Wolne Pokoje – Zimmer mit Bett in Polen VI: Frombork, Kopernikus sowie „Tadelloeser & Wolff“

Die Kathedrale von Frombork (Frauenburg) (fotos: zeitgeist)
Die Kathedrale von Frombork (Frauenburg) (fotos: zeitreise)

Heute sind wir* bei Teil sechs der kleinen Polenreise angekommen. Wir haben es mit Frombork, Korpernikus und Walter Kempowski zu tun.  Sämtliche Kapitel des Reiseberichts sind hier zu finden.

In Frombork am Frischen Haff trafen wir dann wieder auf unseren guten alten Bekannten – Kopernikus -. Wir logierten in einem Hotel namens Kopernik (mal wieder!), einer freundlichen, bequemen „Herberge“ für Durchreisende. Leckeres Essen, Pierogi versteht sich, und aus allen geräumigen, hellen Zimmern eine reizvolle Aussicht auf die Haupt-Wirkungsstätte von Nicolaus Kopernikus, die Kathedrale von Frombork.

Von hier aus hat der berühmte Astronom (1473-1543), dessen Name schon zu seinen Lebzeiten höchst unterschiedlich geschrieben wurde (angeblich auch von ihm selbst), eine seinerzeit sehr gewagte These oder Hypothese aufgestellt. „Die Erde dreht sich um die Sonne und nicht die Sonne um die Erde“. Das hätte ihm den Kopf kosten können! Jedenfalls genoß der Domherr Kopernikus vom Wehrturm aus nicht nur einen guten Ausblick in die Sterne, sondern auch einen weiten auf das Haff. So viel ich gehört habe streiten sich im 21. Jahrhundert manche Polen wie gewisse Deutsche darum, ob Kopernik bzw. Kopernikus Pole oder Deutscher war. Schade, wir können ihn nicht fragen was er von dem Zwist hält. Wie gerne würde ich seinen Kommentar dazu hören!

Rechnung über eine Kachelofen aus dem Jahr 1942
Rechnung über eine Kachelofen aus dem Jahr 1942

Wir nahmen die beeindruckende Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert von innen und außen in Augenschein, stiegen auf einen der Türme, guckten durch etwas Nebel auf Wasser, Wälder, Kirchlein und Dächer. Wir stellten fest, dass das imposante sakrale Bauwerk auf der Anhöhe am Haff zuzüglich zum Kopernikus-Museum auch ganz profane Dinge beherbergt – alte Kachelöfen und diverse Kacheln – wunderschön und so zweckmäßig in eisigkalten ostpreußischen Wintern und … das fokoische Pendel, an dem sicher schonabertausende von Schulklassen vorbei defilierten. Auch zeitgenössische polnische Kunst konnten wir wieder bewundern. Wirklich interessant!

Das Wetter war zur Abwechslung wenig verheißungsvoll und der Strand des Hafenstädtchens Frombork nicht unbedingt das was man sich unter Strand vorstellt. Wir machten also einen Abstecher nach Elblag (Elbing).

Rekonstruktion einer Häuserzeile in Elblag (Elbing) schon zu sozialistischen Zeiten im „historisierend“ Stil
Rekonstruktion einer Häuserzeile in Elblag (Elbing) schon zu sozialistischen Zeiten im „historisierenden“ Stil

In deutschen Zeiten war die nach Königsberg zweitgrößte Stadt Ostpreußens nicht nur durch Schiff- und Lokomotivbau bekannt, auch eine Tabakfabrik sorgte für Berühmtheit – Loeser & Wolff -. Walter Kempowski verewigte Loeser & Wolff in seinem Roman-Titel „Tadelloeser & Wolff“, einem höchst lesenswerten Exkurs in die jüngere deutsche Geschichte. In Elblag entsteht momentan wieder das alte Elbing. In der Altstadt ragen die Baukräne gen Himmel. Ganz offensichtlich begann die Rekonstruktion schon zu sozialistischen Zeiten. Ende des zweiten Weltkriegs wurde Elbing innerhalb weniger Tage fast vollständig zerstört. Ein Lob den Regierenden der letzten Jahrzehnte. Sie waren sehr mutig die Stadt „historisierend“ wieder aufzubauen. In manchen westdeutschen Kommunen löst diese Vorstellung ja bis zum heutigen Tag anscheinend eher Widerwillen und Unverständnis aus. Das sieht man so einigen von unseren vermeintlich modernen, steril wirkenden Städten ja auch an, meine ich. Ein Lob also den polnischen Städteplanern und Restauratoren!

