„Ein Grabstein erzählt“ – Teil 2: … nur ein kleiner Anfang für weitere Recherchen

Das erzähle ich deshalb so ausführlich (siehe Teil 1), um zu veranschaulichen, daß dies nur ein kleiner Anfang für weitere Recherchen sein kann. Hunderte Namenslisten gälte es durchzuackern, um weitere Informationen über die Toten zu bekommen, die in zig Lagern in und um Meschede leben mußten und „verstorben“ sind:

in Stockhausen „nach kompl. Unterschenkelbruch“, in Meschede im „Ostarbeiterlager Waldstr.“ an „Krämpfen“ oder im „Ostarbeiterlager Haus Dortmund“ oder „im Ostarbeiterlager Wiebelhaus“ oder „im Ostarbeiterlager der Honsel-Werke“ oder in Bestwig „im Ostarbeiterlager“ oder in Bigge im „Lager Talblick“ oder in Heinrichstal „im Ostarbeiterlager“ oder „in Ramsbeck“ oder in „Hoppecke im Lager Bremecke“ oder „in Dörnbeck bei Ramsbeck im Ostarbeiterlager“ „an einer „Kopfverletzung“, an einer „Benzinvergiftung“, „Tuberkulose, Hüftgelenksentzündung“, an „Hitzschlag, Lungenentzündung, Herzschwäche“, an einer „schweren Beinverletzung“, an „Flecktyphus“ (= „Lagerfieber“), an „Lungentuberkulose“, an „Schwere Lungentuberkulose, allgemeine Entkräftung, Versagen des Kreislaufs“, an „Doppelseitige Lungentuberkulose“ oder „Schädelbruch“, „auf der Flucht erschossen“ oder durch „Freitod“.

Namenslisten der Arbeitgeber auch von Warstein und Eversberg geben weitere Hinweise, und nach manch einem sind die Lager benannt. Ein Beispiel aus Warstein:

„Die Industrie- und Handelskammer für das südöstliche Westfalen verleiht durch ihren Präsidenten, Generaldirektor Fritz Honsel, nach erfolgter Zustimmung des Beirats dem Fabrikbesitzer HUGO SIEPMANN den Titel eines Ehrenpräsidenten, weil er sich in über 25jähriger Arbeit um die Wirtschaft seiner westfälischen Heimat und damit um das Vaterland sehr verdienst gemacht hat.
Arnsberg im September 1939“

Diese „Ehrenurkunde“ mit der Unterschrift „Die Ehrenurkunde mit der Ernennung Hugo Siepmanns zum Ehrenpräsidenten der Industrie- und Handelskammer anläßlich seines 70. Geburtstages“ wird stolz abgedruckt in dem Buch „60 Jahre Gesenkschmiede“ bzw. „1891-1951. 60 Jahre Siepmann-Werke, Aktiengesellschaft Belecke-Möhne“, einer Festschrift von 1951, das auch zum Erbe meiner Mutter gehört. Ich fand es zwischen ihren Büchern. Eine Heftchen in DIN A 5 u.a. mit Photos von der Beerdigung einer Jenni Siepmann (9.7.1906- 4.6.1959) lag darin; wahrscheinlich war mein Opa auf der Beerdigung.

Reich war die Kirche und das Grab geschmückt, und auf der Karte steht:

„Wir dürfen Gott danken für alles, was er der Verstorbenen an Gütern des Leibes und der Seele geschenkt hat. Wir dürfen danken für alles, was Gott an uns allen durch die Verstorbene gewirkt hat. Ja, wir dürfen danken, daß wir als Christen angesichts des Todes diese Botschaft vom Leben haben und bezeugen dürfen. ,Ich betrachte meine Wege und kehre meine Füße zu Deinen Zeugnissen!’ Möge Euch, Ihr lieben Angehörigen, und uns alle das trösten und aufrichten, daß wir von uns weg auf Gott blicken dürfen, auf Jesus Christus, auf das Kreuz! Amen.“

Da war diese Urkunde und diese Karte, die mir zuerst auffielen. Und dann las ich weiter:

