Nachlese: Journalismus auf der re:publica 2015 … djv
43 Are Missing from the Teaching of History in Mexico / 43 Vermisste im mexikanischen Geschichtsunterricht / A la enseñanza de la historia en México le faltan 43: Mexiko macht eine langwierige Menschenrechtskrise durch. Die im letzten September erfolgte Entführung und anschließende Ermordung von 43 Studierenden, die zu Lehrpersonen in ländlichen Gebieten ausgebildet werden sollten, legen hierfür ein weiteres Zeugnis ab. México vive una crisis prolongada de los derechos humanos. La desaparición y posterior asesinato de 43 normalistas rurales el pasado septiembre, es solo una muestra más de ello … PublicHistory
Kriegsende 8. Mai 1945: Es waren die Deutschen, nicht die Nazis. Helmut Schmidt sagt, dass er kein Nazi war, und die Republik atmet auf. Dabei führt der Altkanzler nur vor, wie sich mancher aus der Tätergeneration doch noch retten will. Eine Kolumne von Georg Diez … spiegel
Kriegsende in Deutschland und Berlin: 8. Mai sollte offizieller Gedenktag werden – oder? … tagesspiegel
Hagen – Film und Diskussion zum 70. Jahrestag der Befreiung: Anlässlich des siebzigsten Jahrestages der Befreiung vom Faschismus zeigen das Hagener Friedenszeichen und der Geschichtsverein am Montag, dem 11. Mai 2015, um 19.00 Uhr im Kino Babylon den Film „Stationen eines ungewöhnlichen Lebens“ … doppelwacholder
70. Jahrestag der Befreiung: Rede von Prof. Heinrich August Winkler zum 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs … neheimsnetz
Great Britain Election live: Osborne and May return in new Cameron cabinet … guardian
Wahlen in Großbritannien: Warum die Astrologie nicht für den Wahlkampf taugt, dafür aber die Demoskopie … wiesaussieht
NSA, BND, Spionage: Keine Parteien mehr, dafür ein handfester Skandal … jurga
Umstrittene Gasförderung: Warum Texas Fracking völlig normal findet … heute
Die deutschen Löhne – Konfusion von links bis rechts: Unsere Leser haben uns gebeten, zu zwei Stücken über die Gewerkschaften und die deutsche Lohnentwicklung Stellung zu nehmen … flassbeck-economics
Die Kosten des Strukturwandels in NRW: Kraft und der Datenmangel ihrer Regierung … postvonhorn
Bilder einer Ausstellung: Fotografie erfreut sich riesiger Beliebtheit und Verbreitung, den Smartphones mit eingebauter Kamera sei Dank. Ausstellungen und Workshops haben regen Zulauf, die Besucherstatistik renommierter Galerien und Museen spricht für sich. Was für eine Chance … imageandview
PISA breitet sich wieder aus – Mittel gegen Testeritis verfügbar: Mit den Pollen kommt auch PISA wieder. Immer mehr Tests kommen auf den Markt: PISA, BIJU, TIMSS, Iglu, TOSCA, Vera. Immer mehr Menschen werden getestet. Kaum jemand ist noch nicht getestet worden und die Tests folgen in immer schnellerer Folge. Besonders Schüler müssen sich ständig Tests unterziehen, und das weltweit. Testeritis scheint hoch ansteckend zu sein. Kein Wunder: Hinter diesen Tests stecken weltweit aktive Unternehmen, die mit solchen Tests Milliardenumsätze machen … nachdenkseiten
Bastion geschleift: Gymnasium der Benediktiner schafft die Lateinpflicht ab … derwesten
„Migranten im Sauerland in Gesellschaft und Politik“: Dialoge führen und Brücken bauen … sbl
Love thy neighbour as thyself: In Großbritannien war das Krimi-Drama „Broadchurch“ mit mehr als 30% Marktanteil und über 9 Millionen Zuschauern ein Publikumserfolg. Eine zweite Staffel sowie ein Remake in den USA folgten. Nun kommt die Serie – nachdem ProSiebenSat1 mit den Rechten nichts anzufangen wusste – nach Deutschland ins ZDF … threepastnine
“Green City”: Kunstschau erkundet die versehrte Stadtlandschaft des Ruhrgebiets … revierpassagen
Dieser Artikel ist der letzte(?) Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Eine kleine mehrjährige Blog-Epoche geht zu Ende. Vielen Dank, Marion. Viel Spaß beim Lesen!
Hola a todos!
„Die Landschaft dürft ihr fotografieren. Uns aber nicht!“
Es gibt Aufforderungen, denen man ohne Widerspruch nachkommt. Besonders dann, wenn derjenige eine Waffe trägt, der das fordert.
Das Reisemagazin „México desconocido“ –übersetzt „unbekanntes Mexiko“- hatte uns in diesen Winkel des Landes geführt. All die Jahre in Mexiko sind wir oft den Tipps des Magazins gefolgt und haben damit sowohl Tops als auch Flops erlebt. Jetzt also hatten wir die Durango-Ausgabe in der Hand.
Durango ist nicht gerade der Bundesstaat, den man als gemeiner Tourist so ansteuern würde, da es weder Paradiesstrände noch archäologische Stätten gibt. Dafür entschädigen aber fantastische Landschaften mit bizarren Felsformationen. Nicht umsonst hat John Wayne hier zahlreiche seiner Filme gedreht. An der touristischen Aufarbeitung mangelt es jedoch, obwohl laut „México desconocido“ ganz in der Nähe der Bundesstaathauptstadt Victoria de Durango gleich zwei Filmkulissen zum Besuch einladen. Die zu finden stellt jedoch eine Herausforderung dar: Denn Hinweisschilder gibt es nicht. Erst nachdem man durch ein etwas verfallenes Dorf gefahren ist, kommt eine Straße, die mal als Kulisse gedient hat. Tatsächlich bietet jemand in Cowboy-Tracht Filme an: Das sind allerdings DVD-Raubkopien und wir haben Mühe, ihm zu erklären, dass wir die nicht mitnehmen dürfen. Sein weiteres Angebot: aus dem Internet kopierten Film-Fotos. Zu essen und zu trinken gibt es nichts und nach fünf Minuten fährt man wieder. An dem anderen Ort gibt es zwar ein Restaurant, aber eine Bedienung taucht nicht auf. Eine Westernshow wird zwar angekündigt, findet aber nicht statt.
