Die Frauen und die Zukunft des Sauerlandes

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In seinem Stichwort der Woche warnt Norbert Schnellen in der jüngsten Ausgabe des Anzeigenblattes Winterberg-Totallokal vor Ostdeutschen Zuständen, vor „Regionen, denen die jungen Leute abhanden (…)kommen“.

Die Problematik ist bekannt: Junge motivierte Menschen gehen zur Ausbildung in die Städte und kommen nicht wieder in die Dörfer und Kleinstädte des Sauerlandes zurück. Schnellen sieht die Gefahr, dass „unsere Heimat (sich) zu einem riesigen Altersheim entwickelt“.

Norbert Schnellen möchte Abhilfe schaffen. So fordert er beispielsweise Sauerländer Betriebe auf, von hierarchischen Strukturen abzulassen und Mitarbeiter nicht zu schikanieren, sondern zu motivieren. „Toleranz statt Arroganz“.

Schnellens Überlegungen finde ich richtig und wichtig. In vielen Orten, Organisationen und Institutionen des Sauerlandes herrscht noch der Ton und die Mentalität vordemokratischer Zeiten. Zuhören, unterstützen, ermutigen und auch mal Kritik akzeptieren sind häufig Fehlanzeige. Hier bringt Norbert Schnellen hoffentlich eine längst überfällige Diskussion in Gang.

Allerdings fehlt in der politischen Auseinandersetzung bisher völlig die Frage, wie junge Frauen dazu gebracht werden können im Sauerland zu bleiben. Kein Demographiearbeitskreis, kein besorgter Bürgermeister (die männliche Form erfasst hier durchaus alle Amtsträger) und kein Vertreter der hiesigen Presse hat sich nach meiner Kenntnis diesem Problem bisher in der Öffentlichkeit zugewandt.

Frauen sind beruflich ambitionierter als früher. Genügte der Mutter noch ein Haupt- oder Realschulabschluss, so strebt die Tochter heute das Abitur an. Das Hausfrauenleben ihrer Mütter bietet für junge Frauen häufig keine existenzsichernde und befriedigende Perspektive mehr. Es fehlen jedoch qualifizierte Berufe, die für Frauen attraktiv wären.

Gleichzeitig ist das öffentliches Leben im Sauerland in erster Linie von männerdominierten Organisationen geprägt: Die katholische Kirche mit ihrem Exklusivrecht für Männer, die freiwilligen Feuerwehren, Fußball- und Schützenvereine. Entsprechend besteht das Personal von politischen Parteien und Räten fast durchgängig aus Männern.

Wer sich die Aktivitäten des MdB des HSK Patrick Sensburg ansieht, weiß, dass dieser häufig Reservistenverbände, Schützenvereine und Parteigliederungen der CDU besucht. Diese eher männerbündische Ausrichtung seiner Interessen reflektiert durchaus das von Männern geprägte politische Klima im HSK.

Es wird höchste Zeit, dass sich die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft der Frage zuwenden, wie im Hochsauerlandkreis attraktive Lebens- und Arbeitsbedingungen für Frauen geschaffen werden können. Denn, und das ist eigentlich ganz banal, ohne Frauen gibt es keine Familien, keine Kinder und somit für die ländliche Region des Hochsauerlandkreises auch keine Zukunft.

Buchtipp: Zwischen den Welten und nie mehr zurück. Barbara Ortwein schreibt über deutsche Auswanderer in Texas im 19. Jahrhundert.

auswanderer1blogAuswanderung, ein spannendes Thema, mit dem sich die Winterberger Autorin Barbara Ortwein in ihrem Buch „Zwischen den Welten und nie mehr zurück“ auseinandersetzt.

Zwischen den Welten, das heißt: Alte Gewohnheiten, liebe Menschen und gewonnene Sicherheit zurücklassen. Das bedeutet auch, diese einzutauschen gegen unbekannte Gefahren, neue Abhängigkeiten sowie fremde Sitten und Gebräuche.

Und warum das alles? Doch meist, weil der Mensch auswandern muss. Hunger, Not, Krieg oder, wie im Fall von Barbara Ortweins Held Karl Engelbach, politische Verfolgung.