Nach zwei Nächten am Fuße der gewaltigen Kathedrale von Frombork packten wir erneut unsere Koffer und wollten wieder Richtung Westen fahren. Ausgerechnet vor dem Start verwickelten wir uns wieder in ein interessantes Gespräch mit anderen „Touris“. Zwei Motorradfahrer und ihre Soziusfahrerinnen aus dem Spreewald, die an diesem Morgen von Frombork aus über die nahe polnisch-russische Grenze nach Kaliningrad weiter fahren wollten, hatten ungeheuer viel zu erzählen. Leider reichte die Zeit (fast) nur für eine Geschichte. Und das war die Story über einen Besuch in Wolgograd, der Stadt die zu Sowjet-Zeiten Stalingrad hieß. Der etwas verwegener aussehende der beiden ca. Mittfünfziger Motorradfahrer erzählte, er sei mit einer Gruppe nicht Motorrad-, sondern Fahrradfahrern vor ein paar Jahren vom Spreewald nach Stalingrad geradelt. Einer der Fahrer sei schon weit über 70 Jahre alt gewesen, hätte aber die Anstrengungen besser verkraftet als manch anderer. Die Tour wäre mit einem russischen Komitee abgesprochen gewesen; man(n) kannte wohl gewisse „hohe Herrschaften“. Die Russen hatten den „verrückten“ Deutschen einen feierlichen Empfang bereiten wollen, aber nicht mit der sprichwörtlichen deutschen Pünktlichkeit gerechnet. Die Fahrradgruppe wäre nämlich zu aller Überraschung eine halbe Stunde zu früh nach Wolgograd reingeradelt. Das habe bei den russischen Freunden einen wahnsinnigen Eindruck gemacht. Dabei hätten sie, die Fahrradfahrer, doch geglaubt, sie hätten sich verspätet. Sie wollten sich sogar beim Festkomitee für die Unpünktlichkeit entschuldigen. Die vielen verschiedenen russischen Zeitzonen hätten sie völlig durcheinander gebracht. Das mit der (Uhr-)Zeit ist in Polen jedenfalls einfacher!

*unser Autor reiste vor einem Jahr nach Polen, angetrieben von  Neugier, Spurensuche und der gemeinsamen Geschichte mit unserem östlichen Nachbarn. Der Bericht erscheint in mehreren Kapiteln in unserem Blog erscheinen.

Wolne Pokoje – Zimmer mit Bett in Polen III: Reszel, die Heilige Linde und die unselige Wolfsschanze.

Ordensritterburg Zamek Reszel in Reszel (Rößel) (fotos: zeitgeist)
Ordensritterburg Zamek Reszel in Reszel (Rößel) (fotos: zeitgeist)

Der, die oder das? nächste Pokoje lag dann schon östlich der seit vielen Tagen mehr als randvollen Weichsel, in einem ebenfalls sehr wasserreichen Gebiet, in Masuren. Niemand kennt wohl die genaue Zahl der masurischen Seen. Kein Wunder, bei Regen werden es immer mehr.*

Wir logierten zunächst sehr hochwassergeschützt in einer/em Pokoje auf einer Anhöhe, so ca. fünf oder sechs Holzstiegen hoch, oben in einer alten Ordensritterburg, kühl, düster, chick, das Innenleben von neuzeitlichen Designern gut durchdacht aber mit mir etwas zu sehr überdachtem, sprich einem verschattenden und verschattetem Blick auf den hellen, sonnigen Burginnenhof. „Zamek Reszel“ nennen sich sowohl das Hotel wie auch die Burg in Reszel (Rößel). Das rote Backsteingemäuer wurde im 13. Jahrhundert vom Deutschen Ritterorden erbaut, im 16. Jahrhundert als Bischofssitz genutzt, dann als Jagdschloss und als Zuchthaus und jetzt eben als „Kreativ-Hotel“ mit Kunstausstellung im alten Kirchenschiff.

