Der grüne Kretschmann und der Adel: Tiefer können die Grünen nicht mehr sinken.

Geschichte vergeht nicht. Es gibt Texte, die man/frau mehr als einmal lesen sollte. (foto: zoom)

Der Adel hat die Bauernkriege gewonnen, blutig. Ich empfehle dazu Friedrich Engels. Der Adel hat den Dörfern das gemeinschaftliche Land geraubt, die Allmende. Er hat sich die Wälder, die einmal allen gehörten, mit Gewalt angeeignet.

(von Jutta Ditfurth (c) 2017)

Er hat mit Folter und Mord den Bauern und Bäuerinnen alle Rechte und Lebensperspektive genommen. Nur durch Gewalt hat der Adel, auch in Kriegen und anderen Raubzügen, die Besitztümer an sich gerafft, die er, vor allem auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik, oft heute noch hat. Gelegentlich kamen auch Pogrome hinzu, oftmals als eiskalt kalkuliertes Projekt der Entschuldung oder als Ventil bei sozialer Unruhe. Auch im satten, wohlhabenden Baden-Württemberg lief das nicht anders.

Der kritische, aufgeklärte Citoyen braucht den Adel nicht. Aber Aufsteiger*innen und selbstwertbeschädigte Kleinbürger*innen suhlen sich gern im Glanz von … ja, was eigentlich?

Ich hielt es zuerst für eine Meldung des Postillon, für Satire. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dem auch zu seinen radikalsten Zeiten beim KBW (Kommunistischen Bund Westdeutschland) mental weder die Flucht aus dem deutschen Schützenverein noch aus der katholischen Kirche gelang, lädt 80 großgrundbesitzende Adlige zum Empfang.

Um nichts falsch zu machen ließ er sich dabei von der Adelsvereinigung (!) und dem Hauptstaatsarchiv beraten. Zur Beschaffung und Lektüre der heute noch antidemokratischen und republikfeindlichen Satzungen und Statuten der Adelsvereinigung sowie der einzelnen Adelshäuser hat der Einfluss des grünen Ministerpräsidenten vermutlich nicht gereicht.

Worum geht’s (offiziell)? Der grüne Kretschmann will den baden-württembergischen Adel für Erhalt und Pflege von Schlössern und Wäldern loben. Womit wir wieder bei den Bauern wären, der nieder- und ausgepressten Landbevölkerung im eigenen Land und in den Landstrichen Europas, in denen auf Befehl des deutschen Adels, geraubt, geplündert, massakriert und erschlagen wurde bis ins 20. Jahrhundert.

In Adelskreisen gibt es einen Witz: Welches Lebewesen ist dem Menschen am nächsten?

Antwort: Der Bürger.

Tiefer können die Grünen nicht mehr sinken.

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Torfabrik Meschede steigt in die heiße Phase des Wahlkampfs ein: Fußballkunst und Fortschritt

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Nun steigt auch die Torfabrik Meschede in die heiße Phase des Wahlkampfs ein. Entscheiden Sie sich am Samstag, den 13. Mai 2017 für Fußballkunst und Fortschritt. Wir brauchen jede Stimme!

Ergreifen Sie Partei für die Torfabrik und feuern Sie unsere Mannschaft im heimischen Dünnefeldstadion lautstark an. Beim 1. Spieltag der Regionalliga Westfalen kommt es auf Ihre Stimme an.

Unsere Wahlkampfversprechen lauten:

  • Freier Eintritt für alle!
  • Schöne Tore für die ganze Familie!
  • Voller Einsatz in allen Mannschaftsteilen!
  • Die Verpflegung ist sicher!
  • Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten!

Weitere Informationen auf der Website der Torfabrik: www.torfabrikmeschede.de

JAHRBUCH für PÄDAGOGIK 2015 – Inklusion als Ideologie?

Titelseite der GE-W163 – Zeitung für alle Beschäftigten an Schulen in Gelsenkirchen und Gladbeck. (screenshot)

Seit einigen Jahren beherrscht das Thema Inklusion Land auf – Land ab die bildungspolitische Diskussion in der Gewerkschaft, in den Parteien, in den Lehrerzimmern. Kritik, die in diesen Diskussionen laut wird, richtet sich zumeist gegen die fehlenden Ressourcen.

(Unser Autor Karl-Heinz Mrosek hat den Artikel zuerst in „GE-W163 – Zeitung für alle Beschäftigten an Schulen in Gelsenkirchen und Gladbeck“ veröffentlicht.)

Da beklagen sich Kommunen, dass sie die zusätzlichen Kosten nicht schultern können, da melden sich Lehrerinnen und Lehrer zu Wort, die auf die große Belastung im Unterricht hinweisen, die sie nun zusätzlich zu leisten haben.

Dabei gerät die wissenschaftliche Diskussion zu dieser Frage in den Hintergrund. Ich hatte in unserer GEW-Zeitung zuletzt im August 2013 (dort S. 5-7) auf den Aufsatz von Professor R. Dollase „Grenzen der Inklusion“ hingewiesen.

JAHRBUCH für PÄDAGOGIK 2015

Nun fiel mir das JAHRBUCH für PÄDAGOGIK 2015 in die Hände.

Titel: Inklusion als Ideologie. Auf 351 Seiten finden wir eine Sammlung von Aufsätzen, die sich aus wissenschaftlicher Sicht kritisch mit der „Inklusionsbewegung“ auseinandersetzt.

So schreiben die Herausgeber Sven Kluge, Andrea Liesner und Edgar Weiß im Editioral:

  •  …„nichts desto weniger lässt die aktuelle Inklusionsrhetorik vermuten, dass durch sie die Umsetzung emanzipatorischer Anliegen de facto erschwert wird, …“
  •  …„die inklusionspädagogischen Konzepte weisen Widersprüche auf, die durch die offizielle Inklusionsrhetorik allenfalls vernebelt werden. Die für die Inklusionspädagogik charakteristischen Forderungen nach ‚Individualisierung‘ und ‚Heterogenitätssensibilität‘ werden vor dem Hintergrund gleichzeitiger Standardisierung und der uneingeschränkten Akzeptanz der Selektionsfunktion der Schule faktisch zur Farce.“
  •  „Die Tatsache, dass sich Inklusion hervorragend zum neoliberalen Sparmodell eignet, bzw. die Einebnung spezifischer Fördereinrichtungen und die umstandslose Überantwortung deren vormaliger Aufgaben an die Regelschulen kostensparend ist, ist geeignet, die humanitären Ansprüche der Inklusionspädagogik als fragwürdig erscheinen zu lassen.“ Die Inklusionsdebatte stilisiert die Inklusion und problematisiert sie im Sinne einer Allumfassungs-Illusion und zum vermeintlichen Wert an sich.
  •  „Die Debatte über Inklusion (würde) im Mainstream auf wenig mehr hinauslaufen, als die Einpassung in das bestehende System bis an die Grenze der Zumutbarkeit für alle Beteiligten.

Auch Karl-Heinz Dammer ist mit einem Aufsatz vertreten:

„Gegensätze ziehen sich an – Gemeinsamkeiten zwischen Inklusion und Neoliberalismus“

Einen Absatz überschreibt er mit „Das Hochamt des Individuums“.

Er spricht von der „neuen Lernkultur“ und formuliert dann wie folgt, dass dieser Erziehungsversuch – sei es schulisch oder durch flächendeckende Propaganda – Früchte trägt belegt u. a. die „Optimized-Self“-Bewegung derer, die ihren Lebenswandel in möglichst jeder Hinsicht selbst digital kontrollieren, um „optimal aufgestellt“ zu sein.

Unabhängig davon, wie bunt Inklusion ihre rhetorischen Girlanden um das Individuum flechten mag, ist sie im Rahmen „neuer Lernkultur“, vorsichtig formuliert, dazu angetan, eben dieses Individuum auf Linie zu bringen.

Sie leistet damit für die Formierung des „unternehmerischen Selbst“ mindestens genauso viel, wenn nicht mehr, als die standardisierte Kompetenzmessung, denn diese kann nur den Grad der Erfüllung bestimmter Vorgaben zu Protokoll geben, während die „neue Lernkultur“ bei der Veränderung der Individuen selbst ansetzt.