Der Inhalt

Ortwein erzählt die Geschichte des Witwers Karl Engelbach und seines Sohnes Johann, die im 19. Jahrhundert ihre Heimat in Hessen verlassen müssen und den weiten Weg über den Atlantik zurücklegen. Sie hoffen, im fernen Texas ein neues Zuhause zu finden. Eine weite und gefahrvolle Reise ins Unbekannte.

Im ersten Teil der „Reiseerzählung aus dem 19. Jahrhundert“, fliehen Vater und Sohn von Hessen durch Preußen und Hannover bis Bremerhaven. Sie kommen auch durch den Heimatort der Autorin, Winterberg, und sie werden dort gut behandelt. Weiter geht es zu Fuß und mit Pferdekutsche bis an die Küste.

Im zweiten Teil des Reiseromans schiffen sich Vater und Sohn ein. Sie gelangen unter vergleichbar günstigen Umständen nach Charleston, South Carolina. Von hier aus schlagen sich die beiden Helden über New Orleans bis nach Galveston, Texas durch.

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Nachbildung einer einfachen Kajüte auf einem Auswandererschiff im Museum Ballinstadt in Hamburg (foto: zoom)

Die Protagonisten sowie eine stetig anschwellende Gruppe deutscher Siedler wollen in das Innere des noch „unbesiedelten“ Texas ziehen. Angeworben hat sie der Mainzer Adelsverein, eine Gruppe naiver, schlecht organisierter und unterfinanzierter Adeliger, welche auswanderungs- willigen Deutschen die Möglichkeit eröffnen wollte, ihrem alten Leben Ade zu sagen und in der Neuen Welt neu zu beginnen.

Vater und Sohn greifen die Gelegenheit beim Schopf, sie lernen, beobachten genau und treffen ihre eigenen Entscheidungen.

Geschichtliche Wahrheit und Fiktion

Barbara Ortwein kennt sich aus, sie weiß, worüber sie schreibt. Die Autorin hat sehr intensiv in Deutschland und in Texas recherchiert. Ihr Verdienst ist es, die in Deutschland weitgehend unbekannten und teilweise auch unverantwortlich unbedarften Siedlungsbemühungen des deutschen Adelsvereins einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die deutschen Siedler schlossen einen Vertrag mit den Comanchen, der heute als einziges Abkommen zwischen Indianern und Europäern gilt, welches von beiden Seiten konsequent eingehalten wurde. Eingefädelt hatte ihn der junge deutsche Baron Ottfried Hans von Meusebach, der sich nach seiner Ankunft in Texas schlicht John O. Meusebach nannte. Wie ihm der Deal gelang ist anschaulich in der Reiseerzählung nachzulesen.

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Unterzeichnung des Meusebach-Comanchen Vertrags (Quelle: Gillespie County Historical Society, Fredericksburg)

Ortweins Roman beruht auf historischen Tatsachen, allerdings fügt sie fiktionale Charaktere ein. Das Buch ist reich an Details.

Die Autorin schildert landeskundliche und historische Fakten, sie beschreibt Kleidung, Behausung, Sitten, Menus und selbst Gerüche. Die Erzählung weist eine hohe Dichte an Informationen auf. Manchmal wäre ein wenig mehr Platz zwischen den Zeilen für die eigenen Gedanken wünschenswert gewesen.

Die Helden in Barbara Ortweins Buch müssen zahlreiche Gefahren und Hindernisse überwinden. Wie sie eine neue Heimat finden, das sollte der interessierte Leser, die Leserin, selbst erkunden.

„Zwischen den Welten“ ist ein sehr informatives Buch zu einem interessanten Thema. Wir wünschen Barbara Ortwein viel Erfolg mit ihrem ersten Roman. Wir bleiben neugierig auf  weitere Geschichten und Erzählungen.

