher schon sehr wenig besessen. Nun wird ihnen noch vieles genommen. Natürlich muss in erster Linie das Heer versorgt sein. Ich hoffe ja, dass es nach dem Kriege, wenn auch langsam, besser wird. Der Sowjetstaat muss wirklich das Volk ausgebeutet haben.“ (S. 224) „Doch sicherlich brauchten wir die fruchtbare Ukraine als Ernährungsbasis für die weitere Kriegsführung. Das schien mir einleuchtend: Vorsorge treffen, damit die Heimat zu essen hat. Als wir dann an der ehemaligen Kirche vorbeikamen, stieg in mir wieder die Hoffnung auf, dass in einer freien Ukraine vielleicht auch wieder christliche Verkündigung möglich sei.“ (S. 299)
Solche Widersprüche in einem Atemzug – die Räuber beschreiben ohne Scham das eigene Raubhandwerk und klagen gleichzeitig den ‚ausbeuterischen Sowjetstaat‘ an oder rühmen sich als Befreier der Christenheit – sind nur durch Abspaltung des eigenen Tuns erklärbar.
„Der Russe macht sich nichts aus dem Tod“
Sich christlich verstehende, auch sehr fromme Soldaten beschreiben das unentwegte Morden und Zerstören in geradezu lapidaren Wendungen: „Auf einem kleinen Platz standen viele Soldaten und redeten eifrig auf einen Juden ein … Kurz darauf hörte ich einige Pistolenschüsse.“ (S. 209) „Mit großen, tränenlosen Augen sehen die Zivilisten unserm Zerstörungswerk zu. Sie können unser Tun nicht begreifen, zumal sie uns ein paar Minuten vorher noch friedlich das Weihnachtsfest feiern sahen. Das ist ‚Woina‘ – Krieg!“ (S. 222) „Es ist das übliche[:] zerschossene Häuser, brennende Dörfer, verängstigte Zivilisten, jammernde Verwundete und viele Tote.“ (S. 233) „In den Wäldern sind Russen. Mit unseren Geschützen schießen wir auf den Waldrand. Auch Minenwerfer werden eingesetzt. Hin und wieder kommen aus den Feldern russische Soldaten heraus, um sich zu ergeben. Zum Teil werden sie von der Infanterie, die vor uns marschiert, erschossen. … Gestern, so hörten wir, hat man zweimal russische Parlamentäre erschossen, die mit weißer Fahne auf unsere Infanteristen zugekommen sind.“ (S. 246-246) „Mittags sahen wir, wie Fußsoldaten die Kornfelder und Gehöfte absuchten und flüchtige Soldaten aufscheuchten. Das gab ein lebhaftes Geknalle; denn diese Heckenschützen nahm man nicht gefangen. Statt dessen gingen die Gehöfte in Flammen auf, in denen man etliche fand.“ (S. 254) „Iwan hat anständig Federn lassen müssen. Alles junge Kerlchen, teils 15-16 Jahre, stur wie die Panzer. Wie Roboter, hören nicht auf Ruf noch sonst was. Laufen weiter stur. Man muss sie ‚umlegen‘. … Es ist übrigens erstaunlich, in welcher Menge wir neue Waffen herausgebracht haben.“ (S. 308) „Die Zivilbevölkerung hat aus dem Hinterhalt sich an diesen Kämpfen beteiligt. 20 Personen, darunter 2 Frauen, wurden standrechtlich erschossen. Das ist auch mehr wie Recht, denn was Gemeineres gibt es wohl kaum.“ (S. 258) „Es ist tatsächlich so, der Russe … macht sich nichts aus dem Tod, ist stur. Heute wurden bei uns wieder 20 von den Partisanen umgelegt, nicht einer der vorher zusammengeknickt wäre. Für die ist dieser Tod eben so wie jeder andere natürliche auch.“ (S. 259)
Die – hier nur vage angedeutete – Masse der von Schmiedel erschlossenen Dokumente zur ‚christlichen Zeugenschaft‘ des Völkermordes ist erdrückend. Wer z.B. die herangezogenen Briefpassagen des Katholiken Hans Ahrens (ND: Bund Neudeutschland) zusammenliest, findet bündische Lagerfeuerphilosophie, fromme Salven und schlimmste Abgründe zusammengebraut. Am 30./31. August 1941 schreibt dieser ND-Ritter: „Der Russe wird an eine Kuhle geführt, sieht hinein und schon jagt ihm einer eine Kugel durchs Genick, die durch den Kopf geht. Er stürzt vornüber und bekommt im Stürzen noch einen Tritt und schon liegt er auf anderen, die vor ihm in das unbekannte Jenseits befördert wurden. Ein anderer Russe springt dann herbei, schüttet Chlorkalk darüber und schon folgt der Nächste. Das ist ein hartes aber gerechtes Ende, wenn man das Vorhergehende kennt, wiewohl sich über die Methode streiten … Wenn dann letzten Endes die Fröhlichkeit diesem Dunkeln einfach nicht weichen will, so ist doch in unserem Glauben, der sagt, dass in allem ein Sinn sei, – doch: ‚Wer hat des Herrn Sinn erkannt‘! – Eine Kraft und ein Trost, wofür man nicht genug zu danken weiß“ (S. 254-255).