Nordwestlich von Victoria de Durango erstreckt sich die Sierra Madre Occidental, ein rund 1500 Kilometer langer Gebirgszug, der im US-amerikanischen Arizona beginnt und bis zum Bundesstaat Guanajuato reicht. Entlang der Mex 40 gibt es eindrucksvolle Gebirgsformationen. Das Magazin hat dazu noch einen besonderen Tipp: Nicht auf der Bezahlautobahn nach Mazatlán zur Küste fahren, sondern auf der Bundesstraße durchs Gebirge. Kurvenreich geht es auf rund 2800 Meter. Dort soll es einen besonderen Aussichtspunkt geben: „El Espinazo del Diablo“ – „das Rückgrat des Teufels“. Als wir am frühen Abend auf den kleinen Parkplatz halten, steht da eine Camioneta. Hinten auf den Lieferwagen hocken rund zehn Männer. Zwei stehen am Zaun vor der Böschung und pinkeln. Ihnen ist es offensichtlich unangenehm, als wir mit unseren Kameras aus dem Wagen springen. Hastig schließen sie ihren Hosenlatz. Wir grüßen noch freundlich, bevor wir an den Rand treten. Dann der zweite Blick: Die Männer sehen allesamt ziemlich abgerissen aus, die Vermutung, es seien Landarbeiter aus den umliegenden Dörfern, die am frühen Abend in ihre Siedlungen zurückkehren, schwindet völlig, als wir die geschulterten Gewehre sehen. Und das sind keine einfachen Jagdgewehre, das sieht sogar ein Laie wie ich. Das sind zum Teil Maschinengewehre, Kalaschnikows, manche haben auch noch einen Patronengürtel geschultert. Dann der Hinweis: „Die Landschaft dürft ihr fotografieren. Uns aber nicht!“
Ich wende meinen Blick ab und denke nur noch „weg, weg, weg“. Ich klicke zweimal hastig in die Gegend und husche dann wieder zum Auto. Ducke mich ein wenig auf dem Beifahrersitz, die Männer auf der Ladefläche schauen weg. Der Lieferwagen hat kein Kennzeichen, dafür aber an der Heckfläche einen Aufkleber mit einer nackten Frau. Dann rasen wir davon. Keiner von uns beiden sagt etwas. Ich schaue immer wieder von oben ins Tal und frage mich, wann wir endlich zu einer Ortschaft bzw. zur Autobahn kommen. Ich will nur weg aus diesem Gelände. Nach zwei Stunden erreichen wir die Autobahn und ich bekomme wieder das trügerische Gefühl einer Sicherheit.
Uns war ziemlich schnell klar, dass das keine Kleinkriminellen waren. Die hätten uns ja mal einfach so über den Haufen schießen und den Wagen klauen können. Sondern eben Mitglieder eines Kartells. Auf dem Weg zu einer Aktion oder von einer Aktion.
Der Polizei haben wir den Vorfall nicht gemeldet und leider hat die Nachricht aus Iguala im Bundesstaat Guerrero das auch mal wieder bestätigt: Dort soll die Polizei Ende September demonstrierende Studierende der Landwirtschaftsschule aus Ayotzinapa an Kartelle ausgeliefert haben. Wahrscheinlich sind alle 43 verschwundenen Studenten in der Nähe von Iguala ermordet und in Massengräbern verscharrt worden. Niemand weiß, wer mit wem kooperiert.
Das war der letzte Teil von „Marion bei den Mexis“. Nach viereinhalb Jahren bin ich nun nach Deutschland zurückgekehrt.
Ich hoffe, ich konnte einige Eindrücke jenseits der deutschen Berichterstattung aus Mexiko vermitteln. Vor allen Dingen den, dass es in Mexiko neben dem in den deutschen Medien immer wieder hilflos bemühten Begriffs des „brutalen Drogenkriegs“ noch so viele andere Facetten im Land gibt, die hier keinen Nachrichtenwert haben. Ich gebe zu, dass dieser Teil genau das konterkariert. Aber mit Widersprüchen lebt man eben: hier und dort.
Und hier noch etwas aus der schönen Rubrik „Besser glauben in Mexiko“, gesehen in einem Restaurant in Zacatlán/ Puebla.
Wörtlich heißt es: „Dieser Ort ist katholisch. Wir akzeptieren weder protestantische Propaganda noch die anderer Sekten.“ Tja, hier gilt auch 2014 der Protestantismus noch als Sekte.
Aber der Unterschied zum Sauerland ist da vielleicht auch gar nicht so groß 😉
Dieser Artikel ist der 31. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Wir lesen über eine neue Form von Kriminalität (Hundeentführungen) und erfahren, dass der Drogenbaron Joaquin „El Chapo“ Guzmán im nordmexikanischen Bundesstaat Sinaloa geschnappt worden ist.
¡Hola a todos!
Eine beliebte Aufgabe, um das Präteritum und Perfekt zu üben, ist es, die Schüler zu fragen, was sie am Wochenende gemacht haben. Eine Lehrkraft für Deutsch als Fremdsprache in Deutschland wird da wohl andere Antworten erhalten als eine in Mexiko.
Eine neue Form der Kriminalität: Hundeentführung
Ich habe vor einem Monat einen Fortgeschrittenen-Kurs für Erwachsene übernommen und stelle wieder einmal fest, wie froh ich darüber bin, diese ganzen Formen nie bewusst gelernt haben zu müssen. Aber ich stelle auch fest, dass mich nach wie vor Antworten verblüffen können: So erzählte eine Schülerin, dass sie am Sonntag mit ihrer Familie in einem Einkaufszentrum war, als nebenan ein Geschäft von fünf maskierten Männern überfallen wurde. Das Geschäft, in dem sie waren, machte sofort alle Schotten dicht und so harrten sie dort die Schießerei aus. So erschloss sich dem Kurs auch ein neues Wortfeld: Überfall, Raub, Schusswunde, Erpressung, Lösegeld. Zum letzem Wort meinte eine Schülerin, na ja, das brauche man im Deutschen ja wohl nicht so oft wie in Mexiko und eine andere erzählte von einer neuen Form der Kriminalität: Hundeentführung. Davon hatte ich bis dahin auch noch nichts gehört. Einer Freundin sei das in der letzten Woche passiert: Sie sei mittags mit ihrem Hund im Park spazieren gegangen, da hielt ihr auf einmal jemand eine Pistole unter die Nase. Doch er hatte es nicht nur auf ihr Geld, sondern auch auf ihren Fiffi abgesehen. Am Wochenende kam die Lösegeldforderung: 20 000 Pesos, das sind rund 1100 Euro. Mir fiel dazu auch nichts mehr ein, zumal dieser Park direkt bei uns um die Ecke liegt und ich dort fast jeden Tag vorbeigehe. Zum Glück habe ich ja keinen Hund, aber ich denke, die Ideen der Kriminellen kennen da auch keine Grenzen. Vielleicht steht demnächst blondes Haar auf der Liste.
Apropos Kriminalität: Am Samstag haben sie Joaquin „El Chapo“ Guzmán im nordmexikanischen Bundesstaat Sinaloa geschnappt.
In einem geschlossenen Wohnkomplex in Mazatlán, schön gelegen an der Pazifikküste (Mazatlán ist übrigens eine Partnerstadt von Hamm in Westfalen. Aber das nur als Halbwissen am Rande.). Er war zur Symbolfigur des Narcos schlechthin geworden. Fast wöchentlich gab es vermeintliche Meldungen zu seiner Festnahme. Mal wurde er in Guatemala, mal in den USA gesehen. Jenseits dieser Gerüchte war es jedoch eine Tatsache, dass „El Chapo“ im Januar 2001 aus einem Hochsicherheitsgefängnis fliehen und seine Geschäfte als Chef des Sinaloa-Kartells weiterbetreiben konnte. Einem Monat vor seiner spektakulären Flucht (er soll in einem Wäschetransporter versteckt einfach aus dem Gefängnis gefahren sein) hatte Vicente Fox von der konservativen PAN-Partei die Präsidentschaft übernommen. 2006 wurde sein Parteikollege Felipe Calderón Präsident. Und mehr als zwölf Jahre soll es niemanden geglückt sein, einen der angeblich gefährlichsten Verbrecher der Welt zu schnappen. Tja, und nun nachdem Enrique Peña Nieto von der PRI-Partei an der Macht ist, wird er zufälligerweise geschnappt. Die Gerüchte wollen nicht verebben, dass der Chef des Sinaloa-Kartells der PAN-Partei 20 000 US-Dollar für seine Flucht bezahlt haben soll.