PISA dient dazu, von außen künstliche Wettbewerbe (vgl. Binswanger 2010) zu inszenieren und damit das Bildungssystem als Ganzes im Sinne neoliberaler Dauerreform zu mobilisieren, dies kann aber langfristig nur dann gelingen, wenn gleichzeitig auch die einzelnen Menschen durch Erziehung zur Selbststeuerung mobilisiert werden. Knapp gesagt: Die von Foucault vorgedachte und von Deleuze so bezeichnete „Kontrollgesellschaft “, in der Fremdbestimmung sich als Selbstbestimmung artikuliert, braucht Inklusion, was vielleicht auch erklären mag, warum ein theoretisch so schwach begründeter Begriff wie „Inklusion“ in, verglichen mit früheren Bildungsreformprozessen, atemberaubender Geschwindigkeit und Betriebsamkeit in die Praxis umgesetzt wird.

Zum Schluss noch eine Leseprobe aus dem Aufsatz von Edgar Weiß:

Inklusionsideologie und pädagogische Realität.

Vor allem aber ist es für die Inklusionspädagogik kennzeichnend, dass sie die Einsicht: „Die Gesellschaft , die Ausgrenzung bewirkt, muss selbst verändert werden, wenn denn Ausgrenzung überwunden werden soll“ (Kronauer 2010, S. 134) unbeachtet lässt.

Der Umstand, dass soziale Asymmetrien, damit immer auch Formen sozialer Exklusion, dem Kapitalismus wesensgemäß sind und dass sozialstrukturell bzw. klassen- und schichtenbedingte Ungleichheiten nicht durch inklusionspädagogische Innovationen überwunden werden, bleibt zugunsten idealistischer Appelle unreflektiert. Unreflektiert bleibt damit zugleich, dass idealistische Inklusionspädagogik mit den kapitalistischen Bedingungen nicht nur kompatibel bleibt (vgl. Dammer 2011, S. 27; Bernhard 2012, S. 344 ff .), sondern für deren Verschleierung geradezu in Dienst genommen werden kann.

Es ist kein Zufall, dass der neoliberale Kapitalismus sich die „Heterogenität als Chance“-Konjunktur im Zuge von „Management Diversity“ zunutze macht (vgl. Stroot 2007), der Bertelsmann-Konzern „Inklusion“ „zu seinem Anliegen“ erhoben hat (Bernhard 2012, S. 346) und die Vereinbarkeit der Inklusionspädagogik mit der schulischen Selektionsfunktion betont wird, die eben zum „marktwirtschaftlich-demokratischen System“ gehöre, „das in partiell hierarchische Organisationen strukturiert ist“ (Prengel 2011, S. 38).

Darauf, dass die populär gewordene Inklusionsrhetorik unter dem Anspruch der Menschenfreundlichkeit eine wenig menschenfreundlich beschaffene Realität ideologisch kaschiert, verweisen verschiedene Fakten.

Angesichts des Umstandes, dass die bestmögliche Förderung besonders Förderbedürftiger durch inklusive Schulen deren – sich faktisch keineswegs abzeichnende – bessere Ausstattung mit den erforderlichen Ressourcen erforderte, lässt sich der bildungspolitisch verfügte Inklusionszwang als Versuch begreifen, „die Austeritätspolitik im Bildungsbereich unter einem humanen Deckmantel fortzuführen“ (Bernhard 2012, S. 348).

Mithin verschleiert die inklusionskonstitutive Individualisierungs-Euphorie die Tatsache, dass sich das ihr zugrunde liegende Begriffsverständnis einer bestimmten semantischen Zurichtung bedient.

Individualisierung ist insoweit ein „widersprüchlicher Prozeß der Vergesellschaftung“, als sie nicht nur den emanzipatorischen Auf- und Ausbruch aus traditionellen Gegebenheiten bedeuten kann, sondern auch den Umstand benennt, dass Menschen heute „verstärkt auf sich selbst und ihr individuelles Arbeitsmarktschicksal mit allen Risiken, Chancen und Widersprüchen verwiesen“ sind (Beck 1986, S. 119, 116).

Individualisierung heißt insofern, dass Systemprobleme „in persönliches Versagen abgewandelt“ werden (ebd., S. 118).

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Das Buch ist erschienen bei PETER LANG, Edition. Es kostet 20,00 €, die sich lohnen. Für Studenten und Referendare besteht auch die Möglichkeit, dieses Buch beim Stadtverband Gelsenkirchen der GEW auszuleihen.
Das Jahrbuch ist erschienen bei PETER LANG, Edition. Es kostet 20,00 €, die sich lohnen. Für Studenten und Referendare besteht die Möglichkeit, das Buch beim Stadtverband Gelsenkirchen der GEW auszuleihen.

Sonntagsfrage Januar 2017: Rechtstrend ungebrochen. Ist die GroKo alternativlos?

Umfragewerte der Parteien im Januar 2017 (grafik: jurga)

17. Januar 2017. Nach einiger Zeit mal wieder ein Blick auf die Umfragewerte der Parteien. Hier die arithmetischen Mittel aus den – recht aktuellen – Resultaten aller Meinungsforschungsinstitute (außer Allensbach, das in diesem Jahr noch nichts vorgelegt hat).

(Ein Gastbeitrag von Dr. Werner Jurga, zuerst erschienen hier auf jurga.de)

Im Vergleich zu September haben sich durchaus Veränderungen ergeben. Während sowohl SPD als auch Grüne Einbußen hinnehmen mussten, konnten die Unionsparteien zulegen – in beträchtlichem Maße: von 32,5 % auf 36 %.

Das ist erstaunlich. Schließlich weiß der Unionswähler ja gar nicht, ob sein Kreuzchen für Merkels Politik der Mitte gewertet wird. Oder für den konservativen Kurs der CDU oder für die rechtspopulistischen Töne der CSU.

Aber vielleicht ist gerade die enorme Bandbreite des inhaltlichen Spektrums das Geheimnis des Erfolgs der Union in den Umfragen. Wer weiß? Wer es nicht so gut meint mit den Schwarzen, mag sich damit trösten, dass die jetzt gemessenen 36 % noch ein ganzes Stück von den 41,5 % bei der letzten Bundestagswahl entfernt sind.

Wer allerdings darauf hofft, Merkel könne bei der Wahl im September von einer rot-rot-grünen Koalition abgewählt werden, muss schon mit einem äußerst starken Hang zum Optimismus ausgestattet sein.

Gegenwärtig schaffen alle drei Parteien links von der Mitte zusammen nicht einmal 40 %. Vor diesem Hintergrund verliert die programmatische Frage, ob denn Rot-Rot-Grün überhaupt funktionieren könne, spürbar an Bedeutung.

Auf der anderen Seite reicht es auch nicht für Schwarz-Grün, obgleich hier die Ausgangslage freilich ungleich günstiger (45,5 %) ist als für R2G (39,5 %). Nichtsdestotrotz erscheint ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene sehr unwahrscheinlich. Für die CSU ist es ausgeschlossen, ein Jahr vor der Landtagswahl in Bayern eine Koalition mit den Grünen einzugehen.

Ja, es hat durchaus Veränderungen in den Meinungsumfragen gegeben. Durchaus beträchtliche. Doch letztlich, also machtpolitisch, spielen sie überhaupt keine Rolle.

Solange eine nationalchauvinistische Kraft wie die AfD mit deutlich mehr als zehn Prozent in den Bundestag einzieht, ist der demokratische Wechselmechanismus zwischen Rechts und Links gestört. Es geht unter diesen Umständen halt nur die GroKo, die wegen der chronischen Schwäche der Sozialdemokraten nicht mehr ganz so groß ist.

Ich weise regelmäßig darauf hin, dass jede Bildung einer Großen Koalition Wasser auf die Mühlen der rechtsradikalen Propaganda ist, derzufolge „die da oben“ alle unter einer Decke steckten.

Das ist ein Dilemma, scheinbar ein Perpetuum mobile der rechten Demokratiefeinde. Dumme Sache, keine Frage. Und doch: hier liegt der Kern des Problems nicht.

Wir beobachten dieses Dilemma zwar überall, wo es ein Verhältniswahlrecht gibt. Doch nationalchauvinistische Kräfte sind auch dort im Aufwind, wo es das nicht gibt oder schlicht nicht so eine herausragende Rolle spielt.