„Aus Anlaß des 60jährigen Bestehens unseres Unternehmens erlauben wir uns, Ihnen eine Festschrift, die die Entwicklung und den heutigen Stand unseres Betriebes darstellt, zu überreichen. Wir holen damit eine Verpflichtung nach, die uns beim 50jährigen Bestehens unserer Firma im Jahre 1941 erwachsen ist und sich infolge der damaligen Verhältnisse nicht verwirklichen ließ.
Es ist unser aufrichtiger Wunsch, daß diese Festschrift dazu beiträgt, die Beziehungen zu allen Freunden unseres Hauses zu vertiefen und zu festigen.
Unser Jubiläum bietet uns die willkommene Gelegenheit, allen denen, die uns innerhalb und außerhalb unseres Betriebes in guten und in schlechten Tagen die Treue hielten, von Herzen Dank zu sagen und die Bitte auszusprechen, uns ihr Wohlwollen und Vertrauen auch weiterhin zu schenken.
Siepmann-Werke
Aktiengesellschaft
Belecke (Möhne)
Der Vorstand“

„Zum Geleit
Das Schicksal hat es gefügt, daß das 25jährige Bestehen der Siepmann-Werke (1916) wie auch ihr 50jähiges Jubiläum (1941) in die Mitte zweier Weltkriege fiel. Beide Male waren die Zeiten nicht dazu angetan, sich festlicher Freude hinzugeben. Nur im engsten Familienkreise wurden die Festtage kurz gewürdigt.
Anläßlich des 60jährigen Bestehens des Werkes soll das Versäumte nachgeholt werden. Die Freude wird allerdings gedämpft durch den Tod der beiden Gründer des Unternehmens, der Brüder Emil und Hugo Siepmann, Ende des Jahres 1950. Beiden sollte es nicht mehr vergönnt sein, die Feier des 60jährigen Bestehens ihres Lebenswerkes mitzuerleben. Damit wird diese Festschrift ein Gedenk- und Ehrenbuch für diese beiden Männer.
Sie will zunächst die Grundlagen zeigen, auf denen das Werk aufgebaut wurde, und den Weg schildern, den es in den vergangenen sechzig Jahren genommen hat.
Sie soll künden vom Geist verpflichtenden Unternehmertums und Stolz und Freude wecken über das Geleistete.
Sie will darüber hinaus allen ein Dankeswort zurufen, die ihre besten Kräfte an das Werk gesetzt haben.
Sie will nicht zuletzt die Brücke von Mensch zu Mensch schlagen, nicht nur innerhalb des Betriebes, sondern auch nach außen zu allen unseren Geschäftsfreunden.
Endlich soll sie in den Herzen der jetzigen Generation wie der kommenden den Entschluß festigen, es den Vorgängern gleichzutun.
Der Vorstand der Siepmann-Werke Aktiengesellschaft
Alfred Siepmann[1]
Walther Siepmann
Ernst Siepmann
Belecke (Möhne), im Sommer 1951“

S. 80f:

„„Ein Grabstein erzählt“ – Teil 2: … nur ein kleiner Anfang für weitere Recherchen“ weiterlesen

„Ein Grabstein erzählt“ – Teil 1: Nina Worowina, 21 Jahre, verheiratet, „Ostarbeiterlager“, gest. 24.8.1944.

Nina Worowina, 21 Jahre, verheiratet, „Ostarbeiterlager“, gest. 24.8.1944. Ein Grabstein erzählt. (alle fotos: thelen-khoder)

WALDFRIEDHOF FULMECKE – DER FRIEDHOF WURDE IM I. WELTKRIEG ANGELEGT UND DIENTE ALS RUHESTÄTTE FÜR KRIEGSGEFANGENE MEHRERER NATIONEN (INSBES. FRANZOSEN), DIE IM MESCHEDER KRIEGSGEFANGENENLAGER VERSTORBEN WAREN. FRANZÖSISCHE, BELGISCHE UND ITALIENISCHE KRIEGSTOTE WURDEN NACH DEM I. WELTKRIEG IN IHRE HEIMAT ÜBERFÜHRT. FÜR DIE RUSSISCHEN UND POLNISCHEN KRIEGSTOTEN DES I. WELTKRIEGES BLIEB DER WALDFRIEDHOF DIE LETZTE RUHRSTÄTTE.

