Marion bei den Mexis, Teil 29: Chiapas – auf den Spuren der Zappatisten und ihres „Subcommandante Marcos“ …

Dieser Artikel ist der 29. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute berichtet unsere Autorin über eine Reise nach Chiapas, wo sie unter anderem die Spuren der Zappatisten und ihres „Subcommandante Marcos“ sucht. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Als am 01. Januar 2004 etwa 800 bewaffnete und maskierte Männer die Rathäuser von San Cristobal de las Casas und Oconsingo und sieben weiteren Orten im Bundesstaat Chiapas besetzten, wurde die Weltöffentlichkeit auf diesen Teil Mexikos aufmerksam. Die Zapatisten überfielen die Orte, um auf die brennenden Probleme und die Diskriminierung der indigenen Bevölkerung aufmerksam zu machen. Besonders umkämpft war Oconsingo. Bei der Rückeroberung durch die Regierungstruppen gab es viele Tote und dies radikalisierte Teile der Rebellen, die sich im Zapatistischen Nationalen Befreiungsheer (EZLN) organisiert hatten.

Pyramiden und EZLN
Gegenwart und Vergangenheit – Vor der Maya-Pyramide wird einem ganz deutlich gesagt, wer hier das Sagen hat. Ist sonst nicht so oft wie erwartet in Chiapas zu sehen. (fotos: koerdt)

Reist man fast 20 Jahre später durch Chiapas, muss das Touristenauge lange suchen, bis es Spuren des Aufstandes wahrnimmt. Dachte ich vorher noch, dass an mindestens jeder zweiten Hauswand Parolen zu entdecken seien, wurde ich vor Ort eines Besseren belehrt. Fast nichts weist auf die Unruhen und Aufstände hin. Lediglich vor der archäologischen Zone Toniná in der Nähe Oconsingos hängt ein Plakat mit der aufständischen Dreifaltigkeit: Neben Emiliano Zapata und Che Guevara guckt Subcomandante Marcos entschlossen durch die Sehschlitze seiner schwarzen Kapuze, die sein Gesicht bis auf Augen und Mund verdeckt. Sein Haupt bedeckt eine Kappe. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wer sich hinter Subcomandante Marcos, der in geschliffenen Reden nicht nur Teile der indigenen Chiapas-Bevölkerung, sondern auch die Intellektuellen in der Hauptstadt in seinen Bann zog, verbirgt. Er soll ein Universitätsdozent aus Tampico sein, der weder aus Chiapas stammen noch ein Indigena sein soll. Im Ständer im Café neben der Maya-Pyramide gibt es Postkarten mit dem Subcomandante, dessen Markenzeichen die aus der Vermummung ragende Pfeife ist. Und wohl ein bisschen Revolutionsromantik sollen wohl auch die Häkelpuppen verströmen, die in Revolutionsuniform, auf dem Markt von Chiapas Hauptstadt Tuxtla Guitierrez feilgeboten werden. Inklusive gestrickter Waffen.

Ansonsten sieht man nichts auf der Touristenroute durch das Land, die sich dadurch auszeichnet, dass etwa alle 50 Kilometer ein Natur- oder Kulturspektakel auftaucht: Maya-Stätten wie Palenque, Bonampak oder Yaxchilan oder gigantische Wasserfälle wie El Chiflon oder Agua Azul. Gringo-Trail nennen die Einheimischen diese Route auch ein wenig verächtlich. Und das scheint auch das Hauptmerkmal der Einwohner Chiapas zu sein: ihr Stolz. Ansonsten scheinen die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in diesem Landstrich Mexikos nicht viel gemein zu haben. Als es darum ging, sich den Revolutionstruppen anzuschließen, hat jede Gruppe sich anders entschieden.

Eine Gruppe, die den bewaffneten Aufstand nicht mitgetragen hat, waren die Lacandonen. Nur noch rund 700 soll es von ihnen geben. Sie leben in der Nähe der Maya-Stätte Bonampak und im Gebiet im Südosten Chiapas. Sie waren vor den Spaniern in die dortigen Wälder geflohen und lebten jahrhundertlang fast abgeschirmt vom Rest des Landes. Bis sie in den 30ern Jahren des vergangenen Jahrhunderts quasi wiederentdeckt wurden. Meist tragen sie ein weißes Gewand und ihre langen schwarzen Haare tragen sie meist offen und mit einem Pony.

Einer von ihnen ist Luca. Luca verdient sein Geld unter anderem als Dschungel-Wanderführer. Allein darf man sich nicht ins Gebüsch schlagen, denn es gehört den Lacandonen. Abgesehen davon ist es bei der Verschlungenheit auch sinnvoll, jemanden bei sich zu haben, der den Weg kennt. Und Luca kennt nicht nur den Weg, sondern auch die Flora und Fauna, die einen dort umgibt. Ab und an zückt eine Plastik-Schautafel und man selbst hofft, dass einem nicht alle Tiere begegnen, die darauf abgebildet sind. Einen Jaguar sehe ich mir dann doch lieber aus sicherer Entfernung in einem Käfig im Zoo an. Luca behauptete ernsthaft, er hätte dort im Wald, bei einer Ruine, an der wir vorbei gewandert sind, mal einen gesehen. Ob das nicht nur eine Schauergeschichte ist? Genauso wenig weiß ich, ob das Graffiti auf der Ruine tatsächlich schon die Jahrhunderte auf dem Buckel hat. Es zeigte eine Figur im Lotussitz, die man eher in einem Tempel in Thailand vermuten würde. Und sie war trotz der Verwitterung des Rests des Gebäudes mehr als gut zu erkennen.