Die rechte Welle rollt, weil die vermeintlichen oder tatsächlichen Verlierer die Rechten wählen, und nicht wegen eines koalitionspolitischen Dilemmas.

Wer glaubt, mit einer schwarz-grünen Koalition sei der AfD-Spuk erledigt, warte die Landtagswahl im Herbst 2018 in Hessen ab. Oder die in Baden-Württemberg ein halbes Jahr später.

Ich befürchte, die Rechtsradikalen werden auch dann gewählt, wenn keine Große Koalition am Ruder ist. Die koalitionspolitischen Dilemmata sind nicht die Ursache für die Wahlerfolge der AfD. Umgekehrt stimmt es jedoch schon: die AfD im Bundestag garantiert die GroKo.

So wie die Dinge liegen, wird die schwarz-rote Bundesregierung in die Verlängerung gehen. Das ist nicht schön. Noch unschöner sind Rechtsradikale im Parlament.

Werner Jurga, 17.01.2017

Unsere Erde ist schon lange keine Scheibe mehr. Deshalb: #konservativstattrechts

Patrick Kunkel (CDU), Bürgermeister von Eltville am Rhein. (foto: kunkel)

Meine Partei, die Christlich-Demokratische Union, darf sich meiner Meinung nach niemals mit der AfD zusammen tun. Sobald wir es zulassen, dass sich CDUler mit AfDlern verbünden, müssen wir uns um die freiheitlich-demokratische Grundausrichtung der Union Gedanken machen. Dann geben wir uns als CDU auf.

(Der Beitrag von Patrick Kunkel ist ursprünglich auf Facebook erschienen. Ich kenne Patrick Kunkel als klugen CDU-Politiker von der Plattform Twitter. Dort ist er als https://twitter.com/Patrick_Kunkel unterwegs. Ich halte seinen Text für sehr wichtig.)

Eine Annäherung an die AfD seitens der CDU darf es deshalb niemals geben. Für jeden Konservativen muss allein diese Vorstellung schon ein Graus sein.

Längst hat die AfD ihr Mäntelchen einer Protestpartei, „die denen da in Berlin mal zeigen wird, wo der Hammer hängt“, abgelegt. Die AfD wird immer gefährlicher.

Dabei speist sich die AfD auch aus den Reihen frustrierter Unionsanhänger, die sich bei der AfD eine Aufwertung versprechen. Die AfD verwendet inzwischen ganz offen Worte und Begrifflichkeiten aus dem Dritten Reich; Nazi-Jargon hält so wieder Einzug in unsere Sprache…

Die NeuRechte Bewegung um ihre Gallionsfigur, den radikal NeuRechten AfDler Björn Höcke, macht sich daran, Begriffe wie „Völkisch“ wieder salonfähig zu machen. Ein perfider Höcke ist dabei sehr viel gefährlicher als ein plumper Gauland…

Am rechten Rand der CDU wird inzwischen offen mit AfD-Gedankengut sympathisiert. Man spricht in diesen Kreisen von rechtspopulistisch und nicht mehr von extrem rechts, wenn man über die AfD spricht.

Ich habe auf @Twitter das Hashtag #konservativstattrechts ins Leben gerufen. Ich bin konservativ und nicht rechts.

Als Konservativer möchte ich das, was sich bewährt hat, für die Zukunft bewahren und meine Politik darauf aufbauen. Ein konservatives Fundament ist ein starkes Fundament für eine eigene Politik, die sich offen für die Zukunft mit all ihren Neuerungen zeigt – auch an gesellschaftlichen Neuerungen.

Wer aber rechts ist, der bleibt in der Vergangenheit, die sich für ihn verklären mag und in der er für sich eine Aufwertung sieht, hängen – ein Rechter verstrickt sich in seinem Gedankengefängnis. Er bastelt sich eine einfache Welt aus Gut und Böse, in der er immer der Gute ist.

WICHTIG:
Ich lasse mir meine konservative Grundeinstellung nicht von gefährlichen NeuRechten wegnehmen.
Deshalb kämpfe ich hier auch schon um die Begrifflichkeit.
Wenn sich hier auch schon auf Facebook einige Rechte als „Konservative“ bezeichnen, die jetzt mal der Merkel Contra geben, dann möchte ich laut rufen:
Ihr nehmt mir das Konservative nicht weg.
Ihr seid doch nur rechts und ich bleibe konservativ.

Ich finde, dass sich auch die CDU noch sehr viel stärker gegen jedwede rechte Tendenzen aussprechen muss.
Unsere freiheitlich-demokratische Partei braucht viele Menschen die den Mund aufmachen und bekennen: JA ich bin #konservativstattrechts.

BITTE liked und teilt meinen Text.
Seid konservativ und zeigt den Rechten die Rote Karte !!!

For the Love of Money: Tycoon Donald Trump und „The Apprentice“

Vor über fünf Jahren schrieb Andreas Lichte einen Artikel bei den Ruhrbaronen.

Die Hauptfigur: Donald Trump, ein Zyniker des großen Geldes, der die Menschen auf dem (Medien-)Altar der Geldgier demütigt.

Heute ist dieser Mann der designierte 45. Präsident der USA. Hat sich etwas geändert?

In der Amerikanischen Fernseh-Reality-Show „The Apprentice“ bewerben sich Kandidaten in einem „13-wöchigen Job-Interview“ für einen mit 250.000 US$ dotierten Einjahresvertrag in einem der Unternehmen des Tycoons Donald Trump.

Von Andreas Lichte

Als Titelsong dieser Feier des Kapitalismus wurde „For the love of money“ von „The O’Jays“ ausgewählt. Der Song-Titel stammt aus dem Bibelvers 1 Timothäus 6:10:

„For the love of money is the root of all evil: which while some coveted after, they have erred from the faith, and pierced themselves through with many sorrows“

[„Denn Geldgier ist eine Wurzel alles Übels; danach hat einige gelüstet und sie sind vom Glauben abgeirrt und machen sich selbst viel Schmerzen“]

Aber das lässt man in „The Apprentice“ einfach weg, höre selbst – ab 0:42 Minuten, Zitat:

„I know that money – [Auslassung]

– [Auslassung]

Give me a nickel, brother, can you spare a dime

Money can drive some people out of their minds“

 

Vergleiche den Originaltext der O’Jays:

„I know money is the root of all evil

Do funny things to some people

Give me a nickel, brother can you spare a dime

Money can drive some people out of their minds“

Der Lead-Sänger der O’Jays, Eddie Levert, beschwerte sich einmal, dass in den Jahren seitdem der Song ein Hit wurde, seine Botschaft des Bewusstseins und der Selbstkontrolle in eine des Pro-Götzendienstes verdreht wurde.

So wird alles zu Geld gemacht, selbst die Kritik am Geld. Gibt es ein schlagenderes Beispiel dafür, wie die Protest- und Jugendkultur in der bürgerlichen, kapitalistischen Welt vermarktet wird?

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Eine tanz- tanz- tanzbare! Fassung des songs „For the love of money“ – mit der ursprünglichen kritischen Botschaft:

Money, money, money, money

Money

Money, money, money, money

Money

Money, money, money, money

Money

Some people – got to have it

Some people – really need it – y’all

Use it

Do things, do things, do things – bad things with it

Let me use it

Do things, do things, do things – good things with it

For the love of money

People will steal from their mother

For the love of money

And people will rob their own brother

For the love of money

Just the People can’t even walk the streets

Because they’ll never know

Who in the world they’re gonna meet

For that lean, oh mean

Mean green

Almighty dollar

For the love of money

People will lie – Lord, they will cheat

For the love of money

People don’t care who they hurt or beat

For the love of money

A woman will sell her precious body

For a small piece of paper

It carries a lot of weight

For that lean, mean, mean green

Mean green

Almighty dollar

I know that money is the root of all evil

Do funny things to some people

Give me a nickel, brother can you spare a dime

Money can drive some people out of their minds

For the love of money

(…)

For the love of money

(…)

For the love of money

(…)

People, don’t let money – don’t ever let the money change you

Almighty dollar

Talking about – talking about money

People, don’t let money – don’t ever let the money change you

(…)

Almighty dollar

(…)

Hartmut Traub, Alanus Hochschule und Rudolf Steiner: Jeder Mensch ein Wissenschaftler!

