Jenseits von Facebook: Buch 7 der “Challenge”- Christa Wolf, Kassandra

„Troia ist gefallen, der zehnjährige Krieg der Troer und Griechen ist beendet.“ (Bild: Umschlag von)

Zitat aus dem ersten Beitrag der “Challenge”:

“Moin Mario, ich mache solche “Challenges” grundsätzlich nicht, aber ein paar Bücher kann ich posten. Geht es um solche, die mich beeindruckt haben?”

“Hallo Hans, ja, ganz genau. Bin sehr gespannt.”

Hier mein Tag 7:
“Eine Schlüsselerzählung nennt die Autorin dieses Buch, dessen Entstehung sie eindrücklich beschrieben hat (Voraussetzung einer Erzählung: Kassandra, Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Sammlung Luchterhand Band 456). Kassandra, die Prophetin des Untergangs, die man nicht hören wollte – jene aus der griechischen Mythologie durch Homer und Aischylos überlieferte Figur, wird in Christa Wolfs Erzählung zum Modell, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine unlösbare Verbindung eingehen.“ (Zitiert nach dem Buchumschlag)

Die Rückseite des Buches mit einem Zitat von Fritz J. Raddatz:

„Was Christa Wolf anbietet, ist eine Parabel, atemberaubend, weil so einfach, zwingend …“ (Bild: Umschlag Rückseite)

Umleitung: Von Digital bis Harakri – CIA, Stern, Jauch, Elbphilharmonie, der geteilte Himmel und Lokaljournalismus kritisch betrachtet.

Die Ruhraue in Bigge.Immer gut für kleine Spaziergänge. (foto: zoom)
Die Ruhraue in Bigge.Immer gut für kleine Spaziergänge. (foto: zoom)

Digital ist besser: Die gesellschaftliche Linke muss endlich im zweiten Maschinenzeitalter ankommen … nd

Der CIA-Folterreport: Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA auf Deutsch … westendverlag

Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern: Bis heute dominiert im öffentlichen Diskurs Henri Nannens Erzählung, die Gründung der Zeitschrift STERN 1948 sei ein von ehemaligen NS-Zeitschriften unabhängiges, ja im Vergleich zu diesen ein konträres Aufklärungsprojekt gewesen … hsozkult

Das Kunststück der Grünen: Der Wahlverlierer dominiert die Kölner Politik … postvonhorn

Ist Jan Fleischhauer ein dschihadistischer Schläfer? Nach solchen Ereignissen wie in Paris ist immer wieder eines zu beobachten. Alle warnen vor deren Instrumentalisierung, um diese dann um so ungenierter als Argument für ihre bisherige politische Position zu nutzen … wiesaussieht

Jauch: Der gescheiterte Dialog mit PEGIDA … publikative

Elbphilharmonie: A Love Letter mit den Augen einer Designerin … journeytodesign

Meuterei im Mikrobiom? Warum man mit fortschreitendem Alter öfter krank wird … scilogs

Kandidaten für den Anglizismus 2014: Blackfacing – Das Wort blackface (engl. black “schwarz” und face “Gesicht”) bezeichnet ursprünglich eine im 19. und frühen 20. Jahrhundert in den USA praktizierte Theater– und Varieté-Tradition, bei der weiße Schauspieler/innen oder Sänger/innen auf übertrieben stereotypisierte Weise als Schwarze geschminkt auftraten … sprachlog

Meine Kameras: Langjährige Begleiter, große Spaßbereiter … harbuch

“Der geteilte Himmel”: Wie Armin Petras an der Schaubühne Christa Wolfs Erzählung skelettiert … revierpassagen

Lokaljournalismus – die verschleuderte Freiheit: „In einigen Redaktionen lernen Journalisten, dass neu eröffnete Geschäfte nur dann ein Thema sind, wenn der Inhaber auch eine Anzeige schaltet. Wenn er Abonnent ist, reicht dann aber trotzdem die Drohung mit der Kündigung, damit ein Reporter kommt“ … operationharakiri

California here I come: Reisebericht Teil IX – Los Angeles, Teil 1

Unser Autor berichtet von seiner Fahrt durch Kalifornien. Heute streift er mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuß durch die Straßen von  Los Angeles.

