Von Ciudad Mexico nach Havanna. Meine kleine Kuba-Krise.

Unweit des Prachtboulevards von Havanna (foto: koerdt)
Ironie der Lage: in der Nähe des Prachtboulevards von Havanna (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der sechste Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir machen eine Reise und beobachten das Leben in Kuba. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Nachdem ich erfolgreich meine kleine, persönliche Kuba-Krise hinter mich gebracht habe, bin ich wieder in Mexiko-Stadt gelandet. Zum Glück war Kuba nicht das alleinige Ziel, so dass ich nun mit vielen neuen (und vor allen Dingen auch tollen) Erfahrungen in die Stadt zurückgekehrt bin. Aber der Reihe nach:

Am Prachtboulevard, dem Malecon, von Havanna
Am Prachtboulevard, dem Malecon, von Havanna

Angefangen hat alles vor über einem Monat in Havanna. Gut gelaunt landeten Christopher und ich auf dem sozialismusschicken Flugplatz und sofort wurde ich für ein Verhör von einem Flughafenmitarbeiter herausgepickt. Schwupp war mein Pass weg und natürlich wollte mir niemand sagen, was das nun soll. Angestrengt verfolgte ich den Weg meines Passes, der durch fünf verschiedene Hände ging, während ich auch noch versuchte, Christopher im Blick zu behalten. Nach einer wirklich lächerlichen Befragung konnten wir (als wir endlich Christophers Freund Uwe*, der aus Frankfurt gekommen war, in der Abflughalle getroffen hatten) uns auf dem Weg in die Trümmer-Metropole machen.

Der Sozialismus und die Privatwirtschaft
Es gibt eine im Prinzip nette Idee in Kuba: so kann man privat bei Familien übernachten, die dann einen auch noch bewirten. Doch diese Idee wirft ihre Schattenseiten, wie wir im Laufe der Tage feststellen durften. Wir landeten bei Senor Julio, ein nette, älterer Schnauzbartträger, der gepflegt im Unterhemd seine Tage vor dem Fernseher verbringt.

Der Unvermeidliche Che Guevara
Der Unvermeidliche - Che Guevara

Als erstes erfuhren wir, dass er uns bei „einer staatlichen Behörde“ melden muss. Desweiteren ist ja schon klar, dass nur besonders ausgewählte Personen diese Form von Selbstständigkeit nachgehen dürfen. Denn berufliche Selbstständigkeit gibt es ja eigentlich gar nicht. So müssen diese kleinen Privathotels natürlich jeden Monat etwas an die Regierung rausrücken und bekommen sofort empfindliche Strafen, wenn sie das mal nicht tun (z.B. wenn sie in dem Monat zu wenig eingenommen haben). Dafür bekommen sie aber den ach so begehrten Peso convertible (kurz CUC). Den anderen Peso bekommen eigentlich nur die gemeinen Kubaner, aber nicht der gemeine Ausländer, denn der soll ja Devisen ins Land schaffen und darf somit für alles ungefähr das 25fache zahlen. Der gewitzte Kubaner gibt dann aber manchmal im Wechsel auch einmal keine convertiblen Pesos raus und der dumme Ausländer merkt das nicht sofort.

Fidel Castro redet – „Täglich grüßt das Murmeltier“
Kurz vor dem kubanischen Nationalfeiertag am 26. Juli gab es tatsächlich wieder einmal eine Rede von Fidel Castro im Fernsehen, der von zwei Jogginganzugträgern eingerahmt wurde. Irgendwie sah das für mich aus, als wolle er zwei Sportler ehren. Aber unser Gastwirt, Senor Julio, belehrte mich eines Besseren: nein nein, das seien seine Ärzte und wie bei „Täglich grüßt das Murmeltier“ erzählte Fidel das, was er seit 50 Jahren erzählt. Senor Julio ergänzte auch noch, dass Kuba in den Vereinigten Staaten immer noch als Staatsfeind Nr. 1 gelte und ich hatte den Eindruck, dass für einige Kubaner die Invasion in der Schweinebucht immer noch nicht vorüber ist.

