Marion bei den Mexis, Teil 26: Schüsse auf Paco und eine geklaute Leiche

Und noch etwas Neues aus unserem Barrio: Seit kurzem stehen Leihfahrräder an den Straßen. Einmal registrieren lassen und schon kann es losgehen. Vielleicht ist das auch eine Form der natürlichen Bevölkerungsregulierung: Denn Radfahren ist hier eher lebensbedrohlich als gesundheitsfördernd. (fotos: koerdt)
Neues aus unserem Barrio: Seit kurzem stehen Leihfahrräder an den Straßen. Einmal registrieren lassen und schon kann es losgehen. Vielleicht ist das auch eine Form der natürlichen Bevölkerungsregulierung: Denn Radfahren ist hier eher lebensbedrohlich als gesundheitsfördernd. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der 26. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute berichtet unsere Autorin über die Gewalt in Mexico und wie der designierte Präsident Enrique Peña Nieto der Kanzlerin Angela Merkel auf Augenhöhe begegnet. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

„Dabei habe ich noch nicht einmal ein Handy.“ Die Fassungslosigkeit hatte mir bereits Tränen in die Augen getrieben. Doch nach diesem Satz merkte ich, dass die Wut immer stärker wurde. Wut darauf, dass es keine Antwort darauf gibt, warum auf Paco, unseren informellen Hausmeister, geschossen worden ist.

Paco war seit über einen Monat nicht zur Arbeit erschienen. Sämtliche Nachfragen in der Umgebung wurden mit einem Schulterzucken beantwortet. Niemand wusste etwas. Bis ich jetzt nach Hause kam und Paco im Treppenhaus stand.

Paco, der bislang wirklich nicht mit großen Gefühlswallungen aufgefallen war, kam auf mich zu und wollte mich umarmen. Ich konnte das mit einem freundlichen Handschlag abwehren und fragte, ob er wieder zur Arbeit da sei. Nein, er solle noch mindestens zwei weitere Wochen zu Hause bleiben. Aber er wolle unbedingt sehen, wie es seinen Leuten geht. Ob er denn Probleme mit seiner Epilepsie gehabt hätte, fragte ich. Ich hätte öfter versucht, etwas in Erfahrung zu bringen. Doch niemand hätte etwas gewusst.

Der Tod beschwert sich bitterlich darüber, dass man ihm sein Arbeitsmaterial geklaut hat.
Der Tod beschwert sich bitterlich darüber, dass man ihm sein Arbeitsmaterial geklaut hat.

Nein, nein, keine Probleme mit der Epilepsie. Auf ihn sei geschossen worden. Wie bitte? Paco zog seinen Hemdkragen zur Seite und zeigte mir eine frische Narbe, die quer über seine linke Halsseite ging. Dann zeigte er auf seine rechte Hüfte. Dort hätte man ihm eine zweite Kugel herausoperiert. Er sei an diesem Montagmorgen auf dem Weg zur Metro gewesen. Fast direkt bei seinem Haus wurde er niedergeschossen. Er kann sich an nichts erinnern. Er weiß nicht, ob es nur einer war oder mehrere. Er sei nicht aufgefordert worden, seine Sachen herauszugeben.

Als er wieder bei Bewusstsein war, war er längst im Krankenhaus und bereits operiert. Er muss wohl direkt gefunden und in ein Krankenhaus eingeliefert worden sein. Sonst hätte er das nicht überlebt. Ein ganz normaler Raubüberfall im Nordosten der Stadt? Sein Rucksack war jedenfalls weg. Und damit vielleicht umgerechnet 3 Euro, Metrotickets im Wert von vielleicht 2 Euro sowie Taschentücher und eine Flasche Cola. Nun konnte ich seine Euphorie verstehen. Womöglich reagiert man so, wenn man ein zweites Leben geschenkt bekommen hat. Für denjenigen ist es womöglich auch ein Wunder, dass alles noch so ist wie im ersten Leben, an das man wieder anschließen möchte.

Ob El Lazca noch lebt, lässt sich hingegen nicht so leicht klären. Heriberto Lazcano Lazcano, genannt El Lazca, der führende Kopf des Kartells „Los Zetas“ soll vor zwei Wochen im Bundesstaat Coahuila bei einer Schießerei mit der Polizei ums Leben gekommen sein. Warum sich die Identität nicht einfach klären lässt? Ganz einfach, der angebliche Leichnam ist aus dem Bestattungsinstitut geklaut worden. Und die Wiederbeschaffung wird nicht gerade dadurch erleichert, da sich die Behörden auf keine konkrete Personen- bzw. Leichenbeschreibung einigen können:

Der noch amtierende Präsident Felipe Calderón merkt an, dass man zu den bereits vorhandenen Kategorien „Tote“ und „Verschwundene“ in seiner Amtszeit nun auch noch die „verschwundenen Toten“ zufügen muss.
Der noch amtierende Präsident Felipe Calderón merkt an, dass man zu den bereits vorhandenen Kategorien „Tote“ und „Verschwundene“ in seiner Amtszeit nun auch noch die „verschwundenen Toten“ zufügen muss.

So schwankt El Lazcas Körpergröße zwischen 1,60 und 1,80 Meter. Vielleicht einigt man sich auf die Mitte: Die Drug Enforcement Adminstration, die US-amerikanische Drogenbekämpfungsbe-hörde, behauptet auf ihrer Webseite, El Lazca sei 1,72 Meter groß gewesen. Etwas näher liegen die Schätzungen zum Geburtsjahr: Da werden lediglich 1974 oder 1975 vorgeschlagen. Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen. Wenn die Polizisten nicht gerade selbst in dem Fall verwickelt sind.

Hinlänglich bekannt ist hingegen die Körpergröße des designierten Präsidenten Enrique Peña Nieto. Meist wird das auf Fotos geschickt kaschiert, dass er einen halben Kopf kleiner ist als seine dailysoapdarstellende Gattin, die –ungewöhnlich für eine Mexikanerin- nun meist ohne Stöckelschuhe das öffentliche Leben betritt (und erinnert damit ein wenig an das Ex-Präsidentenpaar eines deutschen Nachbarlandes).

Doch auf der gerade zu Ende gegangenen Europa-Reise des mexikanischen Politikers konnte man auf den Bildern sehen, dass Angela Merkel ihm auf Augenhöhe begegnet. Und das ist in diesem Zusammenhang nicht wörtlich gemeint: Die Europa-Reise wurde in den hiesigen Zeitungen seitenweise ausgewälzt und analysiert. Was insofern nicht verwundert, da deutsche Unternehmen in Mexiko rund acht Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaften. In den deutschen Medien war hingegen nichts zu finden. Und Frau Merkel wird wohl froh gewesen sein, dass Mexiko keinen Aufnahmeantrag in die EU stellen kann.

Ich hoffe, euch allen geht es gut!!!

Muchos saludos,
Marion

Marion bei den Mexis, Teil 24: durch den Barranca del Cobre über Creel nach Chihuahua

Hola a todos!

Zum Beginn eine Zahl: 27 199. Diese Zahl gab vor ein paar Tagen das Nationale Statistik- und Geografie-Institut in Mexiko heraus. Im Jahre 2011 sind 27 199 Morde in Mexiko registriert worden – in einem Jahr. Das heißt durchschnittlich sterben pro Tag 74 Menschen durch Gewalteinwirkung. Alle 20 Minuten wird durchschnittlich ein Mensch in Mexiko ermordet. Bei den 15- bis 29jährigen steht ermordet zu werden bei den Todesursachen an erster Stelle. Noch vor Verkehrsunfällen.

Mais statt Drogen

Ob dieses Schicksal auch den Bauern im Tal von Batopilas im Süden des Bundesstaates Chihuahua widerfährt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls überkam mich der Gedanke, ob sie das überleben werden, als ich kürzlich folgenden Artikel las.

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Blick auf den Kupfercanyon vom Aussichtspunkt Divisadero. Das zerklüftete Gebirge ist flächenmäßig viermal so groß wie der Grand Canyon – und dafür um einiges unbekannter. (Fotos: Marion Koerdt)

In diesem Artikel wurde beschrieben, dass vor einem Jahr ein Regierungsprogramm des Bundesstaates für die Bauern dieser Region gestartet wurde. Es geht darum, dass die Felder anders bewirtschaftet werden sollen. Plakativ könnte man sagen: Mais statt Marihuana. Die Regierung verteilte umsonst Samen für Avocados, Bohnen, Birnen, Pfirsiche, Zucchini und eben für Mais, das Lebenskorn der Mexikaner. Nun sollen die ersten Ernten eingefahren werden von den Feldern, auf denen seit über 50 Jahren Marihuana angebaut worden ist.

Rafael Hernández, ein 60jähriger Bauer aus Batopilas, wird in dem Artikel zitiert. Er fände es schon in Ordnung zu den alten Zeiten davor zurückzukehren, seit 45 Jahren lebe er vom Drogenanbau. Doch ob das seine ehemaligen Abnehmer auch so locker sehen? Zuversichtlich zeigt sich jedenfalls das Entwicklungsministerium des Bundesstaates, das dieses Projekt angeschoben hat: Die Voraussetzungen – sei es der Boden oder das Klima- seien in dieser Region hervorragend.

Touristische Eisenbahnstrecke durch den Barranca del Cobre

Dass diese Region tatsächlich etwas ganz Besonderes ist, davon konnte ich mich persönlich vor einem Monat überzeugen: Es gibt eine Eisenbahnlinie, die ursprünglich mal als Transportlinie zwischen den südlichen USA bis zum Atlantik gedacht war. So wurde unter unvorstellbaren Strapazen der Landschaft eine einspurige Eisenbahnspur von Chihuahua nach Los Mochis im Bundesstaat Sinaloa abgestrotzt, die sich aber ökonomisch nie richtig ausgezahlt hat.

Insgesamt 80 Jahre hat der Bau der 650 Kilometer langen Linie gedauert, die einen Höhenunterschied von 2400 Metern überwindet. Mal kam eine Revolution dazwischen, mal war kein Geld war und als 1961 die erste Bahn die komplette Strecke fuhr, war das Flugzeug längst das Transportmittel Nummer Eins.