Zum ersten Mal begegnete ich L.A. zufällig, einige Tage zuvor, auf meinem Weg vom Joshua Tree Park nach Westen, als ich Santa Barbara besuchen wollte, da ich dort die „Villa Aurora“ des Emigranten Lionel Feuchtwanger aus dem Gedächtnis vermutete. Mein Gedächtnis trog und war mit Santa Monica über Kreuz gegangen, weshalb ich weiter nach Norden die Big Sur hochzog.

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Downtown Los Angeles, einmal vorteilhaft erwischt (fotos: christopher weber)

Bei der Anfahrt nach L.A. vor vier Tagen, um es zu umrunden, verpasste ich die Abfahrt, folgte dem Schild nach Hollywood und aus dem strömenden Regen über dem Stau schälte sich schemenhaft ein nächtliches Downtown L.A. heraus.

Es sieht nichtssagend aus
Erst einmal glaubt man gar nicht, dort zu sein, worum so viele Träume kreisen, nachdem die US-Amerikaner die Herzen der westlichen Welt mit ihrer Filmindustrie erobert haben. Denn es sieht nichtssagend aus; man fasst gar nicht, im Zentrum einer Stadt mit zehn Millionen und mehr Einwohnern zu sein, sondern verortet sich auf dem Ruhrschnellweg bei Duisburg.

Wolfgang Emmerichs apokalyptischem Drama
Perplex lugt man hinüber zum Turm und ja, jetzt erkennt man ihn aus Wolfgang Emmerichs apokalyptischem Drama, in dem Wirbelstürme diesen Bankenturm mit dem rot-blauen Logo der American Bank auf Bunker Hill Downtown hinweggefegt haben. Ansonsten sieht man nicht viel mehr als ein typisches Autobahnkreuz tief im Westen im Ruhrgebiet, aber ohne viel Kultur oder etwa Tradition wie in Alteuropa, ne?, wie es das hier halt im Westen der USA nicht gibt, is‘ ja alles „Cultureless West“.

William S. Burroughs‘ „Naked Lunch“
Die zweite Begegnung mit LA geschah am hellichten Tag. Am 6. Januar entstieg ich an der Union Square Station dem Greyhound Bus von Bakersfield kommend, nachdem ich geschlagene fünf Stunden seit Reiseantritt mit der Eisenbahn AMTRAK von Merced aus William S. Burroughs‘ „Naked Lunch“ gelesen hatte. Nach der üblen Lektüre benebelt und betäubt, taumelte ich aus der Bustür Richtung Gepäckausgabe und erkannte meine Tasche eine geraume Weile nicht wieder, so offensichtlich hatte der Lesestoff angeschlagen.

Hochhäuser Marke Duisburg
Nach einem gemeinsamen Gelächter mit dem Busfahrer, der mir sagte, ich wäre ja ein alter Mann, schulterte ich die Tasche und schlenderte aus dem Busbahnhof in den Bahnhof von Eisenbahn und Metro und von dort zum Hauptausgang. Die Plaza davor sah nett lateinamerikanisch aus, dahinter diese Versammlung einiger Hochhäuser Marke Duisburg und … sonst nichts weiter. Daraufhin zog ich es vor, die U-Bahn zu besuchen und mich standesgemäß in Hollywood einzuquartieren.

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Jeder in den 1970er Jahren sanierte Buchstabe kostete privat gespendete 28.000 US-Dollar

Hollywood am gleichbenamten Boulevard mischt das Amsterdamer Rotlichtviertel mit einer lichterfunkelnden Mall und ist so interessant wie die Oberhausener Eventmeile „Centro“. Wer’s mag, kommt auf seine Kosten. Im Großen und Ganzen ist der Boulevard, wo im Kodak Theatre jährlich im März die Oscars vergeben werden und das auf altägyptisch getrimmt ist, ziemlich heruntergekommen so wie in Essen hinterm Europaplatz die Fortsetzung der Fußgängerzone mit anderen Mitteln, nämlich mit Kiff-Shops, Tattoo-Bude und Hundekacke statt Kunst und Kommerz.

Der letzte Fußgänger
Der Weg von dort, wo der Boulevard beginnt, nämlich vom Westrand der Innenstadt, oder was man so dafür hält, nach Hollywood spricht Bände, wenn man ihn per pedes zurücklegt: Auf einem der eigentlich berühmtesten Straßen der USA begegnet man keinem, keinem einzigen Passanten. Man ist allein, während im Minutentakt ‚mal ein Auto gemächlich vorbeirollt.

