Berichte aus einem mörderischen Tollhaus. Marion bei den Mexis, Teil 18.

Dieser Artikel ist der 18. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute lesen wir kleine und lapidare Geschichten vom Leben und Sterben. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

„Ja, und dann bin ich ihr hinten reingefahren.“ Mit diesem lapidaren Satz beendete Agustin in der vergangenen Woche das Gespräch über sein letztes Treffen mit seiner Ehefrau.

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Das ist Chacoron, der beste tierische Freund von Agustin. Mit ihm teilt er sich den Parkplatz, jedenfalls so lange sein Leben nicht noch eine weitere Wende nimmt. (fotos: koerdt)

Ehestreit: Verfolgungsjagd mit Totalschaden
Dabei hatte ich gedacht, dass sich bei ihm die Wogen geglättet hätten. Denn zwei Wochen zuvor erzählte er, er hätte eine Frau kennengelernt und mit ihr die ganze Nacht durchgetanzt. Doch dann wollte sie sich Geld von ihm leihen und er stellte sie auf die Probe: er sei arbeitslos und hätte kein Geld. Daraufhin verlor sie auch jegliches Interesse an ihm. So seien die Frauen hier eben, so Agustin. Dann das Treffen mit seiner noch mit ihm verheirateten Frau in einem Restaurant.

Der Streit eskalierte, sie schlug ihm ins Gesicht und lief zum Auto. Er hinterher. Dann gab es eine Verfolgungsjagd quer durch den Stadtteil Nezahualcóyotl und schließlich fuhr er ihr hinten in den Wagen. Auf die Rückfrage, wie schnell er denn gewesen sei, antwortete er: so ca. 80 km/h. Dass das hätte auch tödlich enden können, hätte er in Kauf genommen. So hatten beide mehr als Glück: so blieben nur Nackenschmerzen und zwei völlig verschrottete Autos zurück. Bei ihm sei eben eine Sicherung durchgebrannt, stellte er dazu fest.

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Dieser grüne Hügel ist die volumenmäßig größte Pyramide der Welt. Sie war aber auch schon so überwuchert, als die Spanier nach Cholula kamen. Das hielt sie aber nicht davon ab, eins der schlimmsten Massaker der Conquista unter den Einheimischen anzurichten und auch noch eine Kirche auf die Pyramide zu bauen.

Vermisst: Hintergründe, die zu einer schrecklichen Tat geführt haben
Der Eindruck, dass hier den Leuten öfter einmal die Sicherung durchbrennt, hat sich bei mir im letzten Monat immer mehr verfestigt. Die Nachrichtenlage gab einiges dazu her: da wurde vor einem Monat in Monterrey (ca. 900 Kilometer nördlich von Mexiko-Stadt) ein Casino angezündet. Bei dem Brand starben 52 Menschen (überwiegend ältere Frauen, die gerne ihre Nachmittage bei einem Zockerspielchen verbracht haben). Darüber wurde ja auch in Deutschland berichtet. Was ich jedoch vermisst habe, waren die Hintergründe, die zu dieser schrecklichen Tat geführt haben: es ist mal wieder die widerliche Verfilzung von Politik und Drogenmafia.

Das Kasino wurde im September 2007 eröffnet – ohne staatliche Konzession. Die Betreiber des Kasinos waren die Cousins des damals amtierenden Bürgermeisters. Der jetzige Bürgermeister behauptet nun, dass am 4. Mai dieses Jahres dieses Kasino noch einmal Thema im Stadtrat war. Passiert ist aber seitdem nichts. Dabei hat dieser Bürgermeister selbst seit seinem Amtsantritt neun Kasinos in der Stadt eröffnet – alle operieren illegal.

Kasinos sind für die Geldwäsche in Drogengeschäften bekannt. Anschläge auf Kasinos gab es immer wieder in den letzten Jahren. Monterrey gilt als das „Las Vegas Mexikos“, da es dort mehr als 50 Glückspielorte gibt. Die meisten ohne staatliche Genehmigung. Oder die Geschäftsführer zahlen dem Bundesstaat Geld für eine Erlaubnis und die lassen sie dann in Ruhe.

Nun überlegen deutsche Unternehmen aus der Gegend abzuziehen. Vor eineinhalb Wochen sprach ich mit einer Frau aus Deutschland, die mit ihrem mexikanischen Mann fast fünf Jahre in Monterrey gelebt hat. Vor einem Jahr seien sie nach Mexiko-Stadt umgezogen. Ich bemerkte, dass sie dann ja wohl noch vor der Verschärfung der Konflikte dort weggekommen seien. Dies verneinte sie: durch die ständigen Schießereien in der Stadt sei sie so gestresst gewesen, dass sie eine Gesichtslähmung bekommen hätte, die erst jetzt nach einem Jahr wieder langsam zurückgegangen sei.

