Ciudad Mexico: „butsch, butsch – zweimal ins Gesicht“ und andere Mentalitäten.

Auch der Mexi mag es ordentlich: jedenfalls parkt er seine Hunde in Reih und Glied. (foto: koerdt)
Auch der Mexi mag es ordentlich: jedenfalls parkt er seine Hunde in Reih und Glied. (fotos: koerdt)

Dieser Artikel ist der achte Teil einer persönlichen Serie über das Leben in Mexico-City im Jahr 2010. Sämtliche bisher erschienen Artikel sind hier zu finden.  Heute sinnieren wir über den Witz des Alltags, der manchmal gar nicht so lustig ist. Viel Spaß beim Lesen.

Hola a todos!

Zuckrig-süß mag es nicht nur der Mexikaner; so sitze ich gerade hier mit einem unverschämt leckeren Teilchen (gemeinhin als Blueberry-Muffin verkauft; die Amerikanisierung kennt keine Grenzen) und lasse das Wochenende Wochenende sein.

Deutsche Wochen im Supermarkt
In meinem Supermarkt um die Ecke ist gerade die „Deutsche Woche“ ausgerufen worden, das bedeutet, es wurden zwei Tische mit deutschen Produkten aufgestellt. Auf dem einen gibt es nur Bier, auf dem anderen Produkte von Firmen, die in Deutschland niemand kennt (außer Kühne Weißweinessig und Salatsaucen). Ein Weizenbier kostet umgerechnet 3 Euro. Kein Wunder, dass man glauben kann, dass aus Deutschland nur teure Qualitätsware kommt.

Ein neuer Job – jeder Mexi kennt Heidi
Bei mir haben sich marginal kleine Veränderungen ergeben, denn die Koerdt unterrichtet nämlich jetzt auch. Ich habe am Colegio den Anfängerkurs „Deutsch als Fremdsprache“ übernommen, der auf die Sprachzertifikate am Goethe-Institut vorbereiten soll. Das Tolle an der Sache ist nämlich, dass der Kurs für Erwachsene ist (meine älteste Schülerin ist 75 und trägt den unglaublich mexikanischen Namen Helga Blume*. Ihr Vater kam aus Österreich, hat aber mit den Kindern kein deutsch gesprochen) und man wird es mir nicht glauben: mir macht das Spaß. Ich habe ja sonst wenig Gelegenheit mein Halbwissen zu präsentieren, aber dort kann ich mich regelrecht austoben. Abgesehen davon lerne ich ja auch noch etwas; schließlich wusste ich beispielsweise nicht, dass jeder Mexi Heidi kennt, aber niemand weiß, dass das in der Schweiz spielt. Im Endeffekt unterrichte ich Deutsch auf Spanisch; was schon einige Male zu lustigen Verwirrungen geführt hat. Ich aber sehr witzig finde.

Mentalitäten: Warum nörgelt nicht endlich jemand?
Was ich weniger witzig finde, ist ein kleiner Mentalitätsunterschied, die mich von Zeit zu Zeit auf die Palme bringt. Ich kann gar nicht nachvollziehen, dass es in diesem Land Revolutionen gegeben haben soll, denn auf mich wirkt es, als sei die erste Bürgerpflicht, sich nicht einzumischen. In Deutschland mag die ständige Nörgelei und Herumerzieherei im öffentlichen Raum einem auf die Nerven gehen, aber: Nichtssagen kann bei meinem wohl doch deutsch temperierten Gemüt innere Wutausbrüche verursachen. Zwei Beispiele aus der letzten Woche, wobei das eine eher harmloserer Natur ist.

Das mexikanische Fell ist dick. Wutausbruch an der Schnellkasse.
Harmlos: Mittwochs findet im Supermarkt in der Nähe des Colegios der große Obst- und Gemüsetag statt. Das bedeutet, dass die Leute den Laden stürmen und ihre Einkaufswägen bis oben hin voll packen. Da ich eigentlich dort nur hingehe, um mir etwas zu essen zu holen, habe ich meist nicht mehr als drei, vier Teile. Der Supermarkt ist eigentlich auch auf so Kunden wie mich eingestellt, denn er hat eine so genannte Schnellkasse, an die man bis zu zehn Teile bezahlen kann.