Über das Fehlen von Flaggen und Fahnen zu Fronleichnam

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Ausschnitt des Leserbriefs von Wolfgang Nickolay in Winterberg-Totallokal v. 13. Juni 2012, S. 24

Lieber Herr Nickolay, so haben Sie sich das also gedacht: Zu Fronleichnam wird entlang der Prozessionsstrecke „mit Fahnen geschmückt“.

Was  aber stellen Sie fest? Es wurde nicht überall geflaggt. Also kommen Sie daher und machen ihrem Frust Luft. In Form eines Leserbriefs weisen Sie diejenigen Briloner Mitbürger zurecht, die keine Flagge gezeigt haben:

Söhne, Töchter und Nachbarn, die den „Leuten im hohen Alter“ beim Hissen der Fahne nicht geholfen haben. Bewohner des „Mietshauses“, bzw. dessen Hausmeister. Nicht zu Ihrer Zufriedenheit waren weiterhin geflaggt: Königstraße, Derkere Straße, Schulstraße und selbst am Kolpinghaus und am Museum hingen keine Flaggen.

Ja, den Bewohnern der „christlichen Stadt“ Brilon haben Sie es aber gegeben. Wer nicht flaggt am Fronleichnam, der wird anschließend zurechtgewiesen – und irgendein Anzeigenblatt findet sich schon und druckt diese Klage.

Falls es jemand noch nicht gemerkt haben sollte: Wir leben in einem freien Land. Glücklicherweise kann uns niemand mehr vorschreiben, zu welchen Anlässen wir welche Fahne vor unserem Haus aufziehen. Das gilt für unsere gesamte Republik und somit auch für das schöne Städtchen Brilon.

Podiumsdiskussion zur Gesamtschule im HSK. Viele Informationen und hohes Diskussionsniveau, aber geringes Elterninteresse.

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Kenntnisreiches Podiumsbesetzung bei der Veranstaltung der SBL/ MbZ zur Gesamtschule (foto: Johanna)

Der Hochsauerlandkreis ist der letzte Kreis in Nordrhein-Westfalen ohne Gesamtschule. Ein Mangel? Die CDU-Fraktion im Mescheder Kreistag sieht es als Erfolg. Diese Begeisterung teilt jedoch nicht jeder.

Daher lud die Sauerländer Bürgerliste (SBL) und die Fraktion „Meschede braucht Zukunft“ (MbZ) am vergangenen Mittwoch zu einer Podiumsdiskussion in den großen Kreistagssaal in Meschede ein. Thema: GESAMTSCHULE im HSK? Information, Diskussion, Fragen und Antworten

Es kamen rund 35 ZuhörerInnen, Mitglieder des Jugendparlaments Meschede, LehrerInnen, politisch Aktive und interessierte BürgerInnen aus dem Hochsauerlandkreis. Ob betroffene Eltern unter den Zuhörern waren, ließ sich nicht ausmachen.

Das Podium war sehr kompetent besetzt. Zunächst stellte Kerstin Haferkemper, Lehrerin an der Hannah-Ahrendt Gesamtschule Soest, die Schulorganisation und die pädagogische Arbeit in groben Zügen vor. Sie betonte, dass an ihrer Schule das Kind im Mittelpunkt stehe. Eine heterogene Schülerschaft sei gewollt. Die Schule biete einen rhythmisierten Ganztag, Mittagspausen von 45 Minuten für alle Schüler, Förderkonzepte, ein AG-Angebot am Nachmittag und offene Angebote in der Mittagspause. Die Schüler würden nicht nur fachlich gefördert, sondern auch methodisch, sie sollten soziale Fähigkeiten erlernen und ihr Lernen selber organisieren. Daher gebe es Wochenplanarbeit, Sozialräte und Klassenräte.

Als Vertreter der Elternpflegschaft der Soester Gesamtschule betonte Herr Michel, dass es eine gute Einbeziehung der Eltern an der Hannah-Arndt Schule gebe.

Dr. Michael Fink, Mitglied der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule NRW e.V., wies darauf hin, dass an den neu geschaffenen Sekundarschulen Kinder mit Haupt- und Realschulempfehlung aufgenommen würden. An den Gesamtschulen hingegen meldeten Eltern auch Kinder mit Gymnasialempfehlung an. Gesamtschüler hätten 13 Jahre Zeit bis zum Abitur und 70% der SchülerInnen, die an der Gesamtschule das Abitur schafften, hätten nach der 4. Klasse keine Gymnasialempfehlung gehabt.