Seinen possierlichen Namen „El Chapo“, der Kurze, hat Guzmán aufgrund seiner Körpergröße erhalten. Wobei die bei der Fahndung zwischen 1,55 und 1,68 angegeben wurde. Ich habe mich mal gefragt, wenn man selbst das noch nicht einmal weiß, wie soll man ihn denn dann fangen? Mal sollte er 59, dann wieder nur 57 Jahre alt sein. Auch seine Einkommensverhältnisse sind nicht genau geklärt: Aber immerhin hat es Guzmán in den letzten Jahren immer wieder auf die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt geschafft (seine Spitzenposition war im Jahre 2009 der 41. Rang). Einen weiteren Erfolg konnte er auch im nördlichen Nachbarland verbuchen: Die USA kürten ihn zum Public Enemy No.1. Kein Krimineller seit Al Capone sei so gefährlich wie „El Chapo“ hieß es. Die US-amerikanische Anti-Drogeneinheit (DEA) hat bei der Festnahme richtig mitgemischt. Nun wird ernsthaft überlegt, ob man Guzmán nicht in ein US-amerikanisches Gefängnis stecken soll. Rechtlich soll das möglich sein. Er bzw. sein Kartell sollen auch in San Diego, Chicago, New York sowie in Texas Verbrechen verübt haben. Bei einem ersten Verhör soll er zugegeben haben, den Mord an 2000 oder vielleicht 3000 Menschen in Auftrag gegeben zu haben. Die Dimensionen sind wahrscheinlich so ungeheuerlich, so dass sie mit dem bloßen Verstand nicht zu fassen sind. Jedenfalls nicht mit meinem. Was mir aber mein Verstand leider auch sagt, ist, dass die Festnahme wahrscheinlich eine Hydra ist. Ein Kopf ist abgeschlagen, viele andere wachsen nach. So sollen seine Nachfolger Juan José „El Azul“ Esparragoza und Ismael „El Mayo“ Zambda bereits in den Startlöchern stehen. „El Mayo“ ist seit knappen 50 Jahren im Geschäft und saß im Gegensatz zu seinem Kompagnon Chapo noch nie im Knast. Dort sitzt aber bereits der Rest seiner Familie. Es ist womöglich auch nur eine Frage der Zeit ist, wann Guzmáns Leben verfilmt wird.
Ich war übrigens am Wochenende im Kino und habe „12 Years A Slave“ (ich glaube, in Deutschland läuft er auch unter seinem Originaltitel) gesehen. Die Geschichte ist ein Alptraum, aber mal angenehm langsam erzählt. Wer nun glaubt, das sei ja zum Glück eine Geschichte aus dem vorvergangenen Jahrhundert, dem sei noch folgende Meldung aus der letzten Woche mitgegeben. Wobei ich aber natürlich erwähnen muss, dass das auch in Mexiko absolut illegal ist. In Yautepec im Bundesstaat Morelos haben Angehörige des Sicherheitsministeriums elf Jugendliche im Alter zwischen 13 und 17 Jahren befreit, die im Dezember im Bundesstaat Puebla entführt worden waren. Sie haben in Yautepec, das keine 100 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt, unter sklavenähnlichen Bedingungen auf Zuckerrohrfeldern arbeiten müssen. Drei Verantwortliche sind festgenommen worden.
Hier ist Karneval übrigens nur im Bundesstaat Veracruz angesagt. Deshalb werden die kommenden Tage hier auch narrenfrei ablaufen. Ich wünsche vor allen denjenigen im Rheinland (sofern sie denn wollen) eine jecke Zeit und ich hoffe, ich höre bald mal wieder etwas von euch!
Dieser Artikel ist der 30. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Wir erfahren Hintergründe des Lehrerstreiks in Mexiko und wundern uns, dass in Mexiko Lehrerstellen immer noch vererbt werden können.
¡Hola a todos!
Eigentlich sollten sie nicht mehr hier sein, eigentlich sollten sie schon vor über einer Woche in ihre Dörfer, ihre Städte zurückgekehrt sein und eigentlich dort das tun, wofür ihre Berufsbezeichnung steht: lehren.
Aber die Lehrer und Lehrerinnen der Lehrergewerkschaft CNTE (steht für Nationalkommission der Bildungsarbeiter) -besonders aus den Bundesstaaten Oaxaca, Michoacán und Guerrero- harren in der Hauptstadt aus. Einige von ihnen bereits seit dem 21. August. Damals fingen die Demonstrationen gegen die vorgeschlagene Bildungsreform der Regierung an. Zwischenzeitlich campierten über Zehntausend auf dem Hauptplatz der Innenstadt, dem Zócalo, und legten fast täglich mit ihren Protestmärschen den Verkehr lahm.
Die Sympathien innerhalb der Bevölkerung nahmen rasch ab. Stau gab es natürlich auch schon vorher, aber nicht derart, dass die Einkommensverluste mancher Geschäfte im historischen Zentrum so hoch waren, dass sie geschlossen werden mussten.
Am 16. September war Nationalfeiertag und da werden traditionell Paraden am Zócalo abgehalten. Man war gespannt, wie die Bundes- als auch die Stadtregierung reagieren würde. Und ob sie überhaupt reagieren würde. Sie reagierte und vertrieb die campierenden Lehrkräfte mit Wasserwerfer und Tränengas und riegelten den Hauptplatz weiträumig ab. Auch einen Monat später ist es so ruhig auf dem Hauptplatz des Landes und die Polizeipräsenz so hoch wie noch nie.
Und die Lehrer? Zogen rund dreihundert Meter weiter auf den Platz vor dem Revolutionsdenkmal. Vor einer Woche sollte offiziell der Unterricht wieder beginnen. Viele sind tatsächlich gegangen, viele sind aber auch geblieben. Und blockieren weiter das Leben in der Stadt. In den letzten Wochen wurden wechselweise die Zufahrt zum Flughafen, der Weg zum Präsidentenpalast, die Abgeordnetenkammer, der Senat sowie Botschaften und Fernsehsender belagert.
Doch warum geht es ihnen eigentlich? Als ich vor einiger Zeit nach Hause ging, geriet ich in eine Demo. An diesem Tag sollte die spanische Botschaft belagert werden. Die Straßen waren durch Polizeikräfte gesperrt, doch ich durfte passieren, da ich darlegen konnte, dass ich tatsächlich hier wohne. So konnte ich endlich mal direkte Informationen erhalten.
Ich gab mich als ahnungslose Ausländerin aus, die das alles nicht verstehen würde. Wir sind gegen die Bildungsreform, sagte mir ein Grundschullehrer von der Küste Oaxacas. Jaja, aber wogegen konkret? Einer sprang ihm bei: Wir sind auch gegen die Steuerreform. Und ein Dritter: Und auch gegen die Privatisierung des Mineralöls. Schön und gut. Aber was hat das mit der Bildung zu tun? Sie seien doch alle Lehrer und nun seit über einen Monat hätten ihre Schüler keinen Unterricht mehr. Was ist mit den Kindern? Na und, zuckte da der eine mit den Schultern, die sind bei ihren Eltern, denen geht es gut. Außerdem sei das Wetter in Oaxaca zurzeit noch schlechter als hier. Da konnte ich ihm nicht widersprechen: Die Hurrikans im September haben tatsächlich schwere Schäden an der Pazifik- als auch an der Golfküste angerichtet.