Mord an Journalistinnen: Motivsuche
Am 2. September titelten hier die Zeitungen, dass zwei Journalistinnen in Mexiko-Stadt ermordet worden seien. So wurden gefesselt und erschossen in dem Stadtteil Iztapalapa gefunden. Was verwundert, ist, dass die ein People-Magazin herausgab und die andere frei für diese Zeitschrift über Lifestyle-Themen schrieb. Es war niemanden bekannt, ob sie nicht auch über Narcotrafico recherchierten. Das war jedenfalls die erste Vermutung.

Doch bereits am nächsten Tag wurde klar, dass das Motiv überhaupt nichts mit ihrer journalistischen Tätigkeit zu tun hatte: die freie Autorin war Mitinhaberin einer Geldwechselstelle am Flughafen und war in den Tagen zuvor dort ausgestiegen und hatte sich auszahlen lassen. Das hieß, dass jemand wusste, dass sie nun über einen höheren Geldbetrag verfügte und das war dann wohl auch ihr Todesurteil. Leider stand die Herausgeberin mit ihr nach einer Redaktionskonferenz auf der Straße, als sie entführt werden sollte.

Gefahrenpunkt Geldwechselstellen
Es kommt auch immer wieder zu Überfallen, nachdem gerade gelandete Touristen mal eben an diesen Wechselstellen im Flughafenbereich ein paar Pesos erhalten wollen. Vor einiger Zeit wurde einem Franzosen direkt –nachdem er Geld getauscht und das Flughafengelände verlassen hatte- in den Kopf geschossen. Sollte besser in jedem Mexiko-Reiseführer stehen: besser nicht machen. Man weiß nie, wer einen beobachtet und wer welche Information weitergibt.

Drogenmafia: Kopf abgeschnitten und an den Füßen aufgeknüpft
Bereits vor diesen Vorfällen hatte ich ja das Glück mit meinem Taxifahrer gestritten zu haben, als wir an einer Brücke im Westen der Stadt vorbeigefahren sind, an der diesem Morgen zwei Männer aufgehängt aufgefunden waren. Ihnen war der Kopf abgeschnitten worden und man hatte sie an den Füßen aufgeknüpft. Wie einige Tage später berichtet wurde, hatte man ihnen unterstellt eine Woche vorher einen „Capo“ (Drogenboss) hier in der Stadt bei der Polizei verpfiffen zu haben, der daraufhin verhaftet worden ist.

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Einen so schönen blauen Himmel gibt es fast nie in Mexiko-Stadt. In Cholula schon, weswegen sich auch die gelbe Kirche (es ist nicht mehr die Originalkirche aus dem 16. Jahrhundert) so schön vor dem Himmel abhebt. Wandert man um die Kirche hat man einen phantastischen Blick auf die höchsten Berge Mexikos: Popocatépetl (5.462 Meter), Iztaccíhuatl (5.286 Meter) und auf der anderen Seite La Malinche (4.461 Meter). Nur der Orizaba ist mit rund 5700 Metern höher. Der liegt aber weiter im Osten. Was man so auch nicht sehen kann, aber in vielen Reiseführern: dass der Hügel mit der Kirche fast direkt vor dem Popocatépetl liegt. Sieht zwar phantastisch aus, ist aber nur Photoshop-Phantasie.

Bodyguard dreht im Schulbus durch
Im Westen der Stadt leben ja nicht nur die Profiteure vom Narcotrafico, sondern auch die anderen Reichen dieser Stadt. Deren Kinder haben ein neues Statussymbol: so tauchen 18- oder 19jährige zur Zeit sehr gerne mit einem eigenen Bodyguard in ihren Clubs auf. Einer dieser Bodyguards fühlte sich nun von der Fahrweise eines Schulbusses so gestört, dass er ihn schließlich überholte, ausbremste und neunmal mit einer Pistole auf den Fahrer schoss. Auch hier war Glück im Spiel: der Bus war zum Glück zu diesem Zeitpunkt leer und der Fahrer hat diesen Anschlag auch überlebt.

Schüsse an der Ampel
Vor einer Woche fuhren Christopher und ich von einem Tagesausflug aus Cholula kommend vom Osten in die Stadt. Als wir vor einer Ampel abbremsen mussten, hörten wir Schüsse und ich sah noch im Augenwinkel, wie an der rechten Straßenseite ein Mann mit einem Gewehr mit Doppellauf stand, der sich zu einem anderen Mann, der hinter ihm stand, umdrehte. Ich konnte nicht sehen, ob jemand am Boden lag und überhaupt hatten wir das Gefühl, doch gerne schnell von dieser Stelle wegkommen zu wollen. Ohne zu wissen, was denn nun eigentlich passiert ist.

Ja, manchmal erträgt man eben die Nachrichtenlage nur in homöopathischen Dosen und das Leben im Weglaufen. Das ist natürlich kein Dauerzustand und es werden bestimmt auch wieder andere Meldungen kommen.

Muchos saludos desde México,
Marion

P.S.: Gestern teilte uns Agustin mit, er hätte nun doch wieder eine Nacht mit seiner Ehefrau verbracht. Und nun sei er vollends „confudido“.

Ein Gedanke zu „Berichte aus einem mörderischen Tollhaus. Marion bei den Mexis, Teil 18.“

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