Kopernikus in Reszel
Kopernikus soll häufig hier gewesen sein, zu Besuch bei seinem Onkel, dem Bischof. Was soll ich sagen, mir war es da zu kalt. Dafür kann ich mir aber nun sehr gut vorstellen wie es sich in Zuchthäusern, Ritterburgen und Bischofssitzen lebt. Jedenfalls sprach die Dame an der Rezeption Englisch, verstand mein Anliegen sofort und gab mir ohne zu zögern einen leistungsstarken Heizlüfter mit auf den waghalsigen Weg in unsere oberen Gemächer. So richteten wir uns für drei Tage in dem düsteren aber geräumigen und stilsicher eingerichteten Zimmer ein. Tagsüber klapperten wir die Umgebung ab.

Die Heilige Linde
Ganz in der Nähe, etwas südöstlich, ist Swieta Lipka (Heilige Linde), die alte Wallfahrtskirche, malerisch gelegen in einem Tal. Die Basilika umkleidete gerade ein nicht sonderlich vorteilhaft wirkendes Baugerüst. Bald wird sie wohl wieder in neuem Glanz erstehen, die Vergoldete.

Wolfsschanze
Hinter Ketrzyn (Rastenburg) bogen wir ab zur Wolfsschanze, dem berüchtigten Führerhauptquartier in den masurischen Sümpfen. In jeder Beziehung scheußlich sind die teils überwucherten Reste des alten Bunkersystems. Nur Stechmücken fühlen sich dort wohl. Hitler, Göring, Himmler, 20. Juli … Schnell wieder weg hier!

Die sieben oder acht Motorradfahrerinnen und -fahrer aus Österreich, die sich zur gleichen Zeit wie wir die massigen Beton-Hinterlassenschaften des „Tausendjährigen Reiches“ angesehen hatten, machten sich auch schon zum „Abflug“ bereit. Fahren wir doch besser nach Gizycko (Lötzen) und genießen den Ausblick auf den großen See.

Reste der Wolfsschanze, das Führerhauptquartier in den masurischen Sümpfen
Reste der Wolfsschanze, das "Führerhauptquartier" in den masurischen Sümpfen

Ein Rückblick mit DDR-Jugendgruppen
Die Wolfsschanze und Gizycko hatte ich früher schon einmal besucht, sozusagen in grauer Vorzeit. Meine Eindrücke von dieser Reise „in den kommunistischen Machtbereich“ sind allerdings ziemlich verblasst. Vor zig Jahren, in der Zeit als die Solidarnosc erstmals den Aufstand probte, probte ich so etwas wie „Survival“ in Masuren, zusammen mit einer (Jugend-)Gruppe, primitivste Hütten mitten im Wald, Stromausfälle, Kaltwasserduschen, Rückenschmerzen, tausend Mückenstiche … ein echtes Erlebnis! Und es gab die für uns Westler seltene Gelegenheit mit DDR-Jugendgruppen in Kontakt zu kommen, neben ihnen zu sitzen, gemeinsam mit ihnen zu essen, mit ihnen zu reden. Die Mädels und Jungs wurden allerdings von ihren Linientreuen mächtig beäugt. Ich erinnere mich düster, es war eine seltsam beklemmende Atmosphäre.

Gizycko, Yachthafen
Gizycko, Yachthafen

Gizycko hat sich gemacht. Tristesse adieu!
Das war einmal. Gizycko hat sich gemacht. Tristesse adieu! Die Österreicher hatten es mit ihren Motorrädern auch schon bis zum Yachthafen geschafft und saßen nicht weit von uns vergnügt in einem „Freiluftlokal“. Warum nicht nach Kaffee und Kuchen auch gleich noch MikoÅ‚ajki (Nikolaiken) anschauen, den Ort mit dem berühmten Stinthengst am Åšniardwy (Spirdingsee)!? Also los! Und unterwegs Seen und Störche gucken.

*unser Autor reiste vor einem Jahr nach Polen, angetrieben von  Neugier, Spurensuche und der gemeinsamen Geschichte mit unserem östlichen Nachbarn. Der Bericht erscheint in mehreren Kapiteln in unserem Blog erscheinen.

Polen – eine Reise Teil II. Wolne Pokoje – Zimmer mit Bett in Polen. Hochwasser und Blumenbeete.

