Maifeiertage: Demonstrieren oder Privatisieren

Schilderbaum am Parkplatz "Großes Bildchen"
Schilderbaum Parkplatz „Großes Bildchen“ am Kreuzungspunkt zwischen Altastenberg, Rehsiepen und Siedlinghausen.

So ist das mit den Maifeiertagen – die einen protestieren und die anderen privatisieren:

Es fanden keine Mai-Demonstrationen im Hochsauerlandkreis statt. Die wuchtige Faust der Arbeiterklasse schloss sich um Bratwürste und Bierflaschen. Hier gibt es keine Latsch-Demos, hier wird gewandert.

Ich frage mich, wie lange das noch so bleiben wird, denn auch in der heilen Welt rund um den Kahlen Asten müssen viele Kollegen „kurzarbeiten“, viele Betriebe hängen am Tropf der Autoindustrie.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle eine Ahnung von dem haben, was auf uns zukommen kann. Na, ja … eine Ahnung vielleicht, aber …

… eigentlich könnte man wieder erleichtert denken: „Och, vielleicht wird es ja doch nicht so schlimm. Bei der Schweinegrippe scheint es auch noch mal gut zu gehen. Es sterben meist nur Mexikaner im besten Mannesalter …“

Update:

Von 140 Mitarbeitern will sich die Firma in Meschede trennen – und zwar schnell. Bis zum 15. Juni sollen die betroffenen Mitarbeiter eines der Abfindungsangebote annehmen. Mitarbeiter, die sich bis zum 15. Mai entschließen, können eine doppelt so hohe Abfindung erwarten wie derjenigen, die noch bis zum Ende der Frist warten wollen. Das ist einer Mitarbeiter-Information vom 30. April zu entnehmen. Alles weitere bei den Sauerlandthemen


Ganz nett ist es abseits der sozialen Verwerfungen und konjunkturellen Dellen auf den Wanderwegen rund um das „Große Bildchen“ (siehe Bildunterschrift oben) zu schweifen:

Hunau und Hundegrab, Nasse Wiese und Rauer Bruch: Übersichtskarte am "Großen Bildchen"
Hunau und Hundegrab, Nasse Wiese und Rauer Bruch: Übersichtskarte am „Großen Bildchen“

Um über die Probleme dieser Welt nachzudenken, kann man vom Parkplatz „Großes Bildchen“ (roter Kreis!) , den dicken gelben Wanderweg über die Negerquelle zum Hundgrab mit den Wanderstiefeln, Laufschuhen oder dem Mountaibike, begehen, belaufen oder befahren.

Die Negerquelle liefert, wie hoffentlich dem Leser oder der Leserin bekannt(ganz am Ende des Artikels ), einen guten Teil Wasser aus 800 Meter Höhe via Namenlose und Ruhr ins Ruhrgebiet.

Auf 811 Meter Höhe über Normal Null liegt idyllisch das Grab der Schweisshündin Isolde von der Hunau, deren Loblied dortselbst in Stein gemeißelt nachzulesen ist:

Hier ruht auf 811 Metern ü. NN: Schweißhündin Isolde von der Hunau
Hier ruht auf 811 Metern ü. NN: Schweißhündin Isolde von der Hunau

Wir legen hier nach 2,6 Schweiß treibenden Kilometern eine Pause ein, da es recht lange dauert den Grabstein zu entziffern.

Aber schon nach dieser kurzen Strecke im raunenden deutschen Denkerwald gewinnt der Wanderer oder Jogger rund um den 1. Mai Erkenntnisse, die sich selbst in verdünnter Form zur Anfachung mindestens der Weltrevolution, aber höchstens zur Verbesserung an einigen Ecken und Enden dieses Planeten eignen.

Wir verlassen das Hundegrab und die Mai-Revolution und gelangen zur „Nassen Wiese“, aber das ist ein völlig anderes Thema, und außerdem muß morgen gearbeitet werden.

Von der Nutzlosigkeit Interviews zu führen

Florentine Fritzen hat für die FAZ ein Interview geführt:

14. April 2009 1985 erschien „Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden“, die fiktive Autobiographie des 30 Jahre alten Mathias Grewe, der Germanistik studiert hat, viel demonstriert und sich selbst bespiegelt. Die Autoren Georg Heinzen und Uwe Koch waren damals WG-Kollegen in Düsseldorf. Nun ist Koch Scheidungsanwalt in Hamburg, Heinzen macht Spielfilme und lehrt an einer Filmakademie. In Heinzens Düsseldorfer Wohnung haben sie sich wiedergetroffen … weiter

Das ist auch weiter nicht schlimm. Das Interview ist platt, nichtssagend und lügt durch Auslassung des politischen Umfeldes in dem das Buch entstand und rezipiert wurde.

