‚Te gusta México?‘ Eine schwierige Frage: Gefällt mir dieses Land? Marion bei den Mexis, Teil 21

Dieser Artikel ist der 21. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute denkt unser Autorin darüber nach, ob ihr das Leben in Mexiko gefällt – und kommt dabei zu ganz widersprüchlichen Ergebnissen. Viel Spaß beim Lesen.

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DVD-Abteilung in einer christlichen Buchhandlung im Stadtteil
Coyoacán. Nach welchem System die Filme geordnet sind, ist nicht ganz
deutlich. Wenn Jesus Österreicher gewesen wäre, hätte das die Reihe
„Berühmte Österreicher“ gewesen sein können (fotos: koerdt)

Hola a todos!

„Gefällt Ihnen Mexiko?“ Ich weiß nicht, wie oft mir diese Frage in den letzten zwei Jahren gestellt worden ist. Gefühlt jeden Tag. Erst wieder vor zwei Tagen in einem Büroartikelgeschäft, als zu Hause mal wieder das Internet nicht ging und ich an den dortigen Terminals nach meinen Mails schauen wollte. Der Mann am Rechner neben mir wusste nicht, wie er eine bestimmte Einstellung in Word machen sollte und fragte mich. Kaum hatte ich ihm die Tastenkombination gezeigt, kam die Frage: „Te gusta México?“ Und dieses Mal war ich kurz davor mit der mir selbst zurechtgelegten Wahrheit rauszurücken:

Kollegin überfallen und ausgeraubt

Letzte Woche ist meine ehemalige mexikanische Kollegin aus der Schulbibliothek morgens auf dem Weg zur Arbeit überfallen worden. Sie hat sich ein Taxi heran gewunken. Kurz danach, als der Wagen an einer Ampel hielt, sprangen zwei Typen in den Wagen und keilten sie auf dem Rücksitz ein. Sie solle einfach die Augen zumachen und der Taxifahrer solle ihren Anweisungen folgen. Was dieser klugerweise auch tat, denn einer der Typen fuchelte mit einer Waffe herum. Dann musste sie, eine 24jährige Germanistikstudentin, ihr Konto leerräumen und ihnen ihr Handy überlassen. Nach einer halben Stunde war der Horror vorbei. Dass sie Todesangst hatte, ist mehr als verständlich, wenn ich hier in den Zeitungen fast jeden Tag lese, wie wenig ein Menschenleben wert sein kann.

Es geht nur ums Geld

Und wenn mir mein etwas dunkelhäutiger Bekannter Fernando erzählt, wie er aufgrund seiner Hautfarbe diskriminiert wird. Und er mir sagt, die Mexikaner kennen keine Solidarität. Für die meisten hier sei der einzige Wert Geld. Das würde auch erklären, warum eine 24jährige Studentin überfallen wird. Es ist einfach egal, wie viel zu holen ist. Hauptsache es wird geholt.

Die Polizei als Freund und Helfer – ein Witz

Ich fragte Fernando, ob das ein Armutsproblem sei. Er verneinte. Auch die Reichen würden raffen und rauben. Besonders die Politiker. Ob ich denn hier der Polizei vertrauen würde. Ich lächelte und schüttelte den Kopf. In Deutschland gebe es den Spruch „Die Polizei “ dein Freund und Helfer“, da musste Fernando lachen.

In neun Monaten 75 ermordete Journalisten

Fernando arbeitet mittlerweile als Spanischlehrer an der Uni. Zuvor war auch für kurze Zeit Zeitungsredakteur. Warum er denn aufgehört hätte? Er hätte auf Honorarbasis gearbeitet und sein Chef hat häufig seine Artikel nicht drucken wollen. Aus Angst, die Werbekunden würden sich beschweren. Nur die Werbekunden? Fernando zuckt die Schultern. Hier gebe es eine Zensur, die eben nicht nur den Werbekunden dient. Heute steht in „La Jornada“, dass zwischen September 2010 und Juni 2011 (also in neun Monaten) 75 Journalisten in Mexiko umgebracht worden sind. Fernando hat einen Sohn. Da ist es nur allzu verständlich, warum er sich eine andere Tätigkeit gesucht hat.

„Te gusta México?“ Nein, in solchen Fällen nicht.

„Te gusta México?“ Wenn die Menschen in Mexiko-Stadt dem Verkehrsirrsinn tagtäglich standhalten, wie gelassen sie auf chaotische Situationen reagieren und erst recht, wenn sie feiern. Dann mag ich Mexiko. Ich mag die phantastischen Landschaften, die kargen Plateaus, die beeindruckenden Vulkane. Und ich mich immer wieder frage, wie viel Mexiko kenne ich überhaupt und was verstehe ich überhaupt von dem, was ich sehe und erlebe. Dann mag ich Mexiko.

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Ein Land auf dem Eco-Tripp: Mit dem Fahrrad unterwegs

Und ich mag eben auch die Absurditäten, wenn versucht wird, Ideen zu kopieren. Seit geraumer Zeit ist ein Schlagwort ganz groß in Mode gekommen: Alles wird nun zu „Eco“ erklärt. So heißen die Leihfahrräder in den etwas besser gestellten Stadtteilen wie zum Beispiel La Condesa „Eco-Bici“ (Bici für Bicicleta, spanisch für Fahrrad). In dem Zusammenhang ergibt das ja noch einen Sinn. Auch wenn das Radfahren hier weniger unter ökologischen Gesichtspinkten betrachtet wird. Denn beim hiesigen Autoverkehr ist es beim Verlassen der ausgewiesenen Radrouten lebensgefährlich. So zeigt sich der hippe Condesa-Bewohner nun gerne mit Rad, um in sein Szene-Café zu gelangen.
Auch dass sich ein paar Nationalparks nun Öko-Parks nennen, erschließt sich mir noch. Aber warum nun in meinem Stadtteil Polanco das Parken zum Eco-Parq erklärt wird, erscheint mir doch der Gipfel der Absurdität.