Kubanische Parallelwelten
Wenn man sich dann so ein bisschen in Kuba herum tut, gewinnt man als Tourist doch ganz schnell den Eindruck, dass man sich in einer von den Kubanern losgelösten Parallelwelt aufhält: In dem angeblich besten Eiscafé Havannas gibt es eine Ausländerzone und bei den Überlandbussen wird man auch von den Einheimischen getrennt. Dann schaut man sich die Fotomontagen im Nationalmuseum an, läuft mal etwas abseits der Touri-Pfade durch die Stadt und sieht man Armut, Armut, Armut, die schon teils groteske Züge hat. Wenn es mal Baumaterial gibt, gibt es Leute, die nachts vor den Häuserruinen sitzen und es bewachen. In den staatlichen Museen wurden wir regelmäßig von den Mitarbeitern angebettelt, ob wir nicht ein paar convertibles für sie hätten.

Der Revolution entgegen schaukeln
Da man als Tourist sich fast nur auf vorgezeichnete Pfade begeben kann, bleiben einem wahrscheinlich sehr viele Eindrücke verborgen, erspart oder wie immer man es nennen möchte. Als wir südwestlich von Havanna durch das wirklich atemberaubend schöne Tal von Vinales fuhren, bot sich fast durchweg ein Bild: die Leute saßen tagsüber auf ihrer Veranda im Schaukelstuhl. Und ich dachte mir genauso stelle ich mir eine Revolution vor: man schaukelt ihr entgegen. Nein, es ist eher das Sinnbild der Lethargie, die sich fast in allen Gesichtern gezeigt hat. Vielleicht erschöpft von der Hoffnung auf ein besseres Gesellschaftssystem.

Ein bisschen Propaganda muss sein.
Ein bißchen Propaganda muss sein.

Oje, jetzt habe ich bereits soviel geschrieben, dass bestimmt einige bisher gar nicht durchgehalten haben. Deswegen werde ich nun erst einmal enden, ein paar Bildchen einfügen. Von den anderen Ländereindrücken (Belize, Guatemala) werde ich demnächst dann einmal berichten.

Muchos saludos!

Ciudad Mexixo: erinnert sich noch jemand an die Fußball-WM? Außerdem drei Schüsse in den Rücken und die mexikanische Unternehmenskultur.

Solche Mondlandschaften liegen direkt vor der Haustür: der Nevado de Toluca, ein erloschener Vulkan. (foto: koerdt)
Solche Mondlandschaften liegen direkt vor der Haustür: der Nevado de Toluca, ein erloschener Vulkan. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist der fünfte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir folgen dem Jahresverlauf und nehmen Anteil an der Fußball-WM in Südafrika. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir die Gegenwart erreichen. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Tja, während in Deutschland die erneute Stärke von Miroslav Klose als „innerer Reichsparteitag“ und „Erlösung“ (zum Glück nicht als „Endlösung“) kommentiert wird, kommen auch Mexi-Fußballkommentatoren nicht so ganz um geschichtliche Parallelen herum.

Heute schießen die Polen für Deutschland
Nachdem Poldoski und Klose den Ball ins Netz geschossen hatten, bemerkte der Sprecher in seiner Euphorie: „Ja, das war ja nicht nett, was die Deutschen da einmal den Polen angetan hat. Aber es ist vergessen: heute schießen die Polen die Tore für Deutschland!“

Leider habe ich den Satz danach nicht mehr verstanden, aber in ihm kam auf jeden Fall das Wort „Konzentrationslager“ vor. Wir haben den deutschen WM-Auftakt standesgemäß in der deutschen Botschaft bei Würstchen, Sauerkraut und Bier verbracht. Die Stimmung war bombastisch, lustigerweise waren die anwesenden Mexikaner viel lauter als die Deutschen. Nun gut, am Freitag hatten sie auch nicht soviel Grund zum Jubeln. Dafür hat der Trikotabsatz der mexikanischen Mannschaft einen astronomischen Absatz gefunden: also es gibt so gut wie niemanden hier, der kein Trikot trägt (die Geschäftsleute tragen es anstatt eines Hemdes und darüber das Sakko).

Drei Schüsse in den Rücken. Ein Toter in der Touri-Falle.
Schön, dann gibt es in den nächsten Wochen ein schönes Smalltalk-Thema und hoffentlich nicht viele Tote in Südafrika. Na ja, eigentlich könnte man den letzten Hoffnungswunsch auf dieses Land übertragen. Vor einer Woche war ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Da ich aber bereits anderweitig verabredet war, musste ich die Einladung leider absagen. Am Montag fragte ich dann das Geburtstagskind, wie denn die Feier war und sie wurde etwas wortkarg.