In Mexiko können Lehrerstellen immer noch vererbt werden. Das geschieht auch eher auf dem Lande als in der Hauptstadt. Die Reform will dieses Privileg streichen und darüber hinaus den Bildungsstand der Lehrer erfassen. Das wiederum mit einem einheitlichen Test. Doch die Niveaus sind hier dermaßen weit auseinander, so dass die Ungerechtigkeit einem sofort ins Auge springt. Kein Vergleich zwischen Bremen und Baden-Württemberg. Es gibt Gegenden in Mexiko, in denen findet seit fünf, sechs Jahren kein Unterricht mehr statt.
Bestimmt sind auch einige andere Reformvorschläge ungerecht. Aber ist es nicht auch ungerecht, Kinder und Eltern einfach so in Stich zu lassen? Mancherorts haben Eltern sich schon dazu geäußert, dass man diese Lehrkräfte nicht mehr haben möchte. Aber es gibt auch keine anderen.
Doch das sich etwas ändern muss, ist offensichtlich. Im OECD-Vergleich liegt Mexiko mit der Türkei auf den letzten zwei Rängen. Ich hatte nicht viele Gelegenheiten mit den protestierenden Lehrern zu sprechen, aber leider haben sie nur meine Vorurteile bestätigt.
Einfach mal dagegen sein ist ja auch eine Haltung. Als ich am letzten Freitag am Revolutionsdenkmal war, wurde ich schon vor dem Platz abgefangen, als ich meine Kamera hervorholte. Ob ich von der Presse sei? Nein, nein, ich sei Touristin, log ich. Man blieb skeptisch, ich dürfe zwar durch das Lager gehen, aber wenn ich Fotos machen würde, gebe es Ärger.
Was ich da noch nicht wusste: Am Vortag waren beim Protestmarsch durch den berüchtigten Stadtteil Tepito drei von ihnen krankenhausreif geschlagen worden. Sie sollten verschwinden, hätten die Leute dort geschrien. Eine Frau brüllte: Wegen euch Ärschen musste meine Cousine ihren Laden schließen. Ich habe mich wirklich über die Ruhe der Einwohner in den letzten zwei Monaten gewundert. Doch diese Stimmung scheint nun zu kippen. Ach ja, das Gehalt des Lehrergewerkschaftsführers von der tonangebenden Sektion 22 aus Oaxaca hat sich im letzten Jahr verdoppelt.
Dieser Artikel ist der 29. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute berichtet unsere Autorin über eine Reise nach Chiapas, wo sie unter anderem die Spuren der Zappatisten und ihres „Subcommandante Marcos“ sucht. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
Hola a todos!
Als am 01. Januar 2004 etwa 800 bewaffnete und maskierte Männer die Rathäuser von San Cristobal de las Casas und Oconsingo und sieben weiteren Orten im Bundesstaat Chiapas besetzten, wurde die Weltöffentlichkeit auf diesen Teil Mexikos aufmerksam. Die Zapatisten überfielen die Orte, um auf die brennenden Probleme und die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Besonders umkämpft war Oconsingo. Bei der Rückeroberung durch die Regierungstruppen gab es viele Tote und dies radikalisierte Teile der Rebellen, die sich im Zapatistischen Nationalen Befreiungsheer (EZLN) organisiert hatten.
Reist man fast 20 Jahre später durch Chiapas, muss das Touristenauge lange suchen, bis es Spuren des Aufstandes wahrnimmt. Dachte ich vorher noch, dass an mindestens jeder zweiten Hauswand Parolen zu entdecken seien, wurde ich vor Ort eines Besseren belehrt. Fast nichts weist auf die Unruhen und Aufstände hin. Lediglich vor der archäologischen Zone Toniná in der Nähe Oconsingos hängt ein Plakat mit der aufständischen Dreifaltigkeit: Neben Emiliano Zapata und Che Guevara guckt Subcomandante Marcos entschlossen durch die Sehschlitze seiner schwarzen Kapuze, die sein Gesicht bis auf Augen und Mund verdeckt. Sein Haupt bedeckt eine Kappe. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wer sich hinter Subcomandante Marcos, der in geschliffenen Reden nicht nur Teile der indigenen Chiapas-Bevölkerung, sondern auch die Intellektuellen in der Hauptstadt in seinen Bann zog, verbirgt. „Marion bei den Mexis, Teil 29: Chiapas – auf den Spuren der Zappatisten und ihres „Subcommandante Marcos“ …“ weiterlesen
Mexico City. Was kann ich zu Monterrey sagen? Dass ganz Mexiko geschockt ist, kann ich nicht erkennen, wenn ich durch die Straßen gehe. Ohne zynisch zu sein: dieser Anschlag hat ungeheuer brutale Ausmaße. Aber die Haltung der meisten Mexikaner ist doch eher die des Wegschauens.
Jeder weiß, wenn er ein Lokal eröffnet, dass die „Familien“ nicht lange auf sich warten lassen und dann kommt meist auch noch die örtliche Polizei vorbei, um noch ein bisserl Schutzgeld zu erpressen. Man kann jetzt lange darüber spekulieren, wo die Wurzel des Übels liegt: die schlechte Bezahlung der Polizei, die Korruption innerhalb des Politikbetriebes, die Drogenkonsumenten in der USA, die versorgt werden wollen, die mangelnde Ausbildung, die Werte, die innerhalb der Familien vermittelt werden etc.
Worauf es in all diesen Punkten hinausläuft, ist das Geld. Entweder ist zu wenig da (öffentliche Schulen, öffentlicher Dienst), auf der anderen Seite wollen viele einfach viel Geld (Politiker, Drogenhändler, Auftragsmörder) haben.
Du wirst hier nicht erleben, dass die Menschen hier gegen die Drogenkartelle auf die Straße gehen. Die Haltung ist die des Wegschauens und die Meinung, das sind nur die anderen.
Monterrey gilt hier als „no-go-area“. Eine Bekannte ist vor einem Monat nach Monterrey umgezogen, da ihr mexikanischer Mann dort eine Stelle erhalten hat. Beide haben sich schon vorher einen Verhaltenskatalog zusammen gestellt; sie sagte auch nur, dass sie oft wie möglich nach Mexiko-Stadt kommen werden, denn Lebensqualität sei mittlerweile dort, in Monterrey, nicht mehr vorhanden.
Update 27. 08.2011:
Mittlerweile habe ich auch die heutige Ausgabe von „La Jornada“ gelesen und muss leider –trotz der Tragik des Ereignisses- feststellen, dass dieser Überfall keine absolute Überraschung gewesen sein kann. Der Autor listet die Ereignisse dieses Jahres in diesem Kasino und seiner Umgebung auf: im Januar gab es im Kasino einen bewaffneten Überfall, bei dem ein Mensch starb. Im April einen weiteren ohne Verletzte, am 25. Mai gab es eine Raubserie in diesem Stadtgebiet, dabei wurde auch dieses Kasino ausgeraubt. Und schließlich wurden am 8. Juli in einer Bar in direkter Nachbarschaft des Kasinos 21 Menschen erschossen.
Das Kasino wurde im September 2007 eröffnet – ohne die notwendige Konzession (ich übersetze so einfach mal die so wörtlich „Erlaubnis der Regierung“). Die Betreiber des Kasinos waren die Cousins des damals amitierenden Bürgermeisters. Der jetzige Bürgermeister behauptete nun gestern, dass es am 04. Mai noch einmal Thema im Stadtrat war, dass dieses Kasino ohne „permiso“ operieren würde. Dabei hat er seit seinem Amtsantritt neun Kasinos in der Stadt eröffnet – alle operieren illegal.
