Heute ist erneut der Tag, an dem die Post die Wochenzeitung „derFreitag“ in den Briefkasten wirft, also Donnerstag. „Bruder bin Laden“ heißt es über dem Artikel des Herausgebers Jakob Augstein auf der Titelseite. „Er hat dem Westen sein dunkles Spiegelbild gezeigt“, meint Augstein. Über die These kann man streiten, aber sie hat mich nicht vom Sofa gehauen.
Mein Zitat des Tages ist der zweite Satz im letzten Drittel der zweiten Spalte (Hervorhebungen von mir):
„Angela Merkel sprach dem amerikanischen Präsidenten „Respekt für die gelungene Kommandoaktion“ aus. Respekt, dafür, dass ein unbewaffneter alter Mann, der von Frauen und Kindern umgeben war, von 79 Elitesoldaten überfallen und erschossen wird. Dieser alte Mann war ein Massenmörder, und seine Resozialisierungschancen standen nach unseren Maßstäben schlecht.“
Mein lieber Herr Augstein, der Herr bin Laden, dieser bemitleidenswerte alte Mann, war zum Zeitpunkt seines Todes 54 Jahre alt. In dem Alter stehen wir deutschen Männer voll im Saft und schaffen noch mindestens ein Jahrzehnt für das Bruttosozialprodukt. Zehn Jahre Terror hätte ich dem Massenmörder bin Laden auch noch zugetraut – bis zur Verrentung.
Im Ernst: den „unbewaffneten alten Mann“ hätten Sie sich in Ihrem Text sparen können, vielleicht sogar müssen.
Osama bin Laden wurde getötet. Darüber freut sich die Bundeskanzlerin, und mit ihr Stefan Laurin. Hannes Schiebener kann darüber keine Freude empfinden, fragt aber immerhin pflichtschuldigst nach, ob dies schlimm sei. Er habe sich „noch nie über den Tod eines Menschen gefreut“ habe, was schon insofern nicht weiter schlimm sein kann, als dass der Vatikan aus gegebenem Anlass noch einmal darauf aufmerksam machte, dass „der Tod eines Menschen für einen Christen aber niemals Grund zur Freude“ sei.
Hannes ist also mit seinem Nicht-Freuen auf der sicheren Seite. Aber was ist mit Stefan? Und vor allem: was ist mit Angela Merkel, Horst Seehofer und all den anderen, die sich offen zu einem Gefühl der Freude bekannt haben? Und ganz abgesehen von der religiösen bzw. ethischen Dimension sowohl der amerikanischen Operation als auch der vielfach zu beobachtenden Freude darüber – es ließen sich auch ganz nüchterne Fragen stellen wie „War die Aktion legal?“ oder „Darf ein Rechtsstaat Rache üben?“
Darf ein Rechtsstaat Rache üben?
Fragen über Fragen. Beginnen wir mit der letzten: „Darf ein Rechtsstaat Rache üben?“ Die ist scheinbar leicht zu beantworten: Nein, das darf er nicht. So lautet jedenfalls hierzulande die vorherrschende Meinung. Doch wurde Osama bin Laden von einer US-amerikanischen Einheit getötet, und in den USA wird bekanntlich die Todesstrafe ausgesprochen und vollstreckt. Es fällt schwer, darin andere Motive – etwa die „Generalprävention“ – als Rache hineinzuinterpretieren.
Unrecht muss gesühnt werden
Doch auch das deutsche Strafrecht lässt sich nicht allein von der beabsichtigten Resozialisierung leiten; mindestens ebenso großes Gewicht kommt dem „Sühnegedanken“ zu. Unrecht müsse gesühnt werden, heißt es – nicht zuletzt auch in den Leserbriefspalten der Zeitungen. Und schon begreift man, warum allein schon der „Rechtsfrieden“ danach verlangt, dass Unrecht gesühnt wird, sprich: in einem ordentlichen Verfahren gerächt wird.
Deutschland ist nicht zivilisierter als die USA
Es besteht also aus deutscher oder europäischer Sicht keinerlei Anlass, so zu tun, als sei das der Durst auf Rache und seine institutionelle Integration in die Rechtssysteme längst überwunden, während im „Wilden Westen“ der Sheriff den Auftrag der Meute vollstreckt. Es besteht gerade für Deutsche keinerlei Anlass, so zu tun, als sei man hierzulande irgendwie zivilisierter als in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Befremdliche Freudenfeste
Gewiss, die Bilder dieser ausgelassenen Freudenfeste in New York und Washington mussten befremdlich erscheinen. Doch auch im ach so zivilisierten Germany: Sondersendungen und Sonderbeilagen, ganz- und mehrseitige Berichte in den Zeitungen und Themenänderungen in den „seriösen“ Talkshows. Immerhin sind auch hier schon Anschläge geplant worden – auch die auf die Twin Towers am 11.9.2001.
Tötung oder Gefangennahme?
„War die Aktion legal?“ lautet die andere Frage, und auch hier scheint die Antwort leicht gegeben: die „Amerikaner hätten bin Laden gefangen nehmen müssen“, spricht der renommierte Völkerrechtler Christian Tomuschat. „Eine Festnahme hätte Priorität haben müssen“, sagte Tomuschat zur Tötung bin Ladens. „Die USA hätten Bin Laden dann ohne weiteres vor ein amerikanisches Gericht stellen können.“
Was wissen wir?