Heinzen und Koch sind nicht nur einfach „die kleinen Brüder der 68er“. Zumindest einer von beiden hat mit dem Buch einen persönlichen politischen Befreiungsschlag gegen die damalige „Partei der bundesdeutschen Arbeiterklasse“, der DKP, gemacht und stand, soweit ich das erinnere, der sogenannten „Erneuerer“-bewegung nahe. Siehe auch hier im Blog.

Ich will nicht mit Steinen werfen, aber denke, dass derjenige, welcher sich derart von der FAZ auf den flachen Schild heben lässt und nach den Jahren der Irrungen und Wirrungen noch einmal in der medialen Sonne bräunt, diese Details nicht aus der Vita ausblenden (lassen) sollte.

Dann hätte das Interview unter Umständen an Gehalt gewonnen und müsste nicht als

„Peinliches Gelaber pseudo-intellektueller Greise“ (so ein Kommentar)

abgehakt werden.

Schade FAZ. Reich-Ranicki hätte das anders gehandhabt. Oder?

Neuerscheinung: Dieter Beckmann über die Varusschlacht

Beckmanns Erstling: Geheimnis der Heiligen Steine
Beckmanns Erstling: Geheimnis der Heiligen Steine

Der Arnsberger Autor Dieter Beckmann hat sein erstes Buch veröffentlicht. Titel: „Geheimnis der heiligen Steine“. Der Roman basiert auf den historischen Ereignissen der Germanenkriege.

Ich selbst habe das Buch noch nicht gelesen, werde dies aber nachholen, sobald es mir in die Hand fällt. Aufmerksam gemacht hat mich Gerd Pater von Ruhrtal-Cruising. Dieter Beckmann: Geheimnis der Heiligen Steine – Ein Erzählung der Varusschlacht, ISBN: 978-3-9810166-9-7) ist im Buchhandel zum Preis von 12,80 erhältlich.

Der Autor selbst beschreibt die Handlung folgendermaßen:

Germanien im Jahre 9 n. Chr. Der in römischen Diensten stehende, junge Cheruskerfürst Arminius, plant einen Aufstand gegen Rom. Er versucht die germanischen Stämme zu einen. Doch einer der größten Stämme, die Brukterer, versagen ihm ihre Unterstützung. Ohne das Amulett des Wodan, ein seit 20 Jahren verschollenes, uraltes Heiligtum, wollen sie nicht gegen die Römer kämpfen. Dankward, den man den Reisenden nennt, ist der letzte der das Amulett gesehen hat. Er holte es Jahre zuvor zusammen mit der Seherin Blitgard, aus den heiligen Steinen, um es vor dem Zugriff von Marada, ebenfalls eine mächtige Seherin der Brukterer, zu schützen. Als sich Blitgard in einen Römer verliebt, wird sie aus dem Dorf verstoßen. Im Römerlager Fenestela bringt Blitgard einen Sohn zur Welt. In den Wirren der Aufstände gegen Tiberius verliert sich ihre Spur und das Amulett scheint verloren.

Jetzt habe ich aber schon mehr Reklame gemacht als ich nach meinen eigenen Statuten dürfte und der Grund liegt zur Zeit noch außerhalb der Literatur: Dieter Beckmann wohnt nicht weit entfernt in einem Ort an der Ruhr, er ist Familienvater und er macht Musik. Er kann kein gänzlich schlechter Mensch sein 😉

Über eine erste unabhängige Rezension würde ich mich freuen und sie auch hier veröffentlichen.

Hamburg-Winterhude: Eklat bei feierlicher Veranstaltung

Der Gemeindesaal der evangelischen Ephiphanienkirche war restlos belegt. Mehr als 70 Winterhuder, angefangen vom interessierten Schüler bis zum Zeitzeugen, saßen dicht gedrängt um die gedeckten Tische.

Die Epiphaniengemeinde, das Jarrestadt-Archiv und die AnwohnerInnen-Initiative Jarrestadt hatten zur Vorstellung der Stolperstein-Broschüre mit einer Lesung aus den Biographien der Opfer und einer Beamer-Show mit musikalischer Begleitung eingeladen.

Die 322 Seiten starke Broschüre, Stolpersteine in Winterhude – eine biographische Spurensuche beinhaltet das beeindruckende Ergebnis jahrelanger Recherchen von über 200 Personen. Dadurch entstanden mehr als 100 biographischen Beiträgen.