Kasinos sind wohl für die Geldwäsche in Drogengeschäften bekannt. Anschläge auf Kasinos gab es immer wieder in den letzten Jahren. Monterrey gilt als das „Las Vegas Mexikos“, da es dort mehr als 50 Glückspielorte gibt. Die meisten ohne staatliche Genehmigung. Oder die Geschäftsführer zahlen dem Bundesstaat Geld für eine Erlaubnis und die lassen sie dann in Ruhe. Es gibt aber wohl auch auf Regierungsebene sowohl in den Gemeinden hingegen Unterstützung im Kampf diese Geschäfte zu schließen.
Auch im Radio war nicht mehr zu hören; obwohl MVS (der einzig vernünftige Informationssender) heute sehr viel darüber berichtet hat.
Dieser Artikel ist der 16. Teil einer persönlichen aber doch politischen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute bewegen wir uns wieder einmal im kriminellen Milieu. Wegen der zur Zeit fragilen Internet-Verbindung zwischen Mexico-City und Siedlinghausen, konnten noch nicht alle Fotos eingefügt werden. Dies wird nachgeholt, sobald sich die Bits und Bytes wieder wie gewohnt über den Atlantik kugeln.
Hola a todos!
„Die Welt ist voller Zeichen,
doch für manche sind wir blind.“
Die Sterne
(„Big in Berlin“)
Drogenreviere und Kreidezeichen an Straßenkreuzungen
Was denkt mein Hirn, wenn es wahrnimmt, dass sich ein circa zwanzigjähriger Chico mit Baseballkappe an einer Straßenecke bückt? Mhmm, was wird er denn verloren haben? – Nichts hat er verloren. Im Gegenteil, er wird heute noch etwas gewinnen.
Jedenfalls wenn er sich in Ciudad Nezahualcoyotl befindet und sich wie viele junge Männer hier dem Drogengeschäft verschrieben hat. Nachmittags wird mit Kreidezeichen an Straßenkreuzungen das Angebot angepriesen, so wie Kneipiers ihre Tagesangebote auf Schiefertafeln täglich neu darbieten. Die Reviere werden mit „Tags“ auf den Bürgersteigen markiert und am Abend wird verkauft. Manchmal werden anhand dieser Zeichen auch vereinbart, wer wo und wann überfallen wird.
In Ciudad Nezahualcoyotl scheinen sämtliche Autowerkstätten der Stadt versammelt
Ciudad Nezahualcoyotl ist ein östlicher Stadtteil von Mexiko-Stadt. Fast direkt hinter dem Flughafen wuchert ein Viertel von ca. 3 Millionen Einwohnern. Vor 30 Jahren war hier noch Feld, dann entstanden die ersten Hütten, wie meist in Mexiko-Stadt ohne jede Genehmigung. Irgendwann kamen die Wasser- und Stromleitungen hinzu und irgendwann sah Nezahualcoyotl, benannt nach jenem Dichterkönig des historischen Dreibundes im 14. Jh., prosaisch legal aus wie viele Stadtteile jenseits des historischen Stadtzentrums und den Vierteln der Reichen: nicht arm, nicht reich, irgendetwas dazwischen, ein proletarisches Viertel mit einer erwähnenswert gut funktionierenden Infrastruktur. – Auf das fremde Auge wirkt es erst einmal so, dass sich hier sämtliche Autowerkstätten der Stadt versammeln. Die sich tummelnden Klitschen durchziehen Straßenzüge mit Einzelhandelsgeschäften, wovon sich jedes auf ein anderes Autoteil spezialisiert hat. Hier bekommt man den Auspuff, dort die Bremse und im dritten Laden die Fußmatte. Dazwischen wird geschraubt, geschweißt und alles das gewerkelt, was den Wagen wieder flott macht.
Aus Rest-Chevys werden Autos, die fliegen können
Aus diesem Grund waren wir auch hier. Der Patron unseres Parkplatzes in Polanco, Agustin, gab uns den Tipp, dass er jemanden kenne, der jedes Auto wieder fahrbereit kriegen würde.
Er hätte seinen Chevy vom Händler geholt, sofort einen schweren Unfall gehabt, bei dem die hintere Hälfte des Autos abgefahren worden sei – und sein Mirakelschweißer habe aus einem andern und seinem Rest-Chevy ein neues Auto zusammengeschweißt, das eigentlich mehr als fahren, nun fliegen könne. So fuhren wir mit ihm am Samstag vor zwei Wochen dorthin.
Normalerweise betrügt der Mann die Frau, nicht umgekehrt
Agustin meinte, er wisse nicht, wann das letzte Mal ein Ausländer dort gewesen sei. Er sei dort aufgewachsen. Noch hat er sein Haus dort, seine Familie. Aber wie wir auf der Fahrt erfuhren, betrügt ihn seine Frau seit einem halben Jahr mit einem ehemaligen Schulfreund aus der Mittelstufe – und da hat er sie in einem Streit fast erwürgt. Der Machismo, meinte Agustin achselzuckend. Normalerweise betrügt der Mann die Frau, nicht umgekehrt. Daraufhin hat ihn seine Familie rausgeschmissen und er wohnt zur Zeit auf dem Parkplatz, den er sonst bewirtschaften lässt, hier bei uns in Polanco, mit seinem Hund Chacaron, einer Mischung aus Boxer und Bulldogge. Die Bilanz der gescheiterten Ehe: 23 Jahre mit wundervollen, aber auch tragischen Momenten, drei Kinder zwischen 23 und 15 Jahre. – Ich saß auf der Rückbank und sah dort Ratgeber mit Titeln wie „Scheidung – und dann?“ oder „Wie überlebe ich eine Scheidung?“. Fragen, die sein Leben wohl momentan bestimmen. Die Scheidungsrate in Mexiko ist nach wie vor sehr niedrig, während in Deutschland ja fast jede dritte Ehe vor dem Scheidungsrichter endet. Er fragte uns, was man eigentlich so am Wochenende mache, denn bislang hatte er ja seine Familie. Warum er tatsächlich keine Idee hatte, wurde mir klar, als ich erfuhr, wie alt er ist: 40 Jahre. Dementsprechend hat er sich seit seinem 18. Lebensjahr um seine Familie gekümmert und die typische Ausgehsozialisation nicht miterlebt.
„Raubt die, die Arbeit haben, aus.“
Agustin hat aber miterlebt, wie dieser Stadtteil entstand und auch, wie vor ungefähr 10 Jahren die Drogengeschäfte das Straßenbild veränderte. Bis dahin konnten seine Kinder unbedenklich draußen spielen. Heute würde auch er sich nur noch im Auto draußen bewegen. Schießereien? Ja, die würde es auch geben. An Waffen zu kommen sei nicht schwer. Eine Stadt von ca. 3 Millionen Einwohnern, von denen ungefähr 100 000 eine Arbeit hätten. „Und der Rest?“ – „Raubt die, die Arbeit haben, aus.“ – Auch eine Sozialstruktur.
Die schöne Seite von Nezahualcoyotl
Zwei Samstage später sind wir wieder mit Agustin unterwegs Richtung Osten. Der Wagen ist immer noch nicht fertig, nimmt aber langsam wieder die alte, unzerknautschte Form an. Die Achse ist gerichtet, die Seite lackiert. Da wir Zeit haben, bis der Wagen in eine andere Werkstatt kommen soll, zeigt uns Agustin die schöne Seite von Nezahualcoyotl, einen kleinen Tierpark. Er sei schon lange nicht mehr hier gewesen, die Kinder waren noch klein. Jetzt wollen seine zwei Töchter keinen Kontakt mehr mit ihm haben.