Was ich Luca aber sofort abnehme, ist, dass die Lacandonen nicht viel mit den anderen Stämmen zu tun haben. Als ich ihn fragte, ob seine Muttersprache Tzotzil sei, reagiert er schon fast beleidigt und sagt nur kurz: Yucatec-Maya. Dabei war ich stolz auf mich gewesen, dass ich mir gemerkt hatte, dass die Indigenas in Chiapas Tzeltal oder Tzotzil sprechen sollten.

Aber Indigena ist eben nicht gleich Indigena. In San Cristobal de las Casas und Umgebung leben die Tzotzils und die sind wirklich noch einmal eine ganz andere Nummer als die Lacandonen. San Cristobal ist das Mekka der Backpacker und Sitz vieler Nichtregierungsorganisationen. Kann man verstehen, ist auch ein schönes Kolonialstädtchen, dessen Reichtum der spanischstämmigen Bewohner sich in den Gebäuden widerspiegelt. Den Tzotzils war jahrhundertelang der Zugang in die Stadt verboten worden. Heute strömen sie als Tageshändler oder –löhner in die Innenstadt und wirken ein wenig wie aus der Zeit gefallen.

Chumola Kirche
Sieht aus wie eine gewöhnliche, katholische Kirche. Doch drinnen spielen sich Rituale ab, die der christlich Sozialisierte nicht sofort einordnen kann. Die Menschen in Chomula glauben tatsächlich, dass man ihnen durch Fotografieren die Seele rauben kann. Deswegen sollte man sie besser nicht direkt ablichten. Für Touristen, die das versucht haben, endete der Urlaub im Krankenhaus. Auch sonst hat das Dorfleben einige Gesetze, die auch tödlich enden können.

Keine 10 Kilometer von San Cristobal entfernt liegt Chamula. Und hier hatte ich nicht nur das Gefühl aus der Zeit gefallen zu sein, sondern aus der Welt, aus der ich gekommen bin. In der Dorfkirche, die zwar äußerlich einer katholischen Kirche gleicht, wird Synkretismus pur gelebt. Da wird dann auch mal ein Huhn geopfert. Bänke gibt es keine, keinen Altar, nichts, was man sonst so aus katholischen Kirchen kennt. Fotografieren ist verboten. Auch die Tzotzils selbst mögen es auch nicht, abgelichtet zu werden. Es sollen schon Touristen krankenhausreif verprügelt worden sein, die sich nicht daran gehalten hätten. Und man glaubt das sofort. Der Ort strahlt eine Aggressivität aus: Es wird gerempelt, niemand entschuldigt sich. Das kenne ich nicht aus der Hauptstadt (zu der Luca übrigens nur „Luftverschmutzung“ einfiel). In Chamula gibt es immer noch ein Kaziken-System, es gibt Dorfoberhäupter, die entscheiden, was Gesetz ist und was nicht. Dass das nicht viel mit der in rund 900 Kilometer entfernten Hauptstadt gemachten Politik zu tun hat, wurde mir sehr deutlich, als ich eine Woche nach meiner Rückkehr in der Zeitung las, dass die Dorfgemeinschaft in Chamula einen Taxiräuber auf einem öffentlichen Platz zunächst zusammengeschlagen und dann bei lebendigen Leibe verbrannt haben.

Ich hoffe, euch allen geht es gut!

Muchos saludos,
Marion

P.S.: Auf Lucas Schautafeln war auch ein Ara. Lediglich sein Schrei war kurz während der Wanderung zu vernehmen. Aber ich war ja insofern versöhnt, da ich bei dem Besuch der Maya-Stadt Palenque zwei Tukane gesehen hatte. Was mich ja innerlich ja immer etwas ausflippen lässt: Boh, ist das abgefahren, da fliegt ein Tukan! Ja, warum sollte er nicht? Schließlich ist der Tukan nicht ausgestorben und irgendwo muss er ja leben. Außerdem mache ich mir bei solchen Gelegenheiten dann auch immer wieder Gedanken über meinen beschränkten Wortschatz, um mein Erstaunen auszudrücken. Thomas Mann war nie in Palenque, aber er hätte unter Garantie ein paar bessere Beschreibungen gefunden als ich. Ach ja, und der Chiapas-Konflikt ist offiziell immer noch nicht beigelegt. Subcomandante Marcos ist untergetaucht.

Ein Gedanke zu „Marion bei den Mexis, Teil 29: Chiapas – auf den Spuren der Zappatisten und ihres „Subcommandante Marcos“ …“

  1. Hola,

    stimmt es, dass man in der Kirche von San Cristobal Coca-Cola kaufen kann und mit rülpsen die bösen Geister vertreibt? Habt ihr Posh getrunken? Die Gegend scheint reichlich Stoff für einen Horrorfilm zu liefern. Okkultismus at it best. Ich hoffe, ihr hat eure Seelen nach dem Besuch der Stadt wieder gereinigt.

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