Die Begrüßungsworte sprach Pastorin Melanie Kirschstein. Andrea Krieger von der Anwohnerini moderierte die Veranstaltung.

Diese fand im Rahmen der Woche des Gedenkens anläßlich der Befreiung der Gefangenen des Vernichtungslagers Ausschwitz statt. In Hamburg hat sich diese Woche inzwischen zu einem ganzen „Monat des Gedenkens“ erweitert.

Die Autoren Björn Eggert und Ulrike Sparr stellten die Biografien von Paul Löwenthal und dem Ehepaar Werner und Erika Etter ausführlich vor.

Peter Hess, der das Projekt Stolpersteine in Hamburg koordiniert, gab Einblick in die Arbeit: von den ersten Recherchen bis zur Verlegung der Steine.

Der Künstler Gunter Demnig legt Wert darauf, dass er jeden Stein selber anfertigt und feierlich verlegt. Bei dieser Einsetzung der Steine sind die Angehörigen der Opfer, wenn möglich dabei. Sie reisen sogar aus Israel und den USA an. Die tiefe Bewegung der Angehörigen ist ein Hauptgrund, für Demnig weiterzumachen.

Für Peter Hess und Gunter Demnig, der das Projekt Stolpersteine ins Leben rief, hebt sich die Stadt Hamburg gegenüber anderen Städten heraus:

Das Interesse und die Anteilnahme der Hamburger am Schicksal, der Opfer sei groß. So sammeln Hausgemeinschaften Geld um den 95,-€ teuren Stoplerstein vor Ihrem Haus zu finanzieren, Angehörige wurden in die Wohnung gebeten um zu sehen wo ihre Verwandten gelebt hatten. Der Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion Hamburg, Michael Neumann, verpflichtet seine Genossen dazu, eine Patenschaft zum Gedenken an während der NS-Zeit verfolgte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zu übernehmen. Die Fraktionsabgeordneten stiften 45 Stolpersteine.

Nach dem Bericht von Peter Hess hatte das Publikum die Möglichkeit Fragen zu stellen. Hierbei bekam es ein Lehrstück der besonderen Art zu sehen.

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Sonnabend, 31. Januar 2009: Stolpersteine in Winterhude

Vorstellung der Broschüre „Stolpersteine in der Jarrestadt und in Winterhude“

Das Projekt Stolpersteine
Das Projekt Stolpersteine

Mehr als 200 Biographien wurden von sechs Aktiven des Jarrestadt-Archivs und der „AnwohnerInnen-Initiative Jarrestadt“ erforscht. Dabei handelt es sich um die Lebensgeschichten ermordeter Opfer des Nationalsozialismus, zu deren Andenken der Künstler Gunter Demnig in Winterhude Stolpersteine verlegt hat. In der Jarrestadt sind es allein 27 Steine.

Im November 2008 erschien eine 326 Seiten starke Dokumentation, herausgegeben von der Landeszentrale für politische Bildung. Die redaktionelle Leitung hatte die Jarrestädterin Ulrike Sparr.

Programm

  • Lesung aus den Biographien der Opfer

  • Beamer-Show mit musikalischer Begleitung

  • Ausstellung: 5 Jahre AnwohnerInnen-Initiative

  • Eingeladen ist Peter Hess, der Hamburger Koordinator der Stolpersteine

Wann: Sonnabend, den 31. Januar 2009 um 16 Uhr

Wo: Gemeindesaal der Epiphanienkirche, Wiesendamm 125, Hamburg Winterhude

Veranstalterinnen : Epiphaniengemeinde, Jarrestadt Archiv und AnwohnerInnen-Initiative Jarrestadt.

Die Broschüre ist erhältlich (für 2 Euro) im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung, Altstätter Straße 11

Eintritt frei !

Bei der Landeszentrale für politische Bildung werden die Stolpersteine so beschrieben:

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Wundersame Wandlung: Die Hafenstraße in Hamburg

Häuser der Hafenstraße in Hamburg St. Pauli
Häuser der Hafenstraße in Hamburg St. Pauli (Foto: Arne List CC)

Die Hamburger Hafenstraße ist der Inbegriff für gewaltsame Hausbesetzungen im Stadtteil St. Pauli. Gemeint sind die Häuser in der Hafenstraße und Bernhard-Nocht-Straße.

Allerdings, und das wissen die wenigsten, bestehen die meiste Zeit verschiedene Miet- oder Pachtverträge zwischen den Bewohnern und verschiedenen Gesellschaften im Besitz der Stadt Hamburg.