IM JAHRE 1964 WURDEN 121 UNBEKANNTE RUSSISCHE TOTE AUS DEN GEMEINDEN SUTTROP UJND WARSTEIN NACH HIER ÜBERFÜHRT. IN DEN JAHREN 1965/66 ERFOLGTE DIE VÖLLIGE NEUGESTALTUNG DES FRIEDHOFES. HEUTE RUHEN HIER 287 RUSSISCHE UND POLNISCHE KRIEGSTOTE.

DAS SCHMIEDEISERNE TOR MIT DEN SANDSTEINFLÜGELMAUERN SOWIE DIE FIGUR DES FRANZÖSISCHEN SOLDATEN SIND ARBEITEN UNBEKANNTER FRANZÖSISCHER KRIEGSGEFANGENER.

DIE STELE IM HINTEREN BEREICH DES FRIEDHOFES WURDE NACH DEM II. WELTKRIEG DURCH DIE SOWJETUNION ERRICHTET.

So steht es auf der schmiedeeisernen Tafel im Eingangsbereich des „Waldfriedhofs Meschede-Fulmecke“ an der Waldstraße, und die sowjetische Stele ganz hinten in der Ecke sagt:

HIER RUHEN RUSSISCHE BÜRGER, BESTIALISCH ERMORDET IN FASCHISTISCHER GEFANGENSCHAFT. EWIGER RUHM DEN GEFALLENEN DES GROSSEN VATERLÄNDISCHEN KRIEGES 1941 – 1945

Und was sagen die Grabsteine?

Inzwischen habe ich etwas über die Namen finden können; durch den wunderbaren „International Tracing Service (ITS)” in Bad Arolsen fand ich zunächst folgende Listen:

  1. „Gräberliste von Bürgern der Vereinten Nationen nach Zivilisten, U.S.S.R., Waldfriedhof Meschede“, ITS Bad Arolsen, 2.1.2.1 / 70792345;
  2. „Bürger der Vereinten Nationen, die seit dem 4.9.1939 hier ortsansässig geworden und hier verstorben sind, Waldfriedhof Meschede“, ITS Bad Arolsen, 2.1.2.1 / 70792343;
  3. „Nachweis über die im Amte Meschede verstorbenen russischen Staatsangehörigen“, ITS Bad Arolsen, 2.1.2.1 / 70792351 und 2.1.2.1 / 70792352;
  4. „Gemeinde Meschede, Nationalität Russen, Sterbeurkunde ja, Waldfriedhof“, ITS Bad Arolsen, 2.1.2.1 / 70689395
  5. „Grablagen von sowjetrussischen Staatsangehörigen; Originale beim Bundesvertriebenenministerium“ = „Az.: WASt-Gräberliste“, ITS Bad Arolsen, 2.3.2.1 („Grablagen von sowjetrussischen Staatsangehörigen; Originale beim Bundesvertriebenenministerium“, heute im Bundesarchiv in Koblenz)

Durch diese Listen bekam ich viele Geburts- und Sterbedaten, mit denen ich weiter nach den Toten suchen konnte. Und so fand ich manche Geburts- und Sterbeurkunde, Vermerke vom Oberstaatsanwalt in Arnsberg und Hinweise auf zahlreiche „Ostarbeiterlager“ und „Kriegsgefangenenlager“, in denen auch die Ermordeten der drei Massaker vom

  • am 20. März 1945 im Langenbachtal (Warstein, damals Landkreis Arnsberg),
  • am 21. März 1945 im Körtlinghausener Forst (Suttrop, damals Landkreis Lippstadt)
  • und am 22. März 1945 auf der Kuhwiese (Eversberg, damals Landkreis Meschede) leben mußten.