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Ratlose Menschen vorm Parkautomaten. Zum Glück gibt es aber überall Rat.

Parkraumkonzepte: Ökoparken

Letzten Freitag wurden vor unserem Haus während einer Nacht-und Nebelaktion auf der Straße Parkflächen ausgewiesen und Parkautomaten aufgestellt. Ich erinnerte mich an Bilder von Lía Limón, wie sie bei der Einweihung dieser Parkautomaten etwas weiter südlich in unserem Viertel ihre gebleachten Zähne in Kameras lächelte.

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Das Ganze heißt jetzt Ökoparken und ist nichts anderes als zu bezahlender Parkraum. Dann flog ein Infozettel ins Haus, aus dem hervorging, dass Polanco bald nicht mehr automatenfrei sein wird. Aber nicht, wohin die Einnahmen überhaupt fließen sollen.

Und nunmehr ist Paco, Parkeinweiser vorm Haus und unser informeller Hausmeister, nicht bester Laune. Schließlich machte bislang ein Großteil seines Einkommens aus, dass er sich hier als Parkwächter generierte und die Leute ihm dafür ein paar Pesos in die Hand drückten. Wenn sie nun aber nur noch drei Stunden in der Straße parken dürfen und auch noch dafür zahlen müssen, wird wohl nicht mehr viel für Paco dabei abfallen. Vielleicht wird er bei den anderen Parkwächtern anheuern müssen, die nun ausstaffiert mit Leuchtweste, auf der dick ein P-Emblem gedruckt ist, durch das Viertel ziehen.

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Die Info-Box um Park um die Ecke. Der Andrang hält sich aber in Grenzen.

Im kleinen Park an der Straßenecke gibt es nun eine Eco-Parc-Info-Box. Und Information scheint wohl dringend erforderlich: Mehrere Tasten wollen gedrückt sein, bevor einem das ersehnte Ticket entgegen fliegt. Das Bild dieser Tage: Ratlose Menschen vor Automaten. Als ich heute einkaufen ging, kam mir eine Heerschar junger Leute entgegen, die alle ein P-Winkelement in den Händen hielt. Ich dachte allen Ernstes zuerst, dass seien Studenten, die gegen diesen Irrsinn protestieren. Doch dann sah ich, dass es eine weitere bezahlte Info-Kampagne war. Ich sollte mal meine Wahrnehmungen überdenken: Nicht alles, was knapp über 20 ist und mit einem Pappschild in einer Menschenmenge durch die Straße marschiert, ist zwingend ein demonstrierender Student.

Geschönte Frauen im Wahlkampf

Nun bin ich gespannt, was als Nächstes zu Öko erklärt wird. Ich glaube die Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkt hat da noch Nachholbedarf. Vielleicht ein weiterer Einsatz für Lía Limón. Mir konnte ja niemand von meinen mexikanischen Bekannten erklären, was diese Frau will, welche Funktion sie hat und woher sie überhaupt kommt.

Im Gegensatz zu Josefina Vázquez Mota. Von der hingen zum Glück bislang noch keine Plakate in meinem Viertel. Die Frau hat so viele scheinbar nicht ganz geglückte Schönheitsoperationen hinter sich, so dass ich bislang bei ihrem Anblick auf Zeitungsfotos immer zusammengezuckt bin. Wahrscheinlich der Kitzel, der einen auch beim Horrorfilmgucken erwischen kann. Aber wahrscheinlich ist das nur eine Frage der Zeit, bis die Plakate kommen. Schließlich ist sie Präsidentschaftskandidatin der regierenden, konservativen PAN. Ich bin gespannt, welche Losung sie wohl bei einem Wahlsieg herausgeben wird: Kostenlose Schönheitsoperationen für alle?

Papst im Anmarsch

Zur Abwahl steht leider nicht ein Mann, der in ein paar Tagen das Land besuchen wird. Und der mittlerweile die Berichterstattung beherrscht und die gesamte Stadt in Aufruhr versetzt: Der Papst kommt und die Mexis (zum Glück nicht alle) sind total aus dem Häuschen. Ob Benedikt XVI. es schaffen wird, die Popularität seines Vorgängers abzulösen bleibt abzuwarten. Noch bekommt fast ausschließlich Johannes Paul II.-Devotionalien. Aber vielleicht ist es auch geschickt, erst einmal zu versuchen den alten Schrott wegzubekommen. Wie es wird, davon dann vielleicht demnächst mehr. Momentan steht mir der Sinn eher danach, die Stadt zu verlassen.

Hoffe, euch allen geht es gut!
Muchos saludos,
Marion

Ein Gedanke zu „‚Te gusta México?‘ Eine schwierige Frage: Gefällt mir dieses Land? Marion bei den Mexis, Teil 21“

  1. Hallo Schwesterherz,
    ich habe den Artikel nochmal gelesen. Meiner Meinung nach steht Ecoparq nicht für Öko sondern für Economy (Ökonomie). Wahrscheinlich war das Parken von Paco nicht so economisch (sprich ökonomisch d.h. wirtschaftlich, sparsam).
    Hasta luego, Holger

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