Aus den letzten Beiträgen im Blog lässt sich leicht schließen, dass wir die ersten Tage des neuen Jahres in Hamburg verbracht haben.
Das Wetter zeigte sich von seiner besten, also schlechten Hamburger Seite: trüb, nebelig, Regen, mal kalt, mal warm und als Belohnung dann doch ein paar sonnige, geschätzt drei bis vier Stunden.
Den ollen Bismarck in St. Pauli habe ich auf meinem Weg zum Holthusenbad aufgenommen. Dort, an der Kellinghusenstraße, kann man auch im Winter in einem 25-Meter-Becken draußen schwimmen, also Freibad. An einem der Tage, dem Samstag, herrschte Sturm. Ein Baum fiel auf die Gleise der Linie U1 und der Hagel prasselte mir in Eppendorf während der Hin-Bahn auf den Rücken, zurück ins Gesicht. Trotzdem habe ich die 1000 Meter geschafft. Bekloppt.
Ich hätte nicht gedacht, dass der Kinofilm „Three Billboards“ in dieser Woche noch übertroffen werden könnte, aber „Wind River“ ist ab heute mein Film des Monats.
Gerade im Original mit Untertiteln gesehen. Volle Kinowucht. Bilder, Emotionen, Sprache.
Indianerreservat, Mord, Schnee und eine bitterböse Männergesellschaft. Von der Vorbesprechung war ich nicht begeistert, aber dann wurde ich trotz meiner Vorurteile in den Handlungsstrom hineingesogen. Abwehr kaum möglich.
Ken Loach hat mich mit seinen „sozialkritischen“ Filmen von den Studentenzeiten bis heute begleitet. Mal wurden seine Werke im Metropolis, mal im Abaton gezeigt.
In den Hauptkinos selten bis gar nicht.
Wer will sich auch schon das Schicksal der Unterschichten aus linker Weltsicht auf Breitwand angucken? Dieser überhöhte Gestus des guten schlechten Menschen? Trotzkistisches Revoluzzertum? Laienschauspieler eingestreut?
Heute habe ich mir „I, Daniel Blake“ im Abaton Kino in Hamburg angeschaut. Es war ein überraschend guter Film. Auch diesmal ist Ken Loach immer sehr nah dran an den Charakteren, auch diesmal entfaltet er die Message vom guten Menschen im Elend, der sich den Schneid vom System nicht abkaufen lässt.
Ich hatte mir überlegt, ob ich mir einen solchen Film überhaupt anschauen soll. Der Inhalt in Umrissen geht so:
„Danny Blake ist jetzt fast 60. Er hat seine Frau verloren und erholt sich nur langsam von seinem Herzinfarkt. Der Arzt rät ihm, nicht mehr als Zimmermann auf dem Bau zu arbeiten. Also geht Daniel auf’s Amt und trägt seinen Fall vor. Doch was anfangs nicht so schlecht aussieht, wird immer komplizierter. Die Ämter schicken Daniel von Hü nach Hott. Der Mann wird ohne eigenes Zutun zwischen den Instanzen zerrieben.
Daniel gibt nicht auf und wartet Stunden und Tage auf den Ämtern. Dort lernt er auch Katie kennen, eine junge Mutter mit zwei Kindern. Schnell sieht er, da? sie noch schlechter dran ist. Vielleicht hilft es, einen Teil des Wegs gemeinsam zu gehen?
Ken Loach hat nach fünfzig Jahren noch einmal richtig zugelangt. In seinem emotionalsten Film seit langem stellt er das Leben der „kleinen Leute“ in den Mittelpunkt und das in zwei wirklich starken Geschichten. Dafür gab es in Cannes die Goldene Palme.“
Das sagt alles und nichts. Eher nichts. Im Film wird die Bürokratie des Arbeitsamts wie ein Kafkaeskes Schloss gezeichnet. Es ist Ken Loach gelungen, die Unbarmherzigkeit der Sozialbürokratie zu entblößen und zu entblöden. Er zeigt, wie Menschen in einem scheinbar funktionierenden unmenschlichen System funktionieren. Ein Tribut an Hannah Arendt?
Gleichzeitig gibt es den guten Menschen, hier Daniel Blake. Er vereinigt in sich viele Eigenschaften, die wir auch gerne hätten. Selbstlosigkeit, Scharfsinn, Empathie, Aufrichtigkeit.
Es kommen vor: Prostitution, Markenklau, das Internet, die Tafel, Mobbing und Shoplifting.
Wie in vielen Filmen von Ken Loach sind die bösen Menschen zwar nicht die Guten, aber besser als wir sie uns vorstellen.
Am Anfang des Films habe ich gelacht, später geschmunzelt, dann zaghaft die Faust gereckt und am Schluss eine Träne vergosssen.
Hamburg heute an der Außenalster. Das Bild symbolisiert für mich perfekt meine Tage als Karnevalsflüchtling. Dynamik. Theater, Kino, Museen, Flanieren, Kneipen, Freibad im Winter, Stadtrad. Kulturelle Weite in einer hochverdichteten Stadt.
Vier Tage wie im Flug. Vollgepackt und doch ohne Stress. Im Norden. In Hamburg.
Früchte des Zorns im Thalia Theater
Suffragette im Abaton-Kino
Draußen schwimmen im Holthusenbad
Christoph Niemann im Museum für Kunst und Gewerbe &
Allen Ginsbergs „Howl“ dortselbst als „Beifang“
Edenhall, Dietze Köpi, Goldbecker zum Post-Kultur-Gespräch am Abend.
Brutal-ironischer Abschluss: „Hateful Eight“ im Savoy
Dazwischen: Stadtrad (meist), zu Fuß (oft) und Bus (auch).