Von den beiden anwesenden ehemaligen Schülerinnen der auf der Veranstaltung sehr engagiert und kompetent vertretenen Soester Schule wurde in diesem Zusammenhang folgende Tatsache hervorgehoben:

Gesamtschüler schreiben dieselben Abiturarbeiten wie Gymnasiasten. In NRW gibt es ein Zentralabitur und das ist für beide Schulformen identisch. Die Abiturprüfung an einer Gesamtschule ist somit genauso schwierig wie an einem Gymnasium.

Volker Esch-Alsen, Sozialdemokrat und stellvertretender Schulleiter, erläuterte, dass in Soest die Anmeldungszahlen die Kapazitäten der Schule deutlich übersteigen würden. Das bedeute leider, dass viele Schüler abgewiesen werden müssten.

Eine neue gegründete Gesamtschule müsse sich ihren guten Ruf allerdings erst erkämpfen. Herr Esch-Alsen bedauerte zudem, dass es in der Diskussion um die Schulform häufig nicht um Pädagogik gehe. So bezeichnete er die Sekundarschule als Kopfgeburt und die Ablehnung dieser Schulform in Arnsberg hätte gezeigt, dass Eltern verstünden, dass es sich hierbei lediglich um die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule handele. Die Gesamtschule hingegen verfüge über eine gymnasiale Oberstufe und biete somit alle Abschlüsse bis zum Abitur.

Reinhard Loos von der SBL betonte, dass nach dem Schulgesetz der Kreis in der Pflicht sei und dieser die Verantwortung nicht einfach an die Kommunen weitergeben könne. Er veranschaulichte die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Schülerzahlen im HSK. Schon jetzt wanderten Schüler ab. Zahlreiche Briloner Schüler besuchten z.Z. die Mittelpunktschule in Willingen. In der Altersgruppe der 19-25 Jährigen verliere der HSK jährlich rund 500 Personen. Loos ließ die Frage offen, ob dies vielleicht auch an der fehlenden Pluralität des Schulsystems liege.

Am Schluss der angeregten Diskussion ging es um die Frage, wie eine Gesamtschule politisch durchgesetzt werden könne. Meschede sei in der glücklichen Situation, dass es bereits einen Ratsbeschluss für eine Elternbefragung gebe, erklärte Herr Fink. Nun komme es auf den richtigen Stimmzettel an: Es gebe einen, auf dem lediglich die Sekundarschule stehe. Die zweite Option sehe vor, dass Eltern für eine integrierte Schulform stimmen können und dann die Wahl zwischen Sekundarschule und Gesamtschule haben. Möglichst viele Eltern sollten beteiligt werden, damit das Ergebnis tatsächlich repräsentativ sei.

Moderatorin Christa Hudyma, Ratsmitglied der FW in Medebach, hob die Bedeutung des Elternengagements hervor. Hier wurde sie von Herrn Michel unterstützt. Zur Beurteilung einer Schule sollten Eltern von der Schulleitung den Bericht der Qualitätsanalyse einfordern und sich hier insbesondere den Berichtsteil zum Thema Unterricht ansehen. Wenn der Schulleiter diesen Bericht nicht zeigen wolle, sei dies bereits ein Hinweis.

Die im Saal Anwesenden waren sich weitgehend einig, dass dem Hochsauerlandkreis eine Gesamtschule als weitere Schulform fehle. Sie solle nicht die vorhandenen Gymnasien ersetzen oder gar zu einer Einheitsschule führen. Ein weiter Schulform würde die Vielfalt vergrößern und somit Eltern und Schülern mehr Möglichkeiten bieten.

Ob die Gründung einer Gesamtschule im Hochsauerlandkreis politisch durchsetzbar ist, wird sich demnächst zeigen. Das fehlende Interesse von Elternseite war jedoch kein positiver Indikator.