Heute wird die Linie fast nur noch touristisch genutzt und nur noch ab und an wird noch eine Lieferung Holz verladen. 11 Stunden lang schaukelt man von Los Mochis nach Creel, einem Dörfchen auf 2300 Meter Höhe und rund 300 Kilometer von Chihuahua entfernt. Und die Landschaft wird stündlich spektakulärer. Es werden zahlreiche Tunnel passiert (in einem macht der Zug eine Wendung um 180 Grad), die so eng sind, dass man meint jeden Moment schrammt die Bahn an den Felsen. Man passiert die Sierra Tarahumara mit ihren steilen Schluchten und bizarren Felsformationen.

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De Zoch kütt – Zweimal am Tag hält die Bahn in Creel. Einmal aus dem Norden kommend, einmal aus Süden. Das Großereignis des Tages im Ort. Schon lange vorher positionieren sich die Händler und Hotelschlepper. In der Hoffnung auf mögliche Kundschaft.

Der Kupferfelsen (Barranca del Cobre) ist das Herzstück der Sierra Tarahumara – der Zug hält hier zum schnellen Fotoshooting. Der Río Urique hat sich hier seinen Weg gesucht, der Tourist blickt 1200 Meter tief in die Schlucht und auf ein unglaubliches Felspanorama. Das einen unwillkürlich an den Grand Canyon denken lässt. Dort kann man am South Rim zwar noch 200 Meter tiefer blicken und die rötliche Färbung des Gesteins ist kontrastreicher, hier ist man aber am größten Schluchtensystem Nordamerikas. Es breitet sich über 1500 Kilometer aus.

Creel – ein bisschen Schweiz und ein wenig USA in Mexiko

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Das ist kein kleines US-Städtchen, sondern die Hauptstraße in Creel. Die Männer hier tragen mit Vorliebe Cowboyhüte und -stiefel, so dass man sich öfter mal fragt, ob man sich noch in Mexiko befinde.

Wenn der mitteleuropäische Tourist dann die Bahn in Creel verlässt und nicht bis zu ihrem Endziel Chihuahua weiterfährt, glaubt er seinen Augen nicht zu trauen:

Das hier soll noch Mexiko sein? Saftige Wiesen, bewaldete Hügel, schroffes Gestein. Ist das nicht die Schweiz? Auch das Örtchen selbst erweckt nicht den Eindruck, dass es sich noch in Mexiko befindet: Es sieht zwar nicht aus wie in der Schweiz, aber auch nicht mexikanisch. Eher wie ein saubergefegtes US-Provinznest in Utah oder Arizona.

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Eine Tarahumara-Frau an der Bahnlinie. Die Frauen tragen bunte, prachtvolle Gewänder. Dafür, dass behauptet wird, die Tarahumara seien nicht an materielle Werte interessiert, sieht man auffallend oft Frauen, die alle möglichen Formen von Kunsthandwerk anbieten.

Die Tarahumara – eine Indigena-Gruppe

Nur die Menschen hier erinnern einen daran, dass man sich doch nicht weiter nördlich befindet. Es gibt hier eine Indigena-Gruppe, die das Straßenbild bestimmt: die Tarahumara. Die nicht nur ihre eigene Sprache, sondern auch ihre Bräuche pflegen. Einst zogen sie sich immer weiter vor den spanischen Eroberern in die Schluchten der Sierra Tarahumara zurück. Und konnten sich vieles ihrer ursprünglichen Lebensformen bewahren:

Rarámuris nennen sie sich selbst und das bedeutet so viel wie „die Leichtfüßigen“. Laufen nimmt nach wie vor eine zentrale Rolle in ihrem Leben ein, oft legen sie – teils als Halbnomaden in Familienverbänden lebend – Strecken bis 100 Kilometer zu Fuß zurück. Ritualisiert wird das Laufen in Stammeswettbewerben, bei denen die Männer bis zu 2 Tage lang Holzbälle durchs Gelände schießen. Daneben gibt es noch Trinkgelage, so dass die anderen Einwohner von Creel dem Touristen kurz erklären, warum eine Gruppe Männer schwer betrunken unter einem Baum liegt.

Einige Familien leben noch in Höhlen, aber der Großteil der Tarahumara lebt in einfachen Holzhäusern. Was wahrscheinlich schon deswegen etwas angenehmer sein wird, da es im Winter hier bis zu minus 20 Grad kalt werden und der Schnee bis zu 70 cm hoch sein kann. Der Schnee sei allerdings zu leicht, um hier Wintersport zu machen, erklärt Jesús, der, wenn er nicht gerade auf dem Hauptplatz von Creel mit seinen Freunden abhängt, mit seiner Camioneta Taxidienste anbietet. Der Schnee pappe nicht und sei deswegen nicht zum Skilaufen geeignet. Dennoch kämen auch im Winter häufig Leute aus den großen mexikanischen Städten: Um das erste Mal im Leben Schnee zu sehen.

Im Sommer gibt es hier eine angenehme Bergluft, die sich mit dem Duft der Pinienwälder vermischt. Und die einem regelrecht Lust auf längere Wanderungen macht. Man denkt sich noch, man kann sie verstehen, die Tarahumara mit ihrem Laufen. Doch eigentlich hat man mal wieder nichts verstanden – da man sich doch nicht vorstellen kann, wie es ist, in so festen Stammesstrukturen zu leben. Vom Leben der anderen Mexikanern grenzen sie sich ab – ihre Kinder besuchen nicht die staatlichen Schulen, sondern ihre eigenen. Die Bundesstaatregierung lässt sie gewähren.

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Diese drei netten Herren sammelten mich bei einer Wanderung mit ihrem Tourguide und Pick-Up auf, als die Gewitterwolken bedrohlich näher kamen. Im Hintergrund die kleine Kirche von San Joaquin, einem Dörfchen, das ausschließlich von Tarahumara bewohnt wird. Bis heute sollen sie eine eigene Auslegung des Katholizismus haben.

Dennoch: Richtig herzlich erscheint einem nicht das Verhältnis der Einwohner Creels mit den Tarahumara. Sie hätten keinen Ehrgeiz, etwas aus ihrem Leben zu machen, erklärt die Frau im kleinen Dorfmuseum. Es reicht ihnen, wenn sie genug zum Essen hätten. Mehr wollen sie eigentlich nicht. Geld oder andere materielle Werte interessiere sie nicht. Ob das so stimmt? Auf dem Hauptplatz versuchen jedenfalls Tarahumara-Frauen ihr Kunsthandwerk an den Touristen zu bringen. Und auch im Museumsladen wird ihr Kunsthandwerk angeboten: Allerdings fiel dort bei einem Schal das Etikett „Made in China“ auf.

Einige der Tarahumara sollen vom Drogenanbau in den Tälern ringsherum profitiert haben. Und nicht nur für den Eigenbedarf Felder bestellt haben. Auch sie sollen in den Felder-Umstrukturierungsplan der Regierung aufgenommen worden sein. Die schöne heile Tarahumara-Welt gibt es natürlich nicht. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie wie auch die anderen Bauern in der Umgebung von möglichen Rachefeldzügen der ehemaligen Abnehmer verschont bleiben. Und nicht in der Mordstatistik des Jahres 2012 enden.

Chihuahua war 2011 der Bundesstaat mit der höchsten Mordrate. Hier wurden offiziell 17 699 Menschen im Jahre 2011 ermordet. Denn im Norden des Staates liegt Ciudad de Juárez. Im Süden hingegen wirkt das Land wie eine Idylle aus einem Johanna-Spyri-Roman. Aber leider täuscht das – und lässt einen wieder einmal ratlos zurück, in welche Richtung dieses Land gehen wird. Vorgestern ist der neue Präsident vereidet worden – doch davon demnächst mehr.

Ich hoffe, euch allen geht es gut!
Muchos saludos,
Marion

Mexiko wählt den Schritt zurück: Peña Nieto offiziell zum nächsten Präsidenten Mexikos erklärt. Demonstration auf dem Zócalo am 9. September.

Demonstationen in Mexico City (foto: Marion Koerdt)
Anti-Pena-Nieto-Demos gibt es seit über zwei Monaten zuhauf landauf- und -abwärts. Hier eine Demo im Juli in Ensenada im Bundesstaat Baja California. (foto: Marion Koerdt)

Ciudad Mecico. Nun ist es offiziell: Enrique Peña Nieto wird am 01. Dezember zum nächsten Präsidenten Mexikos vereidigt.

Rund zwei Monate beschäftigte sich das Oberste Gericht Mexikos mit der Frage, ob die Wahlen am 01. Juli rechtens seien. Es kam zu dem Ergebnis: Ja, alles in Ordnung. Dabei gab es die überschaubaren Unregelmäßigkeiten am Wahlsonntag: So wurden in mehreren Bundesstaaten Wahlurnen geklaut, in Cancún sowie am Internationalen Flughafen in Mexiko-Stadt waren nicht ausreichend Wahlzettel vorhanden und in einigen Stadtvierteln der Hauptstadt wurden Leute beim Stimmenkauf erwischt.

Am Wahlabend waren zwar erst knapp 43% der Stimmen ausgezählt, aber Pena Nieto von der Partido Revolucionario Institucional/ PRI (Partei der Institutionellen Revolution) erklärte sich mit 36, 74% zum Wahlsieger. 3,5% hinter ihm lag Andrés Manuel López Obrador von der Partido de la Revolution Democrática/ PRD (Partei der Demokratischen Revolution). Der sofort erklärte, er würde diesen Wahlsieg nicht anerkennen. Auf den dritten Platz kam Josefina Mota Vazquez von der regierenden Partido Acción Nacional/PAN (Partei Nationale Aktion). Sie konnte lediglich 25,3% der Stimmen auf sich vereinen und schaffte zum ersten Mal, dass die Regierungspartei auf den dritten Rang zurückfiel. Der amtierende Präsident Felipe Calderón hatte sich vorher von ihr abgewandt: Die 51jährige Politikerin war vor 3 Jahren aus ihrem Amt als Bildungsministerin entlassen worden.