Blick auf Weichsel bei Torun, im Hintergrund die PKW Brücke (fotos: zeitreise)
Blick auf Weichsel bei Torun, im Hintergrund die PKW Brücke (fotos: zeitreise)

Oh je, Hochwasser an der Oder, grenzüberschreitend, in Brandenburg wie in Polen … und nicht nur an der Oder. *

„Wisla pod woda“ sahen wir ein paar Tage später auch bei Torun (Thorn) an der Wisla (Weichsel). Von Ciechocinek aus kommend besuchten wir an einem sommerlich-warmen Tag die Reste der alten, von den Polen in grauer Vorzeit geschleiften Ordensritterburg-Gemäuer in Torun (Thorn).

Kopernikus Statue in Torun
Kopernikus Statue in Torun

Einige Straßen in der Geburtsstadt des berühmten Nikolaus Kopernikus, auch die unterhalb von Burg und Altstadt, waren gesperrt oder teilgesperrt, wegen „Wisla pod woda“. Schmutziges Wasser steht in Häusern – in Wohnungen, in Kellern und Stallungen. Was für eine Katastrophe ereilt jetzt Menschen und Tiere! Nichts desto trotz bummelten und flanierten an diesem Tag die Menschen in Torun recht gelassen, genossen das Leben und die Sonne und die bildschöne, mittelalterlich wirkende Altstadt, so wie wir auch! Die Kopernikus-Statue inmitten des Treibens glänzte in der Sonne. Ein herrlicher Tag, ja, wäre da nicht die unbändige Wisla.

Unser erstes Pokoje (Zimmer mit Bett) in Polen buchten wir aber nicht in Torun, sondern in der Kleinstadt Ciechocinek. Das Onlione-Lexikon Wikipedia schreibt: „Ciechocinek (1939–1945 Hermannsbad) ist ein Kurort in Polen. Er liegt an der Weichsel etwa 20 Kilometer südöstlich von Thorn in der Wojewodschaft Kujawien-Pommern.

Kurpark in Ciechocinek
Kurpark in Ciechocinek

Da spricht man ausschließlich polnisch, der ein oder andere vielleicht ein wenig Englisch. Die Weichsel heißt „Wisla“ und danke „dziekuje“. Eine Herausforderung in sprachlicher oder sonstiger Hinsicht? Nein! Ein gemütliches, kleines Hotel mit dem Namen „Kopernik“- wir hatten es fast für uns allein – leckeres Frühstück, nette Menschen.

Kurhaus in Bad Freienwalde
Kurhaus in Bad Freienwalde

Im Vergleich zum sehr ruhigen Kurort Bad Freienwalde schien die kleine Stadt Ciechocinek beinahe überlaufen. In den Restaurants gab es leckere Pierogi, ruskie wie polskie. Nach dem Abendessen tanzten die flotteren Kurgäste in einem etwas antiken, großen Saal beschwingt zu den einigermaßen modernen Klängen einer kleinen Band. Solch abendliche Vergnügen sollen ja bekanntlich Figur und Heilerfolg dienlich sein. Der Ort unter dem mächtigen Weichsel-Damm ist berühmt für seine überdimensionierten Salinen und große, prächtige Blumenbeete.

Ciechocinek blickt auf eine äußerst wechselvolle polnisch-preußisch-russische Geschichte zurück, die leider nicht immer friedlich war. Dieser Kurort wurde nicht etwa wegen Blumen und Salinen oder Weichsel und Hochwasser unser Etappen-Ziel, nein, sondern, weil Lutz` Vater dort geboren und aufgewachsen ist. Sein Geburtshaus steht noch immer mitten in der Stadt. Irgendwann, vielleicht zu Zeiten von Katharina der Großen, müssen sich seine Vorfahren dort an der Weichsel nieder gelassen haben.

Nichts genaues weiß man nicht. Wir wissen nur, dass mit dem Ende des zweiten Weltkriegs auch die Geschichte der deutschen Minderheit in Ciechocinek abrupt beendet war.

*unser Autor reiste vor einem Jahr nach Polen, angetrieben von  Neugier, Spurensuche und der gemeinsamen Geschichte mit unserem östlichen Nachbarn. Der Bericht wird in mehreren Kapiteln in unserem Blog erscheinen.