Was man so als emeritierter Professor alles weiß! Ohne weiteres. So weiß man beispielsweise zuverlässig, weil aus unabhängiger Quelle, dass die US-Spezialeinheit bei ihrer Kommandoaktion auf massiven bewaffneten Widerstand gestoßen ist. Der in der Nachbarschaft lebende Twitterer konnte wegen des ungeheuren Lärms nämlich nicht schlafen. Oder glauben Sie, dass auf bin Ladens Anwesen einer der US-Hubschrauber wieder einmal einfach nur so abgestürzt ist?
Hinrichtung oder Feuergefecht?
Einblicke in das – mittlerweile weltbekannte – Schlafzimmer des Al-Qaida-Chefs hatte unsereins zwar nicht, sondern neben dem Kommando nur die US-Führung um Barack Obama und Hillary Clinton (interessantes Foto). Hinrichtung oder Feuergefecht? Ja, es gab (mindestens ein) Feuergefecht, und nein, das Sonderkommando wäre nicht abgereist, ohne zuvor bin Laden getötet zu haben.
Frage nach Legalität ist hypothetischer Natur
Ich vermute, die Amerikaner wären sogar in der Lage, mit den Bildern aus der Helmkamera diesen Ablauf der Dinge zu beweisen. Aber das ist erstens Spekulation, und zweitens würde selbst dieser Beweis nichts daran ändern, dass weder bin Laden noch die USA auch nur das geringste Interesse an einem unblutigen Ende inklusive Gerichtsverfahren gehabt hatten. Die Frage nach der Legalität wie die Einlassungen Prof. Tomuschats sind – milde formuliert – rein hypothetischer Natur.
Bigotter Verweis
Und der Verweis auf das mosaische Tötungsverbot (5. Gebot Moses) ist – sehr milde formuliert – bigott, wird mit ihm doch ganz bewusst übersehen, dass zwischen Al Qaida und den USA (wie auch vielen anderen Staaten) ein erbarmungsloser Krieg tobt. Selbst wer sich dem nicht anschließen mag, muss einräumen, dass es sich bei der Bekämpfung der Al Qaida um den Schutz der eigenen Bevölkerung handelt, also um die originäre Aufgabe der Staaten.
Es gibt gute Gründe, die Tötung bin Ladens gutzuheißen
Man mag die Klugheit der Kommandoaktion bezweifeln, wie dies Helmut Schmidt zum Beispiel tut. Aber die Aktion der Vereinigten Staaten mit dem Gebot, nicht töten zu sollen, zu kommentieren, geht völlig an der Sache vorbei. Die Motive mögen aufrichtig sein oder auch nicht. Bei den einen so, bei den anderen so. Wer dagegen die Tötung bin Ladens gutheißt, kann dafür Gründe benennen. Gute Gründe, wie ich finde. Er mag darüber erleichtert sein, muss er aber nicht. Und er mag sich darüber freuen. Das muss er aber schon gar nicht.
* Dr. Werner Jurga ist Mitglied der Duisburger SPD und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). Dort ist er stellv. Vorsitzender der DIG-Arbeitsgemeinschaft Duisburg-Mülheim-Oberhausen. Jurga ist zudem Autor bei den Ruhrbaronen.
Als ich heute Morgen die Nachricht vom Tod Osama bin Ladens gelesen habe, kam bei mir keine rechte Freude auf. Das hängt damit zusammen, dass ich mich noch nie über den Tod eines Menschen gefreut habe.
Bin Laden war ein Verbrecher, und er hätte für seine Verbrechen büßen müssen. Mir ist im Laufe des Tages ein schräger Gedanke gekommen:
Israel hat den Verbrecher Eichmann entführt und ihm den Prozess gemacht. Der Prozess hat der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der geschichtlichen Erkenntnis gedient. Als „Banalität des Bösen“ hat Hannah Arendt die Person und die Verbrechen des Mörders Eichmann in unserem politisch-kulturellen Gedächtnis verankert. Eichmann ist von einem Gericht zum Tode verurteilt worden.
Von mir aus hätte Osama bin Laden schon längst einfach tot sein können. Verhungert, verdurstet, erschossen und ach ich weiß nicht was. Dieses reiche Söhnchen, das sich arme Schlucker kaufen konnte, um sie als Terroristen in die Welt zu schicken, war mir immer zuwider.
Der große Fehler der Amerikaner war nicht, dass sie bin Laden exekutiert und blitzschnell ins Meer geworfen haben.
Der Fehler war, dass Bush diesen Terroristensohn einer Familie, mit der seine eigene Familie ansonsten gut verbunden war, zur Projektions- und Symbolfigur des internationalen Terrors erhob. Bin Laden musste für den Krieg in Afghanistan herhalten, obwohl die Terrorangriffe von 9/11 nun gerade einmal nicht aus dem Land am Hindukusch kamen.
Bush und andere haben komplexe globale, strategische, politische und wirtschaftliche Probleme auf einen einzelnen Mann reduziert. Sie haben diesen Mann mit einer Bedeutung aufgeladen, die die Spezialeinheit der USA durch die Exekution -oder sei es ein Gefecht gewesen- nicht aus der Welt geschafft hat.
Diese „aufgeladenen Bedeutung ohne Körper“ wird sich nun neue Träger suchen und, wie ich befürchte, auch finden.
Die Welt ist durch die Tötung Osama bin Ladens nicht sicherer geworden. Im günstigsten Fall bleibt alles so wie es war.
Dieser Osama bin Laden hätte entmystifisziert werden müssen – als die Banalität des Terrors.
Ich wünsche, trotz aller Bedenken, dass dies Unterfangen, so es existiert, noch gelingt. Ich befürchte, dass es sehr schwer wird.
Helmut Schmidt: Tötung bin Ladens ist „zweischneidige Sache“ … abendblatt
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