Vor längerer Zeit hatten wir eine Anfrage an den Bürgermeister der Stadt Winterberg gestellt. Wir wollten unter anderem wissen, ob, wie im Sauerlandkurier berichtet, die Rats- und Ausschussmitglieder in ihrer öffentlichen Funktion von „Asylanten“ sprechen: http://www.schiebener.net/wordpress/?p=29634
Die Antwort der Stadt Winterberg war die folgende:
auf Ihre Presseanfrage vom 27. August 2014 an die Stadt Winterberg kann ich Ihnen die nachfolgende Antwort geben:
Sie bedienen einen privat geführten Internet-Blog. Aus dem Kontext Ihrer aktuellen Anfrage lässt sich schließen, dass Ihre gestellten Fragen mit den erbetenen Antworten durch eine Veröffentlichung in Ihrem privaten Blog zur allgemeinen Diskussion in einem freien Austausch anregen sollen. Sie werden sich sicherlich schon mal die Frage gestellt haben, warum alle öffentlichen Stellen Anfragen von privaten Internet-Blogs oder ähnlichen anders behandeln als Anfragen der offiziellen Presseorgane? Weil offizielle Presseorgane eine andere presserechtliche Verantwortung übernehmen, als die privaten Plattformen.
Deshalb verweisen wir Anfragen, die nicht von offiziellen Presseorganen kommen, auf die allgemein zugänglichen Quellen, die in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen. Alle, die sich für die Stadtentwicklung und das Gremiengeschehen interessieren, sind herzlich eingeladen, an den öffentlichen Teilen der Gremiensitzungen teilzunehmen und den kompletten Beratungsverlauf zu verfolgen. Ort und Zeitpunkt der Sitzungen sowie alle öffentlichen Verwaltungsvorlagen mit Anlagen können über das Ratsinformationssystem auf der Website der Stadt Winterberg abgerufen werden. Öffentliche Presseerklärungen, wie sie auch den Presseorganen zugehen, sind gleichzeitig auch auf der städtischen Website unter Aktuelles veröffentlicht. Die öffentlichen Protokollteile zu allen Rats- und Ausschusssitzungen werden nach Erstellung ebenfalls unter der jeweiligen Sitzung im Ratsinformationssystem eingestellt. Die Protokolle des Rates, des Haupt- und Finanzausschusses und des Bauausschusses werden sogar zusätzlich im Mitteilungsblatt abgedruckt. Das Protokoll des Haupt- und Finanzausschusses vom 19.08.2014 wird in den nächsten Tagen veröffentlicht.
In den Protokollen und den allgemein zugänglichen Quellen war die Diskussion allerdings nicht wörtlich wiedergegeben. Es ist also von außen nicht möglich, zu überprüfen, ob im Rat und seine Ausschüssen der Begriff „Asylanten“ verwendet worden war.
Genau aus diesem Grund hatten wir ja die Anfrage an den Bürgermeister gestellt. Der Bürgermeister will aber offensichtlich nicht antworten.
Sie bedienen einen privat geführten Internet-Blog.
Was soll mir das sagen? Privat schlecht, Reklamezeitung und Funke-Gruppe gut?
Ich kann mich an eine Sitzung im Rathaus erinnern, zu der Zeit als dem Bürgermeister wegen der Oversum Pleite das Wasser bis zum Hals stand. „Lesen Sie die Website der GALL-Leimen und Zoom, um sich zu informieren!“, hatte er damals in einer „Fensterrede“ in den Ratssaal gerufen.
Aus dem Kontext Ihrer aktuellen Anfrage lässt sich schließen, dass Ihre gestellten Fragen mit den erbetenen Antworten durch eine Veröffentlichung in Ihrem privaten Blog zur allgemeinen Diskussion in einem freien Austausch anregen sollen.
Genau das ist unser Ziel Herr Bürgermeister: allgemeine Diskussion und freier Austausch. Finden Sie das etwa schlimm?
Sie werden sich sicherlich schon mal die Frage gestellt haben, warum alle öffentlichen Stellen Anfragen von privaten Internet-Blogs oder ähnlichen anders behandeln als Anfragen der offiziellen Presseorgane?
Nein, Herr Bürgermeister, diese Frage hatte und habe ich mir noch nie gestellt, weil ich bislang von allen Stellen Auskünfte erhalten habe, manchmal mehr als mir die Zeit erlaubt zu veröffentlichen.
Was ich mich allerdings gefragt habe ist: Warum erhalte ich bislang von allen öffentlichen Stellen, von denen ich es wünsche, Presseinformationen, während mir die Stadt Winterberg seit Jahren, trotz mehrfacher Anfrage, die Zusendung von Pressemitteilungen verweigert?
Ein Kollege aus dem Ruhrgebiet ist durch unser Blog auf unsere Anfrage aufmerksam geworden und fragte seinerseits bei der Stadt Winterberg nach.