Das Wort Revolution ist im Parteinamen der PRI wörtlich zu nehmen: Revolvere heißt zurückwälzen. Und mit dem 45jährigen Politiker aus dem Bundesstaat Mexiko wird es wohl eine Hinwendung zum Ausgangszustand geben. Die Partei stellte von 1929 bis zum Jahre 2000 immer die Präsidenten und herrschte über das Land in einer Gutsherrenart, deren Folgen im Land nach wie vor sichtbar sind. „Mexiko wählt den Schritt zurück: Peña Nieto offiziell zum nächsten Präsidenten Mexikos erklärt. Demonstration auf dem Zócalo am 9. September.“ weiterlesen

Von Wahlkämpfern, reichen Frauen und Peco: Marion bei den Mexis, Teil 23

Dieser Artikel ist der 23. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute berichtet unsere Autorin über den Wahlkampf in Mexico, Lehrer, Epileptiker und reiche Frauen. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

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Und bei diesem schmierig grinsenden Mann wird es bald keine Lehrerverträge mehr geben. Dafür aber umso mehr Privatisierungen. (fotos: koerdt)

Wahlkampf

Der PRI-Präsidentschaftskandidat Peña Nieto verspricht auf seinen Wahlplakaten Medizin für alle. Und keine Schulgebühren. Beide Versprechen stehen wohl im eklatanten Widerspruch zur Wirklichkeit.

Wenn er Präsident werde, hat er verkündet, werde er sämtliche Lehrerverträge aufkündigen. Seine Begründung: Viele Lehrkräfte seien für den Schuldienst überhaupt nicht qualifiziert. Dem kann man nicht direkt widersprechen.

Auf dem Lande werden Lehrerstellen wohl gerne vom Vater an den Sohn vererbt oder es wird einfach jemand vor die Klasse gestellt, der sich dafür bereit erklärt hat. Die Befürchtung aber ist: Peña Nieto will das Bildungswesen komplett privatisieren. Wie das ohne Gebühren gehen soll, ist mir schleierhaft.

Die Sache mit Paco

Und Medizin für alle? Die gibt es -jedenfalls in den Städten- bereits in gewisser Weise schon heute. Zum Beispiel bietet das „Centro Medico“ in der Innenstadt Epileptikern jeden Samstag eine kostenlose Beratung und Behandlung an. Warum ich das nun weiß, hat einen Hintergrund:

Unser informeller Hausmeister und Parkplatzeinweiser Paco ist Epileptiker. Das hat in der Vergangenheit öfter mal dazu geführt, dass er auf der Straße zusammengeklappt ist. Nach einem Anfall ist er dann auch nach Hause gefahren. Nicht so in der letzten Woche. Bis zum frühen Nachmittag hatte er-laut Salvatore, der unten in unserem Haus ein Geschäft für Küchengeräte und-zubehör hat- bereits drei Anfälle gehabt.

Nun lag er wieder auf dem Bürgersteig und Salvatore wurde langsam sauer. Denn ein umgekippter, winselnder Mann vor dem Laden ist ja nicht gerade geschäftsfördernd. Den ersten Anfall hätte er wohl schon morgens in der Metro gehabt. Jedenfalls hatte Paco dort seinen Rucksack verloren, in dem seine Medikamente waren. Ob er ihn vergessen hatte oder ob er ihm geklaut wurde, konnte Paco nicht mit Gewissheit sagen.

Nun lag er wieder dort und als wieder bei Bewusstsein war, redeten wir auf ihn ein, nach Hause zu fahren. Doch Paco fuhr nicht und bekam kurz darauf den nächsten Anfall. Nun wurde ein Krankenwagen gerufen. Doch Paco wehrte sich. Er wollte auf keinen Fall ins Krankenhaus. Verwirrt irrte er über den Bürgersteig, stürzte wieder. Die Sanitäter rückten wieder ab.

Die Mitarbeiter im Geschäft und wir alle aus dem Haus waren ratlos. Was nun? Paco war offensichtlich verletzt und verwirrt. Ein Geschäftsmitarbeiter setzte ihn in seinen Wagen und dort schlief Paco sofort ein. Gegen Abend sah ich wie Paco seine Sachen zusammenräumte und ich war froh, dass er nun endlich nach Hause fahren würde. Doch dann hörte ich einen ohrenbetäubenden Knall unten im Hausflur. Als ich nachschaute, lag dort Paco in seinem Blut.

Wieder wurde ein Krankenwagen gerufen. Wieder weigerte sich Paco, der mittlerweile wieder bei Bewusstsein war, mitzufahren. Wir Hausbewohner versuchten ihn zu beruhigen und zu überreden, sich in ärztliche Behandlung zu geben. Unsere Nachbarin, die „Drogenbaronin“, hatte ein Epilepsie-Medikament aus der Apotheke geholt. Ein Sanitäter wollte ihm das geben. Paco wehrte sich. Die Sanitäter rückten unverrichteter Dinge ab.

Hätten sie ihn gezwungen mitzukommen, wäre das als Entführung ausgelegt worden. Paco schlief auf einem Stuhl im Flur ein. Er sah schrecklich aus: eingepinkelt, die Klamotten verschmutzt, Blut im Gesicht, verschrammt, total verschwitzt. Wir waren ratlos. Letztendlich riefen wir ein Taxi, denn Paco war wieder bei Bewusstsein und konnte uns seine Adresse nennen.

Dann hörten weder die Leute im Geschäft noch wir im Haus etwas von Paco. Zwischenzeitlich beschlich mich das ungute Gefühl, dass der Taxifahrer Paco einfach ausgesetzt und mit seinem Geld abgehauen ist. Doch gestern stand er auf einmal wieder auf der Straße, als sei nichts gewesen. Als ich auf ihn zugehen wollte, spürte ich, er weicht mir aus und grüßte lediglich.

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Die Dritte im Bunde ist Josefina (der Nachname wird im allgemeinen Sprachgebrauch, besonders von Frauen, unterschlagen). Dieses Plakat will uns weismachen, dass sie Worte hat. Welche? Keine Ahnung.

Die Sorgen reicher Mütter

Entschieden dagegen bin ich, dass Deutschland die Kosten für das mexikanische Gesundheitssystem übernehme. Wie ich auf diesen Unsinn komme? Vor eineinhalb Wochen war ich zu einem Essen eingeladen worden. Dort saßen auch Mütter, deren Kinder aufs Colegio Alemán gehen. Merke wohl, mexikanische Mütter. Und ich rutschte in ein Gespräch über die anstehenden Wahlen.

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Falls dieser freundlich lächelnde Mann Präsident wird, wird es eine Auswanderungswelle der Reichen geben. Schließlich sei er Kommunist, so die Ansicht einer mexikanischen Schicht. Damit lässt sich wohl heute kein Staat mehr machen – außer in Kuba und Nordkorea.

Die Frauen waren sich einig: Alles ist korrupt in diesem Land. Und eine Frau wusste auch schon, was passieren wird, wenn der linke Präsidentschaftskandidat López Obrador die Wahlen gewänne. Dann würden ihr Mann und sie das Land verlassen. Und sie seien bestimmt nicht die einzigen. Auch eine Lösung.

Doch wenn die Reichen das Land verlassen, wer soll dann die Bekämpfung des Drogenhandels bezahlen? Denn das erkannten die Frauen als drängendes Problem. Auch hier hatte eine Frau die Lösung: Das könnten ja dann die Deutschen bezahlen. Allgemeines Gelächter – nur ich stand kurz vor einem Wutanfall.

Da kann ich tatsächlich nur EU-Kommissionspräsident Barroso zustimmen. Er hatte an diesem Montag beim G-20-Treffen in Los Cabos gesagt, dass sie sich von niemanden Lektionen erteilen lassen. Damit hatte er zwar nicht direkt die Mexikaner angesprochen. Aber wenn ich hier die eine oder andere Bemerkung aufschnappe, denke ich auch manchmal, eure Meinung ist bestimmt nicht meine Meinung.

Ich hoffe euch allen geht es gut!

Muchos saludos,
Marion

Von Drogen, Dichtern, Päpsten und Piraten: Marion bei den Mexis, Teil 22

Dieser Artikel ist der 22. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute berichtet unsere Autorin von Problemen mit den Nachbarn und denkt über Papst, Parteien und den kürzlich verstorbenen mexikanischen Schriftsteller Carlos Fuentes nach. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

¡Hola a todos!

Stell dir vor, du öffnest nachmittags deine Wohnungstür und davor liegt ein Brief. Du hebst ihn auf. Auf dem Umschlag steht „Dringender Warnruf an alle Bewohner dieses Hauses“ (handschriftlich), du öffnest den Umschlag und liest auf einem Blatt (wieder handschriftlich), dass die neue Nachbarin von der Wohnung gegenüber der Kopf eines Drogenkartells sei, die unter dem Deckmäntelchen einer Immobilienfirma agiert.

Die Sanchez-Schwestern hätten schon unzählige, unschuldige Menschenleben auf dem Gewissen und würden nun die Abstellkammern auf dem Flachdach für ihre Drogen nutzen. Was würdest du mit diesem anonymen Brief machen?
a) zur Polizei gehen
b) denken, das ist ja toll, dann brauche ich nicht einmal mehr das Haus verlassen, wenn ich mal was brauche
c) als Fake abtun

So ein Brief lag letzte Woche vor unserer Tür und wir sind damit erst einmal zu unserem Parkplatzpatron Agustin gegangen (Vorschlag a) ist in diesem Land eigentlich immer die schlechteste Idee). Denn wenn es in unserem Bekanntenkreis einen Experten für uns unverständlich mexikanisches Verhalten gibt, ist es Agustin.

Der war in den letzten Wochen damit beschäftigt seinen 23jährigen Sohn untertauchen zu lassen, da er im Internet Leute erpresst haben soll. Als wir sagten, dass das doch eine Unterstellung sei, blickte Agustin uns mit seinen langbewimperten Dackelaugen an und schüttelte fast unbemerkt seinen Kopf. Er merkte dazu an, dass daran nur die schwierige familiäre Situation zu Hause schuld sei. Ich dachte nur, der Typ ist 23, irgendwann ist doch auch mal Schluss mit der elterlichen Fürsorge.

Alles ruhig in Mexico City?
Wohnen in Mexico. (fotos: koerdt)

Racheakt und Rufmord?

Na ja, jedenfalls konnte Agustin den Brief zielgerecht einordnen: Scheint ein Racheakt zu sein. Typischer Rufmord. Entweder eine geschasste Muchacha oder jemand aus dem Haus.

Da Agustin meinte, es sei eine Frauenschrift, grenzte sich der Personenkreis im Haus sehr stark ein. Dann könnte es nur die Mutter von Flachdachkantatensänger Rodrigo sein. Wenn man daran glaubt, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, könnte das sogar passen. Denn ganz frisch wirken ja beide nicht auf mich.