Am 21. März 1942 gibt Wehrmachtssoldat H. Ahrens in einem Brief dann Auskunft über seine Zeugenschaft im Angesicht der Vernichtung der Juden während des sogenannten Russlandfeldzuges: „Die Leichen, die man früher regellos auf einen Haufen warf, werden bereits, so gut es geht, aussortiert und über das halbe Tausend erschossener Juden hat man schon Kalk gefahren. Was im einzelnen noch hier geschah, – davon zu schreiben, ist nicht der rechte Ort.“ (S. 226) Deutsche Handwerksarbeit des Todes – ganz sachlich beschrieben.
Literaturnachweis
David Schmiedel: „Du sollst nicht morden“. Selbstzeugnisse christlicher Wehrmachtssoldaten aus dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Frankfurt: Campus Verlag 2017.
Die Bilder verändern sich. Stück für Stück weniger Wald. Hier auf der Silbacher Seite des Hillekopfs. (foto: zoom)
Neues zum „Harburger Blutmontag“ 1920: Im Heimfelder Kiez gescheitert … harbuch
»Wild, Wald und Pferde«: Das »Ostpreußische Landesmuseum« in Lüneburg gibt sich geläutert, die revanchistischen Wurzeln seien gekappt. Doch das Museum ist weiter fest in der Hand der »Vertriebenen« – und in einem Förderverein haben Rechte das Sagen … derrechterand
Etablierte Medien als Feindbild: Der Verfassungsschutzbericht für 2021 aus Berlin widmet sich erstmals ausführlich dem Umstand, dass etablierte Medien für Delegitimierer und Feinde des demokratischen Systems immer mehr zur Angriffsfläche werden. Dies geschieht inzwischen auch durch körperliche Gewalt etwa auf Demonstrationen und durch das Schüren von Hass und Misstrauen mit dem Begriff „Lügenpresse“. … endstationrechts
NRW-SPD: Wie konnte das nur passieren? Nur mickrige 26,7 Prozent erreichte die NRW-SPD am Sonntag. Es war das schlechteste Ergebnis, das sie jemals bei einer NRW-Wahl erzielte. Wie um alles in der Welt konnte das nur passieren? Die Partei hatte doch die besten Voraussetzungen, die jüngste Landtagswahl zu gewinnen … postvonhorn
Die sozialen Medien sind real: Filmreife Tötungsfantasie … gedankensplitter
Jahrzehntelanger Einsatz gegen soziale Ungleichheit: Der Nachlass von Fasia Jansen liegt jetzt im Archiv des Fritz-Hüser-Instituts in Dortmund … nordstadtblogger
Höhepunkt zur Halbzeit: Angela Winkler und Joachim Meyerhoff begeistern das Publikum der Ruhrfestspiele … revierpassagen
Städtebündnis: „NRW muss dieses Jahr die Altschuldenfrage lösen“ … doppelwacholder
Fällung von Naturdenkmalen nur noch nach Gutachten: Wir hatten hier schon mehrfach darüber berichtet, dass eine etwa 200 Jahre alte prächtige Eiche, die auf der Liste der Naturdenkmale stand, im März 2022 gefällt wurde … sbl
Mehmet Daimagüler, Opferanwalt der Nebenklage im NSU, referierte in der Alten Synagoge Meschede: „Unser Staat hat versagt. Jetzt sind wir dran.“ (foto: zoom)
Am vergangenen Samstag, dem 26. März, habe ich in Meschede eine Veranstaltung der VHS Hochsauerland zu den NSU-Morden und dem rechten Terror in Deutschland besucht. Referent im Bürgerzentrum Alte Synagoge war der bekannte Rechtsanwalt Dr. Mehmet Daimagüler, der im NSU-Prozess einige der Nebenkläger vertreten hatte.
