Mexico: Reise zu einem mythischen Ort – Acapulco

Klippen-Chicos im Abendlicht vor dem großen Absprung. (fotos: koerdt)
Klippen-Chicos im Abendlicht vor dem großen Absprung. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der 14. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico und Mexico-City. Heute sehen wir bezaubernde  junge Männer und lesen grausige Geschichten über die Vergangenheit eines von Mythen umwobenen magischen Ortes. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.

!Hola a todos!

 

Wozu sind Mythen da? Richtig, um sie zu zerstören. Wenn es sich um mythische Orte handelt, fährt man dorthin, um festzustellen, dass das alles gar nicht so magisch, toll oder wie auch immer superlativisch ist: Acapulco.

Acapulco ist die mit Abstand hässlichste Stadt, die mir bislang in Mexiko unter die Augen gekommen ist. Acapulco, war das keine Verheißung in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts?

Der Mythos Acapulco ist eine Erfindung der US-amerikanischen Tourismusindustrie
Geht man heute durch das Zentrum, stellt man fest, dass das letzte Jahrhundert wahrlich lange zurückliegt. Irgendwo ist immer ein bisschen Verfall, der Gestank von Urin setzt sich in der Nase fest. Flaniert man den Malecon entlang, fällt der Blick auf die gegenüberliegende Seite der Bucht: Dort reihen sich die Hotelhochhäuser, in denen sich die US-Amerikaner und die Europäer verbarrikadieren. Mit den Einheimischen wollte man sowieso nie etwas zu tun haben, denn der Mythos Acapulco ist eine Erfindung der US-amerikanischen Tourismusindustrie – man nannte Acapulco auch das Süd-Hollywood. Der Tourismus suchte 1959 nach dem Sturz Batistas ein neues Tropenparadies, da Kuba nun nicht mehr infrage kam. Teddy Stauffer, ein Schweizer Swing-Musiker, hatte es bereits 1946 in das Fischerdorf verschlagen und durch seine Kontakte bzw. Affären mit einigen Hollywoodstars schaffte er es, Stars und Starlets an die Pazifikküste zu locken.

Die Bucht von Acapulco - in diesen Hochhäusern verstecken sich die US-Amerikaner und Europäer vor den Einheimischen.
Die Bucht von Acapulco – in diesen Hochhäusern verstecken sich die US-Amerikaner und Europäer vor den Einheimischen.

Warum Johnny Weissmüller nicht von den Klippen sprang
Johnny Weissmüller ließ sich gleich ganz hier nieder; das Hinterland war ihm bereits vertraut, da einige Tarzanfilme in der dortigen Flora gedreht wurden und in denen er seinen in Jodelwettbewerben trainierten Schrei zum Besten gab. Mehrmals musste er davon abgehalten werden von dem Felsen La Quebrada zu springen. Dort, wo die weltberühmten sogenannten Clavadisten (Klippenkunstspringer) über 30 Meter gekonnt in die Tiefe bzw. dortige Untiefe (das Wasser hat dort nur eine Höhe zwischen 3 und 4 Metern) des Ozeans eintauchen. Diese drahtigen, jungen Chicos stehen meist in einer Familientradition. Schon Papi und Opi waren Klippenspringer und so sind die Jungs seit Kindesbeinen mit dem Felsen, der Bucht und der Brandung vertraut (was bei Herrn Weissmüller weiß Gott nicht der Fall war). Heute fällt auf, dass bei den Vorführungen fast ausschließlich einheimische Touristen dem Spektakel beiwohnen. Denn wenn es Ausländer überhaupt noch nach Acapulco zieht, dann nur nach den zwei D´s: „Dorado“ und „Diamante“.

Das ist nicht mein neuer Chico-Harem, sondern die mutigen, drahtigen Jungs, die sich familientraditionsgemäß von dem Felsen "La Quebrada" in Acapulco kunstvoll in die Tiefe stürzen. (fotos: koerdt)
Das ist nicht mein neuer Chico-Harem, sondern die mutigen, drahtigen Jungs, die sich familientraditionsgemäß von dem Felsen „La Quebrada“ in Acapulco kunstvoll in die Tiefe stürzen.

Einheimische fluchen auf die Drogenmafia und Kriminalität
An diesen Küstenabschnitten stehen die Luxushotels und es besteht kein Grund, den Hotelkomplex zu verlassen. Unterhält man sich ‚mal mit den Einheimischen, so fluchen sie auf die Drogenmafia und deren Kriminalität, die es in den letzten 15, 20 Jahren geschafft hat, weitgehend den Tourismus für die zahlungskräftigen Ausländer zu zerstören. Erst Anfang April ist ein großes Warengeschäft von den Narcotraficantes in Brand gesteckt worden, inklusive seiner Kunden. Wöchentlich gibt es Tote und nach wie vor wird davor gewarnt, sich abends im Zentrum aufzuhalten. Viel zu sehen bekommt man sowieso nicht im Zentrum, höchstens die Festung Fuerte de San Diego erinnert daran, dass Acapulco der Umschlagplatz für den Handelsverkehr zwischen China, den Philippinen und Spanien war. Hier landeten dann auch die ersten Mangos und Zimt auf mexikanischem Boden. Der blühende Handel kam aber schon im 18. Jahrhundert zum Erliegen, da England die Handelsvorherrschaft im südostasiatischen Raum übernahm.

Die Strandidylle von Pie de la Cuesta
Wie weit weg kommt einem dagegen die Strandidylle von Pie de la Cuesta vor. Der Ort liegt nur 10 Kilometer westlich von Acapulco, aber atmosphärisch kommt er einem Lichtjahre entfernt vor. Die Brandung ist stark, die Wellen meterhoch und somit hat sich der Ort nie als Badeparadies durchsetzen können. So ist – neben dem Tosen der Wellen – Ruhe eigentlich das vorherrschende Geräusch. Strandverkäufer bieten Mango am Stiel mit Chili an, ab und an wagt sich jemand in die Wellen vor, einige, kleine Restaurants bieten frischen Fisch an. Teils sind die Gebäude an der Strandseite verfallen, die zeigen, dass die einstige Attraktivität Acapulcos nicht bis hierher strahlte.

Pelikane und Marabus
Überquert man die Hauptstraße öffnet sich auf der anderen Ortsseite die Lagune Coyuca. Dort kann man sich mit einem Bötchen zu einer Insel schaukeln lassen, unterwegs bekommt man mit etwas Glück die einheimische Fauna zu Gesicht: Pelikane oder Marabus.

Für eine Yacht und Champagner hat es nicht gereicht, dafür aber fürs Abendessen (links im Bild an der Angel) - kleine Schlauchbootpartie mit Dosenbier auf der Lagune de Coyuca. Dort, wo Rambo bereits ein paar Vietnamesen und Russen zur Strecke gebracht hat.
Für eine Yacht und Champagner hat es nicht gereicht, dafür aber fürs Abendessen (links im Bild an der Angel) – kleine Schlauchbootpartie mit Dosenbier auf der Lagune de Coyuca. Dort, wo Rambo bereits ein paar Vietnamesen und Russen zur Strecke gebracht hat.

Hier wurde Rambo II gedreht
Der Bootsführer versäumt es in der Regel auch nicht, auf das kulturelle Highlight hinzuweisen, das die Lagune zu bieten hat: schließlich wurde hier 1985 Rambo II gedreht. Der schon damals oscargekrönte Sylvester Stallone konnte an diesem Ort zusammen mit seinem Drehbuchautoren, dem später oscargekrönten James Cameron, ideale Bedingungen vorfinden, um die krude Geschichte zu erzählen, wie der stoisch-stumpf bemimte John Rambo US-Kriegsgefangene aus den Klauen der Vietnamesen (die übrigens im Film japanische Uniformen aus dem Zweiten Weltkrieg tragen) und Sowjets befreit, heldenhaft mit Guerillataktik und archaischer Bewaffnung – freche filmische Umkehrung der Tatsachen zur Verfestigung der reinwaschenden US-Stereotype der Kriegsgräuel an den Vietnamesen. Pie de la Cuesta bietet nämlich nicht nur Mangrovenwälder, sondern auch eine Militärbasis, die für die Dreharbeiten genutzt werden durfte.

Eliminierung politischer Gegner – in Säcken aus einem Flugzeug vor der Küste Acapulcos in den Pazifik geworfen
Was der Bootsführer nicht erwähnt, ist, wofür die Militärbasis ein Jahrzehnt vor den Dreharbeiten genutzt wurde: nämlich zur Eliminierung politischer Gegner. Mario Arturo Acosta Chaparro Escápite ist ein mittlerweile pensionierter Brigadegeneral, der in den 70er Jahren Leiter der Policía Judical (der politischen Polizei) war (zunächst in Pie de la Cuesta, anschließend in dem Bundesstaat Guerrero). In dieser Zeit verschwanden Frauen und Männer, die von der Regierung des Bundesstaates als Guerilleros betrachtet wurden. Ziel war es die Asociación Cívica Nacional Revolucionaria (Gewerkschaft der revolutionären nationalen Zivilisten) und die Partido de los Pobres (Partei der Armen) zu zerschlagen. Ob diese Verschwundenen überhaupt in einem Zusammenhang mit diesen Organisationen standen, war nicht immer geklärt. Klar ist jedoch, dass sie von Acosta auf der Militärbasis erschossen und anschließend in Säcken aus einem Flugzeug vor der Küste Acapulcos in den Pazifik geworfen wurden. In dem Zeitraum von 1975 bis 1979 sind fast 150 Fälle dokumentiert.

Militärbasis genutzt,  um Marihuana in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln
Des Weiteren nutzte Acosta die Militärbasis um Marihuana in die Vereinigten Staaten zu schmuggeln. Der Schmuggel flog bei einem Tankstopp im Norden von Mexiko auf; der Pilot gestand, dass es zahlreiche Flüge von der Militärbasis aus gegeben hätte. Auch dieser Pilot verschwand spurlos. – 2002 wurde Acosta zusammen mit einem Wegbegleiter zu 15 Jahren Haft verurteilt. Es war das erste Mal in der Geschichte Mexikos, dass so hochrangige Militärs zu Haftstrafen verurteilt worden sind. Acosta wurde aber nicht für das Verschwinden bzw. die Ermordungen der „Guerilleros“ verurteilt, sondern wegen „Vergehen gegen die Gesundheit“. Der Prozess wegen der „Verschwundenen“ (Desapericidos) wurde wegen Verfahrensfehler aufgehoben, und Acosta konnte bereits 2007 das Gefängnis wieder verlassen und erhielt alle Rechte zurück. Und wahrscheinlich damit auch eine fette Pension.