Die Ehe-Frau versucht, ihn im Schlaf mit einem Messer zu erstechen
Warum denn nicht? Seine Frau habe schließlich ihn betrogen. Ja, aber er hat in einem Wutunfall auch das Möbiliar des Hauses zerschlagen und seitdem hätten sie Angst vor ihm. Bei anschließendem Mittagessen erzählt er von den Höhen und Tiefen seiner Ehe. Vor ein paar Monaten hätte seine Frau versucht, ihn im Schlaf mit einem Messer zu erstechen. Nachts um drei. Er sei aber wach geworden.
Drei Menschen umgebracht
Christopher versucht galant das Thema zu wechseln: was er denn ursprünglich beruflich gemacht hätte. Er sei ja schließlich nicht immer Parkplatzbewirtschafter gewesen. Nein, er habe ursprünglich Verwaltungswissenschaften studiert, hätte dann aber das Angebot bekommen, als Bodyguard für einen Geschäftsmann aus Toluca zu arbeiten. Das sei vor zehn Jahren gewesen. Ob das gefährlich gewesen sei? Agustin zuckt die Schultern. Wie Christopher dann beim Nachtisch auf die Frage kam, ob er jemanden umgebracht hätte, weiß ich nicht (ich habe mal einen Bodyguard von Michael Schumacher kennen gelernt und der hatte mir erzählt, dass man selbst in heiklen Situationen versucht, den Angreifer mit Kampfsport zu überwältigen). Ich jedenfalls erfuhr dann, während ich meinen Käsekuchen mit Waldbeerenbelag verspeiste und meine zweite Tasse Kaffee trank, dass Agustin während seiner Bodyguard-Zeit drei Menschen umgebracht hat. „Immer in Notwehr“, so Agustin.
Ein glatter Kopfschuss
Einmal wurde auf den Wagen mit Sicherheitsglas, den er fuhr, in der Absicht geschossen, ihn in den Kopf zu schießen. Da hat er zurückgeschossen und den Angreifer mit einem glatten Kopfschuss getötet. Zweimal hätte er mit einem gezielten Schlag auf die Kehle und einem Luftröhrenbruch die Leute getötet. Sein Chef sollte entführt werden. Nein, juristische Konsequenzen hätten diese Vorfälle nicht gehabt.
Agustin kommt wieder – um Fleischklößchen zu kochen.
Dem Geschäftsmann aus Toluca gehöre auch der Parkplatz in Polanco, den er nun bewirtschaftet. Er würde jetzt dasselbe verdienen, hätte aber mehr Ruhe. Welche Geschäfte dieser Unternehmer denn genau mache, erfuhren wir nicht. Dafür kommt aber Agustin in zwei Wochen bei uns vorbei, um „albondigas“ (Fleischklößchen) und „papas picantes“ (scharf gewürzte Kartoffeln) zuzubereiten. Das könne er nämlich sehr gut, denn das hätte er auch häufig für seine Familie so gemacht.
Ob wir dann von weiteren Leichen erfahren, erfahrt ihr im nächsten Teil.
Dieser Artikel ist der 15. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute fährt die Autorin Taxi und macht sich viele Gedanken über das „Prinzip Verantwortung“. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
¡Hola a todos!
„Unsere mexikanischen Ahnen glaubten weder, der Tod gehöre ihnen, noch glaubten sie, ihr Leben sei wirklich – im christlichen Sinne des Wortes – ihr Leben. Alles verband sich, um gleich bei der Geburt Leben und Tod eines jeden Menschen festzulegen: soziale Zugehörigkeit, Ort, Jahr, Tag und Stunde der Geburt. Der Azteke war ebenso wenig verantwortlich für seine Taten wie für seinen Tod.“
Octavio Paz
„Über die Fiesta und den Tod“
in: „Das Labyrinth der Einsamkeit“ (1950)
Betrachtet man heute die beherrschenden Ereignisse im Norden des Landes, mag der Essay des mexikanischen Autoren und Literaturnobelpreisträgers von 1990 einen Zugang bieten, um das schier Unverständliche aus dem eurozentrisch geschulten Blick verständlicher zu machen. Man gewinnt den Eindruck, dass sich seit Hernán Cortés‘ blutiger Conquista und der Eroberung Tenochtitlans (dem heutigen Mexiko-Stadt) im Jahre 1521 das Verhältnis zur Verantwortung wenig geändert hat. Was kann ich denn dafür, wenn ich Drogen zu den verhassten Gringos schmuggle? Was kann ich denn dafür, dass mir der Typ direkt vor die Knarre lief? Was kann ich denn dafür, dass mir der Boss sagt, ich soll ihm auch noch den Schädel absäbeln? Ja, was kann ich denn dafür?
Als ich am vergangenen Freitag ein Taxi bestieg, um zum jährlichen Schulball zu gelangen, gab mir der Fahrer nach der Anfahrt zu verstehen, dass er nur ungefähr wisse, wohin ich denn wolle. Die Straße kenne er, aber er wisse nicht, wo genau das „Casino de Bosques“ sei. Ich hatte die Adresse inklusive der Hausnummer 500, so dass ich darin überhaupt kein Problem sah. Dass es doch eins wurde, wie ich feststellen musste, lag daran, dass die Mexikaner wohl ein eher lockeres Verhältnis zu ihren Hausnummern auf dieser Straße pflegen. Nach 748 kam 656 und dann 438. Doch keine 500. Nachfragen an die ortskundigen Mitmenschen am Straßenrand führten dann dazu, dass wir sämtliche Restaurants im naheliegenden Chapultepec-Park abfuhren. Alle Versuche Kollegen au ihren Handys zu erreichen, endeten auf deren Mailboxen.
Nach knapp zwei Stunden Herumgeirre landeten wir in einen Stau. Dort fragten wir wieder einen netten Mitmenschen und der sagte voller Überzeugung, das Casino sei direkt um die Ecke. Nur bei diesem Stau sei es doch sinnvoller, eben zu Fuß dahin zu gehen. Daraufhin bog der Taxifahrer aus dem Stau heraus in eine Seitengasse und ich wollte aussteigen. Da wir ja ewig lange unterwegs waren, dachte ich, es sei ja total nett von mir, wenn ich ihm ein paar Pesos mehr als den ausgehandelten Fahrpreis gäbe. Doch er verlangte noch einmal 100 Peso mehr. In meiner Verwegenheit sagte ich „nö“. Nur leider hatte ich schlechte Karten, denn die Türen waren automatisch abgeriegelt und ich kam nicht heraus. Und als er dann auch noch anfing in seinem Handschuhfach herumzukramen (kurz vorher hatte er auch noch mit dem Handy eine SMS abgesetzt), wurde es mir doch ein wenig mulmig und ich konnte ihm seine Bitte, den Fahrpreis einfach ‚mal um 120% zu erhöhen, nicht mehr abschlagen. Er entriegelte daraufhin auch sofort die Türen und ich sah zu, dass ich Land gewann. Ich brauche wohl nicht erwähnen, dass das Casino um die Ecke das falsche war. In der Zwischenzeit konnte ich aber endlich eine Kollegin telefonisch erreichen, die mir den Weg erklärte. So ging ich zum nächsten Taxistand und war in 15 Minuten am Veranstaltungsort.