Die neue Nachbarin ist mittlerweile eingezogen und mir sind noch keine weiteren Details aufgefallen, die darauf hinweisen könnten, dass sie eine Drogenbaronin sein könnte. Das Einzige, was auffällt, ist, dass sie wohl einige unglücklich verlaufene Liftings hinter sich und mindestens sechs Schlösser an ihre Wohnungstür angebracht hat.

Ansonsten ist sie nicht gerade die sympathischste Erscheinung: Während ihrer Wohnungsrenovierung hatten wir einige eher unerfreuliche Aufeinandertreffen (einmal hatten ihre Elektriker einfach unser Hauptstromkabel abgeknipst, einmal hatte der Installateur einfach die Wasserrohre mit Zeitungen zugestopft, so dass unsere Küche unter Wasser stand). Aber auf die Idee, die Alte könne eine Kartellchefin sein, wäre ich im Leben nicht gekommen.

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Carlos Fuentes ist tot – doch anstatt sich die ganzen Fotoreihen in den Zeitungen anzuschauen, sollte ich endlich einmal seine Bücher lesen.

Carlos Fuentes im Alter von 83 Jahren gestorben

Die sonstige Nachrichtenlage gibt leider auch sonst nicht viel Erfreuliches her:

Wieder mehrere Massaker im Norden, die letzten drei Senatoren des Bundesstaates Tamaulipas werden beschuldigt mit einigen Drogenkartellen gemeinsame Sache gemacht zu haben, zwei hochrangige Militärs sind mit dem gleichen Vorwurf in der letzten Woche festgenommen worden (was hier eine absolute Ausnahme darstellt) und dann ist am Dienstag auch noch Carlos Fuentes im Alter von 83 Jahren gestorben. Seitdem schaue ich mir in den Zeitungen eine Fotostrecke nach der anderen an, im Palacio Bellas Artes wurde der Schriftsteller aufgebahrt und alles, was Rang und Namen hat, war vor Ort.

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Hier im Palacio Bellas Artes im historischen Zentrum wurde am letzten Mittwoch Carlos Fuentes aufgebahrt. Zum Glück war der Sarg -im Gegensatz zur Aufbahrung Pius XII.- geschlossen

Ich jedenfalls muss nun seit Tagen schamvoll gestehen, dass ich (noch) nichts von ihm gelesen habe. Habe mir aber sagen lassen, dass „Aura“ ganz toll sein soll. Vergleiche sind ja immer schwierig, aber ich habe mir Herrn Fuentes als eine Art mexikanischer Günter Grass vorgestellt. Jedenfalls, was seine öffentliche Wirkung betrifft. Ob ich damit richtig liege? Man darf mich korrigieren.

Wenn der Papst kommt und die Drogenkartelle halten Waffenstillstand von drei Tagen ein

Auch sonst ist in letzter Zeit einiges losgewesen: Der Papst war da. Zum Glück nicht in der Stadt, sondern 300 Kilometer weiter im Norden, in Guanajuato und Umgebung.

Mexiko-Stadt läge ihm zu hoch. Und dann noch die Befürchtung, er könne die Luft nicht vertragen. In diesem Punkt hat er sogar mein Verständnis, das sich ansonsten ziemlich in Grenzen hält.

Passend zum Papstbesuch habe ich eine Biographie Pius XII. (John Cornwell: Pius XII. – Der Papst, der geschwiegen hat, Verlag C.H. Beck, München 1999) gelesen. Falls jemand noch ein paar Gründe braucht, um aus der katholischen Kirche auszutreten, in diesem Buch wird er fündig.

Meine Lieblingsstelle ist übrigens die, wie geschildert wird, dass sich der windige Leibarzt nach dem Ableben des Papstes einer „neuen“ Methode bei der Einbalsamierung bedienen wollte und deswegen nicht die Organe entfernte. In der sommerlichen Hitze zerplatzten diese dann im Leichenwagen und bei der Aufbahrung im Petersdom verfärbte sich das Gesicht des toten Papstes von grün-gelb zu purpurrot. Zu guter Letzt verfärbte sich die Nase schwarz und fiel vor der Beisetzung ab.

Ach ja, die Drogenkartelle haben während des Papstbesuches ihre Kämpfe eingestellt und damit den Lösungsweg für das hiesige Dilemma aufgezeigt: Der Papst muss einfach den Vatikan nach Mexiko verlegen. Vielleicht würden dann diese Scheinheiligen auch länger als drei Tage das Morden sein lassen.

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Wie unschwer zu erkennen ist, war der Papst in Mexiko. Da wir uns nicht persönlich begegnet sind, muss ein Zeitungsfoto herhalten.

Piraten – Partei ohne Programm

Zwischenzeitlich überkam mich das Gefühl aus dem politischen Alltagsgeschäft Deutschlands raus zu sein. Vor kurzem war ein längerer Artikel über die Piraten in der Tageszeitung „La Jornada“, woraufhin mich mehrere mexikanische Bekannte fragten, was denn diese neue Partei in Deutschland wolle. Ich konnte daraufhin nur mit den Schultern zucken. Soweit ich weiß, hat sie noch nicht einmal ein Programm. Unglaubwürdiges Staunen bei meinen Gegenübern. Eine Partei ohne Programm und dann so erfolgreich, wie geht denn das? Vielleicht ist ja gerade das der Erfolg.

Aber ehrlich gesagt, konnte ich das Phänomen nicht erklären. Dass sie wohl ein Phänomen sein muss, sehe ich an den Wahlergebnissen zur NRW-Wahl. Selbst im Hochsauerlandkreis konnten die Piraten punkten. Und das will schon was heißen.

Präsidentschaftswahlkampf in Mexiko

Der hiesige Präsidentenwahlkampf hat auch begonnen. Doch mehr als ein tägliches Foto der Präsidentschaftskandidaten bei irgendwelchen Veranstaltungen in irgendwelchen Bundesstaaten in den Zeitungen ist mir noch nicht aufgefallen. Vielleicht ist es doch wie bei den Piraten, dass keiner der drei ernstzunehmenden Kandidaten ein Programm hat.

Es gibt auch noch einen vierten Kandidaten, Gabriel Quadri de la Torre von der „Partido Nueva Alianza“, die sich von der „Partido Revolucionario Institucional/ PRI“ („Institutionelle Partei der Revolution“) und der „Partido Verde“ („Grüne Partei“) abgespaltet hat. In Deutschland würde man seine Positionen wohl „grün“ nennen (Umweltschutz, Eintreten für die Homo-Ehe etc.). Aber da die Grünen hier u.a. für die Todesstrafe plädieren, hinkt jeder Vergleich zwischen den Grünen hier und in Deutschland.

Wie dem auch sei: Quadri erscheint eigentlich als Alternative, aber bei einer Wahlveranstaltung in der letzten Woche von Studierenden Hitlerismus (was soll das sein?) vorgeworfen. Habe ich nicht verstanden, vielleicht tritt er auch für Fleischverzicht ein und Hitler war ja Vegetarier.

Eindeutiger ist da wohl die bewegte Vergangenheit des PRI-Kandidaten Enrique Peña Nieto: Jedenfalls liegt zur Zeit in jeder Buchhandlung das Buch „Las mujeres de Peña Nieto“ („Die Frauen des Peña Nieto“ ) aus (aktuell ist er mit einer Schauspielerin verheiratet).

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Momentan kann man sich mit Büchern über die Präsidentsschaftskandidaten eindecken. Wobei die Bücher über den PRI-Kandidaten Enrique Pena Nieto wohl die meiste Unterhaltung bieten – – schließlich lauten die Titel u.a. „Die Frauen des Pena Nieto“ oder „Seine dunklen Seiten“.

Von „Merkel und ihren Männern“ habe ich zum Glück bislang nichts gehört. Aber wer weiß, welche Überraschungen uns noch vor der nächsten Bundestagswahl erwarten.

Nur eins ist wohl gewiss: Röttgen wird wohl nichts mehr. Aber vielleicht überrascht er uns bald mit einem Buch: „Der Röttgen-Ratgeber- Wie zerstöre ich meine Karriere innerhalb einer Woche?“.

Ich hoffe, euch allen geht es gut!

Muchos saludos,
Marion

‚Te gusta México?‘ Eine schwierige Frage: Gefällt mir dieses Land? Marion bei den Mexis, Teil 21

Dieser Artikel ist der 21. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute denkt unser Autorin darüber nach, ob ihr das Leben in Mexiko gefällt – und kommt dabei zu ganz widersprüchlichen Ergebnissen. Viel Spaß beim Lesen.

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DVD-Abteilung in einer christlichen Buchhandlung im Stadtteil
Coyoacán. Nach welchem System die Filme geordnet sind, ist nicht ganz
deutlich. Wenn Jesus Österreicher gewesen wäre, hätte das die Reihe
„Berühmte Österreicher“ gewesen sein können (fotos: koerdt)

Hola a todos!

„Gefällt Ihnen Mexiko?“ Ich weiß nicht, wie oft mir diese Frage in den letzten zwei Jahren gestellt worden ist. Gefühlt jeden Tag. Erst wieder vor zwei Tagen in einem Büroartikelgeschäft, als zu Hause mal wieder das Internet nicht ging und ich an den dortigen Terminals nach meinen Mails schauen wollte. Der Mann am Rechner neben mir wusste nicht, wie er eine bestimmte Einstellung in Word machen sollte und fragte mich. Kaum hatte ich ihm die Tastenkombination gezeigt, kam die Frage: „Te gusta México?“ Und dieses Mal war ich kurz davor mit der mir selbst zurechtgelegten Wahrheit rauszurücken:

Kollegin überfallen und ausgeraubt

Letzte Woche ist meine ehemalige mexikanische Kollegin aus der Schulbibliothek morgens auf dem Weg zur Arbeit überfallen worden. Sie hat sich ein Taxi heran gewunken. Kurz danach, als der Wagen an einer Ampel hielt, sprangen zwei Typen in den Wagen und keilten sie auf dem Rücksitz ein. Sie solle einfach die Augen zumachen und der Taxifahrer solle ihren Anweisungen folgen. Was dieser klugerweise auch tat, denn einer der Typen fuchelte mit einer Waffe herum. Dann musste sie, eine 24jährige Germanistikstudentin, ihr Konto leerräumen und ihnen ihr Handy überlassen. Nach einer halben Stunde war der Horror vorbei. Dass sie Todesangst hatte, ist mehr als verständlich, wenn ich hier in den Zeitungen fast jeden Tag lese, wie wenig ein Menschenleben wert sein kann.