MexikanischesMilitär nicht der Hort der Menschenrechte
Bis heute ist die Militärbasis Sperrgebiet. Hier endet dann der Strandspaziergang, man blickt die beiden jungen Soldaten an, die einen freundlich winkend darauf hinweisen, dass man nicht weitergehen dürfe, und hofft, dass die unmenschlichen Grausamkeiten der Vergangenheit angehören. Dennoch gilt bis heute das mexikanische Militär nicht als Hort der Menschenrechte.

Ich hoffe, euch geht es allen gut und ich höre ‚mal wieder etwas von euch!

Muchos saludos desde México,

Marion

Ciudad Mexico: Eine Clavicula-Fraktur und die Erfahrungen mit dem mexikanischen Gesundheitssystem.

Trotz Krankenhaus und alledem gibt es einen sonnigen Frühling in Mexiko-Stadt
Trotz Krankenhaus und alledem gibt es einen sonnigen Frühling in Mexiko-Stadt

Dieser Artikel ist der 13. Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Heute wird klar, dass man auch in Mexico  dem Tod von der Schippe springen muss. Der Preis war für Marion zwar hoch, wird aber nicht unbezahlbar sein. Trotz alledem wünschen wir viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Voll vermullt. Das Schlüsselbein mit Edelstahlklammern zusammengeflickt.
Vermullt: das Schlüsselbein mit Edelstahlklammern wieder zusammengeflickt

Hätte man mich vor ein paar Wochen gefragt, was denn Clavicula sei, ich hätte es nicht gewusst. Wahlweise hätte ich zwischen einem Musikinstrument -ähnlich einer Ziehharmonika- oder dem Namen einer ostafrikanischen Musikgruppe, die auf dem Putumayo-Label vertreten ist, getippt. Doch weit gefehlt, denn Clavicula liegt mir viel näher als ich dachte. Es ist der lateinische Begriff für Schlüsselbein und wird ebenso im Spanischen benutzt.

Vor zwei Wochen waren Christopher und ich mit Besuch aus Deutschland auf dem Weg zu den grutas de tolantongo. Ein Naturreservat ca. 130 km nördlich von Mexiko-Stadt. Wie weit es genau weg ist, weiß ich leider nicht, denn wir kamen nicht dort an.

In der Finsternis
Es dämmerte bereits, als wir auf einer scheinbar gut ausgebauten Landstrasse mit ungefähr 80 km/h fuhren und innerhalb kürzester Zeit wurde es stockdunkel. Plötzlich ein kurzer Aufschrei: da ist was. Ich saß hinter dem Fahrer, spähte kurz in die Mitte und sah, dass mitten auf unserer Fahrbahn eine mehr als bordsteinkantehohe Betonbegrenzung unvermittelt die Strasse trennt. Kein Licht, kein Schild, nichts, was darauf hingewiesen hätte. Ich dachte nur: och, Christopher schafft das schon.

Und dann war es nicht nur draußen dunkel.

Nach dem Unfall
Als ich wieder zu mir kam, stand unser Wagen quer auf der Fahrbahn. Um uns herum viele Leute. Etwas benommen nahm ich wahr, dass ich meine rechte Hand nicht fühlte und instinktiv griff ich mir an die rechte Schulter. Dort, wo normalerweise ein Knochen ist, war ein Loch. Was ist mit den anderen? Was ist überhaupt passiert? Ich kletterte aus dem Wagen. Zum Glück konnte das Auto noch zur Seite gefahren werden, so dass nicht noch jemand in dieser Finsternis hinein fuhr. Aus reinem Aktionismus wechselte ein anwesender Mexikaner noch den linken Hinterreifen. Dann ging alles ganz schnell: ein Krankenwagen kam, die Polizei, ich wurde mit unserem Besuch zu einem Provinzkrankenhaus in die nächst größere Ortschaft gefahren, Christopher blieb mit der Polizei zurück.

Meine Erleichterung war groß, als ich erfuhr, dass die anderen drei mit Blessuren und einem Schrecken davon gekommen waren.

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Kanülen und Einstiche. Am Ende blieben blaue Flecken.

Das Orts-Hospital
Nach dem Röntgen im Krankenhaus bekam ich auch die Gewissheit, dass meine Blessur etwas schwerwiegender war: das rechte Schlüsselbein war mehrfach gebrochen und müsste operiert werden. Nur: hier in Progreso, der kleinen Ortschaft –was ja auf Deutsch Fortschritt bedeutet- war das nicht möglich. Was vielleicht im Nachhinein auch Glück war: wenn auch das Personal sehr freundlich war, waren ihre Mittel doch sehr begrenzt. Von dem Versuch, mir in den linken Handrücken eine Kanüle zu verlegen, trage ich -auch zwei Wochen danach- eine flächendeckende grün-blaue Verfärbung dort. Von dem Örtchen selbst habe ich nicht mehr viel gesehen.

Die OP
Mein Besuch war in der Nacht in ein Hotel untergebracht worden, wo die Zimmertür sich nicht abschließen ließ und die Möglichkeit in dem Ort einen Kaffee zu kaufen, waren wohl mehr als begrenzt. Es gab wohl gar nichts. Am nächsten Morgen – nachdem man mich noch einmal mit Schmerzmitteln voll gepumpt hatte- wurde ich von Kollegen, mit denen wir ursprünglich zum Nationalpark fahren wollten (die waren dort angekommen, wussten aber auch sofort, wo unsere Unfallstelle war, denn ihnen wäre es dort fast genau so gegangen) abgeholt und in eine Privatklinik nach Mexiko-Stadt gebracht.

In einer dreistündigen OP wurde mir das Schlüsselbein mit Edelstahlklammern wieder zusammengeflickt. Auch über die anschließende Behandlung kann ich mich nicht beschweren. Doch nun kommt natürlich der Punkt, der das möglich gemacht hat: wenn ich in Deutschland nicht eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen hätte, wäre dabei locker mehrere Monatsgehälter von mir dabei draufgegangen. Denn mit dem staatlichen mexikanischen Gesundheitssystem wäre es mir bei weitem nicht so gut ergangen.

Das Gesundheitssystem
Und das bringt mich zum nächsten Punkt. Also, das staatliche mexikanische Gesundheitssystem hat staatliche Krankenhäuser, in dem sich jeder Arbeitnehmer krankschreiben lassen muss, wenn er weiter seinen Lohn beziehen möchte. Nun gut, kurz das Positive: das ist ja schon mal etwas für ein Schwellenland. Nur die Schikanen, die damit verbunden sind, werfen doch einen nicht geringen Schatten darauf.

Das IMSS
So saß ich in der letzten Woche lange in einem so genannten IMSS-Krankenhaus, um dann von der mir zugewiesenen Ärztin zu erfahren, dass meine Unterlagen nicht ausreichend seien. Doch damit nicht genug: ihre Zwischentöne gingen immer in die Richtung, warum ich gringa eigentlich ihr System missbrauche. Freundlich lächelnd ging ich über die Bemerkungen hinweg, irgendwie war mir nicht nach Ärger. Mit ihrem Zettelchen, auf dem sie mir notiert hatte, was mir denn noch so fehlte, ging ich zu meinem behandelnden Arzt. Dann wieder zur imss. Zwei Stunden Warten, dann wieder diese Ärztin, die wieder meinte, das sei unzureichend. Diesmal war noch eine weitere Ärztin im Zimmer, die darauf hinwies, ich müsse gar nicht in das Behandlungszimmer, sondern zur Verwaltung. Daraufhin platzte Christopher, der diesmal mit dabei war, was das denn diese Schikanen sollen. Ich hingegen ärgerte mich über mein Lammsein, wahrscheinlich täte es mir auch besser, ab und an solchen Leuten die Meinung ins Gesicht zu brüllen. Und mir nicht ständig Gedanken darüber zu machen, ob das nun rassistisch sei, nur weil das gegenüber eine andere Nationalität hat.
Kurzum: bislang ist immer noch offen, ob ich eine Lohnfortzahlung bekomme, auch kann mir niemand eine genaue Info geben, ob die denn 100% oder nur 70% beträgt.

Die Lehren
Ich kann nur sagen, der Behördenirrsinn hier kann sich locker mit dem deutschen messen. Jedoch muss ich leider auch anmerken, dass die Wahrscheinlichkeit in Deutschland auf eine unbeleuchtete bzw. nicht beschilderte plötzlich auftretende Fahrbahntrennung zu treffen, eher gering ist. Dafür aber wieder gelernt, was jeder Reiseführer sagt: nachts besser nicht auf Landstraßen unterwegs sein. Und immer anschnallen. Denn ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn wir unangeschnallt gewesen wären.

Jedenfalls führte das in der letzten Woche schon einmal dazu, dass alle Taxifahrer sich, mit denen ich zu den diversen Krankenhäusern gefahren sind und nachdem ich ihnen meine Unfallgeschichte erzählt habe, angeschnallt haben.

Des weiteren bin ich momentan krankgeschrieben, was ich aber weniger bedauerlich finde. So bleibt viel Zeit zum Lesen.

Fukushima und das mexikanische AKW
Hier in Mexiko ist der Schock über die Katastrophen in Japan auch sehr groß. Besonders nachdem es zunächst hieß eine radioaktive Wolke könnte hierher ziehen. Doch seit einer Woche ist davon keine Rede mehr. In Veracruz, an der Ostküste, steht das einzige Atomkraftwerk des Landes. Als es gebaut wurde, gab es wohl Proteste, aber im Augenblick ist es ruhig. Auch wenn ich es nun nur aus der Ferne verfolgen kann, bin ich doch froh, welcher Widerstand gegen Atomkraft in Deutschland sich nun wieder bildet. Nur: wenn ich auf Frankreich und seine Atomkraftwerkdichte blicke, bleibt da ein Unbehagen.

Also, wenn ihr nicht gerade protestiert, wünsche ich euch einen nun hoffentlich warmen entspannten Frühlingsanfang.

Muchos saludos desde México,
Marion

Ciudad Mexico: Abermillionen Monarch-Falter, gedankenloser Sprachgebrauch und die Leidenschaft der Lenden.

Einer der Hauptpersonen des heutigen Berichts: vereinzelter Monarch-Falter; ansonsten mögen die schon die Gemeinschaft. (fotos: koerdt)
Einer der Hauptpersonen des heutigen Berichts: vereinzelter Monarch-Falter; ansonsten mögen die schon die Gemeinschaft. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der zwölfte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Lange haben wir nichts mehr von Marion gelesen, dafür haben wir heute einen umso üppigeren Bericht erhalten. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Tja, eigentlich wollte ich als erstes spannende Sachen aus dem Gebiet der Flora und Fauna berichten, doch dann kommt mir mal wieder wahrscheinlich Allzumenschliches dazwischen. Als ich in der letzten Woche im Badezimmer rumwurschelte und das Fenster öffnete, hörte ich unseren neuen Nachbarn mit unglaublich lautem Geschrei aus seiner Wohnung.