Alanus2016082101Die anthroposophische „Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft“ kämpft um eine Anerkennung der „Waldorfpädagogik“ als Erziehungs-„Wissenschaft“[1]. Dazu muß zunächst für Rudolf Steiner, Begründer der „Anthroposophie“ und Waldorfschulen, ein neues, positives und neutrales Image erschaffen werden: weg vom „verstörenden“ Esoteriker Steiner, hin zum bedeutenden Philosophen Steiner[2]. Hartmut Traub, Lehrbeauftragter der Alanus Hochschule, hielt dazu im Mai 2016 einen Vortrag, in dem er Steiner wie gewünscht „wissenschaftlich-philosophisches Denken“ bescheinigt.

(Der Beitrag von Andreas Lichte ist zuerst auf der Website des hpd erschienen.)

In seinem Vortrag „Wissenschaft, Mythos und andere unproduktive Etikettierungen …“ zitiert Hartmut Traub auf 15 Seiten nicht ein einziges Mal Rudolf Steiner, und das, obwohl er Steiners „Anthroposophie“ die einzigartige Eigenschaft zuspricht, Mythos und Wissenschaft in sich zu vereinen, Zitat Traub, Seite 7:

„Der vermeintlich mythologische Charakter der Anthroposophie ist danach die veranschaulichende, didaktisch methodologisch explorierte Weiterentwicklung des philosophischen Denkens, das selbst in der ‘Hochphase’ der Anthroposophie sein mythologiekritisches Potential nicht verliert (Traub 2014, S. 149ff.).

Das Mythologische wird bei Steiner somit weder reflexiv verwissenschaftlicht, noch verhüllt es das wissenschaftliche Denken, sondern dem Mythologischen ist das wissenschaftlich-philosophische Denken explizit immanent. Und das heißt, die Anthroposophie ist ihrem Wesen und Anspruch nach kein mythologisches Denken, und schon gar keine Rückkehr zum Mythos, sondern die weiterentwickelte, veranschaulichte und methodologisch didaktisierte Philosophie Rudolf Steiners.“

Unterstützer der Anthroposophie wie Hartmut Traub vermeiden, Rudolf Steiner selber sprechen zu lassen, es sei denn, in kurzen, sinnentstellenden Zitaten.

Wo ist in Steiners Aussagen das  „wissenschaftlich-philosophische Denken“, die „weiterentwickelte, veranschaulichte und methodologisch didaktisierte Philosophie Rudolf Steiners“?

Um zu konkretisieren, wie weit sich Hartmut Traubs Interpretation von Rudolf Steiner entfernt, hören wir, was Steiner wirklich selber sagt, ein für ihn typisches Zitat:

„(…) Und so kann man sagen: Die Weißen können überallhin, können heute sogar nach Amerika hinüber. Alles dasjenige, was an weißer Bevölkerung in Amerika ist, das ist ja von Europa gekommen. Da kommt also das Weiße hinein in die amerikanischen Gegenden. Aber es geschieht ja etwas mit dem Menschen, wenn er von Europa, wo er dazu natürlich gebildet ist, daß er alles im Innern entwickelt, nach Amerika hinüberkommt. Da ist es so, daß gewissermaßen schon etwas sein Hinterhirn in Anspruch genommen werden muß. In Europa, sehen Sie, hat er als Europäer hauptsächlich das Vorderhirn in Anspruch genommen. Nun, in Amerika, da gedeihen diejenigen, die eigentlich zugrunde gehende Neger einmal waren, das heißt sie gedeihen nicht, sie gehen zugrunde, die Indianer. Wenn man dahin kommt, da ist eigentlich immer ein Kampf zwischen Vorderhirn und Hinterhirn im Kopf. Es ist das Eigentümliche, daß wenn eine Familie nach Amerika zieht, sich niederläßt, dann bekommen die Leute, die aus dieser Familie hervorgehen, immer etwas längere Arme. Die Arme werden länger. Die Beine wachsen auch etwas mehr, wenn der Europäer in Amerika sich ansiedelt, nicht bei ihm selber natürlich, aber bei seinen Nachkommen. Das kommt davon, weil die Geschichte mehr durch das Mittelhirn hindurch nach dem Hinterhirn sich hinzieht, wenn man als Europäer nach Amerika kommt. (…)“[3]

„Typisch“ an der oben vorstellten Textpassage ist, dass Rudolf Steiner seine Zuhörer bzw. Leser mit „unerhörten“ geistigen Tatsachen überrascht. Das kann Steiner, da er Einblick in die „Akasha-Chronik“, ein geistiges Weltengedächtnis in der „Ätherwelt“ („akasha“, Sanskrit: Äther) hat. In dieser „Chronik“ seien alle Ereignisse der Geschichte, alle Taten, Worte und Gedanken der Menschheit enthalten, die dem „Geistesforscher“ – also ihm selber – zur Verfügung stünden. Steiner sagt über seine Rolle als „Seher“: „Meinen Schauungen in der geistigen Welt hat man immer wieder entgegengehalten, sie seien veränderte Wiedergaben dessen, was im Laufe älterer Zeit an Vorstellungen der Menschen über die Geist-Welt hervorgetreten ist (…) Meine Erkenntnisse des Geistigen, dessen bin ich mir voll bewusst, sind Ergebnisse eigenen Schauens“[4]. Und: „Das müssen wir uns immer wiederum vor die Seele stellen, dass wir nicht aus Urkunden schöpfen, sondern dass wir schöpfen aus der geistigen Forschung selbst und dass wir dasjenige, was aus der Geistesforschung geschöpft wird, in den Urkunden wieder aufsuchen (…) Was heute erforscht werden kann ohne eine historische Urkunde, das ist die Quelle für das anthroposophische Erkennen“[5].

Das „anthroposophische Erkennen“ bezeichnet Steiner selber als „Okkultismus“:

„Nun glaubt die Wissenschaft, daß das Herz eine Art von Pumpe ist. Das ist eine groteske phantastische Vorstellung. Niemals hat der Okkultismus eine solch phantastische Behauptung aufgestellt wie der heutige Materialismus. Das, was die bewegende Kraft des Blutes ist, sind die Gefühle der Seele. Die Seele treibt das Blut, und das Herz bewegt sich, weil es vom Blute getrieben wird. Also genau das Umgekehrte ist wahr von dem, was die materialistische Wissenschaft sagt.“[6]

Das Prinzip, jedem bekannte – auch wissenschaftlich anerkannte –Tatsachen als „falsch“ hinzustellen, um das genaue Gegenteil als „wahr“ zu erklären, zieht sich wie ein roter Faden durch Rudolf Steiners Werk. Falls es Steiners Ziel war, sein Publikum durch seine „Originalität“ zu verblüffen, so ist ihm das zweifellos gelungen. Wirkliche Anerkennung bekam dafür aber erst der Steiner-Plagiator Joseph Beuys mit seinem in die (Kunst-) Geschichte eingegangenen Zitat „Ich denke sowieso mit dem Knie“.

Dieses vermeintlich originelle Zitat Beuys’ geht auf Rudolf Steiners anthroposophische Deutung des Denkvorganges zurück, Zitat Steiner: „Das Schließen, das Schlüsse bilden, hängt nun zusammen mit den Beinen und Füßen. Natürlich werden Sie heute ausgelacht, wenn Sie einem Psychologen sagen, man schließt mit den Beinen, mit den Füßen, aber das letztere ist doch die Wahrheit …“[7] In meinem Artikel „Gegenteil-Tag, 365 Tage im Jahr“ findet sich dazu eine ausführlichere Herleitung.

Wenn Steiner sich selber vehement von der „materialistischen“ Wissenschaft abgrenzt, die Anthroposophie offensichtlich gegen elementare Prinzipien der wissenschaftlichen Methode verstößt – wie stellt man „Intersubjektivität“ bei einem Hellseher her? –, ist es von Hartmut Traub und der Alanus Hochschule doch sehr gewagt, Rudolf Steiner „Wissenschaftlichkeit“ zu bescheinigen. Aber wenn es nur um Image und Reputation geht, könnte man sich doch auch hier auf den Groß-Künstler Joseph Beuys beziehen, der sagte ja bekanntlich: „Jeder Mensch ein Künstler“. Mein Vorschlag, als neues Motto für die Alanus Hochschule:

„Jeder Mensch ein Wissenschaftler!“. Dann auch Rudolf Steiner.

