Der, die oder das? nächste Pokoje lag dann schon östlich der seit vielen Tagen mehr als randvollen Weichsel, in einem ebenfalls sehr wasserreichen Gebiet, in Masuren. Niemand kennt wohl die genaue Zahl der masurischen Seen. Kein Wunder, bei Regen werden es immer mehr.*
Wir logierten zunächst sehr hochwassergeschützt in einer/em Pokoje auf einer Anhöhe, so ca. fünf oder sechs Holzstiegen hoch, oben in einer alten Ordensritterburg, kühl, düster, chick, das Innenleben von neuzeitlichen Designern gut durchdacht aber mit mir etwas zu sehr überdachtem, sprich einem verschattenden und verschattetem Blick auf den hellen, sonnigen Burginnenhof. „Zamek Reszel“ nennen sich sowohl das Hotel wie auch die Burg in Reszel (Rößel). Das rote Backsteingemäuer wurde im 13. Jahrhundert vom Deutschen Ritterorden erbaut, im 16. Jahrhundert als Bischofssitz genutzt, dann als Jagdschloss und als Zuchthaus und jetzt eben als „Kreativ-Hotel“ mit Kunstausstellung im alten Kirchenschiff.
Kopernikus in Reszel
Kopernikus soll häufig hier gewesen sein, zu Besuch bei seinem Onkel, dem Bischof. Was soll ich sagen, mir war es da zu kalt. Dafür kann ich mir aber nun sehr gut vorstellen wie es sich in Zuchthäusern, Ritterburgen und Bischofssitzen lebt. Jedenfalls sprach die Dame an der Rezeption Englisch, verstand mein Anliegen sofort und gab mir ohne zu zögern einen leistungsstarken Heizlüfter mit auf den waghalsigen Weg in unsere oberen Gemächer. So richteten wir uns für drei Tage in dem düsteren aber geräumigen und stilsicher eingerichteten Zimmer ein. Tagsüber klapperten wir die Umgebung ab.
Die Heilige Linde
Ganz in der Nähe, etwas südöstlich, ist Swieta Lipka (Heilige Linde), die alte Wallfahrtskirche, malerisch gelegen in einem Tal. Die Basilika umkleidete gerade ein nicht sonderlich vorteilhaft wirkendes Baugerüst. Bald wird sie wohl wieder in neuem Glanz erstehen, die Vergoldete.
Wolfsschanze
Hinter Ketrzyn (Rastenburg) bogen wir ab zur Wolfsschanze, dem berüchtigten Führerhauptquartier in den masurischen Sümpfen. In jeder Beziehung scheußlich sind die teils überwucherten Reste des alten Bunkersystems. Nur Stechmücken fühlen sich dort wohl. Hitler, Göring, Himmler, 20. Juli … Schnell wieder weg hier!
Die sieben oder acht Motorradfahrerinnen und -fahrer aus Österreich, die sich zur gleichen Zeit wie wir die massigen Beton-Hinterlassenschaften des „Tausendjährigen Reiches“ angesehen hatten, machten sich auch schon zum „Abflug“ bereit. Fahren wir doch besser nach Gizycko (Lötzen) und genießen den Ausblick auf den großen See.
Ein Rückblick mit DDR-Jugendgruppen
Die Wolfsschanze und Gizycko hatte ich früher schon einmal besucht, sozusagen in grauer Vorzeit. Meine Eindrücke von dieser Reise „in den kommunistischen Machtbereich“ sind allerdings ziemlich verblasst. Vor zig Jahren, in der Zeit als die Solidarnosc erstmals den Aufstand probte, probte ich so etwas wie „Survival“ in Masuren, zusammen mit einer (Jugend-)Gruppe, primitivste Hütten mitten im Wald, Stromausfälle, Kaltwasserduschen, Rückenschmerzen, tausend Mückenstiche … ein echtes Erlebnis! Und es gab die für uns Westler seltene Gelegenheit mit DDR-Jugendgruppen in Kontakt zu kommen, neben ihnen zu sitzen, gemeinsam mit ihnen zu essen, mit ihnen zu reden. Die Mädels und Jungs wurden allerdings von ihren Linientreuen mächtig beäugt. Ich erinnere mich düster, es war eine seltsam beklemmende Atmosphäre.
Gizycko hat sich gemacht. Tristesse adieu!
Das war einmal. Gizycko hat sich gemacht. Tristesse adieu! Die Österreicher hatten es mit ihren Motorrädern auch schon bis zum Yachthafen geschafft und saßen nicht weit von uns vergnügt in einem „Freiluftlokal“. Warum nicht nach Kaffee und Kuchen auch gleich noch MikoÅ‚ajki (Nikolaiken) anschauen, den Ort mit dem berühmten Stinthengst am Åšniardwy (Spirdingsee)!? Also los! Und unterwegs Seen und Störche gucken.
*unser Autor reiste vor einem Jahr nach Polen, angetrieben von Neugier, Spurensuche und der gemeinsamen Geschichte mit unserem östlichen Nachbarn. Der Bericht erscheint in mehreren Kapiteln in unserem Blog erscheinen.