Deutschland, Deutschland, Sieg Heil.
Schnell kristallisierte sich heraus, dass sein Gebrüll harmlos ist, denn er schien mit dem kleinen Chico, der seit einigen Tagen bei ihm wohnt – vielleicht sein Neffe oder sein gerade wieder entdeckter Sohn -, Computer zu spielen. Zwischendurch durfte sich der Kleine für seine Niederlagen verhöhnen lassen, bevor unser Nachbar zu einem Tremolo ansetzte: Deutschland, Deutschland, Sieg Heil, Sieg Heil.

Ich traute meinen Ohren nicht (Was haben die denn da gespielt? Ich bin Nazi und mach die Juden platt???) und traue mich ihm gegenüber nun auch nicht mehr so unbefangen über den Weg. Als er mir im Flur begegnete, war ich sehr wortkarg. Ich weiß, dass da wohl keine weiteren Hintergedanken dahinter stecken, dennoch macht mich diese scheinbare Gedankenlosigkeit wütend.

Gedankenloser Antisemitismus
Genauso wütend wurde ich beim Besuch der hiesigen Schweizer Schule vor ein paar Wochen, als ein Schweizer Lehrer den vorherigen Zustand der Schulbibliothek mit folgenden Worten beschrieb: „Das sah hier aus wie ein KZ!“ Worauf ich nur bemerken konnte: „Wieso? Haben Sie hier Juden zu Tode arbeiten lassen?“ Schon ein bisserl länger ist es, dass ich am Flughafen stand und dort von einer Mexi-Deutschen angesprochen wurde, die bereits in dritter Generation hier lebt. Wo ich denn wohnen würde? Als ich sagte in Polanco, verzog sie ihr –wohl schon mehrere Male geliftetes- Gesicht und stieß angewidert hervor: „Im Judenviertel??? Wo kann man denn dort wohnen???“ Ja, es stimmt, hier in Polanco leben die meisten Juden südlich von New York. Es gibt mehrere Synagogen, sie laufen hier durch die Strassen und fallen sonst nicht weiter auf.

Ein phantastisches Naturschauspiel – Abermillionen Monarch-Falter

Sieht es nicht aus wie im Sauerland?
Sieht es nicht aus wie im Sauerland?

So, nun aber zur Fauna. Vor drei Wochen durften wir Augenzeugen eines phantastischen Naturschauspiels werden. Das Santuario de las Mariposas Monarca ist ein ca. 20 Hektar großes Naturreservat im Bundesstaat Michoacán.

Jeden Herbst ziehen Abermillionen Monarch-Falter aus Zentral- und Ost-USA wie auch aus dem südlichen Kanada zu ihrem Winterreservat in Mexiko. Über 4000 Kilometer legen die Schmetterlinge dabei zurück. Durch die Kühle, die hier auf der Höhe von ca. 3000 Metern auf dem Hügel herrscht, sind sie recht träge und deswegen auch ein dankbares Foto-Motiv.

Die Fichten-Wälder erinnern doch sehr stark an deutsche Mittelgebirgslandschaften, und wenn die Falter zu Tausenden an den Nadelhölzern hängen, entsteht durch ihre braun-orangene Färbung der Eindruck, als sei man in einem deutschen Laubwald gelandet. Sinnvollerweise sind viele Wege abgesperrt, damit die Tiere ihre Ruhe haben. Hier paaren sie sich, die meisten sterben, die neue Generation macht sich im März wieder auf Richtung Norden. Woher sie ihre Route kennen und wie sie sich orientieren, ist immer noch ein Rätsel.

Die größte Gefahr für den Touristen – der Einheimische und der Herzinfarkt

Alles Glück der Erde liegt auf den Rücken der Pferde. Ob das auch für Papas Rücken gilt, mag beim Gesichtsausdruck dieses Kindes bezweifelt werden. Da der Mexi aber nicht ohne seine Familie kann, wird alles zwischen 0 und 100 auf den Berg gezerrt.
Alles Glück der Erde liegt auf den Rücken der Pferde. Ob das auch für Papas Rücken gilt, mag beim Gesichtsausdruck dieses Kindes bezweifelt werden. Da der Mexi aber nicht ohne seine Familie kann, wird alles zwischen 0 und 100 auf den Berg gezerrt.

Als ich meinem Deutsch-Kurs davor erzählte, wohin wir am Wochenende wollten, bekam eine Frau einen Schrecken: das sei doch viel zu gefährlich. Worin genau die Gefahr bestand, erschloss sich mir nicht so genau. Wahrscheinlich weil man dort unter gewöhnlichen Durchschnittsmexikaner ist. Aber nicht nur die: zahlreiche US-Amerikaner tummelten sich auch auf dem Hügel. Besondere Kennzeichen: schlecht verschmierte Sonnencreme, Sonnenbrille und – warum immer auch immer – mitsamt alle weit über 70. Da der Aufstieg wirklich nicht ohne ist – innerhalb kürzester Zeit überwindet ungefähr 500 Höhenmetern – besteht wohl die größte Gefahr darin, dass ein Ami mit Herzinfarkt am Wegesrand liegt.

Einführung in die Ökonomie der Floristik: warum lässt der Blumenhändler Tulpen vergammeln?
Ach ja, die Flora: so freute ich mich dann auch, als ich bei den Blumenhändlern (die hier wirklich an fast jeder Straßenecke einen kleinen Stand haben) Tulpen entdeckte. Flugs schnappte ich mir einen Bund mit neun Tulpen. Der Verkäufer strahlte mich an, ich strahlte zurück, fragte, wie teuer die denn seien und dann war es auch schon mit meinem Strahlen vorbei: er wollte umgerechnet fast 30 Euro für den Bund. Kein Wunder, dass er so gestrahlt hat, schließlich wäre ich ja ein gutes Geschäft gewesen. Jetzt weiß ich wenigstens: die Tulpe gilt als super-exklusiv. Und wird wegen ihres hohen Preises fast nie gekauft. In den folgenden Tagen beobachtete ich, wie die Tulpen in den kleinen Lädchen sich öffneten, langsam die Köpfe hängen ließen und dann unter dem Tisch verschwanden. Ob das gute Preispolitik ist?

Dahlien sollen essbar gewesen sein
Und noch was Floristisches: die Dahlie wurde ursprünglich aus Mexiko nach Europa eingeführt, nicht, weil sie unser Auge so erfreut, sondern weil man die Knollen essen konnte. Aber bitte jetzt nicht versuchen: ich habe gehört, die heutigen Pflanzen sind ganz anders gezüchtet und ich weiß nicht, ob die noch genießbar sind.

Der reichste Mann der Welt eröffnet ein Museum
Genug Blumiges für heute, schließlich strahlt hier die Sonne und die Stadt will weiter entdeckt werden. Apropos entdecken: auf unserem Arbeitsweg fuhren wir in den letzten Monaten an einer Baustelle vorbei. Christophers Vermutung war, es könne ein neues Parkhaus sein. Aber weit gefehlt: Carlos Slim wird dort sein neues Museum eröffnen. Der reichste Mann der Welt hat nicht nur das meiste Geld, sondern auch eine riesige Kunstsammlung, in der sich u.a. die größte private Rodin-Sammlung befindet. Seitdem ich das weiß, lauere ich der Eröffnung entgegen, die aber erst Ende März sein wird. Die lateinamerikanische Prominenz durfte jetzt schon rein: in einem Zeitungsartikel stellte ich dann verwundert fest, dass Garcia Marquez ja immer noch lebt (nun gut, Fidel Castro lebt ja auch noch). Ich bin guten Mutes, dass die Eröffnung dann wirklich in ein paar Wochen sein wird, aber hier in Mexiko weiß man ja nie.

Texcoco: der verschwundene See und der Gestank

Hier badete schon der König (wahrscheinlich nicht allein). Ob die Graffitis auch von ihm sind, mag bezweifelt werden.
Hier badete schon der König (wahrscheinlich nicht allein). Ob die Graffitis auch von ihm sind, mag bezweifelt werden.

So lange ich nicht weiß, was die Zukunft bringt, habe ich ja noch ausreichend Gelegenheit, mich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Rund 20 Kilometer von der östlichen Stadtgrenze entfernt liegt Texcoco. Die Stadt ist nach dem Texcoco-See benannt, der einst hier war. Die Aztekenhauptstadt Tenochtitlán lag auf einer Insel in diesem See, der ca. sechsmal größer als der Bodensee war. Fast nicht vorstellbar, wie die Spanier es geschafft haben, den See zurückzustauen und trockenzulegen. Heute ist nur noch eine Pfütze zwischen Mexiko-Stadt und Texcoco übrig geblieben. Es fällt auf, dass die Hauptstadt nicht in diese Richtung weiter expandiert und man über eine Autobahn diese knappen 20 Kilometer durch unbebautes Gebiet fährt. Wenn man jedoch die Fensterscheibe öffnet, kann man eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, warum hier keine Häuser sind: ein Gestank von Müll und Kloake dringt penetrant in die Nase. Und man hat keine Vorstellung davon, was eventuell in dem See-Rest verkappt wird. Texcoco hingegen wirkt wie eine typische mexikanische Mittelstadt, am Ortsrand liegt ein großer Park und in dessen Nähe der Cerro Tlaloc.

Wasserspiele für den Herrscher Nezahualcóyotl

Heute sieht der Hügel doch ein bisserl karg aus. Unten rechts sieht man noch das Aquädukt, das dem Badevergnügen diente.
Heute sieht der Hügel doch ein bisserl karg aus. Unten rechts sieht man noch das Aquädukt, das dem Badevergnügen diente.

Hier befinden sich die Überreste des Palastes Tetzcotzingo, den wohl der Herrscher Nezahualcóyotl hier im 15. Jahrhundert errichten ließ. In dieser trockenen und kargen Landschaft kann man sich fast nicht vorstellen, dass er einen Palast hat errichten ließ, der von einem grünem Landschaftspark mit Wasserspielen umgeben war, der von einem ausgeklügelten System bewässert wurde. Dieses Bewässerungssystem diente aber auch noch einem weiterem Vergnügen des Königs: überall auf dem Hügel befinden sich Badelöcher. Wohl konnte er sich hier seiner Muße hingeben, schließlich hatte er mit der Aztekenhauptstadt Tenochtitlán und Tlateloloco (heute ein Stadtteil im Norden von Mexiko-Stadt, damals ein eigenes Reich) einen Nichtangriffspakt abgeschlossen, so dass er sich nicht sorgen musste, dass die Nachbarn angreifen.