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[1] siehe dazu: „Waldorf heute: Vom ‘Eingeweihtenwissen’ zum ‘akademischen Diskurs’? Ein Interview mit Jost Schieren“ – „Waldorfblog“, 21. März 2016

und meine Kritik von Jost Schierens Interview mit dem Waldorfblog: „Prof. Jost Schieren, Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft: Der Waldorf-Werber“

[2] siehe dazu auch: „Christian Clements ‘kritische Ausgabe der Schriften Rudolf Steiners’ (SKA): Des Steiners neue Kleider“

[3] Rudolf Steiner, „Vom Leben des Menschen und der Erde – Über das Wesen des Christentums“, GA 349, Dritter Vortrag, Dornach, 3. März 1923, Seite 58

[4] Rudolf Steiner, „Geheimwissenschaft im Umriss“, GA 13, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Vorrede zur 16.–20. Auflage, Seite 29f.

[5] Rudolf Steiner, „Das Lukas-Evangelium“, GA 114, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Seite 22 und Seite 20

[6] Rudolf Steiner, „Die Theosophie des Rosenkreuzers“, GA 99, Rudolf Steiner Verlag, Dornach – Dreizehnter Vortrag, 5. Juni 1907, Seite 148

[7] Rudolf Steiner, „Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung“, GA 302, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, Taschenbuchausgabe 1996 – Zweiter Vortrag, Stuttgart, 13. Juni 1921, Seite 29f.

Das liberale Bürgertum lässt schießen. Die Harburger Reichstags-Stichwahl am 17. August 1878 und ihr blutiges Ende

(1) August Grumbrecht 1811 – 1883: Nationalliberaler Frontmann der industriellen Interessen des Harburger Bürgertums


Verlust der politischen Macht – das ist die Kulisse, in der die herrschenden Eliten in Deutschland die Nerven verlieren und zur Gewalt greifen. Es folgen dann aufeinander parlamentarische und exekutive Rechtsentwicklung, Straßengewalt, Verfassungsbruch, Polizeiwillkür und juristische Verfolgung in unvorhergesehenem Ausmaß und atemberaubender Geschwindigkeit. So geschehen 1878 und 1932/33. Dass heute eine ähnliche Entwicklung möglich ist, wollen erst wenige erkennen.

(Der Gastbeitrag von Dr. Christian Gotthardt ist zuerst auf der Lokalgeschichts-Website „harbuch“ erschienen.)

Vorgeschichte

Ein nach demokratischen Grundsätzen gewähltes Parlament gab es in Deutschland erst seit der Bismarckschen Reichseinigung, als Norddeutscher Reichstag seit 1867 und als Deutscher Reichstag seit 1871. Wie demokratisch das damalige allgemeine, gleiche und direkte Männerwahlrecht und seine Handhabung wirklich waren, ist ein Thema für sich und soll hier nicht weiter beleuchtet werden.[1] Nur soviel: Bismarck konnte in seiner Zeit als Gesandter des preußischen Königs in Paris lernen, wie virtuos der französische Wahlkaiser Louis Bonaparte III. das allgemeine Wahlrecht nutzte, um sein Regime und die Macht der alten Eliten zu erhalten. Bismarck tat es ihm nach: Der deutsche Reichstag Baujahr 1871 wurde zum Instrument der deutschen Kaisermacht des preußischen Hofes. Vor allem diente er der politischen Verzwergung dessen notwendigen Bündnispartners, des wirtschaftlichen Riesens Bürgertum. Bismarcks Kalkül dabei: Wenn Volkes Stimme zählt, wird die traditionalistische und nationalistische Massenmobilisierung der Landbevölkerung durch Regierung und Adel dem bürgerlichen Liberalismus als der unsympathischen politischen Vertretung des egoistischen Unternehmertums stets den Rang ablaufen.

Die Arbeiterbewegung (deren universale historische Bedeutung der geniale Taktiker Bismarck eigenartigerweise nie begriffen hat) durchkreuzte dieses Kalkül. Nach der Vereinigung der lassalleanischen und marxistischen Gruppierungen auf dem Gothaer Parteitag 1875 erfuhr die dort aus der Taufe gehobene „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (SAPD) einen unaufhaltsamen Aufstieg. Die Versuche des mit Bismarck verbündeten nationalliberalen Besitzbürgertums, „kleine Leute“ als politisches Fußvolk an sich zu binden, mussten nun endgültig als gescheitert gelten: Die in den 1860er Jahren gegründeten Bildungs- und Konsumvereine, die „gelben“, also unternehmerfreundlichen Gewerkschaften, die nach dem Krieg 1870/71 herangezüchteten nationalistischen Kriegervereine hielten die wachsende Proletariermasse nicht mehr von der Partei und den Gewerkschaften der Sozialdemokratie fern.

 

Die Nationalliberalen verloren den Massenanhang, die Sozialdemokraten gewannen ihn. Wenn auch die Stimmen für die SAPD nur in einem beschränkten Umfang in Parlamentssitze mündeten – viele gingen bei der herrschenden Mehrheitswahl „verloren“, wenn Industriestädte geschickt mit ländlichen Regionen „verschnitten“ waren – so war doch der Trend deutlich und offenbar unumkehrbar.

Diese Entwicklung bedrohte Bismarck ebenso wie die Liberalen. Die Möglichkeit einer Addition der anwachsenden unabhängigen Volksstimme mit den traditionellen Bismarckgegnern (Partikularisten, Katholiken, Linksliberale) bei gleichzeitigem Abschmelzen der Nationalliberalen nagte an der Mehrheit des Regierungslagers. Für die mit Bismarck verbündeten Nationalliberalen ging es um das politische Überleben an sich. Zwar konnten sie im Schonraum des preußischen 3-Klassen-Wahlrechts ihre Vorherrschaft in den Städten und Landesparlamenten noch bewahren. Aber gegnerische Wahlbündnisse auf Wahlkreisebene könnten bei Reichstagswahlen schnell die gesamte Fraktion liquidieren.

 

 

Nun zu Harburg. Die Stadt war eine der Keimzellen der deutschen Arbeiterbewegung, mit dem Tischler Theodor York stellte sie einen ihrer damals bekanntesten und wirkungsmächtigsten Funktionäre. Die SAPD konnte im 17. Reichstagswahlkreis (Harburg Stadt und Land) ihren Stimmanteil auf lange Sicht ausweiten. Zwar waren Rückschläge dabei nicht zu vermeiden gewesen, die 1871er Wahl fand im Taumel des Sieges über Frankreich statt, und bei der 1874er Wahl wurden die Sozialisten durch Wahlfälschung vermutlich um rund 1000 Stimmen betrogen.[2]

 

(2) Theodor York 1830 – 1875: ADAV-Gründer 1863, SDAP-Gründer 1869, SAPD-Gründer 1875, Theoretiker und Praktiker der ersten deutschen Gewerkschaften

 

Der dennoch realisierte Vormarsch der Sozialisten hatte bis 1877 den Vorsprung des bürgerlichen Kandidaten, des nationalliberalen Harburger Oberbürgermeisters August Grumbrecht, deutlich geschmälert, wenn auch noch nicht bedroht. Dieser war ein erfahrener liberaler Parlamentarier und strategischer Interessenvertreter des Besitzbürgertums. Er war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, der Hannoverschen Ständeversammlung 1850 – 1852 und 1864 – 1879, des Hannoverschen Provinziallandtags 1867 – 1882, des Preußischen Landtags 1867 – 1882 und des Norddeutschen/ Deutschen Reichstags 1967 – 1878.[3]

Grumbrecht sah sich nach der Reichstagswahl 1877 veranlasst, selbstbewusst und selbstzufrieden festzustellen: „Die Tage der Welfenpartei sind jedenfalls gezählt. Wir wünschten sehr, das wir dasselbe auch von der social-demokratischen behaupten könnten.“

