Wolne Pokoje – Zimmer mit Bett in Polen V: Von Fichtenmonokulturen keine Spur.

Heute sind wir* bei Teil fünf der kleinen Polenreise angekommen. Gestern, das sei erlaubt zu erwähnen,  hat Polen den Vorsitz im Ministerrat der Europäischen Union von Ungarn übernommen. Sämtliche Kapitel des Reiseberichts sind hier zu finden.

Postgebäude in Ruciane-Nida (Rudschanny-Nida) (fotos: zeitgeist)
Postgebäude in Ruciane-Nida (Rudschanny-Nida) (fotos: zeitreise)

Erst am bewölkten und etwas verregneten Montag starteten wir wieder unseren alten Audi (zum Glück blieb er oben dicht) und klapperten Dörfer und Städtchen rund um den größten Binnensee Polens ab, dem Jezioro Sniardwy (Spirding-See). Wir hielten an in Ruciane-Nida (Rudschanny-Nida), einem frisch aufgewühlten Fleckchen Erde. Ein Heer von Straßenbauarbeitern machte hier die Gegend fit für die motorisierte Zukunft. Und wieder ein Ausflug in die (Familien-)Geschichte: In dem Dörfchen Rudschanny arbeitete mein Großmutter als junges Mädchen ein Jahr oder ich weiß nicht wie lange bei der Post. Ob das alte Reichspostgebäude wohl noch steht?

Ein potthässlicher plumper, abgetakelter Betonklotz aus der sozialistischen Ära
Nein! Jedenfalls konnten wir nur einen potthässlich plumpen, abgetakelten Betonklotz aus der sozialistischen Ära als Postgebäude ausmachen. Schade! Meine Mutter hatte mir erzählt, in Rudschanny hätte meine Oma die schönste Zeit ihres Lebens verbracht. Von den Pferdeschlittenfahrten auf dem zugefrorenen See schwärmte sie wohl ihr Leben lang. Gewohnt hätte meine Oma Miezel bei den Philipponen. Philipponen?

Zu Staatsfeinden erklärt und grausam verfolgt
Im Reiseführer sind sie sogar erwähnt als russische Altgläubige, Abtrünnige die die liturgischen Reformen der russischen Kirche von 1667 nicht mitmachen wollten. Sie wurden zu Staatsfeinden erklärt und grausam verfolgt. Der preußische König Wilhelm III. genehmigte ihnen schließlich am Flüsschen Krutinna in Masuren zu siedeln. Irgendwo bei Rudschanny hat ein kleines Kloster gestanden. Die Preußen-Könige verstanden wohl was von Einwanderungspolitik!? In der Beziehung könnten manche Politiker des neuen Jahrtausends von ihnen lernen?!

Die EU investiert hier
Weiter ging es, entlang am Jezioro Sniardwy. In Pisz (Johannisburg), einem 20.000-Einwohner-Städtchen, glich der langgezogene Marktplatz eher einem großen Loch. (Auf)bauarbeiten. Blaue Schilder mit kreisförmig angeordneten Sternchen zeigten uns, die EU investiert hier. Hier in Pisz wie in vielen anderen polnischen Städten und Dörfern tut sich viel. Alte Stadtbilder werden rekonstruiert. Auferstanden aus Ruinen!

Spurensuche an den Masurischen Seen
Schnell vergingen die wenigen Tage in Masuren. Am Dienstag frühstückten wir noch einmal gemütlich im Hotel Mazur und kamen bei Rührei und Kaffee in ein angeregtes Gespräch mit einem traurig wirkenden, älteren Herrn aus Köln und dessen auch nicht mehr gerade blutjungem Sohn. Es war die Spurensuche die sie an die Masurischen Seen gezogen hatte, die Spuren der verstorbenen Ehefrau bzw. der Mutter. Sie stammte aus einem Dörfchen am Spirding-See und musste gegen Ende des Krieges als Zwölfjährige in den Westen flüchten. So eine interessante Unterhaltung, aber wir mussten nun wieder weiter.

(Übrigens, wir waren in Masuren und nicht „in den Masuren“, wie man es immer wieder sogar in der Tagesschau hört oder in ansonsten akzeptablen Print-Medien liest. Schließlich waren wir allesamt auch noch nicht „in den Hessen“!)

Wir fuhren erst Richtung Norden, und dann, fast parallel zur Polnisch-Russischen Grenze, nahe dem Grenzübergang bei Gronowo (Grunau), nach Frombork (Frauenburg). Unterwegs viele helle Mischwälder, manch holprige Straße, hier und da ein See oder ein eher tristes Städtchen, und je näher wir der Grenze kamen, je einsamer es wurde, umso größer war die Weißstorch-Population.

Storchennester in Gronowo (Grunau)
Storchennester in Gronowo (Grunau)

Von Fichtenmonokulturen keine Spur
Auf manchen Dächern entdeckten wir sogar zwei bewohnte Nester, eins ganz rechts, eins ganz links auf der Spitze des Gebäudes. Sozusagen Natur pur. Ob sie wohl keine Umweltprobleme haben, keine Pestizide, sauberes Wasser? Die Störche fühlen sich jedenfalls wohl! Von Fichtenmonokulturen keine Spur, auch keine Weihnachtsbaumplantagen a la Sauerland, allerdings auch kein/e „Wolne Pokoje“. Wollen hoffen, dass der alte Audi hier nicht schlapp macht! Hat er auch nicht!

Ein Lob an die Konstrukteure.

Fortsetzung folgt …

*unser Autor reiste vor einem Jahr nach Polen, angetrieben von  Neugier, Spurensuche und der gemeinsamen Geschichte mit unserem östlichen Nachbarn. Der Bericht erscheint in mehreren Kapiteln in unserem Blog erscheinen.