Die Geburtstagsgesellschaft hat eine Bootstour auf den Kanälen in Xochimilco im Süden der Stadt unternommen (übrigens einer der größten Touri-Fallen, in die ich bislang hier reingetappt bin). Als sie vom Bootsanleger wieder zum Hauptplatz bummeln wollten, hörten sie Knallgeräusche und dachten zunächst an ein Feuerwerk. Doch als sie um die Ecke bogen, sahen sie, dass dort gerade jemand erschossen worden war. Drei Schüsse in den Rücken; vom Täter natürlich keine Spur.

Drogenkriminalität nicht nur an der Grenze
Um jetzt nicht den Eindruck zu erwecken, dass das hier Alltag sei: ich habe in der letzten Woche einigen Mexikanern diese Geschichte erzählt und sie waren alle geschockt. Niemand von ihnen (und sie sind in dieser Stadt aufgewachsen) hat jemals eine Leiche in der Straße gesehen. Aber die (Drogen-)Kriminalität spielt sich natürlich nicht nur im Norden des Landes an der Grenze zur USA ab.

Eine Beförderung und fristlos gefeuert – mexikanische Unternehmenskultur
Ansonsten ist es nach wie vor ein friedliches Leben für mich. Ob es so bleibt, wird es sich in den nächsten Wochen zeigen. Meine Kollegin in der Bibliothek hat gekündigt und hört zum Ende der nächsten Woche auf. Ich bin davon total überrumpelt worden; auf einmal habe ich die Leitung inne. Was mir aufgrund meiner natürlichen Faulheit überhaupt nicht passt. Was mir aber abgesehen von dieser Tatsache widerstrebt, ist, dass ich in diesem Zusammenhang kennen lernen durfte, wie mexikanische Unternehmenskultur funktioniert. Wenn die Verwaltung dich auf dem Kicker hat, bist du absolut chanchenlos. Und Fristen gibt es auch nicht: zum Beispiel bekommen die angestellten Lehrer am 30. Juni gesagt, dass sie morgen nicht wiederkommen brauchen. Sie können sich nicht mehr von ihren Kollegen verabschieden und ein Gespräch über die Gründe gibt es auch nicht. Oder sie sind so absurd, dass man damit auch nichts anfangen kann. So hat man im letzten Jahr einem Lehrer gekündigt mit der Begründung, er sähe immer so müde aus.

Ein ein paar Dinge wollen heute abend noch erledigt werden. Ich hoffe, in Deutschland ist alles“ todo bien“.

Bald mehr und hasta luego!

Ciudad Mexico: Desillusionierungen. Beobachtungen und Impressionen aus einem faszinierenden Land.

Bekannter ist der hier und seinen Namen musste fast jeder im Erdkundeunterricht auswendig lernen: der Popocatepetl im Abendlicht. (foto: koerdt)
Ein alter Bekannter. Seinen Namen musste fast jeder im Erdkundeunterricht auswendig lernen: der Popocatepetl im Abendlicht. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Heute knüpfen wir an die Osterzeit an. Die vorhergenden Teile der Serie sind hier zu finden.

Hola a todos,

zunächst einmal etwas Trauriges: Belde* hat hingeschmissen und somit werde ich wohl keine weiteren Einblicke in das Welt- und Geschichtsbild einer türkischen Oberschichten-Tochter gewinnen können. Sorry, aber mit einem Exklusiv-Interview wird es wohl nichts mehr.

Auszug aus dem Wolkenkuckucksheim
Dafür bin ich wohl in der letzten Woche aus meinem flauschigen Wolkenkuckucksheim rausgeschmissen worden: während wohl alle Welt denkt –ich war da keine Ausnahme-, der Drogenkrieg tobe im Norden des Landes an der Grenze zur USA wurde ich eines Besseren belehrt. Nur 100 Meter Luftlinie von der Schule entfernt –und die Schule liegt wirklich in einem der betuchten Viertel, dort werden ganze Straßen gesperrt und bewacht, damit die Oberschicht dort in Ruhe ihre Angestellten schikanieren kann- wurden in einer Auseinandersetzung zwischen zwei rivalisierenden Banden (es ging, na klar, um Drogen) zwei Männer erschossen. Zwei der Beteiligten wollten vom Tatort fliehen, dafür rissen sie eine Frau aus ihrem Wagen und verschwanden damit. Diese Frau ist eine Mutter von zwei Schülerinnen der Deutschen Schule und war gerade auf dem Weg dorthin, um die Kinder abzuholen.