Die Stadt Winterberg sah sich genötigt, in ihrer Antwort ihr Verhältnis zu Blogs zu klären. Der Kollege hat uns folgende Passage aus dem Schreiben der Stadt Winterberg zu Verfügung gestellt:
Alle öffentlichen Stellen, selbst der Bundestag, haben einen gewissen „Leitfaden“ zum Umgang im Pressewesen. Nach einem solchen Leitfaden, der u.a. beinhaltet, das es relevante Unterscheidungen zwischen Journalisten und Bloggern geben kann, handeln auch wir. So gilt das besondere Informationsrecht gegenüber Behörden nur für Anbieter von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben oder in periodischer Folge Texte verbreitet werden. Diese “Verteilmedien” müssen auch den anerkannten journalistischen Grundsätzen entsprechen. Zu diesen Grundsätzen zählt zum Beispiel die Trennung von Nachricht und Kommentar, die Sorgfalt bei der Überprüfung von Informationen auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit und die Wahrung der Persönlichkeitsrechte. Kennzeichen für diese klassischen Medien ist gerade auch die Regel der Gegendarstellungspflicht. Ausführlicher ergibt sich das auch aus dem Pressekodex (ethisches Regelwerk für die journalistische Arbeit), dem Journalisten folgen und der klare Spielregeln hinsichtlich einer verantwortungsvollen Berichterstattung und des journalistischen Verhaltens enthält.
Hier mal ein Link:
http://www.blogprofis.de/blogger-sind-keine-journalisten-sie-sollten-a
ber-so-handeln/8689/Das Recht auf Informationsfreiheit ist ein Bürgerrecht, wobei auch dieses persönliche Recht die persönliche Pflicht mit sich bringt, mit den Informationen im Sinne dieses Rechtes umzugehen. Doch hier kommen wir auch mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) nicht weiter, das den Anspruch auf ungehinderten Zugang zu Informationen sowie die damit verbundenen Voraussetzungen beschreibt. Soweit die Information nicht unter die Veröffentlichungspflicht von Amts wegen fällt, ist hier wohl eher ein „Hol-Recht“ als eine „Bringschuld“ beschrieben.
Aus den oben zitierten Antworten lässt sich das krude Verhältnis Winterbergs zum Journalismus ablesen. Der „gewisse Leitfaden“ wird gar nicht erst belegt. Und es wird eine Menge Unfug verbreitet. Nehmen wir mal die Gegendarstellung: Als es damals die Auseinandersetzungen mit Herrn Tausch um das Hotel Claassen gab, haben wir die Positionen der beiden Seiten in Windeseile veröffentlicht. Die Stadt Winterberg wurde von uns zügig bedient: http://www.schiebener.net/wordpress/?p=23065
Die vom Bürgermeister anscheinend sehr geschätzten Medien haben es jahrelang versäumt, zum Oversum-Skandal zu recherchieren. Unser Blog war seit 2009 dran, hat nicht locker gelassen und im Großen und Ganzen Recht behalten.
Die Diskussionen in unserem Blog sind zivilisiert, obwohl sie bei konträren lokalpolitischen Themen auch einmal genau das sind: konträr.
Unser Blog hat sich auch sehr früh mit den Print-Medien vor Ort beschäftigt. Wir haben nachgewiesen, dass von der Stadt Winterberg bei Schreibbüros beauftragte Reklame- (neudeutsch: PR) Artikel über den Umweg Rathaus direkt als redaktionelle Artikel in den örtlichen Printmedien landen, ohne als solche gekennzeichnet zu werden.
Auch wir veröffentlichen Pressemeldungen, wenn wir sie für interessant halten, machen dies dann aber der Leserin und dem Leser gegenüber deutlich.
Zum Schluss als Sahnehäubchen ein paar Worte zu dem Link, den der Bürgermeister seiner Expertise beigefügt hat. Ich bin fast sicher, dass er den verlinkten Artikel nicht gelesen hat, sondern lediglich den Linktext:
„blogger-sind-keine-journalisten-sie-sollten-aber-so-handeln“
Anscheinend wollte er belegen, dass wir keine Journalisten sind. Und es steht ja auch so schön in der URL. Aber leider geht es in dem verlinkten Artikel um die Trennung von Werbung und Redaktion auch in Blogs. Wenn der Bürgermeister den verlinkten Artikel gelesen bzw. verstanden hätte, müsste er vor uns auf den Knien liegen und uns anbeten, denn gerade das gibt es bei uns im Blog nicht: Werbung!
Trennung von Werbung und Redaktion: Ja, eines meiner Lieblingsthemen derzeit, da ich diesbezüglich fleißig recherchiere (für ein aktuelles Buchprojekt, hoffentlich mit genügend journalistischer Sorgfalt)). Immer mehr (vor allem Nachwuchs-) Blogger haben kaum mehr ein Problem damit, versteckte Werbeformate, Linkkauf & Co. einzusetzen. Zumindest ist dies meine Erfahrung aus zahlreichen Gesprächen bei Bloggertreffen & Co. Und selbst wenn man “sauber” arbeitet: Ein lukrativer Werbekunde bucht über mehrere Monate einen Banner auf dem Blog, und fragt anschließend nach einem angeblich nicht-werblichen Bloginterview? Wer traut sich da schon, ganz klar nein zu sagen. In eine ähnliche Richtung gehen nicht gekennzeichnete Produkttests etc. Ein weites Themenfeld
Fazit:
Die Stellungnahmen des Bürgermeisters bekräftigen uns in unserer Ansicht, dass wir mit dem Blog auf einem richtigen Weg sind. Wir versuchen ehrenamtlich als Graswurzeljournalisten eine demokratische Öffentlichkeit im Sauerland und darüber hinaus mitzuentwickeln. Wir haben täglich zwischen 500 und 1000, manchmal bis zu 3000 Leserinnen und Leser. Der Bürgermeister bockt, das Blog rockt – wir machen weiter.