Dies ist meine Ausbeute nach zwei Wochen im ITS:

„„Ein Grabstein erzählt“ – Teil 1: Nina Worowina, 21 Jahre, verheiratet, „Ostarbeiterlager“, gest. 24.8.1944.“ weiterlesen

Beklemmende Spurensuche: Wie schön wäre es, wenn wir gemeinsam nach den Ermordeten im ITS in Bad Arolsen suchen könnten!

„Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe“ – Natascha Wodins Mutter sagte diesen Satz immer wieder und nahm doch, was sie meinte, mit ins Grab. (Buchcover: rowohlt)

Sehr habe ich mich über den Artikel „Beklemmende Spurensuche“ in der WR vom 5.9.2017 gefreut. Er wurde mir aus Meschede zugeschickt.

Das Buch von Natascha Wodin hatte ich auch mehrfach zitiert, und als ich die Buchempfehlung der Leiterin der Stadtbibliothek in Brilon las, fiel mir zum Titel „Sie kam aus Mariupol“ und Brilon folgendes ein:

Der Schumacher Jemeljan Brzkalow (geb. 19.8.1908, gest. 27.10.1942), der sich zusammen mit Nikoley Jonov (gest. 29.6.1945) und Wera Martinenko (geb. 7. oder 8.1.1920, gest. 16.2.1945) einen Grabstein auf dem „Franzosenfriedhof“ in Meschede-Fulmecke teilt, kam auch aus Mariupol.

Der Schumacher Jemeljan Brzkalow teilt sich zusammen mit Nikoley Jonov und Wera Martinenko einen Grabstein. (alle fotos: thelen-khoder)

Und Wasili Loboda (geb. 25.9.1898, gest. 23.5.1944), auf dessen Grabstein auf der „Kriegsgräberstätte Waldfriedhof Meschede-Fulmecke“ noch ein „Unbekannt“ steht, war als „Ostarbeiter“, „griechisch-katholisch, wohnhaft in Brilon, Lager Möbelfabrik …

Wasili Loboda war als „Ostarbeiter“, „griechisch-katholisch, wohnhaft in Brilon.

Der Verstorbene war verheiratet mit der Jewdokija Loboda, wohnhaft in Brilon.“

So steht es in seiner Sterbeurkunde (94/1944) im Standesamt Meschede (digitalisiert zugänglich im ITS in Bad Arolsen unter 2.2.2.2 / 76800524). Gestorben ist er an „Lungentbc.“ (siehe „Liste der ausländischen Patienten in der Zeit vom 1.9.39 bis 8.4.45“ des St. Walburga-Krankenhauses in Meschede, beginnend mit 2.1.2.1 / 70689859; S. 22 vermerkt unter Nr. 603 (2.1.2.1 / 70689880) Wasili Loboda. Was wohl aus seiner Frau geworden ist?

Ein beklemmendes Erbe hat mir meine Mutter hinterlassen, und ich will ihnen meine Stimme geben: den 57 Ermordeten von Suttrop, den 71 Ermordeten vom Langenbachtal, den 80 Ermordeten von Eversberg und den zig „Ostarbeitern“ von Meschede und Umgebung, die alle zusammen auf dem „Franzosenfriedhof“, dem Waldfriedhof Meschede-Fulmecke liegen.,

Noch nicht identifiziert. Die Suche muss fortgesetzt werden.

Wie schön wäre es, wenn wir gemeinsam nach den Ermordeten im ITS in Bad Arolsen suchen könnten!

208 ermordete sowjetische und polnische Zwangsarbeiter, ein besonderes Erbe und die Grabsteine auf dem „Franzosenfriedhof“ in Meschede-Fulmecke.
Teil 2 einer persönlichen Dokumentation.

Dokumentation der  Massenmorde an sowjetischen und polnischen Zwangsarbeitern im Sauerland (screenshot, zum Lesen auf das Bild Klicken.)

Wenige Monate vor ihrem Tod erzählte mir meine Mutter, in ihrem Geburtsort, den ich nur von Erzählungen und zwei Beerdigungen her kannte, seien wenige Tage vor Kriegsende russische Zwangsarbeiter im Wald ermordet und „verbuddelt“ worden.

Fortsetzung des ersten Teils.