Schießereien
Am nächsten Tag erfuhr ich dann von einer weiteren Schießerei, die auf dem Heimweg meiner Kollegin stattgefunden hat. Sie wusste, dass ihre Tochter gerade nach Hause wollte und es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich meine Kollegin gefühlt hat. Wahrscheinlich wäre ich an ihrer Stelle vor Angst fast ausgeflippt, aber sie hat wirklich sehr besonnen reagiert. Dennoch war ihre Erleichterung mehr als groß, als sie ihre Tochter endlich telefonisch erreichen konnte.

Drogen – auf dem Schulhof angefixt
Passend dazu las ich dann auch noch einen Artikel, aus dem hervorging, dass die meisten Drogen gar nicht in die Vereinigten Staaten geschmuggelt werden, sondern in die Hauptstadt. Hier ist wohl die Anzahl der Abhängigen in den letzten Jahren rapide angestiegen und es gibt keine richtigen, politischen Programme, die das angehen. Und wo werden die Leute ‚angefixt’? Auf dem Schulhof. Die Deutsche Schule versteckt sich ja hinter Eisentüren und Mauern und wird darüber hinaus von einem Wachdienst kontrolliert. Aber ich möchte nicht wissen, was hier an staatlichen Schulen los ist.

Der Alltag und die Diskriminierung – die Wellblechhütte auf dem Dach
Nach und nach werde ich hier doch auf die kleinen Unterschiede gestoßen, die ich mich teils schon sprachlos zurück lassen. Gestern war ich auf einer „Jewelry Rock Party“: meine US-amerikanische Mitstreiterin im Spanisch-Kurs, Cindy*, entwirft selbst Schmuck und hatte zu einer Art ‚Tupper-Party’ mit Schmuckverkauf geladen. Natürlich war ich neugierig auf die Wohnung, die sich als riesiges Penthouse oberhalb der Dächer von Polanco entpuppte, das sie sich mit einer anderen US-Amerikanerin teilt. Als ich auf die Terrasse trat, stand dort eine kleine Wellblechhütte und ich fragte, ob das so eine Art Abstellkammer sei. Nein, dort würde ihr Hausmädchen mit noch einer Freundin wohnen und sie öffnete kurz die Tür und ich starrte auf eine 90 cm breite Matratze, die auf dem Boden lag.

Die Schönheit mit der falschen Hautfarbe
Nagia* aus dem Kurs wiederum macht ihre Erfahrungen fast von der anderen Seite aus: die Brasilianerin, die wohl unter das Stereotyp milchkaffeebraune Schönheit fallen würde, wird von ihren Nachbarn im Haus nicht gegrüßt. Als sie mal eine Frau nach dem Grund fragte, wurde ihr klargemacht, dass ‚empleadas’, also Dienstmädchen, generell nicht gegrüßt werden.

Wir verleihen nicht an Ausländer
Dagegen wurde mir am letzten Wochenende erst hinterher deutlich, dass ein kleiner Hinweis auch eher diskriminierend gemeint war: wir wollten uns Räder ausleihen und der Typ an der Radstation sagte sehr bestimmend, dass er nur an Mexikaner ausleihe und nicht an Ausländer. Das sei generell so. Auf unseren Einwand, wir hätten uns doch schon einmal an einer anderen Station Räder geliehen, meinte er, sein Kollege dürfe das eigentlich nicht und könnte auch Konsequenzen für denjenigen haben. Wir dackelten davon, um dann zu sehen, dass zahlreiche Ausländer auf Leihrädern unterwegs waren. Tja, solche Feinheiten gibt es auch …

… hasta luego!

* Namen geändert

Ciudad Mexico und mehr: Beobachtungen und Impressionen aus einem faszinierenden Land, Vorbemerkung.

Marion Koerdt berichtet aus Mexico. (foto: koerdt)
Marion Koerdt berichtet aus Mexico. (foto: koerdt)

Wir haben eine neue Autorin gewonnen. Marion Koerdt hat die Seiten gewechselt, nicht nur geographisch: fast vier Jahre lang hat sie für den Deutschlandfunk in Köln den internationalen Programmaustausch koordiniert und arbeitet seit Anfang dieses Jahres in Mexiko-Stadt – und zwar am Colegio Alemán La Herradura.

Bestimmten vorher Informationen und Töne ihren Berufsalltag, geben nunmehr die Schüler und Schülerinnen des Colegios die Lautstärke an.

Ursprünglich sollte sie in der dortigen Bibliothek eine Medien-AG gründen, doch die Wege in Mexiko sind nicht immer gerade, so dass sie mittlerweile in der Erwachsenenbildung gelandet ist.