Im Laufe des Jahres 1878 aber wendete sich das Blatt. Bismarck, seit längerem entschlossen, die Sozialdemokratie durch schärfste Repression schlichtweg auszulöschen, nutzte die beiden Attentate auf den deutschen Kaiser und preußischen König Friedrich Wilhelm I (durch Hödel im Mai und Nobiling im Juni). Er ließ kurzerhand den 1877 gewählten Reichstag auflösen und sorgte für die programmatische Durchsetzung eines „Sozialistengesetzes“ im vermuteten künftigen Regierungslager. Dem sprangen wieder die Nationalliberalen bei, zumal sie eine Schwächung ihrer Position infolge der Neuwahlen befürchteten; sie neigten nun auch zu einem Verbotsgesetz. Eindeutig dagegen erklärten sich die Kandidaten der oppositionellen hannoverschen Welfenpartei, die aufgrund ihrer Preußenfeindschaft und ihrer Anhänglichkeit an das (1866 durch Eroberungskrieg von Preußen entmachtete) hannoversche Königshaus gerade in den ländlichen Regionen des Harburger Wahlkreises viele Anhänger hatte. Tatsächlich lag der Welfenkandidat Graf Grote[4] im ersten Wahlgang am 30. Juli 1878 so dicht hinter Grumbrecht, dass dieser die absolute Mehrheit und damit das Mandat verfehlte. Als nun die SAPD ihre Anhänger dazu aufrief, in der Stichwahl am 17.8.1878 den Sozialistengesetz-Gegner der Welfenpartei zu wählen, wurde es für Grumbrecht richtig eng.

 

(3) Adolf von Grote 1830 – 1898

 

Der Wahltag

Unter dem verharmlosenden Titel „Die Ruhestörungen in Harburg“ berichtete die preußische Provinzial Correspondenz, ein Sprachrohr Bismarcks, vom Wahltag:

„Die am 17. d. Mts. in Harburg vollzogene Stichwahl zwischen dem Kandidaten der nationalliberalen Partei Ober-Bürgermeister Grumbrecht und dem Kandidaten der partikularistischen Partei Grafen Grote hat bedauerliche Ausschreitungen im Gefolge gehabt. Wie der »Reichs- und Staats-Anzeiger« meldet, sammelte sich am Abend des Wahltages, nachdem bekannt geworden war, daß der Kandidat der partikularistischen Partei, mit welcher sich hierbei die sozialdemokratischen Elemente vereinigt hatten, eine erhebliche Majorität erzielt habe, eine Volksmenge vor dem Lokal, in welchem das Blatt der partikularistischen Partei verlegt wird,[5] unter Hochrufen auf den Prinzen Ernst August, sowie auf den erwählten Abgeordneten und das Blatt der Partei.

Die anwachsende Menschenmenge zog dann nach dem Sande – einem freien Platze im Mittelpunkte der Stadt – wo vor der Wohnung des Gegenkandidaten [Grumbrecht, Sand 2], sowie vor dem auf demselben Platze belegenen Hause des Herausgebers der nationalliberalen »Harburger Anzeigen und Nachrichten« [Lühmann, Sand 25] tumultuarische Auftritte stattfanden. Die Fenster des letztgenannten Hauses wurden durch Steinwürfe zertrümmert und gegen die Polizeibeamten, welche Ruhe zu stiften suchten, Steine geschleudert. Die Versuche einer gütlichen Einwirkung auf die Menge von Seiten des Chefs der Polizeibehörde blieben ohne Erfolg.

(4) Der Sand um 1902. Das Rathaus mit der Wohnung des Oberbürgermeisters im 1. Stock stand links unten außerhalb des Bildes etwa auf der Höhe des Betrachters. Die Redaktion der Hamburger Anzeigen und Nachrichten befand sich schräg gegenüber, links oben halb verdeckt durch den ersten Baum rechts

 

Dieser requirirte daher das von der zum Manöver ausgerückten Garnison zurückgelassene nur 10 Mann starke Militärkommando und ließ die Feuerwehr alarmiren, welche gegen 11 Uhr Abends versammelt war und am oberen Theile des Sandes neben den Polizei- und Militärmannschaften Aufstellung nahm. Der Versuch, die Volksmenge durch die Wasserstrahlen einer Feuerspritze auseinander zu treiben, blieb ohne Wirkung. Nachdem die tumultuirende Menge wiederholt vergeblich zum Auseinandergehen aufgefordert worden war, rückten Feuerwehr, Polizeimannschaft und Militär mit blanker Waffe und gefälltem Gewehr gegen die Menge vor, welche zurückgedrängt wurde, bis aus einer vom Platze sich abzweigenden Querstraße, an deren Eingange neben einem Neubau ein großer Haufe von Mauersteinen lag, Militär und Feuerwehr mit Steinwürfen empfangen wurden. Auf diese Weise angegriffen, gab das Militär zunächst hoch, dann scharf Feuer. Es gelang darauf, den Platz vollständig zu säubern und die in angrenzenden Straßen gemachten Versuche zu neuen Ansammlungen zu verhindern. Noch vor Tagesanbruch war die Ruhe wieder hergestellt und ist seitdem nicht wieder gestört worden.

Um 8 Uhr früh rückte das in Harburg garnisonirende Bataillon, welches zur Herbstübung nach der Umgegend von Buxtehude ausmarschirt und dort in der Nacht alarmirt worden war, in die Stadt ein. Einige Mitglieder der Feuerwehr, einige Polizeibeamte und ein Gensdarm sind durch Steinwürfe kontusionirt. Von den Tumultuanten ist ein Arbeiter getödtet, zwei andere sind in Folge der erhaltenen Verletzungen am folgenden Tage gestorben, während 19 mehr oder weniger schwer Verwundete sich in ärztlicher Behandlung befinden. Es haben zahlreiche Verhaftungen stattgefunden und die strafgerichtliche Untersuchung ist im Gange.“[6]

 

Interessenkonflikte im Regierungslager

Die Harburger Nationalliberalen hatten sich mit dieser brutalen Reaktion auf eine mehr oder weniger harmlose Volksdemonstration selbst ein politisches Armutszeugnis ausgestellt. Ihre Möglichkeiten, das Ereignis im Nachhinein noch weiter zu dramatisieren und zu skandalisieren, waren angesichts der Faktenlage und der tragischen Menschenopfer sehr gering. Daher strebten sie danach, das Ganze möglichst schnell dem Vergessen zu überantworten.

Bismarck sah dies anders. Der „Harburger Aufruhr“, wozu der Vorgang in seiner Darstellung wurde, gab ihm die Gelegenheit, die staatspolitische Gefährlichkeit der hannoverschen Partikularisten (hinter denen England stehe) und der umstürzlerischen Sozialisten auf einen Schlag und am gleichen Beispiel zu belegen. Daher auch die reichsweite Erwähnung dieser lokalen Vorgänge in einer seiner Hauspostillen. Möglicherweise hatte das Thema für ihn auch eine militärische Dimension, da er es zur Desavouierung der zahlreichen in der sächsischen Landesarmee dienenden ehemals hannoverschen Offiziere nutzen konnte.[7]

 

Das politische Ergebnis

Der Welfe Graf Grote gewann die Wahl mit 51,5 %. Er behielt seinen Sitz nur für eine Legislaturperiode, als (lutherischer) Hospitant in der Fraktion des katholischen Zentrums – ob zum Nutzen der Sozialdemokratie, sei dahingestellt. Grumbrecht verlor seinen Sitz im Reichstag, und zwar endgültig – er starb 1883. Bismarck konnte im neugewählten Reichstag schon im Oktober 1878 das Sozialistengesetz mit 221 gegen 149 Stimmen durchbringen.[8]

Die Harburger SAPD wurde in der Folge als Parteiorganisation zerschlagen bzw. gezwungen, sich illegal neu zu formieren. Ihr Leiter blieb zunächst der um 1850 geborene Maschinenbauer, später Zigarrenarbeiter und Gastwirt David Steffens (Lange Straße Nr. 9), der in dieser Funktion seit Theodor Yorks Tod 1875 amtierte. 1880 war Steffens unter den Delegierten des konspirativen SAPD-Parteitags im schweizerischen Wyden. Unter steter Polizeiüberwachung stehend,[9] sah er sich bald zur Auswanderung gezwungen. Anfang Februar 1881 bestieg er mit Ehefrau Caroline und den beiden Kindern August und Anna die „Frisia“ in Richtung New York.[10] Das weitere Schicksal der Familie ist unbekannt.