Ein kleiner Rückblick: Im Herbst 1981 werden die stadteigenen, von der SAGA verwalteten, leerstehenden und ziemlich verfallenen Häuser still besetzt. In den Monaten davor hatte es in Hamburg bereits zahlreiche Hausbesetzungen (vor allem in Altona und Eppendorf) gegeben, die alle innerhalb von 24 Stunden durch Polizeieinsätze geräumt wurden. Von da an beginnt der bis zur endgültigen Räumungsklage dauernde Häuserkampf der Anwohner gegen Staat und Polizei.

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Huren, Saufen, Antisemitismus

Zum Frühstück gab es heute in der Frankfurter Rundschau den Papst.

Zum Frühstück der Papst

Zum Frühstück der Papst

Dieser Katholizismus, der alte Schlingel, lässt schon mal die Sau raus mit Karneval und Lebenslust. Das war alles ganz toll: raus aus dem evangelikalen prüden, trockenen Texas rüber ins katholisch, feuchte, brodelnde New Orleans. Das hatten schon die Jungs in „Easy Rider“ vorgemacht. Leider mit nachteiligen Konsequenzen auf der Rückfahrt.

Jetzt aber unser Benedikt. Professor „Wir sind Papst“ fischt im rechten Sumpf.

Neu ist das alles nicht und eigentlich ist der Antisemitismus eine alte Geschichte, gleich hier um die Ecke, in Winterberg.

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Winterberg: Der jüdische Friedhof

Heute habe ich zum ersten Mal seit ich im Hochsauerland wohne den jüdischen Friedhof in Winterberg besichtigt.

Gegenüber dem Aufgang zum Friedhof
Gegenüber dem Aufgang zum Friedhof

Der Aufgang zum Friedhof befindet sich am Ende der Wernsdorfer Straße, gegenüber dem ehemaligen „Müttergenesungsheim“, jetzt „Landhaus Fernblick“, in Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt(AWO).

Aufgang zum Friedhof
Aufgang zum Friedhof

Als ich die Treppen hochstieg war der Schnee noch ohne Trittspuren von Besuchern. Ich habe das Tor geöffnet und sah als erstes den Gedenkstein.

Die Gedenktafel
Die Gedenktafel

Ich habe versucht, einen Überblick zu gewinnen.

Zahl der Gräber: Sieben
Zahl der Gräber:Acht

In dem Moment als ich das Foto aufnahm, fuhr eine Pferdekutsche mit Touristen vorbei. Sie nahmen mich wahr. Daraufhin ging der Kutscher auf den historischen Ort ein: „Das da rechts ist der Judenfriedhof“, hörte ich mit halbem Ohr und die beiden Pferde klapperten samt Kutsche weiter über den Straßenasphalt Richtung Schmantel-Rundweg.

Schmantel: Blick Richtung Dumel
Schmantel: Blick Richtung Dumel

Es gibt nach meinem Eindruck keine hinreichende Geschichtsschreibung über die (ehemalige) jüdische Bevölkerung Winterbergs.

Daher zitiere ich hier einen Auszug aus dem Wikipedia-Eintrag zu Winterberg:

Der Beginn der Diktatur 1933 brachte das Ende der Demokratie und der kommunalen Selbstverwaltung sowie die Verfolgung der Juden in Winterberg. Erstmalig lässt sich eine jüdische Familie in Winterberg für das Jahr 1672 nachweisen. Sie ernährte sich von Schlachterei und vom Handel, nichts Ungewöhnliches in dieser Stadt. 1808 zwangen die Hessen die Juden, erbliche Familiennamen anzunehmen. Seit der Zeit war der übliche Name „Winterberger“. Im 19. Jahrhundert teilte sich die Familie in mehrere kinderreiche Zweige auf, von denen viele erfolgreiche Kaufleute waren.

Unter dem Druck der Nazis wurde 1937 der Verkauf der „Winterberger – Branntwein- und Liquörfabrik“ durchgeführt. Während der Sohn der Eigentümer in die USA auswandern konnte, wurden die Eltern im 2. Weltkrieg in Riga und im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig ermordet. Von einer zweiten Familie, die sich von einem Textilgeschäft ernährte, konnten die beiden Kinder vor Kriegsausbruch in der Schweiz und in Großbritannien in Sicherheit gebracht werden. Die Eltern jedoch wurden 1943 in Auschwitz umgebracht. Das Vermögen der Familie wurde „beschlagnahmt“ und „versteigert“. Eine dritte Familie, eine Jüdin und ihre halbjüdische Tochter, beide katholischen Glaubens, wurden 1944 in ein Arbeitslager verschleppt und haben den Krieg und die Verfolgungen überlebt. Von den überlebenden Juden „Winterberger“ ist keiner mehr zurückgekehrt.[14] Weitgehend verborgen liegt der jüdische Friedhof im Ostteil der Kernstadt.