Neben der Arbeit versucht sie in die Tiefen der spanischen Sprache vorzudringen und ihren Blick für die Feinheiten der mexikanischen Lebenswelt zu schärfen.

In loser Folge veröffentlichen wir ab heute ihre Impressionen und Beobachtungen aus einem faszinierenden Land. Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal an unsere neunteilige Mexico-City Reportage von Christopher aus dem vergangenen Jahr erinnert.

Ciudad Mexico und mehr: Beobachtungen und Impressionen aus einem faszinierenden Land. Ankommen.

Ciudad Mexico und mehr: Impressionen (foto: koerdt)
Ciudad Mexico und mehr: Impressionen (foto: koerdt)

Hola a todos,

Also, ich bin gut angekommen, na ja, irgendwie immer noch im Gefühl anzukommen (vielleicht bleibt das auch so).

Die Arbeit und das Drumherum

Die ersten Arbeitstage liefen eher unstrukturiert ab. Nach fast drei Wochen habe ich immer noch nicht meinen Arbeitsvertrag unterschrieben, dafür aber bereits meinen ersten Gehaltsscheck bekommen. Tja, und wer glaubt, daß Behörden etwas typisch Deutsches seien, soll mal nach Mexiko kommen.

Letzte Woche drückte mir Julio* eine Broschüre in die Hand und meinte, ich müsse da noch so ein paar Dinge erledigen. Auch nach mehrmaligen Lesen (und die Broschüre ist auf deutsch), weiß ich immer noch nicht, was ich genau machen und bei wem ich mich melden muß. Dafür gibt es einige lebensparktische Tips: so muß ich mich bei einem Krankenhaus melden (bei welchem erfahre ich erst, wenn ich meine Sozialversicherungsnummer erhalten habe; nur woher die kommen soll, weiß ich auch noch nicht, aber ich soll mich laut Broschüre selbst darum kümmern), das dann für mich zuständig sei. Bei diesem Krankenhaus soll ich mich zwischen 8.00 und 18.00 Uhr melden. Die Broschüre rät mir, um 13.30 dorthin zu gehen und ausreichend Lesestoff mitzunehmen, da man ewig wartet. Nun gut, denke ich mir, dann kann ich auch um 8.00 mit viel Lesestoff dorthin, wenn es sowieso ewig dauert.

Leider kann ich noch gar nicht soviel aus einem mexikanischen Alltag berichten, denn meine Kollegen sind ja überwiegend Deutsche und gucken mehr oder wenig ähnlich in die Welt wie ich.

Mein Stadtviertel (barrio) und die Tussen (fresas)

Ich wohne in Polanco und die Meinungen über dieses Viertel gehen weit auseinander. Zwischendurch war es mir fast unangenehm zu sagen, wo ich wohne, denn Polanco gilt wohl als etwas versnobbt. Ich selber habe das gar nicht so wahrgenommen, denn für mich wirkt das hier alles andere als schicky. Wenn man nicht genau guckt, wohin man tritt, kann es schon einmal passieren, daß man sich schön auf die Nase legt oder unelegant stolpert (letzteres ist mir letzte Woche passiert). Abgesehen von einem großen Kaufhaus um die Ecke, sehen die Restaurants und Bars auch eher nach Sülz, Kreuzberg oder Schanzenviertel aus, aber nicht als sei man auf einmal in der unteren Oberschicht. Tussen heißen hier übrigens ‚fresas‘ (wörtlich Erdbeere, meint aber so etwas Ähnliches wie Früchtchen) und von denen soll es hier angeblich viele geben. Mal abwarten, wie bei mir die ‚fresasierung‘ voranschreitet.

Die spanische Sprache, Mexico-City das Dorf und der Schmugglermarkt

Mit der Sprache werde ich mich auch weiterhin rumschlagen (es ist ja ein Trugschluß, daß man einfach so einmal eine Sprache lernt, nur weil man im Land ist), auch wenn ich sie für meine Arbeit nicht brauche. Zwei Straßen von unserer Wohnung entfernt befindet sich eine Außenstelle der Universität. Ich war in der letzten Woche bei einem Einstufungstest für die Kurse, die diese Woche beginnen. Also, ich war ganz zufrieden mit meinem Ergebnis; nur erfuhr ich dadurch auch, wie klein die Welt ist. Zwei Tage danach traf ich auf dem Weg zum Supermarkt Jasmin, Christophers ehemalige Sprachlehrerin. Zunächst habe ich gar nicht reagiert, da ich zwar meinem Namen gehört habe, ich aber immer noch denke, mich kennt hier doch sowieso keine Sau; dann sah ich aber Jasmin und sie teilte mir auch sofort mit, na, ab nächster Woche Sprachkurs? Basico 3?

