Moin! Der Weg ist das Ziel und hinter dem Horizont geht es weiter.
Der Karfreitag ist überstanden. Schuhe an und raus. Der Himmel ist nicht mehr so blau wie auf dem Bild vor vier Tagen an der Emscher. Es ist kühl. Die Vögel zwitschern trotzdem.
Ortswechsel. Das Internet ist schlecht. Demnächst mehr.
Ich habe sowieso schon Probleme, die Menüführung der Ticketautomaten zu verstehen, und jetzt liegt der Fahrkartenautomat der Bahn in der prallen Sonne.
Eigentlich bin ich erleichtert, weil ich nun eine Ausrede habe, die Fahrkarte für mein Rad und mich im Zug bei der Schaffnerin zu erwerben.
Von Dortmund-Hörde ging es mit dem Rad nach Recklinghausen. Am Anfang ganz gemütlich, zu einem großen Teil auf dem Emscher-Weg.
Für den Deusenberg links von der Emscher hätte ich mein Mountainbike benötigt. Also weiter.
Der Emscherweg hat mich von Hörde bis zum Hof Emschertal überzeugt, danach waren bis Henrichenburg viele Abschnitte gesperrt und die Umleitungen schlecht bis gar nicht ausgeschildert.
Auch der Radweg entlang des Rhein-Herne Kanals wurde hinter Henrichenburg umgebaut und war nicht befahrbar.
Schade, denn eigentlich wollte ich mich entlang des Kanals Recklinghausen nähern.
Der Radweg an der Hauptstraße war zwar am Anfang sehr gut, wurde dann aber immer schlechter. Außerdem verbrachte ich im letzten Abschnitt mehr Zeit an roten Ampeln stehend als auf dem Rad radelnd.
An der Streckenführung muss ich bis zur nächsten Recklinghausen-Tour noch einiges verbessern.
Falls sich jemand fragt, was mich nach Recklinghausen zieht, sei verraten, dass es die Ruhrfestspiele sind, und es geht gleich mit dem Besuch der alten Dame los.
Wenn ich raus muss, muss ich raus. Das Blog habe ich zu Hause gelassen und eine Fahrkarte nach Dortmund gelöst.
Diesmal habe ich mich vom Hauptbahnhof durch die Nordstadt zum Hafen treiben lassen. Es radelte sich wie von selbst. Eine neue Strecke ist wie ein neues kleines geschenktes Leben.
Die Emscher war teils renaturiert und teils in ihrer alten Rinne. Wer sich ein halbes Jahrhundert zurückversetzen lassen will, bleibt an den alten Abschnitten des Emscher-Wegs stehen. Dort riecht es noch so wie früher: faulig, stechend, süßlich, unbeschreiblich schrecklich-schön. Ein Jungbrunnen.
Warum schreibe ich das alles? Weil ich auf der Flucht war. Kleine Fluchten eröffnen große Perspektiven. Enten? Emscher?
Ok, in Wahrheit war ich auf dem Weg zu den Ruhrfestspielen in Recklinghausen. Dort haben wir uns den Sandmann von E.T.A. Hoffmann in der Inszenierung von … nein, das kommt später … angesehen.
Eine Rezension folgt, aber auch nur vielleicht, weil ich mich auf der Flucht befinde. Sobald ich in Sicherheit bin, schreibe ich los.
Versprochen.
Und bevor gp es kommentiert, poste ich das Folgende lieber unverzüglich:
Es war heute ein netter Morgen im Open-Air-Park am Festspielhaus in Recklinghausen.
Zwei Stunden lang (inklusive Pause), von 11 bis 13 Uhr, unterhielten Dominique Horwitz und die Neue Philharmonie Westfalen das vorwiegend mittelalte Publikum mit Chansons von Jacques Brel.
Man kann Jacques Brel nicht mit deutscher Elle messen, es gibt hier kein vergleichbares Phänomen. Der Belgier Brel, der in seinem kurzen, bewegten Leben über 600 Lieder geschrieben hat, wird von vielen Franzosen verehrt wie ein Idol. Don Quichotte war sein Vorbild, von ihm nahm er die Emphase, die leidenschaftliche Verausgabung für ein Ziel, das von Anfang an unerreichbar ist. Seine Lieder sind dramatische Erzählungen, anrührend, mitreißend und oft von der schlichten, klaren Emotionalität einer alten Ballade.
Dominique Horwitz ist nicht einfach nur ein hervorragender musikalischer Interpret der Chansons, als Schauspieler gibt er seinem Auftritt eine zweite, spielerische Dimension, schafft so eine helle, interpretierende Distanz. Brel hat auch böse, fiese Satiren geschrieben, gerade hier spielt Horwitz das Mimische aus. Er gibt den Betrunkenen, der sich auf den Dirigenten stützen muss, um nicht umzukippen, den gehörnten Ehemann, den selbstzufriedenen Bonhomme. Er zieht manche Figuren in die Groteske, mit der Freiheit des Interpreten, der nicht nur Sänger, sondern, von seinem eigentlichen Metier aus betrachtet, auch ein brillanter Darsteller ist.
Ich mag ja den Horwitz, auch und gerade als Schaupieler. Er scheint immer alles zu geben, mit ganzem Herzen, Leidenschaft und Verstand.
Hätte ich in der Schule besser aufgepasst, würde ich die Lieder von Brel ohne Hilfe verstehen, allerdings hat es mir Dominique Horwitz mit knappen und launigen Einleitungen leicht gemacht, den Texten zu folgen.
Es war wieder einer derjenigen Morgen, an denen es sich gelohnt hat, eine Fahrt aus dem Sauerland ins Ruhrgebiet zu unternehmen. Nächstes Jahr gerne wieder.
Es war eine sehr gute Idee, heute zur Lesung von Harry Rowohlt nach Recklinghausen zu fahren.
Den Notizblock ließ ich zu Hause, das Tablet im Auto. Einfach nur sitzen, sehen, hören und genießen war die Devise.
Rowohlt las Ringelnatz -das Seltenere- und erzählte zwischendurch kleine Anekdoten aus dem wahren oder erdachten Leben. Erlebt, erdacht – wer weiß das schon? Die neunzig Minuten flogen jedenfalls vorüber.
Nur mit der kleinen Pocket-Kamera ausgestattet, ohne Internet und soziale Medien, ist man ja gezwungen, selber mitzufühlen und mitzudenken.
Ich habe beschlossen, dem Ringelnatz zu glauben und dem Rowohlt die Stories nicht ohne Weiteres abzunehmen. Mal schauen, was ich in dem Buch „In Schlucken-zwei-Spechte“ an Erzähltem wiederfinde.
Ein Autogramm habe ich mir brav abgeholt. Der Verschreiber M ist mehr wert als alles andere. Den sogenannten Namenszug kann jeder hinbekommen und meinen Namen kenne ich selbst.
Aber wer weiß schon, was das durchgestrichene „M“ bedeutet? Ein weites Feld für Tiefenpsychologen.
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