Architektur, Philosophie und die Leidenschaft der Lenden
in weiterer Schutz war wohl auch seine zahlreichen verwandtschaftlichen Verbindungen zu den beiden Reichen (er hatte angeblich über 100 Kinder von zahlreichen Frauen). Dafür konnte er im Laufe seines Lebens sich seinen anderen Leidenschaften (nicht nur der der Lenden) ausreichend widmen: Architektur und Philosophie. Auf dem Hügel begegnet man auf Schildern all seinen Weisheiten, die er auf diese Weise schriftlich verfasst und hinterlassen hat.
Euch wünsche ich auch viele weise Erfahrungen in der kommenden Zeit, sowieso alles Gute und ich hoffe, ihr lasst mal wieder von euch lesen!!!

Hasta luego,
Marion

Ciudad Mexico: Tote Ratten im Motorblock. Deutsche Musik und „Fiesta mexicana“ im Sprachkurs.

Marion Koerdt schaut genau hin. Zu Besuch auf dem Kahlen Asten. (foto: zoom)
Marion Koerdt schaut genau hin. Aus Mexico zu Besuch auf dem Kahlen Asten. (foto: zoom)

Dieser Artikel ist der elfte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir rechnen es Marion hoch an, dass sie uns im Januar in Winterberg besucht hat. Wir haben sie auf den Kahlen Asten geschleppt und sie hat uns sehr viel über ihr Leben in Ciudad Mexico erzählt. Jetzt haben wir einen neuen interessanten Bericht erhalten. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos,

na, auch wenn das Jahr nunmehr bereits ein Monat alt ist, hoffe ich, es ist noch nicht zu spät euch allen erst einmal alles Gute für die verbleibenden 11 Monate in diesem Jahr zu wünschen.

Ich bin nunmehr auch seit drei Wochen zurück und der Alltag hat –wie sollte es anders sein- mich wieder fest im Griff.

Doch eine wenig leckere Überraschung erwartete Christopher und mich einige Tage nach unserer Rückkehr nach Mexiko. Die empfindlicheren Gemüter sollten diesen Teil überspringen und erst später wieder einsteigen.

Also … hier wird es unappetitlich
Am Samstag nach unserer Rückkehr gingen wir zu unserem bewachten Parkplatz, wo uns der dort arbeitende Chico darauf hinwies, dass es von unserem Wagen aus seltsam roch.

Zunächst dachten wir, dass der Hofhund den Wagen angeschissen hätte und verfluchten schon innerlich die Töle. Doch wir konnten nichts entdecken. Dann öffnete Christopher die Motorhaube und ich sprang zwei Meter mit einem entsetzlich gequietschten „Uäh“ zurück.

Auf dem Motorblock lag eine tote, angeschmorte -und wohl gerade im Inbegriff zu verwesen- Ratte. Doch das war bei weitem nicht so ein possierliches Tierchen, wie wir sie aus Mitteleuropa kennen. Sie nahm der Länge nach den gesamten Kühlergrill ein. Doch damit noch nicht genug: sie hatte sich aus Müll und Plastikfetzen ein Nest gebaut und Junge geworfen (die auch nicht überlebt haben). Kurzum: im Motor war eine Riesensauerei, die entfernt werden musste.

Der Chico hielt sich die ganze Zeit im Hintergrund und nachdem wir ihm gesagt hatten, was der Geruchsauslöser war und er mit Würgen beschäftigt war, war klar, dass von ihm keine Säuberungshilfe zu erwarten war. So durften wir das selbst erledigen und nachdem das Gröbste entfernt war, fuhren wir zur Tankstelle, um den Motor reinigen zu lassen.

Die Jungs dort nahmen das mal locker hin, nachdem wir erklärt hatten, woher der angeknabberte Schlauch und die Blutspuren kamen. Der eine zog mit zwei Schraubendreher auch noch ein weiteres verendete Rattenbaby heraus und stellte nur trocken fest, wenn wir nicht noch etwas für den Abend-Taco bräuchten, würde er sie nun wegwerfen.

Wir hatten uns den Samstagnachmittag wahrlich anders vorgestellt und auch das anschließende Essen in unserer bevorzugten Schnellrestaurantkette (von der wir uns immer noch einreden, dass das Essen dort ganz okay sei, weil es frisch gepresste Säfte gibt) hat uns nicht so gemundet wie sonst. Irgendwann einmal hatte mir ein Schüler erzählt, dass vor seinem Haus eine soooo große Ratte vorbeigelaufen sei und dabei eine Rumpfgröße von über 30 Zentimetern mit den Händen angezeigt und ich habe nur gedacht, jaja, erzähl der Tante aus Deutschland mal schöne Schauergeschichten. Nun habe ich beschlossen, den Schülern auch mal was zu glauben.

So, hier können auch die empfindlicheren Gemüter wieder einsteigen

Hier holen sich die Mexis ihre akademischen Weihen: angeblich sollen sich an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) ca. 400 000 Studenten befinden. Am Wochenende ist es eher leer und man fragt sich schon, wo die denn alle auf dieser Fläche hinpassen sollen. (foto: Koerdt)
Hier holen sich die Mexis ihre akademischen Weihen: angeblich sollen sich an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) ca. 400 000 Studenten befinden. Am Wochenende ist es eher leer und man fragt sich schon, wo die denn alle auf dieser Fläche hinpassen sollen. (foto: Koerdt)

Mein Bildungseifer wurde nach meiner Rückkehr auch ausgebremst, als ich feststellen durfte, dass ich die einzige bin, die sich für den Folgekurs an dem Uni-Institut interessierte. Nun hoffe ich, dass der nächste Kurs im März zustande kommt, denn das Hirn scheint ein seltsam Ding zu sein, dem es bequemt, mühsam Erlerntes sofort wieder zu vergessen. Aber der Alltag kommt auch mit wenig Vokabeln und Grammatik zurecht.

Ein Rundgang lohnt sich, denn zahlreiche, namhafte Künstler haben auf den Gebäuden ihre Spuren hinterlassen. So hat Juan O'Gorman liebevoll mit vielen, kleinen bunten Steinchen Mosaike zusammengesetzt, die wiederum die Zusammensetzung unserer Weltbilder widerspiegeln sollen. Und manches mahnt eher sozialistisch-idealistisch an auf dem Campus, der übrigens zum UNESCO-Welterbe gehört.
Ein Rundgang lohnt sich, denn zahlreiche, namhafte Künstler haben auf den Gebäuden ihre Spuren hinterlassen. So hat Juan O'Gorman liebevoll mit vielen, kleinen bunten Steinchen Mosaike zusammengesetzt, die wiederum die Zusammensetzung unserer Weltbilder widerspiegeln sollen. Und manches mahnt eher sozialistisch-idealistisch an auf dem Campus, der übrigens zum UNESCO-Welterbe gehört.

Was mich aber vielmehr fasziniert ist, dass ich regelmäßig ins Stocken komme, wenn ich mal etwas Grammatisches aus dem Reich des Deutschen erklären soll. Also beste Voraussetzungen, um hier Sprachunterricht zu geben. Der Rettungsspruch ist immer „Das ist eben so im Deutschen“ und die Leute nehmen das erst einmal so hin, bevor ich mal nachschauen kann, was sich dann nun schon wieder dahinter verbirgt.

In meinem Erwachsenenkurs sind wir nun bei einem schönen Kapitel angelangt: es geht um Musik. Warum sich das Lehrbuch eine Band ausgesucht hat, die englisch singt, ist mir schleierhaft (abgesehen davon sind die „Young Gods“ auch nicht so mainstreamfähig). Na ja, Herbert Grönemeyer erscheint auch noch in dem Kapitel und die Frauen im Kurs waren auch ganz ergriffen, als sie erfuhren, dass er das Lied „Mensch“ nach dem Tode seiner Frau geschrieben hat.

Weiteres deutsches Liedgut konnte ich ihnen dann dank „Youtube“ näher bringen und war doch leicht irritiert, wie begeistert sie auf Heino und Maria Hellwig reagierten (schließlich sind die meisten Kursteilnehmer in meinem Alter). Na ja, als ich mit Christopher in Paraguay war und wir dort auf seinem ehemaligen KFZ-Mechaniker trafen (ein Mennonit mit dem schönem Namen Karl-Heinz) wurden wir in seinem Wagen nach seiner Ankündigung „ich habe das was Tolles aus Deutschland“ auch mit Heino beschallt.

Dann habe ich noch einen folgenschweren Lehrfehler begangen, indem ich Schlagermusik präsentierte, die sich thematisch ausschließlich mit Mexiko beschäftigte („Fiesta mexicana“, „Anita“ und „Puppenspieler von Mexiko“) und bei meinen Schülerinnen den Rückschluss zuließ, deutsche Schlagermusik würde sich nur mit Mexiko beschäftigen. Aber falls jemand noch ein Thema für eine kulturwissenschaftliche Arbeit sucht: „Orte der Sehnsucht – Die Bedeutung Mexikos im deutschen Schlager“ würde sich anbieten.

Damit mir nicht noch mehr Fauxpas unterlaufen, werde ich nun das alles mal gewissenhafter vorbereiten, deswegen schließe ich auch für heute (nee, Mädels, in Wirklichkeit ist Winterschlussverkauf und ich wollte gleich mal losspazieren) und wünsche euch allen nochmals alles Gute und hoffe von euch demnächst auch mal wieder Lebenszeichen zu erhalten!

Hasta luego y muchos saludos desde México,
Marion

Ciudad Mexico: dunkelhäutige Heilige, Weihnachten, die größte Schlittschuhbahn der Welt und das Jahresende

Ein weihnachtliche "hola a todos". (fotos: koerdt)
Ein weihnachtliches "hola a todos". (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der zehnte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden. Zum Jahresabschluss wird es noch einmal so richtig weihnachtlich. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Dies wird wohl das letzte Lebenszeichen von mir in diesem Jahr aus Mexiko. Doch keine Sorge, ich bleibe ja noch länger hier. Monate sind ja scheinbar nicht mehr als zyklische Unterteilungen, so dass man fast das ganze Jahr über sagen kann „alle Jahre wieder“.

Der höchste christliche Feiertag: Virgen de Guadalupe
Also, alle Jahre wieder am 12. Dezember, findet das Fest der Virgen de Guadalupe statt, der höchste christliche Feiertag in Mexiko. Im Jahre 1531 (also recht kurz nach der Eroberung der Aztekenhauptstadt Tenochtitlan im Jahre 1521) erschien dem bereits bekehrten Indio Juan Diego die Jungfrau Maria. Wie der Zufall es wollte, geschah dies auf dem Hügel von Tepeyac. Dort stand nämlich bereits ein Schrein, der der Göttin Tonantzín geweiht war, eine der wichtigsten aztekischen Gottheiten. Hier waren bereits die Azteken hingepilgert und haben ihrer Göttin Opfer dargebracht. Somit war es um so ein Leichteres diesen Kult einfach mal zu christianisieren.