Und ich dachte nur, man, das ist auch nur ein Dorf hier.

Mit Jasmin waren wir übrigens direkt nach meiner Ankunft auf dem größten Schmugglermarkt der Stadt (Tepico). Ich bin eben wie auf Autopilot hinter Jasmin hinterher getrottet, die sich dort auskannte. Was wohl im Nachhinein ganz vernünftig war, denn ich habe mir hinterher eine Reportage und einen Film über dieses Viertel angeschaut und gesehen, daß es wohl auch schlecht für eine Weißhaut ausgehen kann, wenn die mal in die falsche Richtung abbiegt.

Der Straßenverkehr und wir Radfahrer

Falsches Abbiegen kann man jedenfalls tagtäglich im Straßenverkehr beobachten. Im Straßenverkehr scheint es nur eine Regel zu geben: es gibt keine. Das hat mich in den ersten Tagen doch ein bisserl fertiggemacht. Mittlerweile weiß ich, daß ich als Fußgängerin nichts gelte, erst recht nicht als Radfahrerin. Christopher und ich haben uns vor einer Woche mal Räder ausgeliehen und ich war heilfroh, als wir endlich den Stadtpark erreicht hatten. Das Vergnügen war aber leider nur von kurzer Dauer, denn nach ungefähr vier, fünf Kilometern ist an meinem Rad die Kette abgesprungen und dabei hat sich das Hinterrad so verzogen, so dass ich das Teil noch nicht einmal schieben konnte. Nachdem wir wie zwei Bekloppte auf das Ding eingetreten haben, ließ es sich wenigstens wieder vorwärts bewegen, und so trotteten wir zurück zur Rad-Station. Die Reaktion dort: nada. Obwohl das Rad echt geschrottet war.

Ein kleiner Urlaub

Gestern waren wir in Tepotzotlán im Norden von Mexiko-Stadt (nicht zu verwechseln mit Tepoztlán im Süden der Stadt, wie mir vorher einige Leute eingeschärft haben). Dort gibt es ein altes Kloster, das zu einem fantastischen Museum umfunktioniert worden ist sowie eine richtig schmucke Innenstadt. Es fühlte sich an wie Urlaub, auch wenn man nur 35 Kilometer gefahren ist. Hoffentlich bleibt das so…

*Namen, wo nötig, geändert

Aktuell aus Mexico City: „Hatschi!“ – Gesundheit? – Nein, Schweinerei – rette sich, wer kann!

Alles ruhig in Mexico City?
Schweinepest: Alles ruhig in Mexico City?

Wenn man in Mexiko lebt und tagein, tagaus Tacos mampft, dann denkt man schon manches Mal an Deutschland und seinen Schweinebraten. Bei Rindfleisch ist einem der Appetit nach BSE schon lange vergangen, und Huhn gilt seit der Vogelgrippe ja auch als keine Delikatesse.

Nun aber ist die Schweinerei passiert und bei uns in Mexiko ausgebrochen. Aber wohl zur Genugtuung der mexikanischen Volksseele ist Mexiko wenigstens zusammen mit den USA die Brutstätte, von wo aus der neuartige Erreger in lateinamerikanische Länder und auch nach Europa übergesprungen ist, wie heute Morgen den laufenden Nachrichtensendungen verschiedener lokaler Radiosender zu entnehmen war.

Die mediale Epidemie, denn im Alltag kennt niemand jemanden der erkrankt wäre (so das Ergebnis meiner kleinen Umfrage), läuft mit wechselnden Schreckenshöhepunkten seit Freitag ab.

Donnerstagnacht hatte das Schulministerium in Absprache mit dem für Gesundheit beschlossen den Unterricht an Schulen und Universitäten bis auf weitere Unterrichtung zu schließen, sodass einige der Lehrerschaft freitagsmorgens ratlos im Lehrerzimmer arbeitslos wie zur seit der Weltwirtschaftskrise 1929 wie Berliner Eckensteher herumlummelten. Arbeitslos und Lehrer und Weltwirtschaftskrise? – So frappierend fragmentiert auf einmal die liebgewordenen Gewohnheiten der kognitiven Verortung seiner selbst im Alltag waren, so naheliegend sind doch die Assoziationen.