Schwimmbad, Fahrrad, Kino und nebenbei noch eine Menge Kleinigkeiten erledigt. Der zweite Tag in Hamburg ist nach Plan gelaufen.
Im Stadtparkbad beträgt die Länge einer Bahn 107 Meter. Die Zählerei – 5 Doppelbahnen- war angenehm reduziert und die Wassertemperatur mit 20°C angemessen.
In einem See fühlen sich 20°C wärmer an als in einem normalen Schwimmbecken – warum auch immer. Besser hätte ich meinen Vormittag in der Großstadt nicht verbringen können.
Dann wollte ich auf jeden Fall noch das Stadtrad Hamburg ausprobieren.
Schon im Sauerland hatte ich mich über das Internet mit Bahncard und Kreditkarte registriert.
Das Konzept ist genial. Im gesamten Hamburger (Innen-) Stadtbereich gibt es Radverleihstationen, an denen man Fahrräder sehr unkompliziert ausleihen und an jeder anderen Station wieder abgeben kann – alles voll digitalisiert, no humans needed, bis auf den Radfahrer/die Radfahrerin selbst.
Die erste halbe Stunde kostet nichts, jede weitere Minute 8 Cent bzw. 6 Cent für Bahncard-Besitzer wie mich.
Zum Abaton-Kino habe ich vom Goldbekplatz in Winterhude bis zum Salvador-Allende Platz nahe der der Universität jeweils 20 gemütliche Minuten benötigt. Kosten hin und zurück insgesamt: 0,00 Euro.
Die beiden Räder hatten funktionierendes Licht, der Sattel ließ sich leicht verstellen und technisch waren sie dem Radfahren in der Großstadt Hamburg angemessen.
Bleibt noch der Kinobesuch. Mit Jimmy’s Hall hat der alte Trotzkist Ken Loach mal wieder einen Film hingelegt, der alle ZuschauerInnen links von Ayn Rand berühren wird.
Meine Güte ist das ein guter Film*, den der 50-jährige George Clooney als Regisseur und Darsteller abliefert.
„The Ides of March“ hat mir den heutigen Abend den Atem verschlagen gerettet.
Oberflächlich wird der Vorwahlkampf zweier US-amerikanischer Präsidentschafts- kandidaten der Demokraten in den USA gezeigt.
Mit sympathischen, scheinbar idealistischen Männern und Frauen startet das „Unternehmen Kandidatur“, zum Schluss bleibt der leere Zynismus der Macht als offenes Ende.
Der Film ist großartig, und zwar nicht, weil er die Funktionen der gesellshaftlichen Macht enthüllt. Denn darüber habe ich heute Abend im Abaton Kino wenig erfahren: die Wirtschaft, die Industrie, die Bosse, das Geld – kein Thema für Clooney.
Aber gerade weil sich Clooney auf die Oberfläche, die Funktionäre des Systems konzentriert, gelingt es ihm eine Ahnung der darunter liegenden Tiefen zu vermitteln.
Clooney seziert den Schaum des Kapitalismus. Wer nach dem Besuch des Films nicht fragt, woher dieser Schaum stammt, hätte sein Geld besser für andere Freizeitvergnügungen ausgegeben.
„The Ides of March“ zeigt uns Europäern, dass das aufgeklärte, moderne Amerika immer wieder in der Lage ist, große Kultur aus dem Ärmel zu schütteln.
Meine Empfehlung: unbedingt gucken, wenn möglich im Original oder O.m.U.
* Bitte alle Unzulänglichkeiten des Artikel verzeihen. Habe ihn (fast) direkt nach dem Film in die Tasten gehauen.
Dies ist keine Rezension des neuen Films von Jim Jarmusch. Dies ist eine kleine Gebrauchsanweisung, wie man nach knapp zwei Stunden verstörender Kinozeit dem Regisseur eine Chance geben kann.
Aber wie so oft beginne ich erst einmal am anderen Ende:
Vor mehr als zwanzig Jahren habe ich „Down by Law“ im Abaton-Kino in Hamburg das erste Mal gesehen und war derartig mitgerissen, dass ich mir den Film am nächsten Abend sofort wieder angeschaut habe. Und dann noch einmal und … bis heute immer mal wieder.
Kein anderer der „Jim-Jarmusch-Filme“ hat mich seitdem derartig gebannt – nicht „Stranger than Paradise“, nicht „Night on Earth“, nicht „Dead Man“, nicht …
Wer gerne Rezensionen liest, dann ins Kino geht und anschließend den Rezensionen widerspricht, zustimmt oder was auch immer, der soll das auch weiterhin tun und der kann hier aufhören zu lesen.
Für alle anderen empfehle ich diese Nachbereitung:
„Limits of Control“ einfach angucken.
Am besten mit Freunden.
Nach dem Film die Klappe halten.
Zehn Minuten bis zur nächsten Wohlfühl-Kneipe gehen
Hinsetzen.
Bestellen.
Ein, zwei Schlucke trinken.
Dann sagt jeder reihum, was er verstanden hat. Achtung! Nicht, was er nicht verstanden hat.
Nach ungefähr drei Runden hat jeder das Gefühl, dass er was verstanden hat.
Jetzt fragen: Was soll das alles bedeuten?
Ende offen
Zeit: Eine Stunde.
Mit dem Film muss jeder selbst klar kommen. Für mich ist die Schlüsselszene fast am Ende des Films, als Isaach De Bankolé in das Zentrum der Macht eindringt.
The Limits of Control: In höchstem Maße subversiv! Selber schauen. Eigene Meinung bilden.
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