(Dies ist Teil II eines mehrteiligen Artikels von Naja Thelen-Khoder. Unsere Autorin hat sich intensiv mit der Geschichte der russischen Zwangsarbeiter im Sauerland beschäftigt. Ihre Dokumentation liegt als PDF vor und kann hier als Gesamtdokument heruntergeladen und gelesen werden.)

Das zweite Buch ist Peter Bürgers „Zwischen Jerusalem und Meschede“, das auf 217 Seiten so viele Informationen und Materialien zusammenträgt, daß ich ihm nur auf Knien dafür danken kann; daß er es zum Download zur Verfügung stellt, ist einfach großartig.

Auf S. 23 benennt er kurz und knapp, was das Stichwort „Langenbachtal“ meint: „Die Anklage lautete auf Mord und Mordversuch. Wetzling wurde vorgeworfen, 71 Menschen heimtückisch und grausam getötet zu haben und zur Tötung von weiteren 80 Menschen Beihilfe geleistet zu haben. Die anderen Beschuldigten wurden der Beihilfe zu heimtückischen und grausamen Tötungen in einer jeweils unterschiedlichen Zahl beschuldigt.

Es ging um drei miteinander verbundene Tatkomplexe:

  • Im Langenbachtal bei Warstein wurden 14 Männer, 56 Frauen und 1 Kind getötet. Dort starben also 71 Zwangsarbeiter. Hauptbeschuldigter war der Angeklagte Wetzling. Beteiligt waren daran auch Anhalt und Klönne.
  • In einem Wiesengrund bei Eversberg wurden 80 männliche Zwangsarbeiter ermordet. In diesem Fall war der Angeklagte Gaedt der Hauptbeschuldigte. Weitere Beschuldigte waren Wetzling und Miesel.
  • In einem Wald bei Suttrop wurden 35 Männer, 21 Frauen und ein Kind ermordet. An der Tat beteiligt war von den Angeklagten im Prozess nur Zeuner. Daran maßgeblich beteiligt war vermutlich auch der frühere Hauptmann Schmoller, der vor Gericht lediglich als Zeuge auftrat.“

„Langenbachtal“ meint also eines von drei innerhalb von wenigen Tagen begangenen „Endphaseverbrechen“, den Mord an 208 meist russischen Zwangsarbeitern im Raum Warstein im Arnsberger Wald. Und Ernst-Moritz Klönne saß unter dem Vorwurf der Beihilfe mit auf der Anklagebank.

(Ausschnitt aus der Westfalenpost vom Neujahrstag 1958 (screenshot: Bürger a.a.O.)

„Am Morgen des 20. März 1945 rief Wetzling bei Klönne an und bat ihn, bei der Auswahl eines geeigneten Erschießungsplatzes zu helfen. Sie fuhren zu dem von Klönne schon früher erwähnten Platz im Langenbachtal. Der Mordplatz war eine Lichtung, etwas von der durch das Tal führenden Straße entfernt.

Gegen Abend befahl der Angeklagte Anhalt, dem Hauptwachtmeister der Stabsbatterie, ein etwa 15 Mann starkes bewaffnetes Sonderkommando zusammenzustellen. Dieses hatte sich gegen 22 oder 23 Uhr beim Amtsgericht in Warstein zu melden. Beim Eintreffen der Kommandos waren Wetzling, Klönne und eine untergeordnete SS-Charge anwesend. Den Soldaten wurde der Tötungsbefehl verkündet.

Dabei wurde auf die angebliche Gefahr, die von den Zwangsarbeitern ausgehen würde, hingewiesen. Die Tötung diente demnach dem Schutz der Bevölkerung. Hingewiesen wurde auch auf die schlechte Ernährungslage. Wetzling versäumte nicht, auf die ,Greueltaten der Roten Armee’ und die schweren Luftangriffe der Alliierten hinzuweisen. Lobend erwähnte er die Bereitschaft von Klönne, sich der Aktion freiwillig anzuschließen.

Gegen den Protest Klönnes, der durch die Nähe der Straße, eines Försterhauses und eines Müttergenesungsheimes wohl die Entdeckung fürchtete, wurde der Erschießungsort etwas verlegt. Wetzling verpflichtete die Beteiligten zur Geheimhaltung.