Die dunkelhäutige Jungfrau
Die Indios pilgerten einfach weiter dorthin und Juan Diego holte sich beim damaligen Erzbischof die Bestätigung, als er wenige Tage später bei diesem erschien und aus seinem Mantel Rosen (die damals in Mexiko völlig unbekannt waren) und ein Bild der Jungfrau mit einem Strahlenkranz zauberte. Dass diese passenderweise auch noch etwas dunkelhäutiger war (wie die Indios) und damit auch mehr Identifikationsfläche bot, war wohl purer Zufall. Jedenfalls stehen an der Stelle der Erscheinung im Norden von Mexiko-Stadt nunmehr neben weitern kleinen Kapellen zwei Basiliken. Die ältere aus dem Jahre 1700 sackt so langsam in die Erde hinab, die neuere wurde 1976 errichtet und ist auf die Pilgerströme bestens vorbereitet.

Auf nach Bad Mexiko, wo die Luft noch rein ist und die heilige Maria dunkelhäutig.

Auf nach Bad Mexiko, wo die Luft noch rein ist und die heilige Maria dunkelhäutig.
Auf nach Bad Mexiko, wo die Luft noch rein ist und die heilige Maria dunkelhäutig.

Eine vierspurige Rolltreppe gleitet den fußmüden Pilger an dem Bild der Guadalupe vorbei. Und einmal im Jahr ist eben der Tag der Guadalupe. Woran wir aber natürlich am letzten Samstag nicht gedacht haben, als wir Richtung Osten die Stadt verließen, um am Popocatepl wandern zu gehen. Auf der riesigen Ausfahrtsstraße kamen uns Massen an Radfahrern entgegen, die den Verkehr blockierten. Mein Erstaunen war grenzenlos: nie hätte ich gedacht, dass in diesem Land so viele Räder existieren. Und die Unfähigkeit diese auch verkehrsgerecht zu fahren, ließ bei den Rückschluss zu, dass sich diese Leute nur an diesem Tag auf den Sattel gesetzt haben. Doch die Menschenmenge bewegte sich nicht nur auf zwei Rädern Richtung Stadt, sondern auch zu Fuß. Es sah aus wie eine Evakuierungswelle nach dem Ausbruch des Popocatepls. Nur: die wabernde Welle trug nicht ihre Habseligkeiten bei sich, sondern kiloschwere Bilderrahmen, in denen Bildnisse der Guadalupe eingefasst waren. Auf Kinderwägen waren kleine Statuen montiert worden und so fuhren wir im Schritttempo an der Masse vorbei, die sich auch durch diese stickige, staubige Abgasluft nicht von ihrem Ziel abhielten ließ.

Nur Fundamentalkatholiken stellen sich Adventskränze in ihre Wohnzimmer

Kein Bienenwachs nirgends.
Kein Bienenwachs, nirgends.

Eigentlich wäre dies wieder einmal ein Zeichen für die tiefe Religiosität in diesem Land, an der ich doch immer mehr zweifle. Schließlich erklärte mir eine Kollegin, dass sich eigentlich nur Fundamentalkatholiken Adventskränze in ihre Wohnzimmer stellen würden. Und tatsächlich stellt es einen Akt der Unmöglichkeit dar, einen Adventskranz käuflich zu erwerben. Auch nicht an den Weihnachtsmarktständen, die sich ein kleines Stückchen entlang des Paseo de la Reforma (dem „Prachtboulevard“ vom Chapultepec-Park zum Zocalo, also dem Hauptplatz in der Innenstadt) reihen. Hier bekommt man Spezialitäten aus dem Iran (sic!) und eine Molkereikette hat unzählige Büdchen im Beschlag, um dort Joghurt zu verkaufen.

Ansonsten gibt es Weihnachtssterne, Weihnachtssterne, Weihnachtssterne im Angebot. Was eigentlich auch nicht wundert, schließlich kommt diese Pflanze hierher und das hat zur Folge, dass in den letzten Wochen die gesamte Stadt damit bepflanzt worden ist. Oder man bastelt riesige Weihnachtsbäume aus diesen Pflanzen (s.o.). Eigentlich nett anzusehen.

Warmer Früchtepunsch, mit einem Schuss Tequila getunt
Eine weitere Nettigkeit in der Vorweihnachtszeit sind die posadas. Gemeinhin lädt die Nachbarschaft in der Woche vor Heiligabend dazu ein, aber da mein Uni-Kurs bereits Mitte Dezember geendet ist, wurde dort die posada zum Abschluss des Semesters vorzeitig durchgeführt. Die posada beginnt mit einem Singspiel, das die Herbergssuche des Josefs nachstellen soll. Eine Gruppe steht draußen, eine andere im Haus. Nun wird abwechselnd gesungen, bis man sich schließlich doch der draußen stehenden Gruppe erbarmt und sie rein bittet. Anschließend wird gegessen und getrunken. Hier gibt es keinen Glühwein, dafür aber ponche con piquete. Das ist ein warmer Früchtepunsch, der mit einem Schuss Tequila getunt wird. Die Wirkung ist mit der von Glühwein vergleichbar.

Pinatas sind auch bei Erwachsenen beliebt
Auch bei Erwachsenen sind dann die pinatas sehr beliebt. Das sind Pappmachee-Sterne (sonst auch gerne andere Figuren), die aufgehängt werden und die mit einem Stock zerschlagen werden müssen. Klingt einfach, aber wenn einem die Augen verbunden werden und man so zwei, drei ponches intus hat, kann ich euch sagen, dass das eine fast unlösbare Aufgabe ist.

Die größte Schlittschuhbahn der Welt – verwaist

Ja, wo laufen sie denn?
Ja, wo laufen sie denn?

Ein Highlight hat diese Stadt in dieser Zeit auch noch zu bieten: auf dem Zocalo wurde die größte Schlittschuhbahn der Welt aufgebaut. Aber: als ich dort war, war sie leer. Auch andere, die dort waren, teilten mir mit, dass sie keinen einzigen Kufendreher dort gesehen hätten. Vielleicht hat der Mexi doch eher ein distanziertes Verhältnis zur Kälte und zum Eis. Auch mir erscheint es absurd bei 24 Grad Schlittschuhzulaufen. Abgesehen davon, dass ich das auch nur ganz übel hinbekomme (habe mir im zarten Alter von 11 Jahren dabei meine erste Gehirnerschütterung geholt, seitdem sehe ich alles andere als elegant auf dem Eis aus).

Ansonsten kommt mir die Vorweihnachtszeit hier doch sehr vertraut vor: der Dekorationskitsch kennt keine Grenzen, die Lichterketten funkeln und die Leute kaufen die Geschäfte leer.

Ich gebe zu: auch ich habe etwas in diesem Laden gekauft. Allerdings eine Flusenbürste (nicht auf dem Bild zu sehen).

Was Frisöre fragen: Lassen sich Frauen in Deutschland die Beinhaare auch mit Wachs entfernen?

 Ich gebe zu: auch ich habe etwas in diesem Laden gekauft. Allerdings eine Flusenbürste (nicht auf dem Bild zu sehen).
Ich gebe zu: auch ich habe etwas in diesem Laden gekauft. Allerdings eine Flusenbürste (nicht auf dem Bild zu sehen).

Ganz anderes Thema: eine Frage, die meinen Frisör hier wohl schon lange umtrieb und die er sich endlich getraut hat, mich zu fragen, ist, ob sich die Frauen in Deutschland die Beinhaare auch mit Wachs entfernen lassen. Als ich antwortete, manche schon, war er sehr überrascht, dass es das auch in Deutschland gäbe. Ich hätte ihm im Gegenzug aber klarmachen können, dass mexikanische Frisöre überhaupt nicht in der Lage sind, blonde Strähnchen zu machen. Jedenfalls sah ich nach meinem letzten Frisörbesuch eher so aus, als hätte ich auf einmal graue Strähnchen. Vielleicht lässt das mich ja weiser erscheinen. Da ich ja ein höflicher Mensch bin, habe ich die Klappe gehalten und mich dazu entschlossen, den Frisör zu wechseln. Auch wenn ich dann auf Schmeicheleien wie ich sähe aus wie Claudia Schiffer verzichten muss (was aber ein Leichtes ist).

Also, ich wünsche euch allen ein schönes Weihnachtsfest (wo immer ihr auch seid) und viele tolle Weisheiten für das kommende Jahr (und sowieso alles Gute, Gesundheit und Gelassenheit für die folgenden Monate/ ihr wisst schon, alle Jahre wieder).

Hasta luego!

Ciudad Mexico: im November. Wer immer noch glaubt, dass ganz Mexiko aus Wüste und Kakteen besteht, sollte dieser Tage mal hierher kommen. Nachts und morgens ist es arschkalt – so zwischen 2 und 5 Grad.

Das ist übrigens Taxco. Nichts fürs Fußfaule, denn es geht immer steil berghoch. Da aber der gemeine Mexi im Allgemeinen doch eher zur Trägheit neigt, dieseln Käfer-Taxis durch die Stadt. Nicht gerade schön, denn ab und an verschlägt es einem doch dem Atem und das nicht, weil man von den Ausblicken so beeindruckt ist.
Das ist übrigens Taxco. Nichts fürs Fußfaule, denn es geht immer steil berghoch. Da aber der gemeine Mexi im Allgemeinen doch eher zur Trägheit neigt, dieseln Käfer-Taxis durch die Stadt. Nicht gerade schön, denn ab und an verschlägt es einem doch dem Atem und das nicht, weil man von den Ausblicken so beeindruckt ist. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist der neunte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Heute frieren wir mitten im November und kleiden uns in merwürdige Frottee-Klamotten. Den männlichen Toten legen wir Bierdosen und Tequila-Flaschen aufs Grab. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Auch hier hat der November zugeschlagen, wenn auch anders als in Deutschland. Wer immer noch glaubt, dass ganz Mexiko aus Wüste und Kakteen besteht, sollte dieser Tage mal hierher kommen. Nachts und morgens ist es arschkalt – so zwischen 2 und 5 Grad. Und das Tolle: es gibt keine Heizungen, so dass ich die Hälfte des Tages (ab Mittag werden es dann doch wieder angenehme 23 Grad) eigentlich nur vor mich hin bibbere.

Nicht alles, was wärmt ist auch gut. Kleidung kurz vor der Entmündigung

Ehrlich, wer trägt denn so etwas? (fotos: koerdt)
Ehrlich, wer denkt sich denn so etwas aus? (fotos: koerdt)

Bei Woolworth um die Ecke gibt es Heizradiatoren, die etwas helfen, die aber auch mit schöner Regelmäßigkeit die Sicherung raushauen. Aber die Mexikaner wissen sich auch anders zu behelfen. In besagtem Geschäft traute ich meinen Augen nicht, als ich in der Damenabteilung Frottee-Schlafanzüge in Stramplerform, quietschrosa und mit lustigen Teddy-Motiven entdeckte.