Die Leitung der örtlichen Partei übernahm – vermutlich unmittelbar nach der Abreise Steffens – der Schuhmacher Heinrich Baerer. Er wurde auch Delegierter auf dem nächsten konspirativen Parteitag 1883 in Kopenhagen. Als bekannte Harburger Persönlichkeit wurde er bereits Anfang Januar 1885 aus der Stadt verbannt und lebte bis zum Fall des Sozialistengesetzes mit seiner Familie in Hannover.[11] Der Nachfolger Grumbrechts im Amt des Harburger Oberbürgermeisters, Wilhelm Schorcht, ein Anhänger der Welfenpartei,[12] unterstützte die Familie finanziell, bis der Vater eine wirtschaftliche Basis gefunden hatte.[13] Er soll Baerer bei der Abreise gesagt haben,: „Ich kann nichts dafür. Wenn ich etwas zu sagen hätte, wären Sie nicht ausgewiesen, da ich nur Gutes von Ihnen weiß.“ Gemeinsam mit Baerer war auch der Harburger Korbmachergeselle Friedrich Wilhelm Schellenberg verbannt worden.[14] Schellenberg wurde am 19.9.1856 in Bitterfeld geboren. Er zog mit Ehefrau und Kind von Wilstorf nach Buchau bei Magdeburg.[15]

 

(5) Heinrich Baerer 1842 – 1913: der Bebel Harburgs

 

Die Führung der Harburger Sozialisten ging im Anschluss an diese Ausweisungen an den Harburger Klempner und Gastwirt Friedrich Louis August Renz (geboren 1855) über, der die Ortsgruppe dann auf dem nächsten Parteitag 1888 in St. Gallen vertrat.[16]

In diesen Jahren war die Struktur der Partei grundlegend verändert und auf die Besonderheiten des Sozialistengesetzes ausgerichtet worden. Da dies die Parteiarbeit generell unter Strafe stellte, die Kandidatur sozialistischer Persönlichkeiten aber nicht automatisch untersagte, gab sich die Partei die Form unabhängiger, miteinander nicht verbundener Wahlkomitees. Eine Spitzelmeldung aus Harburg an die Politische Polizei in Hamburg berichtete 1885, an der Spitze des Harburger Komitees stehe nun der Former Friedrich Seitz, die Kassierung versehe der Korbmacher Johannes Hinze. Weitere Mitglieder des Führungskreises seien der Schneider Heinrich Dubber, der Arbeiter Johann Zobel, der Korbmacher Daustein sowie ein nicht näher benannter Peters. Die Anleitung erfolge von Hamburg aus durch den „Bezirksführer“ im Wahlkreis Hamburg Petersen.[17]

Diese Angaben des Spitzels sind nicht näher belegbar, aber zumindest nicht unglaubwürdig. Eine Anleitung der Harburger Wahlagitationen von Hamburg aus, also aus einem anderen Wahlkreis, erscheint insofern plausibel, weil Harburg die einzige sozialistische Hochburg im ländlichen 17. hannoverschen Wahlkreis war und nur Hamburg eine noch größere politische Autorität hatte. Von den genannten Personen sind mindestens Dubber und Hinze nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes im Jahr 1890 als führende Parteimitglieder in Erscheinung getreten.

 

Ein Nachspiel

Grumbrecht und seine Parteifreunde erwiesen sich auch lange nach ihrer politischen Niederlage als sehr schlechte Verlierer. Sie legten unter Verweis auf mehrere angeblich vorgefallene Wahlmanipulationen von Amtsträgern zu Gunsten Grotes einen Protest gegen das Wahlergebnis ein, der die Wahlprüfungskommission des Reichstags bis 1880 beschäftigte. Aus diesem Vorgang geht allerdings hervor, dass auch den Nationalliberalen selbst Manipulationen vorgeworfen wurden. So habe die gerichtliche Feststellung der Ereignisse am Wahlabend ergeben, dass die Unruhen keineswegs von den örtlichen Vertretern der Welfenpartei, sondern von Fabrik- und Eisenbahnarbeitern ausgelöst worden waren, die unter Aufsicht ihrer Vorgesetzten für Grumbrecht stimmen sollten.[18] Der Wahltag war ein Sonnabend und selbstverständlich nicht arbeitsfrei.

 

Anmerkungen

[1] Gotthardt, Christian: Demokratie nach Gutsherrenart, in: Praxis Geschichte 5/95, S. 17 – 22.

[2] Gotthardt, Christian: Pyrrhussiege und glänzende Niederlagen. Die Kämpfe zwischen Liberalen und Sozialisten in den ersten Reichstagswahlen 1867 bis 1878 in Harburg, in: Ellermeyer/ Richter/ Stegmann: Harburg. Von der Burg zur Industriestadt, Harburg 1988, S. 206 – 218.

[3] Vgl. http://zhsf.gesis.org/ParlamentarierPortal/biorabkr_db/biorabkr_db.php?id=854, 26.5.2016.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Grote, 18.6.2016.

[5] Der „Courier an der Unterelbe“ des Buchdruckers Heinrich Wendt in der Mühlenstraße 27, heute Schlossmühlendamm.

[6] Provinzial-Correspondenz v. 28. August 1878. Die Zahl der Toten erhöhte sich auf vier, als einer der verhafteten Arbeiter sich in der Zelle erhängte; Truels, Max: Geschriebene Harburgensien, Harburg 1986, S. 89.

[7] Maatz, Helmut: Bismarck und Hannover, Hildesheim 1970.

[8] http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt3_k4_bsb00018398_00000.html, 16.6.2016

[9] Staatsarchiv Hamburg (StAH) S 200 David Steffens.

[10] StAH 331-3 Nr. 5200.

[11] Groschek, Iris: „Dem Kämpfer für des Volkes Rechte.“ Heinrich Baerer und die Harburger SPD, Harburg 2013.

[12] Truels 1986, S. 89.

[13] Groschek 2013.

[14] Thümmler, Heinzpeter: Sozialistengesetz § 28, Berlin 1979, S. 66.

[15] Staatsarchiv Stade Rep. 74 Harsefeld Nr. 1789.

[16] Henze, Willibald: Die Delegierten der Parteikongresse der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands unter dem Sozialistengesetz, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 8/1980, S. 365 ff.

[17] StAH 331-3 Nr. 5149/ 294.

[18] http://www.reichstagsprotokolle.de/Blatt3_k4_bsb00018408_00568.html, 16.6.2016.

 

Bildnachweis

(1) Hof-Photograf Hermann Günther, Berlin; Helms-Museum

(2) Gedenkkarte, um 1875; Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam

(3) Photographie von Leopold Haase & Comp., Berlin, um 1878; Privates Photoalbum Ludwig Freiherr von Aretin (1845-1882); Artikel Adolf Graf v. Grote, https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Grote, 16.6.2016

(4) Zeitgenössische Ansichtskarte „Harburg Sand“, 1902; Helms- Museum

(5) Gedenkkarte, um 1900; 100 Jahre SPD Harburg

Doch Hauptsache, der Rubel rollt… Ein Kommentar zu der Gerichtsentscheidung über das Kükenschreddern des OVG Münster

kuekenschreddern2010525Seit letzter Woche Freitag ist es also offiziell. Durch das Stattgeben einer Klage von zwei Geflügelzüchtern aus NRW bleibt das millionenfache Schreddern bzw. Vergasen von männlichen Küken offiziell legal.

(Ein Gastbeitrag von Raik Häger)

Alleine im Jahre 2015 fielen rund 48 Millionen männliche Küken in Deutschland dieser gängigen Praxis zum Opfer. Doch ist diese überhaupt mit dem Tierschutzgesetz vereinbar? Laut dem OVG Münster anscheinend schon. Die Begründung lautet, dass die Aufzucht der männlichen Küken für die Brütereien unrentabel sei.

Weitergehend würde ich gerne die Frage erörtern, wie dieses Urteil einzuschätzen ist.