Es geht nur ums Geld

Und wenn mir mein etwas dunkelhäutiger Bekannter Fernando erzählt, wie er aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert wird. Und er mir sagt, die Mexikaner kennen keine Solidarität. Für die meisten hier sei der einzige Wert Geld. Das würde auch erklären, warum eine 24jährige Studentin überfallen wird. Es ist einfach egal, wie viel zu holen ist. Hauptsache es wird geholt.

Die Polizei als Freund und Helfer – ein Witz

Ich fragte Fernando, ob das ein Armutsproblem sei. Er verneinte. Auch die Reichen würden raffen und rauben. Besonders die Politiker. Ob ich denn hier der Polizei vertrauen würde. Ich lächelte und schüttelte den Kopf. In Deutschland gebe es den Spruch „Die Polizei “ dein Freund und Helfer“, da musste Fernando lachen.

In neun Monaten 75 ermordete Journalisten

Fernando arbeitet mittlerweile als Spanischlehrer an der Uni. Zuvor war auch für kurze Zeit Zeitungsredakteur. Warum er denn aufgehört hätte? Er hätte auf Honorarbasis gearbeitet und sein Chef hat häufig seine Artikel nicht drucken wollen. Aus Angst, die Werbekunden würden sich beschweren. Nur die Werbekunden? Fernando zuckt die Schultern. Hier gebe es eine Zensur, die eben nicht nur den Werbekunden dient. Heute steht in „La Jornada“, dass zwischen September 2010 und Juni 2011 (also in neun Monaten) 75 Journalisten in Mexiko umgebracht worden sind. Fernando hat einen Sohn. Da ist es nur allzu verständlich, warum er sich eine andere Tätigkeit gesucht hat.

„Te gusta México?“ Nein, in solchen Fällen nicht.

„Te gusta México?“ Wenn die Menschen in Mexiko-Stadt dem Verkehrsirrsinn tagtäglich standhalten, wie gelassen sie auf chaotische Situationen reagieren und erst recht, wenn sie feiern. Dann mag ich Mexiko. Ich mag die phantastischen Landschaften, die kargen Plateaus, die beeindruckenden Vulkane. Und ich mich immer wieder frage, wie viel Mexiko kenne ich überhaupt und was verstehe ich überhaupt von dem, was ich sehe und erlebe. Dann mag ich Mexiko.

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Ein Land auf dem Eco-Tripp: Mit dem Fahrrad unterwegs

Und ich mag eben auch die Absurditäten, wenn versucht wird, Ideen zu kopieren. Seit geraumer Zeit ist ein Schlagwort ganz groß in Mode gekommen: Alles wird nun zu „Eco“ erklärt. So heißen die Leihfahrräder in den etwas besser gestellten Stadtteilen wie zum Beispiel La Condesa „Eco-Bici“ (Bici für Bicicleta, spanisch für Fahrrad). In dem Zusammenhang ergibt das ja noch einen Sinn. Auch wenn das Radfahren hier weniger unter ökologischen Gesichtspinkten betrachtet wird. Denn beim hiesigen Autoverkehr ist es beim Verlassen der ausgewiesenen Radrouten lebensgefährlich. So zeigt sich der hippe Condesa-Bewohner nun gerne mit Rad, um in sein Szene-Café zu gelangen.
Auch dass sich ein paar Nationalparks nun Öko-Parks nennen, erschließt sich mir noch. Aber warum nun in meinem Stadtteil Polanco das Parken zum Eco-Parq erklärt wird, erscheint mir doch der Gipfel der Absurdität.

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Ratlose Menschen vorm Parkautomaten. Zum Glück gibt es aber überall Rat.

Parkraumkonzepte: Ökoparken

Letzten Freitag wurden vor unserem Haus während einer Nacht-und Nebelaktion auf der Straße Parkflächen ausgewiesen und Parkautomaten aufgestellt. Ich erinnerte mich an Bilder von Lía Limón, wie sie bei der Einweihung dieser Parkautomaten etwas weiter südlich in unserem Viertel ihre gebleachten Zähne in Kameras lächelte.

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Das Ganze heißt jetzt Ökoparken und ist nichts anderes als zu bezahlender Parkraum. Dann flog ein Infozettel ins Haus, aus dem hervorging, dass Polanco bald nicht mehr automatenfrei sein wird. Aber nicht, wohin die Einnahmen überhaupt fließen sollen.

Und nunmehr ist Paco, Parkeinweiser vorm Haus und unser informeller Hausmeister, nicht bester Laune. Schließlich machte bislang ein Großteil seines Einkommens aus, dass er sich hier als Parkwächter generierte und die Leute ihm dafür ein paar Pesos in die Hand drückten. Wenn sie nun aber nur noch drei Stunden in der Straße parken dürfen und auch noch dafür zahlen müssen, wird wohl nicht mehr viel für Paco dabei abfallen. Vielleicht wird er bei den anderen Parkwächtern anheuern müssen, die nun ausstaffiert mit Leuchtweste, auf der dick ein P-Emblem gedruckt ist, durch das Viertel ziehen.

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Die Info-Box um Park um die Ecke. Der Andrang hält sich aber in Grenzen.

Im kleinen Park an der Straßenecke gibt es nun eine Eco-Parc-Info-Box. Und Information scheint wohl dringend erforderlich: Mehrere Tasten wollen gedrückt sein, bevor einem das ersehnte Ticket entgegen fliegt. Das Bild dieser Tage: Ratlose Menschen vor Automaten. Als ich heute einkaufen ging, kam mir eine Heerschar junger Leute entgegen, die alle ein P-Winkelement in den Händen hielt. Ich dachte allen Ernstes zuerst, dass seien Studenten, die gegen diesen Irrsinn protestieren. Doch dann sah ich, dass es eine weitere bezahlte Info-Kampagne war. Ich sollte mal meine Wahrnehmungen überdenken: Nicht alles, was knapp über 20 ist und mit einem Pappschild in einer Menschenmenge durch die Straße marschiert, ist zwingend ein demonstrierender Student.

Geschönte Frauen im Wahlkampf

Nun bin ich gespannt, was als Nächstes zu Öko erklärt wird. Ich glaube die Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkt hat da noch Nachholbedarf. Vielleicht ein weiterer Einsatz für Lía Limón. Mir konnte ja niemand von meinen mexikanischen Bekannten erklären, was diese Frau will, welche Funktion sie hat und woher sie überhaupt kommt.

Im Gegensatz zu Josefina Vázquez Mota. Von der hingen zum Glück bislang noch keine Plakate in meinem Viertel. Die Frau hat so viele scheinbar nicht ganz geglückte Schönheitsoperationen hinter sich, so dass ich bislang bei ihrem Anblick auf Zeitungsfotos immer zusammengezuckt bin. Wahrscheinlich der Kitzel, der einen auch beim Horrorfilmgucken erwischen kann. Aber wahrscheinlich ist das nur eine Frage der Zeit, bis die Plakate kommen. Schließlich ist sie Präsidentschaftskandidatin der regierenden, konservativen PAN. Ich bin gespannt, welche Losung sie wohl bei einem Wahlsieg herausgeben wird: Kostenlose Schönheitsoperationen für alle?

Papst im Anmarsch

Zur Abwahl steht leider nicht ein Mann, der in ein paar Tagen das Land besuchen wird. Und der mittlerweile die Berichterstattung beherrscht und die gesamte Stadt in Aufruhr versetzt: Der Papst kommt und die Mexis (zum Glück nicht alle) sind total aus dem Häuschen. Ob Benedikt XVI. es schaffen wird, die Popularität seines Vorgängers abzulösen bleibt abzuwarten. Noch bekommt fast ausschließlich Johannes Paul II.-Devotionalien. Aber vielleicht ist es auch geschickt, erst einmal zu versuchen den alten Schrott wegzubekommen. Wie es wird, davon dann vielleicht demnächst mehr. Momentan steht mir der Sinn eher danach, die Stadt zu verlassen.

Hoffe, euch allen geht es gut!
Muchos saludos,
Marion

„Quién es Wulff?“ und wo die Köpfe wirklich rollen: die Präsidentenwahlen in Mexico. Marion bei den Mexis, Teil 20.

Dieser Artikel ist der 20. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute erfahren wir unter anderem, wie fünf abgeschlagene Köpfe über eine Tanzfläche in Michaocán rollen. Trotzdem viel Spaß beim Lesen.

Mir hat sich nicht erschlossen, warum sich die grûne Partei in Mexiko fûr die Todesstrafe einsetzt. Jedenfalls wollen sie diese "anbieten". (fotos: koerdt)
Mir hat sich nicht erschlossen, warum sich die grûne Partei in Mexiko fûr die Todesstrafe einsetzt. Jedenfalls wollen sie diese „anbieten“. (fotos: koerdt)

Hola a todos!

Wegen „der Entdeckung korrupter Praktiken“ sei er zurückgetreten, so die mexikanische Tageszeitung „La Jornada“ am letzten Wochenende.

„Quién es Wulff?“ („Wer ist Wulff?“)
Immerhin hat er es auf die dritte Seite der internationalen Meldungen geschafft (nach Syrien und den USA) und hier hat sich wohl auch mancher verwundert die Augen gerieben: „Quién es Wulff?“ („Wer ist Wulff?“)

„Mörkel“ – la presidente
Schließlich wird vom mexikanischen Großteil angenommen, dass die „Mörkel“ „la presidente“ sei und somit bekam mancher Mexikaner nun eine Lektion ins politische System der Bundesrepublik Deutschland. Und es mangelt auch nicht an freundlicher Häme: Ja, auch die Politiker in Deutschland sind korrupt, nicht nur unsere.

Wenn einer nicht korrupt ist, ist er kein Politiker
Aber vielleicht mit einem feinen Unterschied: Wulff ist wohl eher von spießigen Kleinbürger-Wünschen angetrieben worden, in Mexiko geht es dann doch gleich immer um andere Dimensionen. Wie sagte mir ein Bekannter in der letzten Woche? Wenn einer nicht korrupt ist, ist er kein Politiker oder er wird von den anderen als beschränkt wahrgenommen.

Die Präsidentenwahlen stehen im Sommer an
Dieses Jahr wird es spannend in Mexiko: Die Präsidentenwahlen stehen im Sommer an. Und es ist bislang noch kein Präsident wegen Korruptionsvorwürfe zurückgetreten. So wird es wohl auch der stocksteife, konservative Felipe Calderón schaffen seine sechsjährige Amtszeit bis Juni ohne Straucheln über die Ziellinie zu bringen.