Irgendeinen Widerspruch hat es nicht gegeben. [Fußnote: LG Arnsberg 12.2.1958, 3 Ks 1/57 S. 579f.] Ein Teil des Kommandos begab sich zum Mordplatz. Dem schloss sich auch Klönne an. Der andere Teil mit Wetzling und Anhalt fuhren zur Schützenhalle. Mit einer Dolmetscherin betraten sie gegen Mitternacht die Halle.

Es wurde den dort anwesenden bis zu 1000 Zwangsarbeitern gesagt, wer arbeiten wolle, solle sich melden, er komme dann in ein anderes, besseres Lager. Eine beträchtliche Gruppe von Internierten – unter ihnen viele Frauen, eine sogar mit einem Kind – meldeten sich.

Mit Blick darauf, dass ein Großteil der Opfer Frauen waren, sagte Wetzling später: ,Ich habe dann auch sehr darauf geachtet, dass bei der nächsten Exekution nur Männer erschossen wurden, damit die Parität wieder hergestellt war …’.

Mit einem Lastkraftwagen wurden die Zwangsarbeiter in mehreren Transporten ins Langenbachtal gefahren. Bei der Mordstätte handelte es sich um eine Weide in einer Talmulde, etwa vier Kilometer von Warstein entfernt. Die Zwangsarbeiter des ersten Transports wurden nach ihrer Ankunft aufgefordert, ihre Habseligkeiten abzulegen. Klönne wurde aufgefordert, sich zu entfernen. Zwei Posten hatten die Aufgabe, das Gelände vor dem Hinzukommen fremder Personen abzuschirmen.

Die Zwangsarbeiter verhielten sich während der Geschehnisse sehr ruhig. Ihnen wurde befohlen, sich zu zweit oder dritt nebeneinander zu stellen. Die Soldaten traten links neben die Zwangsarbeiter. So wurde die Gruppe von der Straße an den eigentlichen Tötungsort geführt.

Auf ein Signal hin eröffneten die Soldaten das Feuer auf die neben ihnen befindlichen Menschen. In kurzer Zeit war der Befehl ausgeführt.

Nach vollbrachter Tat marschierte das Erschießungskommando wieder zur Straße zurück. In ähnlicher Weise erfolgte auch die Ermordung der Angehörigen der folgenden Transporte.

Beim letzten Transport löste sich vorzeitig ein Schuss. Dies führte bei den Gefangenen zu Unruhe. Sie schrien, und einige versuchten vergeblich zu fliehen. Ein Zwangsarbeiter, der in Richtung der Straße flüchten wollte, wurde auf Zuruf Wetzlings vom Angeklagten Anhalt mit seiner Dienstpistole erschossen.

Nach dem Ende der Tat hoben die Soldaten unter dem Kommando von Anhalt Massengräber aus. Während der Bestattung fanden die Soldaten ein Mädchen von etwa 18 Jahren, das noch lebte. Sie kamen dem Befehl, dieses zu töten, nicht nach, worauf Anhalt sie als ,Feiglinge’ bezeichnete und das Opfer durch einen Genickschuss zu Tode brachte.

Die Gräber wurden zugeschüttet, und man versuchte die sonstigen Tatspuren zu verwischen. Noch brauchbare Habseligkeiten der Getöteten wurden auf den LKW geladen. Auch etwa 1000 Reichsmark an Bargeld wurden eingesammelt.“

Zu Ernst-Moritz Klönne: „Nicht zur Division z.V. gehörte der Angeklagte ERNST MORITZ KLÖNNE. Dieser stammte aus einer bekannten Dortmunder Unternehmerfamilie. Er war Sohn des Unternehmers und früheren Reichstagsabgeordneten Moritz Klönne. Als mehrfach ausgezeichneter und verwundeter Wehrmachtsangehöriger war er 1943 vom aktiven Frontdienst zur Führerreserve genommen worden. Als solcher war er als Ausbilder tätig und diente bei der Organisationsabteilung des Oberkommandos des Heeres. 1944 wurde er zum Hauptmann der Reserve ernannt. Anfang 1945 wurde er zur Unterstützung der Leitung des Familienunternehmens unabkömmlich gestellt. Zum Tatzeitpunkt lebte er bei seinen Eltern in deren Wochenendhaus in der Nähe Warsteins. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft kehrte er bereits 1945 nach Dortmund zurück, wo er Teilhaber des Familienunternehmens wurde. Auch er war verheiratet und hatte Kinder.“