Paragraph 17 des Tierschutzgesetzes lautet: „ Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer […] ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet […]“

Soweit ist diese Vorschrift ein klar formulierter Satz und man könnte auf den ersten Blick durchaus meinen, dass durch den oben zitierten Paragraphen das Kükenschreddern ohne große Diskussion als absolut inkompatibel mit dem Tierschutzgesetz zu verstehen ist.

Das Problem ist jedoch die Formulierung „ohne vernünftigen Grund“. In der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland sind solche offenen Formulierungen sehr häufig zu finden. Es handelt sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, welche durch die Rechtsprechung definiert und angepasst werden.

Im Falle des Kükenschredderns ist also davon auszugehen, dass das OVG Münster die fehlende Rentabilität der Aufzucht männlicher Küken als vernünftigen Grund zum Töten der Tiere angesehen und somit definiert hat. Juristisch ist hiermit der Sachverhalt klar definiert.

Jedoch würde ich gerne noch einmal den Sachverhalt ethisch betrachten.

Wenn ich einmal hinüber schwenke auf die Grundrechte, die menschliches Leben inne hat, haben wir in Deutschland (und in der EU / UN) glücklicherweise sehr komplexe und klare Vorstellungen darüber definiert, dass das Leben unantastbar ist, jeder Mensch gewisse Freiheiten hat etc.

Solche Rechte sind für Tiere zwar nicht in der Dogmatik und Komplexität zu finden, jedoch definiert der Paragraph 17 das tierische Leben immerhin als schützenswert. Das riesige Problem ist jedoch der unbestimmte Rechtsbegriff.

So lange von der Rechtsprechung ganz klar der Profit in diesem Land ÜBER das Leben von Lebewesen gestellt wird, könnte ich ganz gemein Fragen, ob hier bewusst solche „Hintertüren“ im Gesetz dafür verwendet werden, um gewisse unbequeme Entscheidungen gegenüber den Züchtern zu umgehen. Für mich persönlich ist das Urteil des OVG Münster ein Unding.

Die Tierzucht scheint im Moment mehr und mehr mit „klassisch“ industriellen Strukturen gleichgesetzt zu werden, in der Profit als höchste Maxime gilt. Diese Tendenz beinhaltet jedoch den schwerwiegenden Denkfehler, dass man nicht mit Objekten, wie z.B. Stahl oder Kunststoff arbeitet, sondern mit Lebewesen.

Ich persönlich wünsche mir ein möglichst schnelles Umdenken!

Pfingstgedanken … Neuenrade (Teil 3)

NeuenradeWordle2016051401„Nach gut einer Woche Diskussion“ über meine ersten Anmerkungen zum Vorgang vom vom 26. April hatte ich mich mit diesem Artikel noch einmal zu Wort gemeldet – „Grundsätzliche Überlegungen…“ – nun ja.

(Ein Gastbeitrag von Dr. Werner Jurga)

Jedenfalls ist eine weitere Woche munterer Streit durch das Land die Kommentarspalten gezogen. So sollte es sein! Ich schwieg währenddessen, und auch dies sollte so sein. Hatte ich das Postulat vorangestellt, dass „eine Diskussion über einen Artikel nicht vom Autor dominiert werden sollte“.

Stefan L.´s Verstörung über meinen vermeintlichen „messianischen Eifer“ hat mir die Kraft gegeben, mein Schweigegelübde immerhin bis jetzt nicht leichtfertig gebrochen zu haben. – Obwohl auch der Frömmste ständig allen möglichen Versuchungen ausgesetzt ist, auch und gerade in den Kommentarzeilen hier. Und ich … ein „messianischer Eiferer“ – Man beachte die historische Konnotation! Man denke an die umständehalber zunächst einmal friedlichen christlichen Missionare damals und die nicht ganz so peacigen, suizidalen Jihadisten heute!

So unterschiedlich die Grundauffassungen in der von uns hier diskutierten Frage der Notwehr auch sein mögen: geeint sind die Mitgliedschaften der beiden Religionsverbreitervereine in ihrer hingebungsvollen Opferbereitschaft. Ohne eine kräftige Portion Todesmut läuft in diesem Job gar nichts. Und wir, halbwegs aufgeklärte Menschen, ob nun leidenschaftslos irgendwie an Gott glaubend oder leidenschaftlich für die Nichtexistenz desselbigen werbend, sagen uns doch: „Bekloppt!“

Missionarische Eiferer – die haben sie doch nicht alle! Wir sagen: das sind Beknackte, das sind Bestusste. Wir sagen nicht: das sind „Besessene“. Wir würden ahnen, aus welcher Zeit dieses Wort stammt. Wir würden die Gefahr spüren, die von derart Besessenen ausgeht spüren. Nun gut, das betrifft uns heutzutage nicht mehr so direkt. Wir sind aufgeklärt, die Oma gar hatte uns den Status „gebildet“ attestiert, wir müssen keine Angst mehr haben.

Na sicher ging der Oma der Arsch auf Grundeis, wenn der Opa auf Arbeit war, und sie im Haus Geräusche hörte. Ich hatte meine Oma lieb. Heute, keine fünfzig Jahre später, aber eine andere Zeit: gebildete Menschen, aufgeklärte Leute, im Internet wird der demokratische Dialog gepflegt. Sehr stilvoll. – Ja okay, nicht immer.

Das wird immer schlimmer, dass frustrierte Trolle da die Landschaft – also den Cyberspace, wie wir heute sagen – verpesten! Schlimme Sache, schon klar. Aber „Besessene“? Da wollen wir mal die Kirche im Dorf lassen. Locker bleiben! Wobei: so richtige Spinner… – gefährlich werden können die schon.

Ich zum Beispiel. Etwa dann, wenn „Notwehr oder Mord?“ gefragt wird. Oder „Opfer oder Täter“. Da könnte ich ganz anders werden! Insofern hat Stefan L. ganz gut daran getan, mich an mein eingangs abgelegtes Schweigegelübde zu erinnern.

Es tut einem Heißsporn wie mir schon ganz gut, von einer innerlich ausgeglichenen Seele wie Stefan L. mal gemahnt zu werden: „Junge, bleib mal locker! Du machst ja all die Leute hier nervös!“ („Irritationen“). Da hat er ja recht, der Stefan. Ja, und er hat auch Recht damit… – peinlich, aber okay, dann gebe ich es halt zu: ich bin Christ. Das hat – auch das stimmt – auch so etwas Missionarisches an sich.

Aber keine Panik, Leute! Im Augenblick passt es zeitlich ganz gut. In unserem Verein – Christenheit, Ihr wisst schon – steht zufälligerweise just dieses Wochenende so ein Hammer Offenbarungserlebnis an. Der Heilige Geist wird erscheinen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Da wäre ich doch blöd, wenn ich mich schon jetzt von Stefan L., dem kleinen Teufel, dazu verführen ließe, ihm mal etwas vorzugeigen, wer hier das Opfer und wer der Täter ist.

Ich werde an Pfingsten zunächst einmal die Heilig-Geist-Erleuchtung tief einwirken lassen, und erst danach dem Auftrag des Herrn folgen und seine frohe Botschaft in dieselbige hinausposaunen. In die ganze Welt, schwerpunktmäßig ins Sauerland, beginnend in seinem Brennpunkt, im zoom.

Die Pfingstbotschaft: „Fürchtet Euch nicht!“ Habt keine Angst, Ihr kleinen Scheißer! Ja Herrgott, ich weiß, dass das Diesseits nicht das Paradies ist! Ja, wir werden alles mal Opfer. Wir alle sind Täter. Erbsünde – schon mal gehört?! Ach ja, ach so: Quatsch! – Alles gehopst wie gesprungen? Alles eine große Soße allgemein-unverbindlicher Unverantwortlichkeit? Nein Leute, nein Stefan L., so meine ich das ja nun auch wieder nicht. Da fühle ich mich missverstanden. Aber Sie wissen ja: mein Schweigegelübde, Ihr Schweigegebot an mich… – es folgen weitere Tage der Frömmigkeit.

Ich wünsche allen frohe Pfingsten und grüße mit dem Wort des Herrn: Lasst auch mal die Philosophen und geht besser einen schwofen!

Werner Jurga