Fast eine Stunde lang ließ er uns als ein exzellenter und geschliffener Redner aus reicher Erfahrung mit großer inhaltlicher Kompetenz in die mörderischen Abgründe unserer jüngsten Geschichte blicken.
25 Seiten habe ich mitgeschrieben und am Ende habe ich mich getraut zu denken: Deutschland wir haben ein großes Problem in Teilen des Staatsapparates und der Behörden. Ein Anfang wäre es, den Verfassungsschutz aufzulösen und die rechten Netzwerke in Polizei und Justiz zu zerschlagen.
Aber der Reihe nach. Mehmet Daimagüler war Mitglied der FDP. Es wollte auf dem Ticket der Partei Karriere machen. Auch wenn fast alle deutschen Medien von sogenannten „Döner-Morden“ sprachen und damit die Täterschaft in ein türkisches Drogen- und Bandenmilieu verschieben wollten, „wussten wir, meine Freunde, meine Bekannten, das müssen Nazis, Rassisten sein.“
Der Rechtsanwalt prüft noch heute sein damaliges Handeln. „Was habe ich eigentlich damals unternommen? Nach den Morden in Kassel und Dortmund waren dort vier- bis fünftausend Menschen auf der Straße. Ich war nicht auf Demos, ich war im Bundesvorstand der FDP.“
Seine politischen Freunde, wie bspw. Westerwelle, habe er nicht auf die falsche Richtung der Ermittlung angesprochen, denn „wenn du etwas sagst, wird dich das Stimmen auf dem Parteitag kosten.
Als ihn die Tochter eines Mordopfers bat, sie als Vertreter der Nebenklage vor Gericht zu vertreten, fragte er sich, ob ihn sein damaliger politischer Opportunismus nicht disqualifiziere?
Das, so die Tochter, sei dann sogar ein besonderer Grund.
Im Laufe der Zeit habe er dann zehn Menschen aus drei Opferfamilien repräsentiert.
Sein Plädoyer im NSU-Prozess ist als Buch erschienen [1]. Das habe ich mir gleich nach der Veranstaltung besorgt.
Was mir vom Nachmittag in der Alten Synagoge besonders in Erinnerung geblieben ist:
1. Das V-Mann-System
2. Die Einzeltäter-These
3. Das Schreddern bzw. Vorenthalten der Akten
4. Warum Kleinstunternehmer mit meist türkischem Migrationshintergrund?
5. Die lange Spur vor und nach den NSU-Morden
6. Die Rolle von Antisemitismus, Rassismus
7. Die Perfidität des „Döner-Mord“ Framings
8. Die hochgradige Vernetzung des NSU
9. Das Fazit
1. Das V-Mann-System
Ich habe früher gedacht, dass V-Leute so eine Art untere Ränge des Verfassungsschutzes (VS) seien. In Meschede habe ich gelernt, dass V-Leute vom VS aus der Szene angeworben werden. Es werden nicht die kleinen, dummen Nazis als V-Leute geführt, sondern bevorzugt die schlauen Nazi-Kader, also diejenigen, die eine große Rolle (Organisatoren, Vorstände, Hauptdrahtzieher usw.) spielen. Diese V-(oft)Männer werden von sogenannten V-Mann-Führern[sic!] „betreut“, also Beamten des VS, die einen Eid auf die Verfassung abgelegt haben. Begehen die V-Leute Straftaten, werden sie von ihren „Führern“ in der Regel gedeckt. Treffen zwischen V-Leuten und ihren VS-Führern sind meist konspirativ, bspw. auf Parkplätzen. Der V-Mann berichtet, der V-Mann-Führer gibt ihm Geld. Wenn es nichts aus der Szene zu berichten gibt, kann der V-Mann dafür sorgen, dass es Neuigkeiten gibt. Also bspw. zwei Tage vor dem konspirativen Treffen für die Nazi-Kumpel eine Sauf-Party veranstalten, danach „Ausländer klatschen“, besoffen Nazi-Sprüche grölend durch den Stadtteil ziehen und Scheiben einschlagen, und schon gibt es etwas zu berichten. Der V-Mann-Führer schreibt fleißig mit und am Ende gibt es Geld.