Sauerländische Zivilisten heben Einzelgräber aus für die am 3.5.1945 im Suttroper Massengrab aufgefundenen 57 ermordeten Menschen aus der Sowjetunion. (bild: U.S. Signal Corps – United States Holocaust Memorial Museum Photograph 8047)

Bis 1964 stand die Stele Nahe am Ort des Geschehens. Dann aber wurden die Toten samt Stele nach Meschede überführt, wie alle Bürger der Sowjetunion, die in Warstein, Eversberg und in Suttrop ermordet worden waren, nachts im Wald und auf einer Kuhwiese.

Teil 3 folgt in Kürze

208 ermordete sowjetische und polnische Zwangsarbeiter, ein besonderes Erbe und die Grabsteine auf dem „Franzosenfriedhof“ in Meschede-Fulmecke.
Teil 1 einer persönlichen Dokumentation.

Der Waldfriedhof Fulmecke (fotos: thelen-khoder)

Wenige Monate vor ihrem Tod erzählte mir meine Mutter, in ihrem Geburtsort, den ich nur von Erzählungen und zwei Beerdigungen her kannte, seien wenige Tage vor Kriegsende russische Zwangsarbeiter im Wald ermordet und „verbuddelt“ worden.

(Unsere Autorin Nadja Thelen-Khoder hat sich intensiv mit der Geschichte der russischen Zwangsarbeiter im Sauerland beschäftigt. Ihre Dokumentation liegt als PDF vor und kann hier als Gesamtdokument heruntergeladen und gelesen werden.)

Wenige Wochen nach der Befreiung hätte man sie gefunden, und die Bevölkerung habe an den Leichen vorbeigehen müssen. Sie, ihre Schwester und ihr zukünftiger Schwager seien dabei gewesen, wirklich schlimm.

Mein damals 17-jähriger Onkel habe sehr geweint. Richtig und auch gut sei es von den Amerikanern gewesen, die Menschen dazu zu zwingen, Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen. Niemand hätte sagen können, er habe „von all dem nichts gewußt“.

Der Ort des Geschehens, so meine Mutter, hieße Langenbachtal. Langenbachtal also – ein besonderes Erbe meiner Mutter. Von russischen Zwangsarbeitern hatte sie ihr ganzes Leben lang erzählt, und davon, daß es unmöglich gewesen war, „von all dem nichts gewußt“ zu haben. Sie jedenfalls habe im Alter 18 Jahren eine Menge gewußt.

Ihr Vater, der ein halbes Jahr nach meiner Geburt starb, war damals Arzt, und sie habe ihm mehrfach geholfen, die eiternden Geschwüre „auszuschaben“; sie habe oft die Arme oder Beine festgehalten, während mein Großvater die kranken Zwangsarbeiter behandelte. Aber daß russische Zwangsarbeiter noch wenige Tage vor Kriegsende im Langenbachtal ermordetet worden waren, hatte sie nicht erzählt.

Sobald ich konnte, fuhr ich in den Arnsberger Wald und fand die Toten nach einigem Suchen in Meschede auf dem Waldfriedhof, der auch „Franzosenfriedhof“ genannt wird, weil er im Ersten Weltkrieg für die etwa 20000 Kriegsgefangenen aus Frankreich angelegt worden war.