Calderóns Kampf gegen den Drogenterrorismus
Wie seine Bilanz aussehen wird, kann man vielleicht bereits jetzt schon an bestimmten Zahlen ablesen. Jeder Präsident gibt zu Beginn seiner Amtszeit eine Losung aus, die dann ohne Wenn und Aber verfolgt wird. Calderón hat sich dem Kampf gegen den Drogenterrorismus verschrieben. Somit wurde besonders im Norden des Landes Militär zur Bekämpfung eingesetzt. Dabei wurde aber auch einmal ausgeblendet, dass das mexikanische Militär gar nicht im Inlandseinsatz sein darf.

50 000 Toten in den letzten sechs Jahren
Zahlreiche Polizisten haben ihr Leben gelassen oder die Seiten gewechselt, die Kartelle sind nach wie vor stark, die Waffen schaffen immer wieder ihren Weg über die Grenze im Norden des Landes. Man spricht von 50 000 Toten in den letzten sechs Jahren, deren Tod im Zusammenhang mit Narco stand. Wie viele es wirklich sind, wird wohl nie herausgefunden werden. Täglich werden neue Leichen entdeckt.

Damit hier kein Missverständnis entsteht: Das Drogenproblem gab es auch schon vor Calderón. Doch die Situation hat sich in den letzten Jahren zugespitzt.

Auch Calderón soll seinen Lieblings-Capo haben. Ausgerechnet seit 2006 taucht ein Kartell verstärkt auf der nationalen Bühne auf: La Familia aus dem Bundesstaat Michaocán, Calderóns Heimat. Ein Schelm, der dabei Böses denkt. Mittlerweile soll das Kartell La Familia, das sich wohl vom berüchtigten Golf-Kartell abgespalten haben soll, bis zu 4000 Mitgliedern haben und in allen 113 Gemeinden des Bundesstaates präsent sein.

Eine x-beliebige Zufahrt an einem x-beliebigen Tag an der Reforma. Sicher ist: Allein ist man nie.
Eine x-beliebige Zufahrt an einem x-beliebigen Tag an der Reforma. Sicher ist: Allein ist man nie.

In Michaocán rollten fünf abgeschlagene Köpfe über die Tanzfläche
Die Bezahlung der „Angestellten“ soll für mexikanische Verhältnisse mehr als sehr gut sein: Zwischen 1500 und 2000 US-Dollar soll es monatlich geben. Mit quasi-religiösen Botschaften geht La Familia an die Öffentlichkeit, um –wie sie in einer Zeitungsanzeige selbst klargemacht haben- „die Ordnung wiederherzustellen“. Und das kann auch mal wie in einer Kleinstadt in Michaocán aussehen: Dort rollten fünf abgeschlagene Köpfe über die Tanzfläche.

In zahlreichen Schulen fehlt es an jeder Grundausstattung
Manchmal überkommt einen dabei das Gefühl, dass die gesamte Politik derartig auf diese Terrorbekämpfung ausgerichtet ist, so dass andere Bereiche völlig ausgeblendet worden ist. In zahlreichen Schulen fehlt es an jeder Grundausstattung – und damit sind nicht Computer, sondern zum Beispiel Stühle gemeint. Mal sehen, ob der nächste Präsident mal wieder ein Herz für Bildung hat. Oder in welchem Bundesstaat das nächste Kartell erstarkt.

Vermutung der Wahlfälschung
Der Auftakt für Wahlveranstaltungen jeglicher Art ist bereits getan. Im vergangenen November gab es eine kleine Überraschung, als nicht der regierende Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Marcelo Ebrard, für die linksliberale PRD (Partei der Demokratischen Revolution) seinen Hut in den Ring warf, sondern der bereits vor sechs Jahren gescheiterte Präsidentschaftskandidat Andrés Manuel López Obrador. Der hatte die letzte Wahl dermaßen knapp verloren (mit einer Differenz von 0,58% der abgegebenen Stimmen), so dass die Vermutung der Wahlfälschung vielen Mexikanern sehr schnell kam.

Politischer Fehler: zentrale Verkehrsader der Stadt verstopft
López Obrador sah sich als moralischen Sieger und genoss mit seinen anfänglichen Protesten auf dem zentralen Platz Zócalo auch die Sympathien der Bevölkerung. Die verspielte er allerdings, als er dann knappe eineinhalb Monate den Prachtboulevard Reforma besetzte und damit eine zentrale Verkehrsader der Stadt verstopfte.

Illustre Persönlichkeiten: Lía Limón
Aber auch auf lokaler Ebene gibt es illustre Persönlichkeiten: So hingen in den letzten Wochen in meinem Viertel Polanco überall Plakate von Lía Limón. Ihr Name weckte bei mir die Assoziation, sie könne eine Freundin von Emily Erdbeer sein (die hier Rosita Fresita, also Röschen Erdbeerchen, heißt) sein. Aber sie ist wohl Stadtabgeordnete von Polanco.

Mexikanische Koch-Mehrin: dieses gebleachte Lächeln kam mir in den letzten Wochen an jeder Straßenseite entgegen. Grusel...
Mexikanische Koch-Mehrin: dieses gebleachte Lächeln kam mir in den letzten Wochen an jeder Straßenseite entgegen. Grusel…

Inhaltsleere „100% a tu lado“, also 100% an deiner Seite
Weder auf den Plakaten noch auf ihrer Internetseite konnte ich herausfinden, in welcher Partei sie ist, geschweige für welche Positionen sie steht. Sie stehe „100% a tu lado“, also „100% an deiner Seite“ das war die einzige Aussage auf dem Plakat und das klingt schon fast mehr wie eine Drohung. Dafür gibt es auf ihrer Seite schöne Bilderreihen, auf denen sie mich manchmal an Super-Nanny Katharina Saalfrank erinnert. Dabei bewundert sie unter anderem die neu aufgestellten Parkautomaten im Viertel, die bei den hiesigen Anwohnern einen regelrechten Aufstand ausgelöst haben. Ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass Frau Saalfrank nach der Absetzung ihrer Sendung in die mexikanische Lokalpolitik eingestiegen ist.

Warten auf die Sündenbockverbrennung
Und während in der letzten Woche im Rheinland mit dem Nubbel sämtliche Sünden der Karnevalszeit in Rauch aufgegangen sind (ich habe gehört, mittlerweile soll dieser Brauch auch im Sauerland angekommen sein), müssen die Mexikaner noch ein paar Wochen mit ihrer Sündenbockverbrennung warten.

„Judasverbrennung“ im Stadtteil Tepito
Zu Ostern gibt es eine „Judasverbrennung“ im Stadtteil Tepito. Da werden aus Pappmaschee und Zuckerrohrstangen gebastelte Figuren nach einer Prozession an einer Laterne aufgehängt und für ihre Untaten zum Tode durch Feuer verurteilt. Auffällig häufig tragen diese Figuren Politikergesichter und diese Verbrennungen erfreuen sich einer unglaublichen Beliebtheit bei der Bevölkerung. Ob ein diesjähriger Nubbel auch das Wullfsche Konterfeit trug, ist nicht zu mir durchgedrungen.

Hoffe, euch allen geht es gut!

Muchos saludos,
Marion

Internationale Buchmesse Guadalajara: Deutschland ist zu Gast. Marion ist bei den Mexis, Teil 19.

Ganz Deutschland ist ein verschneiter Märchenwald. Jedenfalls präsentiert sich so der deutsche Pavillon auf der Buchmesse. Seltsamerweise wurde dort auch die Klimaanlage etwas weiter runter gedreht. Wahrscheinlich denkt der Mexikaner, dass es der Deutsche lieber etwas kühl mag.
Ganz Deutschland ist ein verschneiter Märchenwald. Jedenfalls präsentiert sich so der deutsche Pavillon auf der Buchmesse. Seltsamerweise wurde dort auch die Klimaanlage etwas weiter runter gedreht. Wahrscheinlich denkt der Mexikaner, dass es der Deutsche lieber etwas kühl mag. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der 19. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute erfahren wir etwas über die Buchmesse in Guadalajara, Herta Müller und Vargas Llosa, sowie die notorischen Morde in der Mitte der mexikanischen Gesellschaft. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Ganz Mexiko sinniert dieser Tage über den Geist „Alemanias“ (da wird aus „corazon“ auch schon einmal ein „Hertz“ und Peter Handke und Thomas Bernhard werden auch einmal ganz schnell eingebürgert) – ganz Mexiko? Wohl nicht ganz, obwohl die hiesigen Feuilletonisten uns das weismachen wollen.

Zum 25. Mal findet in diesen Tagen in Guadalajara die internationale Buchmesse statt und Gastland ist dieses Jahr die Bundesrepublik Deutschland. Deswegen findet man in den Zeitungen immer mal wieder Essays über dieses Land in Europa, das die meisten hier mit Volkswagen in Verbindung bringen. Oder überhaupt mit wirtschaftlicher Stärke. Das ist eben auch das Land der Dichter und Denker ist, ist hier zwar nicht gänzlich unbekannt, geht aber wohl im alltäglichen Überlebenskampf der meisten Mexikaner unter.

Morde in der Nähe der Messe
Diesen alltäglichen Überlebenskampf haben am letzten Donnerstag 26 junge Männer nicht überstanden. Sie wurden in drei Lieferwagen auf einer Schnellstraße gefunden – 600 Meter von der Expo Guadajalara entfernt. Genau dort, wo die Buchmesse stattfindet. Bekannt haben sich zu der Tat die Zetas, einer der vorherrschenden Narcotrafico-Gruppe Mexikos. Ob es einen Zusammenhang zwischen der Veranstaltung und der Tat gibt? Noch wird mit den Schultern gezuckt.

Jedenfalls hat Guadajalara es damit geschafft landesweit ins Zentrum des Interesses zu rücken. Die örtlichen Feuilletonisten fragen auch schon bang: sind wir nach Ciudad de Juarez, Veracruz und Acapulco die nächsten?

Die Messe mit berühmten Namen
Aber erst einmal wird das Buch hochgelobt und mit ihm seine Autoren. Und hier vor Ort sind auch Namen, die sich sehen lassen können.