Solche Kleidungsstücke stehen doch kurz vor der Entmündigung. Auch bei den Pantoffeln kennen die Hersteller hier für die Dame von Welt kein Pardon: sei es der überdimensionierte Plüschturnschuh oder die Form x-beliebiger Tierpfoten; der Lächerlichkeit sind keine Grenzen gesetzt. In diesem Punkt bemerkte ich doch meine Eitelkeit und beließ es bei orange-türkis-geringelten Plüschsocken.

Flucht aus der Kälte
An den Wochenenden kann man der Kälte wenigstens entfliehen. Kaum kommt man aus der Stadt heraus und fährt ein paar Kilometer weiter südlich und nähert sich ein bisschen dem Meeresspiegel, ist wieder tollstes Pool-Wetter. So war ich in diesem Monat bereits zweimal in Taxco, eine Perle der hiesigen Kolonialstädtchen. Aber das ist nicht das einzig Besondere in der dortigen Gegend. Die leicht hügelige Landschaft bietet so manche phantastische Aussicht.

Die Grutas de Cacahuamilpa – ein atemberaubendes Tropfsteinhöhlensystem

Mal ein kleiner Eindruck aus der Tiefe. Leider kann man nicht erkennen, dass auch das Teilchen hier knappe 20 Meter hoch ist.
Mal ein kleiner Eindruck aus der Tiefe. Leider kann man nicht erkennen, dass auch das Teilchen hier knappe 20 Meter hoch ist.

Doch nicht nur oben ist es dort schön, sondern auch unten. Ganz in der Nähe von Taxco liegen die Grutas de Cacahuamilpa, einer der größten Tropfsteinhöhlen-Systeme der Welt.

Was sich dort im Laufe von zig tausend Jahren gebildet hat, verschlug mir doch von Zeit zu Zeit die Sprache. Für die Öffentlichkeit sind zwei Kilometer zugänglich; insgesamt sind wohl 16 Kilometer von der Höhle erforscht. Manche Säle sind bis zu 80 Metern hoch, die Stalagmiten sind teils bis zu 50 Metern hoch. Bizarre Formen geben der Phantasie manchen Anreiz.

Leider besteht auch die Führung durch die Höhle nur von den Phantasievorstellungen des Guides: sehen Sie dort, ein Gorilla, dort ein Weihnachtsmann, da hinten noch ein Gorilla. Geologische oder geschichtliche Informationen sucht man vergeblich in den Ausführungen.

Ich verstieg mich dann doch zu der Frage, wann dann nun und von wem die Höhle entdeckt worden sei. Dann wurde mir eine krude Geschichte von einem Engländer erzählt, der gesehen hätte, wie sein Hund durch ein Loch verschwunden sei. Wann das denn gewesen sei? Ja, so um 1880. Nur leider wusste sogar mein Reiseführer zu berichten, dass bereits der Habsburger Maximilian I. (die unglückliche Gestalt, die von Napoleon III. während der Mexikanischen Interventionskriege 1864 zum Kaiser von Mexiko gekrönt wurde) bereits dort gewesen war. Und Maximilian I. wurde bereits 1867 in Querétaro hingerichtet. Daraufhin ließ ich doch einmal meine informationsgesteuerte Fragerei.

Der Tag der Toten. Für die Männer Bierdosen und Tequilaflaschen

In einer Kirche in Taxco am 'día de los muertos'.
In einer Kirche in Taxco am 'día de los muertos'.

Ach ja, Anfang November war auch noch der „día de los muertos“ (der Tag der Toten). Die Mexikaner gehen dann für gemeinhin auf die Friedhöfe, um mit ihren Verstorbenen zu feiern. Auch die Kirchen werden liebevoll und quietschbunt ausgestattet und es gibt überall Bilder von den Toten mit Gegenständen, die ihnen lieb und teuer waren.

Mir ist jedenfalls aufgefallen, dass sehr häufig bei männlichen Toten Bierdosen und Tequilaflaschen zur Dekoration gehörten. Natürlich ist dies kein rein katholischer Brauch. Die Indigenas haben zwar von den Spaniern den christlichen Glauben übernommen, haben ihn aber mit Elementen ihres ursprünglichen Glaubens vermengt, so dass auf so manchen Europäer diese Form des Katholizismus nicht gerade frömmelnd erscheint.

Natürlich besteht mein Leben nicht nur aus den kleinen Fluchten in die Kolonialstädtchen, sondern weiterhin hin auch aus Arbeit und dem Studium der spanischen Sprache. Doch dazu demnächst mal wieder mehr.

Ich hoffe, bei euch ist „todo bien“.

Hasta luego!

Ciudad Mexico: „butsch, butsch – zweimal ins Gesicht“ und andere Mentalitäten.

Auch der Mexi mag es ordentlich: jedenfalls parkt er seine Hunde in Reih und Glied. (foto: koerdt)
Auch der Mexi mag es ordentlich: jedenfalls parkt er seine Hunde in Reih und Glied. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der achte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Heute sinnieren wir über den Witz des Alltags, der manchmal gar nicht so lustig ist. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Zuckrig-süß mag es nicht nur der Mexikaner; so sitze ich gerade hier mit einem unverschämt leckeren Teilchen (gemeinhin als Blueberry-Muffin verkauft; die Amerikanisierung kennt keine Grenzen) und lasse das Wochenende Wochenende sein.

Deutsche Wochen im Supermarkt
In meinem Supermarkt um die Ecke ist gerade die „Deutsche Woche“ ausgerufen worden, das bedeutet, es wurden zwei Tische mit deutschen Produkten aufgestellt. Auf dem einen gibt es nur Bier, auf dem anderen Produkte von Firmen, die in Deutschland niemand kennt (außer Kühne Weißweinessig und Salatsaucen). Ein Weizenbier kostet umgerechnet 3 Euro. Kein Wunder, dass man glauben kann, dass aus Deutschland nur teure Qualitätsware kommt.

Ein neuer Job – jeder Mexi kennt Heidi
Bei mir haben sich marginal kleine Veränderungen ergeben, denn die Koerdt unterrichtet nämlich jetzt auch. Ich habe am Colegio den Anfängerkurs „Deutsch als Fremdsprache“ übernommen, der auf die Sprachzertifikate am Goethe-Institut vorbereiten soll. Das Tolle an der Sache ist nämlich, dass der Kurs für Erwachsene ist (meine älteste Schülerin ist 75 und trägt den unglaublich mexikanischen Namen Helga Blume*. Ihr Vater kam aus Österreich, hat aber mit den Kindern kein deutsch gesprochen) und man wird es mir nicht glauben: mir macht das Spaß. Ich habe ja sonst wenig Gelegenheit mein Halbwissen zu präsentieren, aber dort kann ich mich regelrecht austoben. Abgesehen davon lerne ich ja auch noch etwas; schließlich wusste ich beispielsweise nicht, dass jeder Mexi Heidi kennt, aber niemand weiß, dass das in der Schweiz spielt. Im Endeffekt unterrichte ich Deutsch auf Spanisch; was schon einige Male zu lustigen Verwirrungen geführt hat. Ich aber sehr witzig finde.

Mentalitäten: Warum nörgelt nicht endlich jemand?
Was ich weniger witzig finde, ist ein kleiner Mentalitätsunterschied, die mich von Zeit zu Zeit auf die Palme bringt. Ich kann gar nicht nachvollziehen, dass es in diesem Land Revolutionen gegeben haben soll, denn auf mich wirkt es, als sei die erste Bürgerpflicht, sich nicht einzumischen. In Deutschland mag die ständige Nörgelei und Herumerzieherei im öffentlichen Raum einem auf die Nerven gehen, aber: Nichtssagen kann bei meinem wohl doch deutsch temperierten Gemüt innere Wutausbrüche verursachen. Zwei Beispiele aus der letzten Woche, wobei das eine eher harmloserer Natur ist.

Das mexikanische Fell ist dick. Wutausbruch an der Schnellkasse.
Harmlos: Mittwochs findet im Supermarkt in der Nähe des Colegios der große Obst- und Gemüsetag statt. Das bedeutet, dass die Leute den Laden stürmen und ihre Einkaufswägen bis oben hin voll packen. Da ich eigentlich dort nur hingehe, um mir etwas zu essen zu holen, habe ich meist nicht mehr als drei, vier Teile. Der Supermarkt ist eigentlich auch auf so Kunden wie mich eingestellt, denn er hat eine so genannte Schnellkasse, an die man bis zu zehn Teile bezahlen kann.

Nur: da hält sich keine Sau dran.
So ging ich auch letzten Mittwoch wieder zur Schnellkasse, um zu sehen, dass vor mir zwei Frauen und ein Mann standen, die ihre Wagen bis zum Anschlag bepackt hatten. Die Kassiererin kümmerte sich gerade noch um einen weiteren Großeinkauf. Ich stand da und platzte innerlich. Dennoch riss ich mich zusammen und sprach die beiden Frauen vor mir freundlich an, um sie darauf hinzuweisen, dass das hier die Schnellkasse sei. Sie schauten mich nur kurz an und drehten sich wieder um.

Daraufhin bin ich auch äußerlich geplatzt und bedankte mich lautstark für ihr freundliches Verhalten. Keine Reaktion. Bis ein älterer Herr, der mit seinem Großeinkauf an der Nebenkasse stand, sich einschaltete und den beiden Frauen auch noch einmal klarmachte, dass sie eigentlich an dieser Kasse nichts zu suchen hätten. Daraufhin hörte ich nur, dass sie diese Ausländerin nicht verstanden hätten. Sie ließen mich dann aber vor, um sich dann erneut an dieser Kasse anzustellen. Unnötig zu erwähnen, dass die Kassiererin mich nicht verstand, als ich sie darauf ansprach, warum sie die Kunden nicht darauf hinweise, dass es sich um eine Schnellkasse handele.

Weniger witzig: „butsch, butsch – zweimal ins Gesicht“, denn wer sieht schon eine Schlägerei?
Weniger witzig war die Situation vorgestern: ich schlenderte zur schönsten Nachmittagszeit um viertel vor vier zu meiner

So friedlich ist eigentlich der Blick aus dem Küchenfenster. Nur manchmal bekommt eben ein paar Schritte weiter einer auch mal was auf die Nuss.
So friedlich ist eigentlich der Blick aus dem Küchenfenster. Nur manchmal bekommt eben ein paar Schritte weiter einer auch mal was auf die Nuss.

Bank um die Ecke, als ich auf einmal auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig sah, wie ein Mann um die 40, schick im Anzug, einen anderen in den Schwitzkasten nahm.

Zunächst dachte ich, dass es sich um eine Rauferei unter Kumpels handele, wurde doch schnell eines Besseren belehrt, als der Anzugsträger mit der Faust ausholte und dem anderen –butsch, butsch- zweimal ins Gesicht schlug. Der fiel zu Boden und rollte über die Bordsteinkante halb auf die Straße. Daraufhin trat der Anzugsträger auf ihn ein.