Eigentlich hätte ich keine Chance gehabt, die ermordeten der Massaker vom 20. bis zum 23. März 1945 zu finden. Nichts deutete darauf hin, daß die Opfer der drei „Massenerschießungen“ von Suttrop (57 Menschen), Eversberg (80 Menschen) und dem Langenbachtal (71 Menschen) alle hier lagen. Nicht die Bezeichnung des Ortes als „Kriegsgräberstätte“, nicht der Eingang mit dem großen Tor, nicht die Tafel hinter dem Eingang und auch nicht die sechs steinernen Platten mit den verschiedenen Angaben, wie viele Tote an der jeweiligen Stelle liegen:

Sechs steinerne Platten (fotos: thelen-khoder)

Woher hätte ich beispielsweise wissen können, daß hier die 80 Ermordeten von Eversberg liegen?

 

„HIER RUHEN 80 SOWJETISCHE BÜRGER, DIE IN DER SCHWEREN ZEIT 1945 FERN VON IHRER HEIMAT STARBEN.“ (foto: thelen-khoder)

Es war nur die angekündigte Stele ganz, ganz hinten in der Ecke, die etwas erzählte. Zuerst habe ich sie gar nicht gesehen;

„Zuerst habe ich die Stele nicht gesehen.“ (foto: thelen-khoder)

ganz, ganz hinten stand sie,

Kreuz und Stele (foto: thelen-khoder)

und erst, als ich dicht davor stand, erfuhr ich, was in etwa „passiert“ war:

HIER RUHEN RUSSISCHE BÜRGER, BESTIALISCH ERMORDET IN FASCHISTISCHER GEFANGENSCHAFT. EWIGER RUHM DEN GEFALLENEN DES GROSSEN VATERLÄNDISCHEN KRIEGES 1941 – 1945 (foto: thelen-khoder)

Gott sei Dank hatte die Sowjetunion damals daran gedacht, daß die meisten Deutschen kein Russisch können und hatte den Text auch übersetzt anbringen lassen, sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch.

Diese Stele besteht aus drei Seiten, und auf jeder steht der Text in einer der drei Sprachen. Leider konnte ich nur Teile so photographieren, weil mir das Gebüsch im Nacken saß. Aber man erkennt es ja auch so.

Die drei Seiten der Stele sind hier zu erkennen. (foto: thelen-khoder)

Daß auf dem „Franzosenfriedhof“ keinerlei Hinweis auf Französisch zu finden war, fand ich außerordentlich bedauerlich. Gott sei Dank gibt es wunderbare Bücher, und aus zweien möchte ich hier zitieren: Das erste ist die zweibändige Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“3 der Bundeszentrale für politische Bildung von 1995 mit Artikeln über „Warstein“ und „Meschede“. Auf S. 631f fand ich das gesuchte Massaker im Langenbachtal:

Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“3 der Bundeszentrale für politische Bildung von 1995 mit Artikeln über „Warstein“ und „Meschede“. (screenshot: thelen-khoder))

„In den Tagen des 20./23. März 1945 wurden in Warstein im Langenbachtal, in dem heute zu Warstein zählenden Ort Suttrop im Kattensiepen sowie in der Eversberger Heide insgesamt 208 überwiegend russische Zwangsarbeiter ermordet. Die Täter waren in Warstein stationierte SS-Truppen, die Opfer stammten aus Zwangsarbeiterlagern in der Schützenhalle in Warstein sowie in einer Suttroper Schule.

Nach der Befreiung mußten auf Veranlassung der alliierten Truppen ortsansässige Nationalsozialisten die Leichen exhumieren und die Einwohner der Orte an den Toten vorbeidefilieren. Die 71 in Warstein erschossenen Menschen wurden ursprünglich unweit des Tatortes im Langenbachtal beerdigt – man spricht heute noch von den ,Russengräbern’ – und 1964 auf den ,Franzosenfriedhof’ in Meschede überführt, wo schon 1947 die Mordopfer aus der Eversberger Heide beigesetzt worden waren. Ebenso wurden die Toten aus Suttrop nach dem Krieg exhumiert und auf den Mescheder Friedhof überführt. Ein damals von der Sowjetunion errichteter Obelisk ist heute auf dem Friedhof der Westfälischen Kliniken in Warstein zu finden, ebenso ein ähnlicher zweiter Obelisk auf dem Mescheder Friedhof.“

Teil 2 folgt in Kürze