Denn einige meinen, infolge der allgemeinen Verunsicherung durch die derzeitige Weltwirtschaftskrise nähme die verunsicherte Masse und die Medien nur allzu gern die Epidemie auf, deren Konturen naturgemäß so unscharf sind, wie der Versuch globaler Beschreibungen des konjunkturellen Verlaufs von Volkswirtschaften.

Diese sozialanthropologische Deskription der durch die Epidemienachricht ausgelösten Ängste im Gefolge der Massenpsychologie Freuds – dass frei flottierende Ängste eine Projektionsfläche brauchen, die aber auch kaum rational zu durchdringen ist, so etwa wie die statistischen Unschärfen medizinischer Erklärungen des Verlaufs von Epidemien und deren Gefahrenpotential – wäre etwas für spätere soziologische Untersuchungen.

Beispielsweise tragen die Leute als Vorboten der Hysterie alle Mund-/ Nasenschutz, obwohl die Ärzte im TV zigmal sagten, dass das kaum etwas bringt, da die Infektion meistens so verläuft, dass man etwas Infiziertes anfasst und sich dann den Virus ins Gesicht reibt.

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Hasta la Vista Mexico City

Vielen Dank, lieber Christopher, für die farbigen und tollen Berichte aus Mexico-City.

Ich hoffe, dass du irgendwann noch einmal Zeit findest, das ein oder andere „Update“ zu liefern.

Wer die insgesamt neun Teile hintereinander lesen will, braucht bei der Suchfunktion oben rechts nur das Stichwort „Mexico City“ einzugeben und schwupps sind alle neun Episoden in der Archivansicht auf dem Bildschirm.

Um dann jeweils den einzelnen Artikel komplett zu sehen und zu lesen, muss man lediglich die Überschrift anklicken.

Mexico City – Neunter Tag: man gönnt sich ja sonst nichts …

Jeder lese, solange es für ihn kurzweilig bleibt; ansonsten hat er auch nichts verpasst im Leben.
(Sprüche und Wendungen eines alten chinesischen Meisters)

Sonntag, der 8. Februar 2009

Um die Ecke ...
Um die Ecke …

Der andere Portier heißt Sergio und der hat mir heute erstmal erklärt, wie die Kabelglotze geht. – „Ich habe zu früh Tage gemacht!“, könnte ich mit Emila Galottis Prinzen Hettore Gonzaga zum Hofmaler Conti ausrufen, denn mein Wecker zeigte mir eine Stunde früher an, als es tatsächlich war. Zuerst, klar, dachte ich, ich hätte mich gestern Abend beim Stellen vertan. Aber bei genauerer Hinsicht stellte sich heraus, dass mein aus Deutschland mitgebrachter Wecker den Strom nicht ohne Weiteres schluckt, sondern bei ca. 110 Volt mexikanischen Gleichstroms schneller zu ticken beginnt. Nun ja, beim „Superama“-Supermarkt um die Ecke gibt’s einen Heizradiator für 17 Euro, da wird’s auch einen Wecker geben. Einen Heizradiator werde ich mir zulegen, da in México D.F. alpines Klima ist: Morgens kann es empfindlich kalt bei so 5 bis 8 Grad sein, mittags dann mediterrane 25 bis 30 Grad. – Ich habe mir vom gestrigen Wandern im Chapultepecpark einen Sonnenbrand an der Stirn geholt.

Meine neue Bleibe (im Hinterhof – schön ruhig) – Mein neues Auto: BMW 735 i - man gönnt sich ja sonst nichts
Meine neue Bleibe (im Hinterhof – schön ruhig) – Mein neues Auto: BMW 735 i – man gönnt sich ja sonst nichts

Heute also der erste Tag nach dem Umzug – nachts habe ich nichts geträumt, was denn in Erfüllung gehen könnte – am ersten Tag also durchstreifte ich natürlich meinen Barrio und stellte fest, es ist goldrichtig hier. Es ist wie dieses verwunschene Stück Berlin zwischen Wilmersdorfer Str., Bismarckstr., Hardenbergstr. und Zoologischem Garten und zurück über die Kantstr. oder südlich über den Ku’damm, also ein Charlottenburg zwischen Einkaufsmeile westlichen FuZo-Zuschnitts mit C&A, Herthie, Deichmann etc., „Mexico City – Neunter Tag: man gönnt sich ja sonst nichts …“ weiterlesen