Der Witz bestand einfach darin, dass er einfach auf der anderen Straßenseite hinter einer Mauer lag (von der ich dachte, sie würde noch zum daneben befindlichen Friedhof gehören) und von der Straße aus nicht sichtbar war. Außerdem funktioniert dort einfach nicht das Prinzip, dass auf der einen Seite die geraden und auf der anderen die ungeraden Zahlen sind. So einfach war das. Warum ich dann am Eingang so angeglotzt wurde, habe ich zunächst auch nicht verstanden. Hatte meine Kollegin bereits den Türstehern mitgeteilt, dass gleich eine kommt, die eine Taxi-Odyssee hinter sich hat und womöglich etwas verwirrt wirkt? Im Saal irrte ich durch die Reihen auf der Suche nach ihr. Endlich erspähte ich sie in einer Ecke mit einem weiteren Kollegen. Und erst als ich stillstand, verstand ich, warum ich alle Blicke auf mich gezogen hatte. Ein Träger an meinem Kleid war gerissen und damit lief ich quasi halbfrei durch die Gegend (zum Glück mit BH). Eine Sicherheitsnadel hat mir dann noch den Abend gerettet.
Am nächsten Tag ging ich zum Taxistand, von dem ich den Abend vorher losgefahren bin. Natürlich fühlte sich keiner dafür verantwortlich. Im Gegenteil: schließlich musste der Kollege doch zusehen, dass er sein Geld bekommt.
Verantwortlich fühlte sich scheinbar niemand hier im Haus für die Wasserpumpe, als wir im letzten Jahr hier einzogen. Daraufhin beauftragte Christopher einen Klempner und nach einigem Hin und Her stimmte der Wasserdruck auch wieder. Nun stand auf einmal in der letzten Woche mein Nachbar aus der über uns liegenden Wohnung abends vor unserer Tür. Ob Christopher da sei? „Nö“, meinte ich. Dann bekam ich 400 Peso (rund 25 Euro) in die Hand gedrückt, er wolle sich bedanken. Wofür? Na ja, mit dem Wasserdruck, darum hätte Christopher sich doch gekümmert. Jaja, schon, aber das ist doch schon lange her. Er hätte das nicht gewusst und jetzt erst von der „Person“ erfahren. Die „Person“ heißt Rodrigo und wohnt ebenfalls in der Wohnung über uns. Anfangs dachte ich, Rodrigo sei Student und wohne dort mit seiner Mutter und seiner Großmutter. Irgendwann einmal waren die Frauen weg, nur Rodrigo blieb. Und wie er blieb: Er verlässt nämlich eigentlich nie das Haus und singt zu jeder Tages- und Nachtzeit Kirchenchoräle und -kantaten. Kurzum: Rodrigo macht überhaupt nichts außer beten und singen.
Nun war an diesem Abend endlich mal die Gelegenheit den Señor zu fragen, in welchem Verhältnis er eigentlich zu Rodrigo stünde. Ist das der Sohn seiner ehemaligen Lebensgefährtin, sein Neffe oder wer ist er? Er stünde in überhaupt keinem Verhältnis zu dieser Person, wie er mir dann in vollem Brustton erklärte. Er sei auf einer längeren Geschäftsreise gewesen und hätte einen Bekannten gebeten, in der Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Als er wiederkam, waren fünf Leute in der Wohnung. Von seinem Bekannten hat er nie wieder etwas gehört. Die Leute verschwanden dann auch wieder nach und nach. Nur Rodrigo blieb. So sei das eben in Mexiko, erklärte er mir lapidar. Er schüttelte seinen Kopf, als ich ihn fragte, ob Rodrigo denn einen Vertrag hätte und Miete zahlen würde. Daraufhin schlug ich ihm vor, er müsse doch nur mal abwarten, dass Rodrigo das Haus verlasse (ab und an hatte er jedenfalls in der Vergangenheit Kirchenchor-Proben). Dann solle er schnell dessen Sachen zusammenpacken und das Türschloss auswechseln. Mhmm, auf die Idee sei er noch gar nicht gekommen und bedankte sich bei mir für diesen grandiosen Vorschlag.
Mir wäre das wirklich ganz recht, schließlich verbringt Rodrigo so manche Nacht auf dem Flachdach (wenn er dem Señor nicht begegnen möchte) und schmettert dort herum. Dafür kann Rodrigo bestimmt nichts. So ist das wohl mit der Verantwortung in Mexiko.
Und als mich kürzlich ein Kollege fragte, wer denn dafür verantwortlich sei, dass eine Straße plötzlich ohne Vorwarnung durch eine Betonkante beendet wird (die ja unseren Unfall verursacht hat), konnte ich auch nur schmunzeln – der Verkehrsminister, die Straßenwacht das Städtchen El Progeso? – und mich weiterhin darüber wundern, warum überhaupt das Wort „responsibilidad“ hier existiert.
Dieser Text entstand übrigens in voller Eigenverantwortlichkeit. Wer nichts mehr von mir lesen möchte, kann sich vertrauensvoll an mich wenden. Aber dann selbst die Verantwortung dafür tragen, wenn ich beleidigt reagieren werde.
Ich hoffe, euch allen geht’s gut und ich lese oder höre auch ‚mal wieder ‚was von euch.
Dieser Artikel ist der 14. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute sehen wir bezaubernde junge Männer und lesen grausige Geschichten über die Vergangenheit eines von Mythen umwobenen magischen Ortes. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
!Hola a todos!
Wozu sind Mythen da? Richtig, um sie zu zerstören. Wenn es sich um mythische Orte handelt, fährt man dorthin, um festzustellen, dass das alles gar nicht so magisch, toll oder wie auch immer superlativisch ist: Acapulco.
Acapulco ist die mit Abstand hässlichste Stadt, die mir bislang in Mexiko unter die Augen gekommen ist. Acapulco, war das keine Verheißung in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts?
Der Mythos Acapulco ist eine Erfindung der US-amerikanischen Tourismusindustrie
Geht man heute durch das Zentrum, stellt man fest, dass das letzte Jahrhundert wahrlich lange zurückliegt. Irgendwo ist immer ein bisschen Verfall, der Gestank von Urin setzt sich in der Nase fest. Flaniert man den Malecon entlang, fällt der Blick auf die gegenüberliegende Seite der Bucht: Dort reihen sich die Hotelhochhäuser, in denen sich die US-Amerikaner und die Europäer verbarrikadieren. Mit den Einheimischen wollte man sowieso nie etwas zu tun haben, denn der Mythos Acapulco ist eine Erfindung der US-amerikanischen Tourismusindustrie – man nannte Acapulco auch das Süd-Hollywood. Der Tourismus suchte 1959 nach dem Sturz Batistas ein neues Tropenparadies, da Kuba nun nicht mehr infrage kam. Teddy Stauffer, ein Schweizer Swing-Musiker, hatte es bereits 1946 in das Fischerdorf verschlagen und durch seine Kontakte bzw. Affären mit einigen Hollywoodstars schaffte er es, Stars und Starlets an die Pazifikküste zu locken.