Umbenannt
Umbenannt: seit 1808 „Winterberger

An dem oben zitierten Text fällt mir der fast durchgängige Gebrauch des Passivs auf.

Beispiel:

„Unter dem Druck der Nazis wurde 1937 der Verkauf der „Winterberger – Branntwein- und Liquörfabrik“ durchgeführt.“

Hier frage ich mich, wie dieser Druck in Winterberg ausgeübt wurde. Geschichte wird von Menschen gemacht.

Wer hat die Fabrik gekauft?

Auch der Ausdruck „durchgeführt“, der heute noch in der Beamtensprache quicklebendig ist, vernebelt die Wirklichkeit anstatt sie zu durchleuchten.

Wer führte, was, wann, aus welchem Grunde durch?

Alte, verwitterte Grabsteine
Alte, verwitterte Grabsteine

Statt Passiva können auch Gruppenzuschreibungen die Zusammenhänge verdunkeln.

Beispiel:

„1808 zwangen die Hessen die Juden, erbliche Familiennamen anzunehmen.“

Alle Hessen? Wie das?

Neue Grabsteine auf alten Gräbern
Neue Grabsteine auf alten Gräbern

Weiter mit den Passiva:

„Das Vermögen der Familie wurde „beschlagnahmt“ und „versteigert“.“

Wer beschlagnahmte und welche Personen versteigerten und ersteigerten die Vermögen?

Inschrift im Detail
Inschrift im Detail

„Von den überlebenden Juden „Winterberger“ ist keiner mehr zurückgekehrt.“

Sind ihre Spuren abgeschnitten? Gibt es sie noch? Wo leben sie oder ihre Nachfahren?

weitere Quellen bei der Universität Heidelberg:

 

Stadt Winterberg, Hochsauerlandkreis
ADRESSE: Wernsdorfer Strasse, am Berghang
BELEGUNGSZEIT: 2. Hälfte 19. Jahrhundert – 1935
GRABSTEINE: 8
DOKUMENTATION:
– 1994 durch Michael Senger (Belegungsliste, Belegungsplan)
– 2000 durch Dieter Peters (7 Fotos: Grabsteine und Friedhofsansichten)
VERÖFFENTLICHUNGEN:

– Geschichte in Westfalen-Lippe 1987, S. 77.
– Belegungsliste, Belegungsplan in Senger 1994, S. 383 – 384.

Sowie:

Nikolaus Schäfer: Juden in Winterberg, in: De Fitterkiste 4 (1992)

Deutsche Geschichte satt, satt, satt …

Ich habe heute fast das Magazin der Süddeutschen Zeitung übersehen. Aber gerade, kurz vor dem Schlafen gehen, noch ein Käsebrot in der Küche, ein Bier, WDR5, das Magazin durchgeblättert und den Artikel von Georg Diez gelesen.

Den lest bitte bevor 2009 so richtig ins Rollen kommt:

„… 2009 wird das Krisenjahr. 2009 wird das Jubeljahr. 2009 wird das Jahr der Deutschen.

Es wird furchtbar werden. Schrecklich. Lähmend. Peinlich. Es wird Serien geben in Spiegel und Stern, es werden deutsche Helden gesucht werden in ARD und ZDF, es wird bunte Bücher geben und Talkshows mit all den Schorlemmers dieses Landes, es werden zur Volkserziehung Schautafeln aufgestellt werden in öffentlichen Gebäuden, und ein Geschichtsgrundkurs nach dem anderen wird sich belehren lassen, wie es kam, dass aus ein paar Studenten, die sich zum Singen trafen, über den Umweg von Kaiserreich, Weimarer Republik und sechs Millionen toten Juden unsere schöne kleine Wohlstandsdemokratie wurde. Es wird ein einziges rauschendes Selbstbespiegelungsfest unserer Nation sein, die mal wieder vor lauter Historie die Gegenwart vergessen wird oder vergessen will. Aber sagt mal, Geschichte ist doch kein Wärmeofen!

Davor wird es 2009 kein Entrinnen geben. 20 Jahre Mauerfall, 60 Jahre BRD, 70 Jahre Zweiter Weltkrieg, 2000 Jahre Varusschlacht, das ist der absolute Erinnerungsernstfall, da sind Reflexion und Sinnstiftung erste Bürgerpflicht, jedes Datum wird da zum Symbol und Geschichte zum Volkssport …“

Und jetzt ab ins Bett 😉