Mexico City – Achter Tag: Nackthunde, Zählen und ein angenehmer Stadtteil

Jeder lese, solange es für ihn kurzweilig bleibt; ansonsten hat er auch nichts verpasst im Leben.
(Sprüche und Wendungen eines alten chinesischen Meisters)

Samstag, der 7. Februar 2009

Der City-Teil des Chapultepecparks
Der City-Teil des Chapultepecparks

Dem peruanischen Nackthund bin ich bei Trujillo im Juli 2005 über den Weg gelaufen, am Eingang einer Pyramidenanlage der Chimú-Kultur, die ich besuchen wollte. Zuerst dachte ich, ich hätte es mit einem mit der Leishmaniose infizierten Exemplar reudigen Köters zu tun, bei derm eben auch die Haare nach und nach komplett ausfallen. Diese Krankheit wird durch zum Glück recht flugunfähige Sandmücken übertragen, und die Virennester rund um die Einstichstelle zerstört die Haut in hässliche Pockenflatschen und bei schweren Arten der Leishmaniose bluten auch die inneren Organe. Übrigens hat diese Krankheit laut Wikipedia-Seite 42% der Hunde in Andalusien infiziert – da habe ich im Herbst 2008 Urlaub gemacht! Die Peruaner belehrten mich jedoch eines besseren, dass diese Hunde für die Küstenwüste Perus ganz typisch seien.

In Mexiko sind die Nackthunde ebenfalls verbreitet; die Azteken nannten sie Xoloitzcuintle. Im Palacio Nacional, dem Parlamentsgebäude am Zócalo, befinden sich Diego Riveras Murallas und auf zweien von ihnen sieht man eben auch die Nackthunde: Einmal knurrt einer einen spanischen Konquistadorenhund an, während Hernán Cortés nach der Landung in Vera Cruz Geld von den Unterworfenen eintreibt und ein andermal trinken zwei Nackthunde aus einem Tümpel, in dem Azteken ein bestimmte Baumrinde präparierend einweichen, um aus ihren Streifen später Papyrus zu walzen. „Mexico City – Achter Tag: Nackthunde, Zählen und ein angenehmer Stadtteil“ weiterlesen

Mexico City – Siebter Tag: Stadtevolution, Geografie und ein neues Auto

Jeder lese, solange es für ihn kurzweilig bleibt; ansonsten hat er auch nichts verpasst im Leben.
(Sprüche und Wendungen eines alten chinesischen Meisters)

Freitag, der 6. Februar 2009

Blick vom westlichen Rand des Zentrums in den Westen der Stadt
Blick vom westlichen Rand des Zentrums in den Westen der Stadt

La Ciudad de México D.F. hat eine ganz und gar ungewöhnliche Physiognomie durch seine Höhenlage im Talkessel zweier Bergmassive. Die Stadt hat sich im Laufe ihrer Evolution an den Bergflanken emporgerankt und kleinere Ausläufer assimiliert. Deshalb sind die Straßen zum Teil bestimmt steiler als die San Franciscos und die Architektur wahrlich abenteuerlich. In den Berghängen kleben Neu- und Altbauten, Straßen nehmen wüste Wendungen und Kehren und Nadelösenwenden zurück. Dieses Prinzip Chaos setzt sich im Antlitz der Stadt fort, wo Bauten im Kolonialstil neben Modernismen des letzten Schreis stehen und der Stadt immer wieder ein überraschendes Gesicht verleihen wie ein plötzlich auftauchendes Dreieckshaus, das die Fahrbahn zerschneidet und wo in seinem Bugfahrwasser die Wellen wieder zusammenschwappen. Oder die Avenida Amsterdam, die eine ehemalige Trapprennbahn war und dann zu einem Wohnviertel umfunktioniert wurde. Die Avenida hat eine ovale Form und man kann auch noch immer im Kreis bzw. Oval herumfahren und in der Mitte der Straße ist ein Grünstreifen, sodass man dort auch entlangjoggen, besser traben kann. Das typische lateinamerikanische Schachbrettmuster, das die Plaza de las Armas oder halt den Zócalo vergittert, hat Mexiko-Stadt zum Glück nur im Centro Histórico, okay, vielleicht auch noch ab und an woanders, aber eigentlich dominieren im Gegenteil die abenteuerlich mäandernden Straßen. „Mexico City – Siebter Tag: Stadtevolution, Geografie und ein neues Auto“ weiterlesen