Die Leute, die auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig gingen, schauten sich das an und gingen wortlos weiter. Ich hielt es nicht aus und brüllte rüber, ob denn dort drüben alles in Ordnung sei (was Intelligenteres fiel mir gerade nicht ein). Daraufhin ließ der Anzugsträger von dem anderen ab, ohne jedoch auf mich zu achten, und verfluchte den anderen noch als Arschloch und was das denn solle und verschwand in dem Haus dahinter. Bevor ich die Straßenseite wechseln konnte, hatte sich auch der andere aufgerafft und ging seiner Wege.

Epileptischer Anfall? Lass hängen, nicht unser Problem.
Ich weiß, ich sollte nicht verallgemeinern, aber im Laufe meiner kurzen Zeit hier im Land sind einige vergleichbare Situationen passiert, unter anderem auch mit unserem Paco. Paco kümmert sich nicht nur um die Einparkmöglichkeiten vor unserem Haus und den Müll, sondern bekommt auch –wie wir jetzt erst erfuhren- ab und an epileptische Anfälle. Letzte Woche hing er völlig schief in unserem Hauseingang und machte auf mich den Eindruck, als schliefe er. Wir klopften ihn wach und dann stellte sich heraus, dass er gerade einen Anfall hatte und er jetzt dringend etwas zu essen und trinken brauche, da er völlig unterzuckert und dehydriert war. Die Leute seien auch an ihm einfach vorbeigegangen, als er zusammengebrochen sei.

Deutsche sind quadratisch
Ansonsten ist es alles friedlich; mein nächster Spanischkurs hat angefangen, in dem mir ein Franzose erklärte, dass die Deutschen quadratisch seien (es ging um die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Sprache und der Mentalität des Landes gäbe).

So, ich werde mich dann jetzt quadratisch, praktisch, gut meinem Sonntag widmen.

Muchos saludos!

*Namen geändert

Ciudad Mexico feiert und weitere Reiseberichte: „This is Belize, Baby. And we are speaking English.“

Belize - Inselstrand (fotos: koerdt)
Bounty und Barcadi: „This is Belize, Baby. And we are speaking English.“ (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der siebte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir ergänzen den Reisebericht über Kuba um Belize und Guatemala, werfen einen Blick auf die Feiern zum 200. Jahrestag des Beginns des Unabhängigkeitskampfes gegen die Spanier,  lassen uns einparken und empfangen weitere Dienstleistungen. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Fahnen an jeder Straßenecke.
Fahnen an jeder Straßenecke.

Ob es wirklich ein Vorurteil ist, dass der gemeine Mexikaner gerne feiert, kann ich in der kommenden Woche überprüfen. Denn dann beginnen die Feierlichkeiten zum 200. Jahrestag des Beginns des Unabhängigkeitskampfes gegen die Spanier und schon seit einiger Zeit kann man sich an jeder Straßenecke mit Fähnchen, Winkelementen in den mexikanischen Nationalfarben Grün-Weiß-Rot eindecken.

Kölner verstehen Mexico
Meine Kollegin Juana* hat mich ausdrücklich davor gewarnt zu den zentralen Feierlichkeiten auf dem Paseo de Reforma (dem Prachtboulevard von Mexiko-Stadt) oder zum Zocalo (dem Hauptplatz) zu gehen, da gerade die Männer sich nur besaufen und dann sehr grapschig werden würden (erinnert mich irgendwie an den Kölner Karneval). Ich solle doch lieber –bevor ich auf dumme Ideen komme- zu ihrer Familie zum Essen kommen.

Miguel Hildalgo – der“ Überall-Pater“
Auch an der Schule wird es wohl Feierlichkeiten geben: in der Regel wird ein Kind als Miguel Hildago verkleidet und das muß dann eine Glocke läuten. Die Verkleidung ist sehr einfach, denn Hildago fiel durch seine Haarpracht auf: Stirnglatze und längeres, silbergraues Haar. Dieser Pater begegnet einem überall in Mexiko (vorher hat er mir natürlich nichts gesagt), denn er war es, der zum Freiheitskampf am 16. September 1810 aufrief, nachdem er die Glocken seiner Kirche bimmelte und die Leute auf dem Platz vor dem Gotteshaus einfanden. Gut ging das nicht für ihn aus: ein knappes halbes Jahr später hatten die Spanier ihn hingerichtet und seinen Schädel an dem Festungsbau Alhóndiga de Granaditas in Guanajuato geknüpft. Dort blieb er dann auch erst einmal 10 Jahre, bis 1821 Mexiko endlich unabhängig wurde.

Ein positiver Kulturschock – Tikal in Guatemala: schier unfassbar, was die dortigen Mayas sich für Gebäude hingestellt haben.
Schnell hat einen der Alltag wieder und die kleinen Erkundigungen der letzten Wochen kommen mir bereits als vollendete Vergangenheit vor. Dennoch möchte ich noch kurz von einer Stätte berichten, die mit zu dem Eindrucksvollsten gehört, was ich bislang in meinem Leben gesehen habe:

Sie existiert wirklich. Unsere Autorin gut behütet vor der Pyramide (foto: koerdt)
Sie existiert wirklich. Unsere Autorin gut behütet im Urwald vor der Pyramide (foto: koerdt)

Tikal in Guatemala. Es ist schier unfassbar, was die dortigen Mayas sich für Gebäude hingestellt haben. So kann man auch heute noch über Außentreppen 60 Meter hohe Pyramiden besteigen und von dort über einen Urwald blicken, dessen Bäume meist 50 Meter hoch sind. In diesen Bäumen tummeln sich Brüllaffen, dessen Schreie sich wie das Fauchen eines Jaguars anhören (also in jedem Fall sehr bedrohlich) oder es fliegt mal ein Tukan vorbei. Das Einzige, was an diesem Faszinosum stört, sind die Moskitos. Zumal uns auch bestätigt wurde, dass es sich bei Tikal um ein Malaria-Gebiet handelt. Entsprechend innerlich hysterisch habe ich dann auch auf zwei Mückenstiche reagiert, die ich mir dort geholt habe (jetzt dürfte allerdings die Karenzzeit überschritten sein).
Kurzum: Es gibt also auch angenehme Kulturschocks.

Ein unangenehmer Kulturschock an der Grenze zu Belize: „You better belize ist“
Nicht so ganz angenehm fand ich hingegen den Kulturschock, den ich erfuhr, als wir vorher nach Belize eingereist waren. Bereits an der Grenze wurde mir klargemacht –nachdem ich mich noch auf Spanisch bedankt hatte-, wo ich mich befinde: „This is Belize, Baby. And we are speaking English.“ Tja, nur dass dieses Pidgin-English scheinbar nur aus Vokabeln wie Darling, Sweetheart, Babe etc.pp. besteht. Nach ein, zwei Tagen war ich ziemlich genervt von diesen oberflächlichen Schmeicheleien (wenn es überhaupt welche sind). Auch der Tourismus-Slogan „You better belize it“ klingt eher wie eine Drohung als die Vorfreude auf ein Urlaubsparadies.

Schöne, junge Menschen, die unter Palmen am Strand abhängen. Bounty und Barcadi.
Belize City ist eine Stadt, die man möglichst schnell verlassen möchte: als einzige Sehenswürdigkeit ist eine Drehbrücke aus den 20er Jahren in den Touristenführern angegeben. Zum Glück geht das „Verlassen“ auch ganz gut, denn von dort starten die Schnellboote auf die Inseln vor Belize; und da hat man das, was man so gemeinhin aus Bounty- oder Barcardi-Werbung kennt. Schöne, junge Menschen, die unter Palmen am Strand abhängen.

Die junge Kubanerin und eine Quizfrage.
Auf Caye Caulker konnte ich feststellen, dass ich nun wirklich nicht mehr zum hippen Jungvolk gehöre (den nachmittäglichen Cocktail an der Strandbar konnte ich dennoch genießen.). Hier begegnete mir auch noch einmal Kuba wieder – und zwar in Form einer jungen Frau, die in einer Strandbar arbeitete und uns allen Ernstes weißmachen wollte, dass sie vom kubanischen Staat einen Ein-Jahres-Vertrag für diesen Job bekommen hätte. Daß sie aller Wahrscheinlichkeit nach geflohen ist, wollte sie warum auch immer nicht erzählen.

Ach ja, zum Schluss noch eine kleine Quizfrage: Wie heißt die Hauptstadt von Belize? He, nicht bei Wikipedia nachschauen.

Zurück in Ciudad Mexico: die Dienstleistungsgesellschaft gebiert Parkplatzanweiser und Müllträger.
Ja, wie gesagt, mittlerweile hat mich der Alltag wieder und das fällt mir dann auf, wenn mir bestimmte Dinge schon gar nicht mehr auffallen: zum Beispiel die Parkplatzeinweiser. Dieser Job besteht darin, dass sie eine Dienstleistung anbieten, die gar nicht benötigt wird. Sie stehen mit einem Putzlappen auf den Schultern auf den Straßen und winken den Autofahrern, die vorbeifahren, die Parkplätze zu. Wenn einer parken will, fuchteln sie wie wild mit den Armen herum, um Einparkhinweise zu simulieren. Für diesen nicht gewünschten Dienst verlangen sie dann ein paar Pesos.

Pacos Dienstleistungen
Vor unserer Tür steht Paco. Paco steht morgens um sechs dort (wenn ich aufstehe) und er steht auch noch dort, wenn ich von der Arbeit zurückkomme. Paco hat sich aber auch noch weiter auf den informellen Arbeitsmarkt ausgebreitet: seit unserem Umzug wurde es zu einem regelrechten Sport für uns, die Müllwagen abzupassen, wenn sie die Straße durchquerten, so dass wir schnell mit unseren Mülltüten -die sich teils bereits in der Küche gestapelt hatten, weil wir tagelang die Müllabfuhr verpasst hatten- auf die Straße sprinteten, um sie auf den Müllwagen zu werfen. Dass wir uns damit grundlegend falsch verhielten, machte uns Paco in der letzten Woche klar: er sei dafür verantwortlich. Wir sollten lediglich die Tüten rauslegen und er kümmert sich darum. Natürlich nicht unentgeltlich. Ich bin gespannt, welche Dienstleistungen Paco sonst noch im Repertoire hat.

Muchos saludos!

* Namen geändert

Von Ciudad Mexico nach Havanna. Meine kleine Kuba-Krise.