Warum Johnny Weissmüller nicht von den Klippen sprang
Johnny Weissmüller ließ sich gleich ganz hier nieder; das Hinterland war ihm bereits vertraut, da einige Tarzanfilme in der dortigen Flora gedreht wurden und in denen er seinen in Jodelwettbewerben trainierten Schrei zum Besten gab. Mehrmals musste er davon abgehalten werden von dem Felsen La Quebrada zu springen. Dort, wo die weltberühmten sogenannten Clavadisten (Klippenkunstspringer) über 30 Meter gekonnt in die Tiefe bzw. dortige Untiefe (das Wasser hat dort nur eine Höhe zwischen 3 und 4 Metern) des Ozeans eintauchen. Diese drahtigen, jungen Chicos stehen meist in einer Familientradition. Schon Papi und Opi waren Klippenspringer und so sind die Jungs seit Kindesbeinen mit dem Felsen, der Bucht und der Brandung vertraut (was bei Herrn Weissmüller weiß Gott nicht der Fall war). Heute fällt auf, dass bei den Vorführungen fast ausschließlich einheimische Touristen dem Spektakel beiwohnen. Denn wenn es Ausländer überhaupt noch nach Acapulco zieht, dann nur nach den zwei D´s: „Dorado“ und „Diamante“.
Einheimische fluchen auf die Drogenmafia und Kriminalität
An diesen Küstenabschnitten stehen die Luxushotels und es besteht kein Grund, den Hotelkomplex zu verlassen. Unterhält man sich ‚mal mit den Einheimischen, so fluchen sie auf die Drogenmafia und deren Kriminalität, die es in den letzten 15, 20 Jahren geschafft hat, weitgehend den Tourismus für die zahlungskräftigen Ausländer zu zerstören. Erst Anfang April ist ein großes Warengeschäft von den Narcotraficantes in Brand gesteckt worden, inklusive seiner Kunden. Wöchentlich gibt es Tote und nach wie vor wird davor gewarnt, sich abends im Zentrum aufzuhalten. Viel zu sehen bekommt man sowieso nicht im Zentrum, höchstens die Festung Fuerte de San Diego erinnert daran, dass Acapulco der Umschlagplatz für den Handelsverkehr zwischen China, den Philippinen und Spanien war. Hier landeten dann auch die ersten Mangos und Zimt auf mexikanischem Boden. Der blühende Handel kam aber schon im 18. Jahrhundert zum Erliegen, da England die Handelsvorherrschaft im südostasiatischen Raum übernahm.
Die Strandidylle von Pie de la Cuesta
Wie weit weg kommt einem dagegen die Strandidylle von Pie de la Cuesta vor. Der Ort liegt nur 10 Kilometer westlich von Acapulco, aber atmosphärisch kommt er einem Lichtjahre entfernt vor. Die Brandung ist stark, die Wellen meterhoch und somit hat sich der Ort nie als Badeparadies durchsetzen können. So ist – neben dem Tosen der Wellen – Ruhe eigentlich das vorherrschende Geräusch. Strandverkäufer bieten Mango am Stiel mit Chili an, ab und an wagt sich jemand in die Wellen vor, einige, kleine Restaurants bieten frischen Fisch an. Teils sind die Gebäude an der Strandseite verfallen, die zeigen, dass die einstige Attraktivität Acapulcos nicht bis hierher strahlte.
Pelikane und Marabus
Überquert man die Hauptstraße öffnet sich auf der anderen Ortsseite die Lagune Coyuca. Dort kann man sich mit einem Bötchen zu einer Insel schaukeln lassen, unterwegs bekommt man mit etwas Glück die einheimische Fauna zu Gesicht: Pelikane oder Marabus.
Hier wurde Rambo II gedreht
Der Bootsführer versäumt es in der Regel auch nicht, auf das kulturelle Highlight hinzuweisen, das die Lagune zu bieten hat: schließlich wurde hier 1985 Rambo II gedreht. Der schon damals oscargekrönte Sylvester Stallone konnte an diesem Ort zusammen mit seinem Drehbuchautoren, dem später oscargekrönten James Cameron, ideale Bedingungen vorfinden, um die krude Geschichte zu erzählen, wie der stoisch-stumpf bemimte John Rambo US-Kriegsgefangene aus den Klauen der Vietnamesen (die übrigens im Film japanische Uniformen aus dem Zweiten Weltkrieg tragen) und Sowjets befreit, heldenhaft mit Guerillataktik und archaischer Bewaffnung – freche filmische Umkehrung der Tatsachen zur Verfestigung der reinwaschenden US-Stereotype der Kriegsgräuel an den Vietnamesen. Pie de la Cuesta bietet nämlich nicht nur Mangrovenwälder, sondern auch eine Militärbasis, die für die Dreharbeiten genutzt werden durfte.
Eliminierung politischer Gegner – in Säcken aus einem Flugzeug vor der Küste Acapulcos in den Pazifik geworfen
Was der Bootsführer nicht erwähnt, ist, wofür die Militärbasis ein Jahrzehnt vor den Dreharbeiten genutzt wurde: nämlich zur Eliminierung politischer Gegner. Mario Arturo Acosta Chaparro Escápite ist ein mittlerweile pensionierter Brigadegeneral, der in den 70er Jahren Leiter der Policía Judical (der politischen Polizei) war (zunächst in Pie de la Cuesta, anschließend in dem Bundesstaat Guerrero). In dieser Zeit verschwanden Frauen und Männer, die von der Regierung des Bundesstaates als Guerilleros betrachtet wurden. Ziel war es die Asociación Cívica Nacional Revolucionaria (Gewerkschaft der revolutionären nationalen Zivilisten) und die Partido de los Pobres (Partei der Armen) zu zerschlagen. Ob diese Verschwundenen überhaupt in einem Zusammenhang mit diesen Organisationen standen, war nicht immer geklärt. Klar ist jedoch, dass sie von Acosta auf der Militärbasis erschossen und anschließend in Säcken aus einem Flugzeug vor der Küste Acapulcos in den Pazifik geworfen wurden. In dem Zeitraum von 1975 bis 1979 sind fast 150 Fälle dokumentiert.
Militärbasis genutzt, um Marihuana in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln
Des Weiteren nutzte Acosta die Militärbasis um Marihuana in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln. Der Schmuggel flog bei einem Tankstopp im Norden von Mexiko auf; der Pilot gestand, dass es zahlreiche Flüge von der Militärbasis aus gegeben hätte. Auch dieser Pilot verschwand spurlos. – 2002 wurde Acosta zusammen mit einem Wegbegleiter zu 15 Jahren Haft verurteilt. Es war das erste Mal in der Geschichte Mexikos, dass so hochrangige Militärs zu Haftstrafen verurteilt worden sind. Acosta wurde aber nicht für das Verschwinden bzw. die Ermordungen der „Guerilleros“ verurteilt, sondern wegen „Vergehen gegen die Gesundheit“. Der Prozess wegen der „Verschwundenen“ (Desapericidos) wurde wegen Verfahrensfehler aufgehoben, und Acosta konnte bereits 2007 das Gefängnis wieder verlassen und erhielt alle Rechte zurück. Und wahrscheinlich damit auch eine fette Pension.
MexikanischesMilitär nicht der Hort der Menschenrechte
Bis heute ist die Militärbasis Sperrgebiet. Hier endet dann der Strandspaziergang, man blickt die beiden jungen Soldaten an, die einen freundlich winkend darauf hinweisen, dass man nicht weitergehen dürfe, und hofft, dass die unmenschlichen Grausamkeiten der Vergangenheit angehören. Dennoch gilt bis heute das mexikanische Militär nicht als Hort der Menschenrechte.
Ich hoffe, euch geht es allen gut und ich höre ‚mal wieder etwas von euch!
Muchos saludos desde México,
Marion
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