Die perfekte Kleingartenschreberkolonie und Christa Wolf
Alles erinnert stark an eine Kleinstadt, die dabei ist einzuschlafen. Die einstöckigen Häuser davor wiederum geben die perfekte Kleingartenschreberkolonie ab. Die war mir bereits in manchen Gangsterfilmen über South Central Los Angeles, dort an Originalschauplätzen aufgenommen, aufgefallen und bestätigte sich hier auf überraschende Weise. Leider wohl vergaß ich den Schutz geistigen Erzeugnisses anzumelden. Ein Kollege aus Los Angeles, der gerade Christa Wolfs neuen Roman „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ (2010) gelesen hatte, schaute mich an jenem Abend im Fischrestaurant in San José/ Costa Rica erstaunt an, nachdem ich ihm gesagt hatte, noch nicht in L.A. gewesen zu sein, mir die Stadt aber wie eine überdimensionierte Kleingartenschreberkolonie vorstelle. Diese Metapher habe eben Christa Wolf in ihrem neuen Roman gebraucht, ob ich sie von dort zitiert habe, was ich wahrheitsgemäß verneinte – den Roman werde ich wohl bald lesen; er solle meinem Kollegen nach ganz gut sein.

L.A. wird auch mit zunehmender Dauer des Umherirrens nirgends anders, ein Siedlungsbrei ohne Kopf, eine Ausgeburt von Autoparkplatz im Ambiente des Kleinstadtindustrieviertels. Schon bei der Einfahrt nach L.A., als ich mit benommenem Kopf in den gesundheitspädagogischen Ausführungen zum Richtungen Heroinentzug gemäß Burroughs herumschaukelte, fielen diese grün-wuchernden und recht großzügig bebauten Hügel auf, die sich von Nordwesten nach Süden zur Innenstadt hin ziehen. Flach ist auch dort das Stadtbild und erinnert eben an die Kleingartenkolonie am Tegeler Damm in Berlin oder natürlich an die in Bochum-Süd. – „Junge, Junge!“

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Los Angeles Innenstadt nach Osten gesehen

Und das hier ist das Paradies eines jeden Ami-Traums. Dieser Eindruck, dass L.A. im Prinzip zu großflächig angelegt wurde, bestätigt sich in Folge des Aufenthalts auf Schritt und Tritt. Während der Lateinamerikaner es geballt und gewuselt bevorzugt – so verlassen etwa Argentiniens Hauptstädter, die Porteños, Buenos Aires nur dann, wenn sie alle in der Ferienzeit im Januar zusammen zum Strand vierhundert Kilometer weiter östlich nach La Plata fahren, wo sie sich dann ölsardinengleich am Strand gestapelt erholen; oder so kommt der mexikanische Hauptstädter, der Chilango, in den Schluchten von Mexiko-Stadt offenbar ohne motorisiertes Bad in der Menge, also Stau und Verkehrsinfarkt, gar nicht zurecht – während also die Ballung zur Masse in Lateinamerika die Menschen zum öffentlichen Glück berauscht, ist es hier die kühle Distanz des Garten-, gar Jägerzauns seiner Kleingartenschreberkolonie.

Christa Wolf * 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe als Christa Ihlenfeld; † 1. Dezember 2011 in Berlin

R.I.P. Christa Wolf. Nicht trauern, sondern lesen. (foto: zoom)
R.I.P. Christa Wolf. Nicht trauern, sondern lesen. Beispielsweise: Kein Ort. Nirgends. (foto: zoom)

Christa Wolf wird erst in einigen Jahren in die deutsche Literatur eingeordnet werden. Erst dann wird ihre Stasi Mitarbeit gegen das schriftstellerische Werk ohne Zorn und Eifer gemessen werden können.

Ich denke, dass sie ein Frau war, die einen eigenen Kopf hatte. Nur deswegen konnte ihr Schreiben auch über die DDR-Zirkel in Ost und West ausstrahlen.

Was wird von ihrem Werk bleiben? Ich weiß es nicht. Dafür ist Christa Wolf zu sehr in der Zeitgeschichte verwoben.

Bis die Geschichte entschieden hat, könnte mensch einfach eines ihrer Bücher lesen. Die 150 großzügig bedruckten Seiten von „Kein Ort. Nirgends“ sind locker in einer Nachmittags-Session zu schaffen.