Ohne den Tourismus könnte in Winterberg kein Kino existieren. Das Filmtheater Winterberg kann man nicht wert genug schätzen, zumal neben den Blockbustern auch sogenannte „besondere Filme“ gezeigt werden, die nicht unbedingt das große Publikum anziehen.
Heute Abend habe ich mir „Der Trafikant“ angeschaut und war entgegen der durchwachsenen Filmkritiken sehr zufrieden, berührt, angeregt. Der Film basiert auf einem Roman des österreichischen Autors Robert Seethaler aus dem Jahr 2012.
Die Handlung wird bei Wikipedia folgendermaßen beschrieben:
„Der 17-jährige Franz Huchel verlässt kurze Zeit vor dem Anschluss Österreichs 1938 sein Heimatdorf, um in Wien bei dem Trafikanten Otto Trsnjek, einem Kriegsinvaliden aus dem Ersten Weltkrieg, in die Lehre zu gehen. Zu dessen Stammkunden zählt der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Franz ist in die junge böhmische Varietétänzerin Anezka verliebt und sucht Rat bei Freud. Dem ist das weibliche Geschlecht allerdings ebenfalls ein Rätsel. Es entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen dem jungen Franz und dem 82-jährigen Freud, der Österreich am 4. Juni 1938 verlässt und nach London emigriert. Franz wird Zeitzeuge zum Nationalsozialismus in Wien.
Otto Trsnjek wird von dem benachbarten Fleischer bei der Gestapo denunziert, sein Laden verwüstet und er selbst von der Geheimpolizei abgeholt. Franz spricht im Gestapo-Hauptquartier vor, erhält jedoch keine Auskunft und wird vor die Tür geworfen. Später erhält er eine Nachricht, dass der Trafikant an Herzinfarkt gestorben sei, und ein Paket mit den persönlichen Sachen Trsnjeks wird ihm zugeschickt.
Da „seine“ Anezka mit einem SS-Offizier liiert ist, Freud emigriert und Trsnjek in den Kellern der Gestapo umgebracht wurde, setzt Franz nachts die Hose des (einbeinigen) Trafikanten als Flagge vor dem Gestapo-Hauptquartier. Am Tag darauf wird Franz von der Gestapo abgeholt.
Geraume Zeit später steht Anezka vor der verlassenen und geschlossenen Trafik. Außen am Fenster hatte Franz seine Traumschilderungen angeklebt. Anezka nimmt die mit, in der ein böhmisches Mädchen aus der Schaukel springt.“
Die Kurzbeschreibung passt, auch wenn der Erzählstrang während der 113 Minuten weit mehr Elemente enthält.
Der Hauptvorwurf der Kritik ist, der Film sei „ein Dekorations- und Kulissenfilm, in dem nichts glaubhaft erscheint: die Trafik eine Theaterbude, der Fleischerladen nebenan nur eine Fassade. Wien 1938 als synthetisches, hochdruckgereinigtes Bühnenbild.“
Kann man so sehen und ja, der Film ist einerseits eine große Bühnenverfilmung mit Darstellern, die jeweils in ihrer Rolle für das Ganze stehen: ein Kommunist, ein Denunziant, eine schillernde Frauenrolle, ein Jude, usw. sowie rundherum einige Statisten, andererseits hat mir gerade diese Reduktion gut gefallen.
Dazwischen immer wieder phantastische Traumszenen -Freud lässt grüßen- und umspannend der Gegensatz zwischen Land und Stadt, in dem der 17-jährige Franz das Bindeglied verkörpert.
Es geht um Libido, Liebe und das sexuelle Coming of Age des Jungen vom Lande in den Kulissen der Weltstadt Wien, welches schlussendlich auch zu einem politischen Reifeprozess wird.
Gut und Böse sind klar zu unterscheiden, der politische Opportunismus der Varietétänzerin Anezka von links nach rechts wird unzweideutig nachgezeichnet.
Spontanurteil: 4,5 von 6 Sternen.