Lektion in Körpersprache, Teil 1: Sehen so Menschen aus, die sich etwas zu sagen haben? - Die beiden Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa und Herta Müller auf dem Podium. (fotos: koerdt)
Lektion in Körpersprache, Teil 1: Sehen so Menschen aus, die sich etwas zu sagen haben? - Die beiden Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa und Herta Müller auf dem Podium. (fotos: koerdt)

Der vorläufige Höhepunkt sollte am Sonntag ein Gespräch zwischen den beiden Nobelpreisträgern Herta Müller (Deutschland) und Mario Vargas Llosa (Peru) sein. Warum auch Moderator Juan Cruz mit auf dem Podium saß, bleibt schleierhaft. Denn das Publikum erlebte ein völlig moderationsfreies Gespräch, in dem die beiden Gesprächspartner sich eigentlich nichts zu sagen hatten.

Diese Moderationsfreiheit wurde auch durch die Aussage Herta Müllers unterstützt: „Ich mache lange Antworten, um mich zu schützen.“ Eben um sich vor den teils sinnlosen Fragen zu schützen. Was ihr auch in weiten Strecken gelang. Sie konnte so ausführen, dass Lesen die Beschäftigung war, die ihr in ihrem Leben in der Diktatur in Rumänien Halt gab. Dass das Lesen für sie existentiell sei.

Vargas Llosa hingegen sah im Akt des Lesens etwas, das stimuliert, erfreut und Vergnügen verbreitet.

Auch das Schreiben wird bei Herta Müller etwas Existentielles. Vor dem Hintergrund in einem totalitären Systems zu leben, hat sie sich oft gefragt, ob sie dazu legitimiert sei, zu lesen und zu schreiben, wenn um sie herum die Menschen bedroht und vernichtet werden. Hätte sie nicht lieber ihre Kraft darauf verwenden müssen, Widerstand zu leisten. Fragen, die offenbar die Autorin auch 22 Jahre nach dem Ende der CeauÈ™escu –Diktatur bewegen und nicht loslassen.

Auch hier betrachtet Vargas Llosa die Bedeutung des Schreibens vom anderen Ende des Standpunktes: Schreiben soll das Leben zum Besseren verändern. Schreiben sei keine luxuriöse Aktivität. Es helfe zu verstehen, was z.B. Ungerechtigkeit sei.

Müller und Llosa: zwei Menschen – kein Dialog
Als Zuschauer beschlich einen so langsam das Gefühl, dass dort zwei Menschen sitzen, die nicht in einen Dialog treten können, da ihr Blick auf die Welt nicht aufeinander gerichtet ist. Da das Gespräch thematisch nicht gelenkt wurde, kam es auch immer wieder in keinem Zusammenhang stehenden Gedankensprüngen: Herta Müller sprach von der Funktion der Erinnerung und verwies auf die Autoren Celan und Semprún, Vargas Llosa sprach in seinem darauffolgenden Beitrag vom Rassismus und Vorurteilen in Lateinamerika, woraufhin Herta Müller das Stichwort Rassismus auffing und von der nationalsozialistischen Untergrundszene in Deutschland berichtete. Über Ostdeutschland kam sie dann auf das Thema Emigration.

Nichtiges
Ab diesem Punkt hätte es wieder interessant werden können. Besonders wenn man in einem Land wie Mexiko ist. Doch hier versagte der Moderator völlig und fragte, was der im Juni verstorbene Autor Jorge Semprún den beiden Nobelpreisträgern bedeutet. Jedenfalls hier fanden sie sich wieder: beide schätzen den verstorbenen Spanier sehr.

Sieht so moderne Künstlerhaltung aus? - Der Spoken Word-Performer Bas Böttcher in seiner Textbox. Der Tokio Hotel-Fanclub aus Jalisco war jedenfalls total begeistert.
Sieht so moderne Künstlerhaltung aus? - Der Spoken Word-Performer Bas Böttcher in seiner Textbox. Der Tokio Hotel-Fanclub aus Jalisco war jedenfalls total begeistert.

Mexikanischer wurde dann wenigstens die Folgeveranstaltung. Da trat nämlich Marcelo Ebrard, Regierungschef des Bundesdistrikts Mexiko-Stadt, auf, der in der letzten Woche mit seiner Präsidentschaftskandidatur gescheitert ist. Ein Lehrstück der Rhetorik im Caudillo-Stil – warum der Saal tobte und applaudierte, erschloss sich dem ausländischen Beobachter nicht ganz. Schließlich sind die letzten Schlagzeilen, die im Kopf hängengeblieben sind folgende:

Ausbau der Stadtautobahn durch eine zweite Etage (was zur Folge hat, dass morgens der Berufsverkehr nun regelmäßig zusammenbricht und nicht nur das: vor einigen Wochen brach auch ein Teilstück des Brückenaufsatzes ab und knallte auf die untere Fahrbahn/ zum Glück geschah dies nachts um 4 Uhr, so dass es keine Personenschäden gab) und seine Hochzeit mit der ehemaligen Botschafterin Honduras in Mexiko (bei der man sich vor allen Dingen zwei Fragen stellt: wie wird man mit 31 Jahren Botschafterin eines Landes und warum lässt man sich eine so grotesk große Oberweite basteln, die in keiner Relation zum Rest des Körpers steht?).

Mexiko hat viele Probleme
Man erschrak kurz, denn Ebrard sprach eine Wahrheit aus (was dem Mexikaner allgemeinhin ja nicht so oft passiert): Mexiko hat viele Probleme. Um dann „ach nee“ zu denken. Ja, und nun? Ebrard wusste die Wunderformel: wir brauchen mehr Erziehung und Bildung. Danke und tschüss.

Auch in Mexiko: Bildung schlecht
Woher dieses „mehr“ kommen soll, ließ er offen. Vor zwei Wochen wurde eine Studie veröffentlicht, wonach die Mathematikkenntnisse der mexikanischen Schüler weltweit zu den schlechtesten gehören. Auch andere Dinge lassen einen staunen: so müssen Grundschüler die Namen der wichtigsten Knochen auswendig lernen, kennen aber nicht die Himmelsrichtungen. So steht es schon seit ewigen Zeiten in den Lehrplänen. Etwas, das ich zunächst nicht glauben konnte, was ich aber selbst erfahren habe, als ich in dem Deutschkurs, den ich gab, so schöne Fragen wie „Wo liegt Mexiko-Stadt in Mexiko? Im Norden oder Süden?“ stellte und mich 20 erwachsene Augen staunend anblickten.

Bücher? Quién sabe?
Was aber auch einen staunen ließ: was hat dieser Auftritt eigentlich mit Büchern zu tun? Solange ich auch darüber nachdachte, ich fand keine Antwort. Vielleicht, weil gesagt wird, dass 60 bis 70% der publizierten Bücher in Mexiko ausschließlich Unterrichtsbücher seien. Quién sabe?

Wie dem auch sei, ich wünsche euch allen immer wieder gute Lektüren und natürlich auch, dass es euch allen gut geht!

Hasta luego,
Marion

Berichte aus einem mörderischen Tollhaus. Marion bei den Mexis, Teil 18.

Dieser Artikel ist der 18. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute lesen wir kleine und lapidare Geschichten vom Leben und Sterben. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

„Ja, und dann bin ich ihr hinten reingefahren.“ Mit diesem lapidaren Satz beendete Agustin in der vergangenen Woche das Gespräch über sein letztes Treffen mit seiner Ehefrau.

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Das ist Chacoron, der beste tierische Freund von Agustin. Mit ihm teilt er sich den Parkplatz, jedenfalls so lange sein Leben nicht noch eine weitere Wende nimmt. (fotos: koerdt)

Ehestreit: Verfolgungsjagd mit Totalschaden
Dabei hatte ich gedacht, dass sich bei ihm die Wogen geglättet hätten. Denn zwei Wochen zuvor erzählte er, er hätte eine Frau kennengelernt und mit ihr die ganze Nacht durchgetanzt. Doch dann wollte sie sich Geld von ihm leihen und er stellte sie auf die Probe: er sei arbeitslos und hätte kein Geld. Daraufhin verlor sie auch jegliches Interesse an ihm. So seien die Frauen hier eben, so Agustin. Dann das Treffen mit seiner noch mit ihm verheirateten Frau in einem Restaurant.

Der Streit eskalierte, sie schlug ihm ins Gesicht und lief zum Auto. Er hinterher. Dann gab es eine Verfolgungsjagd quer durch den Stadtteil Nezahualcóyotl und schließlich fuhr er ihr hinten in den Wagen. Auf die Rückfrage, wie schnell er denn gewesen sei, antwortete er: so ca. 80 km/h. Dass das hätte auch tödlich enden können, hätte er in Kauf genommen. So hatten beide mehr als Glück: so blieben nur Nackenschmerzen und zwei völlig verschrottete Autos zurück. Bei ihm sei eben eine Sicherung durchgebrannt, stellte er dazu fest.

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Dieser grüne Hügel ist die volumenmäßig größte Pyramide der Welt. Sie war aber auch schon so überwuchert, als die Spanier nach Cholula kamen. Das hielt sie aber nicht davon ab, eins der schlimmsten Massaker der Conquista unter den Einheimischen anzurichten und auch noch eine Kirche auf die Pyramide zu bauen.

Vermisst: Hintergründe, die zu einer schrecklichen Tat geführt haben
Der Eindruck, dass hier den Leuten öfter einmal die Sicherung durchbrennt, hat sich bei mir im letzten Monat immer mehr verfestigt. Die Nachrichtenlage gab einiges dazu her: da wurde vor einem Monat in Monterrey (ca. 900 Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt) ein Casino angezündet. Bei dem Brand starben 52 Menschen (überwiegend ältere Frauen, die gerne ihre Nachmittage bei einem Zockerspielchen verbracht haben). Darüber wurde ja auch in Deutschland berichtet. Was ich jedoch vermisst habe, waren die Hintergründe, die zu dieser schrecklichen Tat geführt haben: es ist mal wieder die widerliche Verfilzung von Politik und Drogenmafia.

Das Kasino wurde im September 2007 eröffnet – ohne staatliche Konzession. Die Betreiber des Kasinos waren die Cousins des damals amtierenden Bürgermeisters. Der jetzige Bürgermeister behauptet nun, dass am 4. Mai dieses Jahres dieses Kasino noch einmal Thema im Stadtrat war. Passiert ist aber seitdem nichts. Dabei hat dieser Bürgermeister selbst seit seinem Amtsantritt neun Kasinos in der Stadt eröffnet – alle operieren illegal.