Nur: da hält sich keine Sau dran.
So ging ich auch letzten Mittwoch wieder zur Schnellkasse, um zu sehen, dass vor mir zwei Frauen und ein Mann standen, die ihre Wagen bis zum Anschlag bepackt hatten. Die Kassiererin kümmerte sich gerade noch um einen weiteren Großeinkauf. Ich stand da und platzte innerlich. Dennoch riss ich mich zusammen und sprach die beiden Frauen vor mir freundlich an, um sie darauf hinzuweisen, dass das hier die Schnellkasse sei. Sie schauten mich nur kurz an und drehten sich wieder um.

Daraufhin bin ich auch äußerlich geplatzt und bedankte mich lautstark für ihr freundliches Verhalten. Keine Reaktion. Bis ein älterer Herr, der mit seinem Großeinkauf an der Nebenkasse stand, sich einschaltete und den beiden Frauen auch noch einmal klarmachte, dass sie eigentlich an dieser Kasse nichts zu suchen hätten. Daraufhin hörte ich nur, dass sie diese Ausländerin nicht verstanden hätten. Sie ließen mich dann aber vor, um sich dann erneut an dieser Kasse anzustellen. Unnötig zu erwähnen, dass die Kassiererin mich nicht verstand, als ich sie darauf ansprach, warum sie die Kunden nicht darauf hinweise, dass es sich um eine Schnellkasse handele.

Weniger witzig: „butsch, butsch – zweimal ins Gesicht“, denn wer sieht schon eine Schlägerei?
Weniger witzig war die Situation vorgestern: ich schlenderte zur schönsten Nachmittagszeit um viertel vor vier zu meiner

So friedlich ist eigentlich der Blick aus dem Küchenfenster. Nur manchmal bekommt eben ein paar Schritte weiter einer auch mal was auf die Nuss.
So friedlich ist eigentlich der Blick aus dem Küchenfenster. Nur manchmal bekommt eben ein paar Schritte weiter einer auch mal was auf die Nuss.

Bank um die Ecke, als ich auf einmal auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig sah, wie ein Mann um die 40, schick im Anzug, einen anderen in den Schwitzkasten nahm.

Zunächst dachte ich, dass es sich um eine Rauferei unter Kumpels handele, wurde doch schnell eines Besseren belehrt, als der Anzugsträger mit der Faust ausholte und dem anderen –butsch, butsch- zweimal ins Gesicht schlug. Der fiel zu Boden und rollte über die Bordsteinkante halb auf die Straße. Daraufhin trat der Anzugsträger auf ihn ein.

Die Leute, die auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig gingen, schauten sich das an und gingen wortlos weiter. Ich hielt es nicht aus und brüllte rüber, ob denn dort drüben alles in Ordnung sei (was Intelligenteres fiel mir gerade nicht ein). Daraufhin ließ der Anzugsträger von dem anderen ab, ohne jedoch auf mich zu achten, und verfluchte den anderen noch als Arschloch und was das denn solle und verschwand in dem Haus dahinter. Bevor ich die Straßenseite wechseln konnte, hatte sich auch der andere aufgerafft und ging seiner Wege.

Epileptischer Anfall? Lass hängen, nicht unser Problem.
Ich weiß, ich sollte nicht verallgemeinern, aber im Laufe meiner kurzen Zeit hier im Land sind einige vergleichbare Situationen passiert, unter anderem auch mit unserem Paco. Paco kümmert sich nicht nur um die Einparkmöglichkeiten vor unserem Haus und den Müll, sondern bekommt auch –wie wir jetzt erst erfuhren- ab und an epileptische Anfälle. Letzte Woche hing er völlig schief in unserem Hauseingang und machte auf mich den Eindruck, als schliefe er. Wir klopften ihn wach und dann stellte sich heraus, dass er gerade einen Anfall hatte und er jetzt dringend etwas zu essen und trinken brauche, da er völlig unterzuckert und dehydriert war. Die Leute seien auch an ihm einfach vorbeigegangen, als er zusammengebrochen sei.

Deutsche sind quadratisch
Ansonsten ist es alles friedlich; mein nächster Spanischkurs hat angefangen, in dem mir ein Franzose erklärte, dass die Deutschen quadratisch seien (es ging um die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Sprache und der Mentalität des Landes gäbe).

So, ich werde mich dann jetzt quadratisch, praktisch, gut meinem Sonntag widmen.

Muchos saludos!

*Namen geändert