Unweit des Prachtboulevards von Havanna (foto: koerdt)
Ironie der Lage: in der Nähe des Prachtboulevards von Havanna (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der sechste Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir machen eine Reise und beobachten das Leben in Kuba. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Nachdem ich erfolgreich meine kleine, persönliche Kuba-Krise hinter mich gebracht habe, bin ich wieder in Mexiko-Stadt gelandet. Zum Glück war Kuba nicht das alleinige Ziel, so dass ich nun mit vielen neuen (und vor allen Dingen auch tollen) Erfahrungen in die Stadt zurückgekehrt bin. Aber der Reihe nach:

Am Prachtboulevard, dem Malecon, von Havanna
Am Prachtboulevard, dem Malecon, von Havanna

Angefangen hat alles vor über einem Monat in Havanna. Gut gelaunt landeten Christopher und ich auf dem sozialismusschicken Flugplatz und sofort wurde ich für ein Verhör von einem Flughafenmitarbeiter herausgepickt. Schwupp war mein Pass weg und natürlich wollte mir niemand sagen, was das nun soll. Angestrengt verfolgte ich den Weg meines Passes, der durch fünf verschiedene Hände ging, während ich auch noch versuchte, Christopher im Blick zu behalten. Nach einer wirklich lächerlichen Befragung konnten wir (als wir endlich Christophers Freund Uwe*, der aus Frankfurt gekommen war, in der Abflughalle getroffen hatten) uns auf dem Weg in die Trümmer-Metropole machen.

Der Sozialismus und die Privatwirtschaft
Es gibt eine im Prinzip nette Idee in Kuba: so kann man privat bei Familien übernachten, die dann einen auch noch bewirten. Doch diese Idee wirft ihre Schattenseiten, wie wir im Laufe der Tage feststellen durften. Wir landeten bei Senor Julio, ein nette, älterer Schnauzbartträger, der gepflegt im Unterhemd seine Tage vor dem Fernseher verbringt.

Der Unvermeidliche Che Guevara
Der Unvermeidliche - Che Guevara

Als erstes erfuhren wir, dass er uns bei „einer staatlichen Behörde“ melden muss. Desweiteren ist ja schon klar, dass nur besonders ausgewählte Personen diese Form von Selbstständigkeit nachgehen dürfen. Denn berufliche Selbstständigkeit gibt es ja eigentlich gar nicht. So müssen diese kleinen Privathotels natürlich jeden Monat etwas an die Regierung rausrücken und bekommen sofort empfindliche Strafen, wenn sie das mal nicht tun (z.B. wenn sie in dem Monat zu wenig eingenommen haben). Dafür bekommen sie aber den ach so begehrten Peso convertible (kurz CUC). Den anderen Peso bekommen eigentlich nur die gemeinen Kubaner, aber nicht der gemeine Ausländer, denn der soll ja Devisen ins Land schaffen und darf somit für alles ungefähr das 25fache zahlen. Der gewitzte Kubaner gibt dann aber manchmal im Wechsel auch einmal keine convertiblen Pesos raus und der dumme Ausländer merkt das nicht sofort.

Fidel Castro redet – „Täglich grüßt das Murmeltier“
Kurz vor dem kubanischen Nationalfeiertag am 26. Juli gab es tatsächlich wieder einmal eine Rede von Fidel Castro im Fernsehen, der von zwei Jogginganzugträgern eingerahmt wurde. Irgendwie sah das für mich aus, als wolle er zwei Sportler ehren. Aber unser Gastwirt, Senor Julio, belehrte mich eines Besseren: nein nein, das seien seine Ärzte und wie bei „Täglich grüßt das Murmeltier“ erzählte Fidel das, was er seit 50 Jahren erzählt. Senor Julio ergänzte auch noch, dass Kuba in den Vereinigten Staaten immer noch als Staatsfeind Nr. 1 gelte und ich hatte den Eindruck, dass für einige Kubaner die Invasion in der Schweinebucht immer noch nicht vorüber ist.

Kubanische Parallelwelten
Wenn man sich dann so ein bisschen in Kuba herum tut, gewinnt man als Tourist doch ganz schnell den Eindruck, dass man sich in einer von den Kubanern losgelösten Parallelwelt aufhält: In dem angeblich besten Eiscafé Havannas gibt es eine Ausländerzone und bei den Überlandbussen wird man auch von den Einheimischen getrennt. Dann schaut man sich die Fotomontagen im Nationalmuseum an, läuft mal etwas abseits der Touri-Pfade durch die Stadt und sieht man Armut, Armut, Armut, die schon teils groteske Züge hat. Wenn es mal Baumaterial gibt, gibt es Leute, die nachts vor den Häuserruinen sitzen und es bewachen. In den staatlichen Museen wurden wir regelmäßig von den Mitarbeitern angebettelt, ob wir nicht ein paar convertibles für sie hätten.

Der Revolution entgegen schaukeln
Da man als Tourist sich fast nur auf vorgezeichnete Pfade begeben kann, bleiben einem wahrscheinlich sehr viele Eindrücke verborgen, erspart oder wie immer man es nennen möchte. Als wir südwestlich von Havanna durch das wirklich atemberaubend schöne Tal von Vinales fuhren, bot sich fast durchweg ein Bild: die Leute saßen tagsüber auf ihrer Veranda im Schaukelstuhl. Und ich dachte mir genauso stelle ich mir eine Revolution vor: man schaukelt ihr entgegen. Nein, es ist eher das Sinnbild der Lethargie, die sich fast in allen Gesichtern gezeigt hat. Vielleicht erschöpft von der Hoffnung auf ein besseres Gesellschaftssystem.

Ein bisschen Propaganda muss sein.
Ein bißchen Propaganda muss sein.

Oje, jetzt habe ich bereits soviel geschrieben, dass bestimmt einige bisher gar nicht durchgehalten haben. Deswegen werde ich nun erst einmal enden, ein paar Bildchen einfügen. Von den anderen Ländereindrücken (Belize, Guatemala) werde ich demnächst dann einmal berichten.

Muchos saludos!

Ciudad Mexixo: erinnert sich noch jemand an die Fußball-WM? Außerdem drei Schüsse in den Rücken und die mexikanische Unternehmenskultur.

Solche Mondlandschaften liegen direkt vor der Haustür: der Nevado de Toluca, ein erloschener Vulkan. (foto: koerdt)
Solche Mondlandschaften liegen direkt vor der Haustür: der Nevado de Toluca, ein erloschener Vulkan. (foto: koerdt)

Dieser Artikel ist der fünfte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Wir folgen dem Jahresverlauf und nehmen Anteil an der Fußball-WM in Südafrika. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir die Gegenwart erreichen. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Tja, während in Deutschland die erneute Stärke von Miroslav Klose als „innerer Reichsparteitag“ und „Erlösung“ (zum Glück nicht als „Endlösung“) kommentiert wird, kommen auch Mexi-Fußballkommentatoren nicht so ganz um geschichtliche Parallelen herum.

Heute schießen die Polen für Deutschland
Nachdem Poldoski und Klose den Ball ins Netz geschossen hatten, bemerkte der Sprecher in seiner Euphorie: „Ja, das war ja nicht nett, was die Deutschen da einmal den Polen angetan hat. Aber es ist vergessen: heute schießen die Polen die Tore für Deutschland!“

Leider habe ich den Satz danach nicht mehr verstanden, aber in ihm kam auf jeden Fall das Wort „Konzentrationslager“ vor. Wir haben den deutschen WM-Auftakt standesgemäß in der deutschen Botschaft bei Würstchen, Sauerkraut und Bier verbracht. Die Stimmung war bombastisch, lustigerweise waren die anwesenden Mexikaner viel lauter als die Deutschen. Nun gut, am Freitag hatten sie auch nicht soviel Grund zum Jubeln. Dafür hat der Trikotabsatz der mexikanischen Mannschaft einen astronomischen Absatz gefunden: also es gibt so gut wie niemanden hier, der kein Trikot trägt (die Geschäftsleute tragen es anstatt eines Hemdes und darüber das Sakko).

Drei Schüsse in den Rücken. Ein Toter in der Touri-Falle.
Schön, dann gibt es in den nächsten Wochen ein schönes Smalltalk-Thema und hoffentlich nicht viele Tote in Südafrika. Na ja, eigentlich könnte man den letzten Hoffnungswunsch auf dieses Land übertragen. Vor einer Woche war ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Da ich aber bereits anderweitig verabredet war, musste ich die Einladung leider absagen. Am Montag fragte ich dann das Geburtstagskind, wie denn die Feier war und sie wurde etwas wortkarg.

Die Geburtstagsgesellschaft hat eine Bootstour auf den Kanälen in Xochimilco im Süden der Stadt unternommen (übrigens einer der größten Touri-Fallen, in die ich bislang hier reingetappt bin). Als sie vom Bootsanleger wieder zum Hauptplatz bummeln wollten, hörten sie Knallgeräusche und dachten zunächst an ein Feuerwerk. Doch als sie um die Ecke bogen, sahen sie, dass dort gerade jemand erschossen worden war. Drei Schüsse in den Rücken; vom Täter natürlich keine Spur.

Drogenkriminalität nicht nur an der Grenze
Um jetzt nicht den Eindruck zu erwecken, dass das hier Alltag sei: ich habe in der letzten Woche einigen Mexikanern diese Geschichte erzählt und sie waren alle geschockt. Niemand von ihnen (und sie sind in dieser Stadt aufgewachsen) hat jemals eine Leiche in der Straße gesehen. Aber die (Drogen-)Kriminalität spielt sich natürlich nicht nur im Norden des Landes an der Grenze zur USA ab.

Eine Beförderung und fristlos gefeuert – mexikanische Unternehmenskultur
Ansonsten ist es nach wie vor ein friedliches Leben für mich. Ob es so bleibt, wird es sich in den nächsten Wochen zeigen. Meine Kollegin in der Bibliothek hat gekündigt und hört zum Ende der nächsten Woche auf. Ich bin davon total überrumpelt worden; auf einmal habe ich die Leitung inne. Was mir aufgrund meiner natürlichen Faulheit überhaupt nicht passt. Was mir aber abgesehen von dieser Tatsache widerstrebt, ist, dass ich in diesem Zusammenhang kennen lernen durfte, wie mexikanische Unternehmenskultur funktioniert. Wenn die Verwaltung dich auf dem Kicker hat, bist du absolut chanchenlos. Und Fristen gibt es auch nicht: zum Beispiel bekommen die angestellten Lehrer am 30. Juni gesagt, dass sie morgen nicht wiederkommen brauchen. Sie können sich nicht mehr von ihren Kollegen verabschieden und ein Gespräch über die Gründe gibt es auch nicht. Oder sie sind so absurd, dass man damit auch nichts anfangen kann. So hat man im letzten Jahr einem Lehrer gekündigt mit der Begründung, er sähe immer so müde aus.

Ein ein paar Dinge wollen heute abend noch erledigt werden. Ich hoffe, in Deutschland ist alles“ todo bien“.

Bald mehr und hasta luego!