Kasinos sind für die Geldwäsche in Drogengeschäften bekannt. Anschläge auf Kasinos gab es immer wieder in den letzten Jahren. Monterrey gilt als das „Las Vegas Mexikos“, da es dort mehr als 50 Glückspielorte gibt. Die meisten ohne staatliche Genehmigung. Oder die Geschäftsführer zahlen dem Bundesstaat Geld für eine Erlaubnis und die lassen sie dann in Ruhe.

Nun überlegen deutsche Unternehmen aus der Gegend abzuziehen. Vor eineinhalb Wochen sprach ich mit einer Frau aus Deutschland, die mit ihrem mexikanischen Mann fast fünf Jahre in Monterrey gelebt hat. Vor einem Jahr seien sie nach Mexiko-Stadt umgezogen. Ich bemerkte, dass sie dann ja wohl noch vor der Verschärfung der Konflikte dort weggekommen seien. Dies verneinte sie: durch die ständigen Schießereien in der Stadt sei sie so gestresst gewesen, dass sie eine Gesichtslähmung bekommen hätte, die erst jetzt nach einem Jahr wieder langsam zurückgegangen sei.

Mord an Journalistinnen: Motivsuche
Am 2. September titelten hier die Zeitungen, dass zwei Journalistinnen in Mexiko-Stadt ermordet worden seien. So wurden gefesselt und erschossen in dem Stadtteil Iztapalapa gefunden. Was verwundert, ist, dass die ein People-Magazin herausgab und die andere frei für diese Zeitschrift über Lifestyle-Themen schrieb. Es war niemanden bekannt, ob sie nicht auch über Narcotrafico recherchierten. Das war jedenfalls die erste Vermutung.

Doch bereits am nächsten Tag wurde klar, dass das Motiv überhaupt nichts mit ihrer journalistischen Tätigkeit zu tun hatte: die freie Autorin war Mitinhaberin einer Geldwechselstelle am Flughafen und war in den Tagen zuvor dort ausgestiegen und hatte sich auszahlen lassen. Das hieß, dass jemand wusste, dass sie nun über einen höheren Geldbetrag verfügte und das war dann wohl auch ihr Todesurteil. Leider stand die Herausgeberin mit ihr nach einer Redaktionskonferenz auf der Straße, als sie entführt werden sollte.

Gefahrenpunkt Geldwechselstellen
Es kommt auch immer wieder zu Überfallen, nachdem gerade gelandete Touristen mal eben an diesen Wechselstellen im Flughafenbereich ein paar Pesos erhalten wollen. Vor einiger Zeit wurde einem Franzosen direkt –nachdem er Geld getauscht und das Flughafengelände verlassen hatte- in den Kopf geschossen. Sollte besser in jedem Mexiko-Reiseführer stehen: besser nicht machen. Man weiß nie, wer einen beobachtet und wer welche Information weitergibt.

Drogenmafia: Kopf abgeschnitten und an den Füßen aufgeknüpft
Bereits vor diesen Vorfällen hatte ich ja das Glück mit meinem Taxifahrer gestritten zu haben, als wir an einer Brücke im Westen der Stadt vorbeigefahren sind, an der diesem Morgen zwei Männer aufgehängt aufgefunden waren. Ihnen war der Kopf abgeschnitten worden und man hatte sie an den Füßen aufgeknüpft. Wie einige Tage später berichtet wurde, hatte man ihnen unterstellt eine Woche vorher einen „Capo“ (Drogenboss) hier in der Stadt bei der Polizei verpfiffen zu haben, der daraufhin verhaftet worden ist.

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Einen so schönen blauen Himmel gibt es fast nie in Mexiko-Stadt. In Cholula schon, weswegen sich auch die gelbe Kirche (es ist nicht mehr die Originalkirche aus dem 16. Jahrhundert) so schön vor dem Himmel abhebt. Wandert man um die Kirche hat man einen phantastischen Blick auf die höchsten Berge Mexikos: Popocatépetl (5.462 Meter), Iztaccíhuatl (5.286 Meter) und auf der anderen Seite La Malinche (4.461 Meter). Nur der Orizaba ist mit rund 5700 Metern höher. Der liegt aber weiter im Osten. Was man so auch nicht sehen kann, aber in vielen Reiseführern: dass der Hügel mit der Kirche fast direkt vor dem Popocatépetl liegt. Sieht zwar phantastisch aus, ist aber nur Photoshop-Phantasie.

Bodyguard dreht im Schulbus durch
Im Westen der Stadt leben ja nicht nur die Profiteure vom Narcotrafico, sondern auch die anderen Reichen dieser Stadt. Deren Kinder haben ein neues Statussymbol: so tauchen 18- oder 19jährige zur Zeit sehr gerne mit einem eigenen Bodyguard in ihren Clubs auf. Einer dieser Bodyguards fühlte sich nun von der Fahrweise eines Schulbusses so gestört, dass er ihn schließlich überholte, ausbremste und neunmal mit einer Pistole auf den Fahrer schoss. Auch hier war Glück im Spiel: der Bus war zum Glück zu diesem Zeitpunkt leer und der Fahrer hat diesen Anschlag auch überlebt.

Schüsse an der Ampel
Vor einer Woche fuhren Christopher und ich von einem Tagesausflug aus Cholula kommend vom Osten in die Stadt. Als wir vor einer Ampel abbremsen mussten, hörten wir Schüsse und ich sah noch im Augenwinkel, wie an der rechten Straßenseite ein Mann mit einem Gewehr mit Doppellauf stand, der sich zu einem anderen Mann, der hinter ihm stand, umdrehte. Ich konnte nicht sehen, ob jemand am Boden lag und überhaupt hatten wir das Gefühl, doch gerne schnell von dieser Stelle wegkommen zu wollen. Ohne zu wissen, was denn nun eigentlich passiert ist.

Ja, manchmal erträgt man eben die Nachrichtenlage nur in homöopathischen Dosen und das Leben im Weglaufen. Das ist natürlich kein Dauerzustand und es werden bestimmt auch wieder andere Meldungen kommen.

Muchos saludos desde México,
Marion

P.S.: Gestern teilte uns Agustin mit, er hätte nun doch wieder eine Nacht mit seiner Ehefrau verbracht. Und nun sei er vollends „confudido“.

Der Anschlag von Monterrey: Mexiko geschockt? Nein! Wegschauen ist die Haltung der meisten Mexikaner.

Mexico City. Was kann ich zu Monterrey sagen? Dass ganz Mexiko geschockt ist, kann ich nicht erkennen, wenn ich durch die Straßen gehe. Ohne zynisch zu sein: dieser Anschlag hat ungeheuer brutale Ausmaße. Aber die Haltung der meisten Mexikaner ist doch eher die des Wegschauens.

Jeder weiß, wenn er ein Lokal eröffnet, dass die „Familien“ nicht lange auf sich warten lassen und dann kommt meist auch noch die örtliche Polizei vorbei, um noch ein bisserl Schutzgeld zu erpressen. Man kann jetzt lange darüber spekulieren, wo die Wurzel des Übels liegt: die schlechte Bezahlung der Polizei, die Korruption innerhalb des Politikbetriebes, die Drogenkonsumenten in der USA, die versorgt werden wollen, die mangelnde Ausbildung, die Werte, die innerhalb der Familien vermittelt werden etc.

Worauf es in all diesen Punkten hinausläuft, ist das Geld. Entweder ist zu wenig da (öffentliche Schulen, öffentlicher Dienst), auf der anderen Seite wollen viele einfach viel Geld (Politiker, Drogenhändler, Auftragsmörder) haben.

Du wirst hier nicht erleben, dass die Menschen hier gegen die Drogenkartelle auf die Straße gehen. Die Haltung ist die des Wegschauens und die Meinung, das sind nur die anderen.

Monterrey gilt hier als „no-go-area“. Eine Bekannte ist vor einem Monat nach Monterrey umgezogen, da ihr mexikanischer Mann dort eine Stelle erhalten hat. Beide haben sich schon vorher einen Verhaltenskatalog zusammen gestellt; sie sagte auch nur, dass sie oft wie möglich nach Mexiko-Stadt kommen werden, denn Lebensqualität sei mittlerweile dort, in Monterrey,  nicht mehr vorhanden.

Update 27. 08.2011:

Mittlerweile habe ich auch die heutige Ausgabe von „La Jornada“ gelesen und muss leider –trotz der Tragik des Ereignisses- feststellen, dass dieser Überfall keine absolute Überraschung gewesen sein kann. Der Autor listet die Ereignisse dieses Jahres in diesem Kasino und seiner Umgebung auf: im Januar gab es im Kasino einen bewaffneten Überfall, bei dem ein Mensch starb. Im April einen weiteren ohne Verletzte, am 25. Mai gab es eine Raubserie in diesem Stadtgebiet, dabei wurde auch dieses Kasino ausgeraubt. Und schließlich wurden am 8. Juli in einer Bar in direkter Nachbarschaft des Kasinos 21 Menschen erschossen.

Das Kasino wurde im September 2007 eröffnet – ohne die notwendige Konzession (ich übersetze so einfach mal die so wörtlich „Erlaubnis der Regierung“). Die Betreiber des Kasinos waren die Cousins des damals amitierenden Bürgermeisters. Der jetzige Bürgermeister behauptete nun gestern, dass es am 04. Mai noch einmal Thema im Stadtrat war, dass dieses Kasino ohne „permiso“ operieren würde. Dabei hat er seit seinem Amtsantritt neun Kasinos in der Stadt eröffnet – alle operieren illegal.

Kasinos sind wohl für die Geldwäsche in Drogengeschäften bekannt. Anschläge auf Kasinos gab es immer wieder in den letzten Jahren. Monterrey gilt als das „Las Vegas Mexikos“, da es dort mehr als 50 Glückspielorte gibt. Die meisten ohne staatliche Genehmigung. Oder die Geschäftsführer zahlen dem Bundesstaat Geld für eine Erlaubnis und die lassen sie dann in Ruhe. Es gibt aber wohl auch auf Regierungsebene sowohl in den Gemeinden hingegen Unterstützung im Kampf diese Geschäfte zu schließen.

Auch im Radio war nicht mehr zu hören; obwohl MVS (der einzig vernünftige Informationssender) heute sehr viel darüber berichtet hat.