Wolne Pokoje – Zimmer mit Bett in Polen III: Reszel, die Heilige Linde und die unselige Wolfsschanze.

Ordensritterburg Zamek Reszel in Reszel (Rößel) (fotos: zeitgeist)
Ordensritterburg Zamek Reszel in Reszel (Rößel) (fotos: zeitgeist)

Der, die oder das? nächste Pokoje lag dann schon östlich der seit vielen Tagen mehr als randvollen Weichsel, in einem ebenfalls sehr wasserreichen Gebiet, in Masuren. Niemand kennt wohl die genaue Zahl der masurischen Seen. Kein Wunder, bei Regen werden es immer mehr.*

Wir logierten zunächst sehr hochwassergeschützt in einer/em Pokoje auf einer Anhöhe, so ca. fünf oder sechs Holzstiegen hoch, oben in einer alten Ordensritterburg, kühl, düster, chick, das Innenleben von neuzeitlichen Designern gut durchdacht aber mit mir etwas zu sehr überdachtem, sprich einem verschattenden und verschattetem Blick auf den hellen, sonnigen Burginnenhof. „Zamek Reszel“ nennen sich sowohl das Hotel wie auch die Burg in Reszel (Rößel). Das rote Backsteingemäuer wurde im 13. Jahrhundert vom Deutschen Ritterorden erbaut, im 16. Jahrhundert als Bischofssitz genutzt, dann als Jagdschloss und als Zuchthaus und jetzt eben als „Kreativ-Hotel“ mit Kunstausstellung im alten Kirchenschiff.

Kopernikus in Reszel
Kopernikus soll häufig hier gewesen sein, zu Besuch bei seinem Onkel, dem Bischof. Was soll ich sagen, mir war es da zu kalt. Dafür kann ich mir aber nun sehr gut vorstellen wie es sich in Zuchthäusern, Ritterburgen und Bischofssitzen lebt. Jedenfalls sprach die Dame an der Rezeption Englisch, verstand mein Anliegen sofort und gab mir ohne zu zögern einen leistungsstarken Heizlüfter mit auf den waghalsigen Weg in unsere oberen Gemächer. So richteten wir uns für drei Tage in dem düsteren aber geräumigen und stilsicher eingerichteten Zimmer ein. Tagsüber klapperten wir die Umgebung ab.

Die Heilige Linde
Ganz in der Nähe, etwas südöstlich, ist Swieta Lipka (Heilige Linde), die alte Wallfahrtskirche, malerisch gelegen in einem Tal. Die Basilika umkleidete gerade ein nicht sonderlich vorteilhaft wirkendes Baugerüst. Bald wird sie wohl wieder in neuem Glanz erstehen, die Vergoldete.

Wolfsschanze
Hinter Ketrzyn (Rastenburg) bogen wir ab zur Wolfsschanze, dem berüchtigten Führerhauptquartier in den masurischen Sümpfen. In jeder Beziehung scheußlich sind die teils überwucherten Reste des alten Bunkersystems. Nur Stechmücken fühlen sich dort wohl. Hitler, Göring, Himmler, 20. Juli … Schnell wieder weg hier!

Die sieben oder acht Motorradfahrerinnen und -fahrer aus Österreich, die sich zur gleichen Zeit wie wir die massigen Beton-Hinterlassenschaften des „Tausendjährigen Reiches“ angesehen hatten, machten sich auch schon zum „Abflug“ bereit. Fahren wir doch besser nach Gizycko (Lötzen) und genießen den Ausblick auf den großen See.

Reste der Wolfsschanze, das Führerhauptquartier in den masurischen Sümpfen
Reste der Wolfsschanze, das "Führerhauptquartier" in den masurischen Sümpfen

Ein Rückblick mit DDR-Jugendgruppen
Die Wolfsschanze und Gizycko hatte ich früher schon einmal besucht, sozusagen in grauer Vorzeit. Meine Eindrücke von dieser Reise „in den kommunistischen Machtbereich“ sind allerdings ziemlich verblasst. Vor zig Jahren, in der Zeit als die Solidarnosc erstmals den Aufstand probte, probte ich so etwas wie „Survival“ in Masuren, zusammen mit einer (Jugend-)Gruppe, primitivste Hütten mitten im Wald, Stromausfälle, Kaltwasserduschen, Rückenschmerzen, tausend Mückenstiche … ein echtes Erlebnis! Und es gab die für uns Westler seltene Gelegenheit mit DDR-Jugendgruppen in Kontakt zu kommen, neben ihnen zu sitzen, gemeinsam mit ihnen zu essen, mit ihnen zu reden. Die Mädels und Jungs wurden allerdings von ihren Linientreuen mächtig beäugt. Ich erinnere mich düster, es war eine seltsam beklemmende Atmosphäre.

Gizycko, Yachthafen
Gizycko, Yachthafen

Gizycko hat sich gemacht. Tristesse adieu!
Das war einmal. Gizycko hat sich gemacht. Tristesse adieu! Die Österreicher hatten es mit ihren Motorrädern auch schon bis zum Yachthafen geschafft und saßen nicht weit von uns vergnügt in einem „Freiluftlokal“. Warum nicht nach Kaffee und Kuchen auch gleich noch MikoÅ‚ajki (Nikolaiken) anschauen, den Ort mit dem berühmten Stinthengst am Åšniardwy (Spirdingsee)!? Also los! Und unterwegs Seen und Störche gucken.

*unser Autor reiste vor einem Jahr nach Polen, angetrieben von  Neugier, Spurensuche und der gemeinsamen Geschichte mit unserem östlichen Nachbarn. Der Bericht erscheint in mehreren Kapiteln in unserem Blog erscheinen.