2. Die Einzeltäter-These
Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos waren äußerst vorsichtig und fuhren stets nur mit Mietwagen zu den Tatorten, aber auch bspw. in den Urlaub. Die gefahrenen Kilometer sind recherchiert und decken sich mit den bekannten Fahrten. Es bleiben keine Kilometer übrig. Das bedeutet, dass das Trio die Anschlagsorte und potentiellen Opfer nicht selbst recherchiert hat. Sie mussten also Tipps und Recherchen der lokalen Nazi-Szene genutzt haben. Der NSU war (?) Teil eines Netzwerks.
3. Akten schreddern
Oft wurden sehr zeitnah nach den Taten in großem Ausmaß von den Behörden Akten geschreddert. Noch vorhandene Akten wurden als geheim deklariert und nahezu unzugänglich archiviert. Es liegt auf der Hand, dass damit Aufklärungsarbeit verhindert wird.
4. Warum kleine Gewerbetreibende mit türkischem Migrationshintergrund?
Es gibt Hinweise darauf, dass Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos in Berlin die beiden Synagogenen checkte, denn eigentlich wollten sie Jüdinnen und Juden ermorden. Sie haben aber die dortigen Sicherheitsmaßnahmen gesehen und da ( siehe 2) sie sehr vorsichtig agierten, fielen jüdische Einrichtungen als Ziel aus.
5. Der NSU ist die Nachfolgeorganisation des brandgefährlichen „Thüringer Heimatschutzes“. Nazi-Verbrechen, rassistische Anschläge und Morde (Hoyerwerda, Solingen, …) fanden schon lange vor der NSU-Mordserie und auch danach (München, Hanau, Kassel, …) statt.
6. Die Rolle von Antisemitismus, Rassismus
Flüchtlinge, Deutsche mit Migrationshintergrund, Politiker wie Walter Lübcke, die sich für Flüchtlinge einsetzen – der unmittelbare Antisemitismus und Rassismus ist offensichtlich. Bei den Ermittlungsehörden war und ist Rassismus kein zentales Thema. Der Staat wollte nicht über das Thema reden.
7. Die Perfidität des „Döner-Mord“ Framings
Mit 6. hängt das „Framing“ der Morde als „Döner-Morde“ zusammen. Medien, aber eben auch die Ermittlungsbehörden und Polizei gingen unmittelbar davon aus, dass die Opfer aus einem kontruierten sogenannten eigenen Milieu ermordet wurden: Kriminalität im türkischen Drogenbandenbereich. Die Opfer wurden zu Tätern gemacht. Das rechte Auge von Polizei war und blieb blind. Ermittlungen in die richtige Richtung unterblieben. Wichtige Zeugenaussagen wurden nicht verfolgt.
8. Die hochgradige Vernetzung des NSU
Wie unter 2. beschrieben, muss man davon ausgehen, dass der NSU kein Trio, sondern ein wahrscheinlich immer noch existierendes Netztwerk ist.
9. Das Fazit
Der NSU-Prozess war eine „verpasste Chance in den Abgrund zu schauen“.
Mehmet Daimagüler: „Wenn wir die offenen Fragen nicht beantworten, dann ist nach dem NSU vor dem NSU. Alles was in der Verfassung steht, bleibt leeres Papier, wenn wir nicht bereit sind, die Verfassung zu leben.“
Am 9. März 2022 hat die deutsche Bundesregierung Mehmet Daimagüler zum ersten Beauftragten gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Sintize sowie Roma und Romnja in Deutschland ernannt.
————-
[1] Mehmet Daimagüler, Empörung reicht nicht! Unser Statt hat versagt. Jetzt sind wir dran, Mein Plädoyer im NSU-Prozess, Köln 2017, 350 Seiten, ISBN 978-3-7857-2610-5
Sofern Sie Ihre Datenschutzeinstellungen ändern möchten z.B. Erteilung von Einwilligungen, Widerruf bereits erteilter Einwilligungen klicken Sie auf nachfolgenden Button.
Einstellungen