Donnerstag Abend habe ich den Klavierabend von Igor Levit im Dortmunder Konzerthaus besucht. Es war harte Arbeit.
Das Programm für Kenner*innen:
Zum Verücktwerden
Johann Sebastian Bach, Chaconne aus Partita für Violine solo Nr, 2 d-moll BWV 1004
„Brahms transponierte Bachs Violinstimme eine Oktave tiefer und nahm einige Notenänderungen und Richtungswechsel vor, um die Musik ganz für das Klavier einzurichten. Es ist ihm unglaublich gut gelungen.“
Vier Episoden
Frederic Rzewski, „Dreams II“
„Vor ein paar Jahren sah Rzewski den Film „Dreams“ von Akira Kurosawa, für den der japanische Regisseur seine eigenen Träume in kurze filmische Episoden verwandelt hatte, die zusammen ein ganzes Menschenleben erzählen.“
Barocke Variationslust
Johann Kaspar Kerli, Passacaglia
„Nicht weniger als 40 Variationen in knappen sieben Minuten hält die monumentale Passacaglia von Johann Kaspar Kerli am Anfang der zweiten Konzerthälfte bereit.“
Zukünftige Musik von gestern
Ferruccio Busoni, Fantasia contrappuntistica
„1909 brach Ferruccio Busoni zu einer großen Amerika-Tournee auf, im Gepäck auch die ‚Kunst der Fuge‘ von Johann Sebastian Bach.“
Ich bin kein Kenner, sondern lediglich Musikkonsument. Und so hat mich das fast 40 Minuten lange Stück von Rzewski sehr angestrengt. Das ging nicht runter wie die Klaviersonaten von Beethoven, deren Einspielung von Igor Levit ich seit Oktober letzten Jahres hoch und runter gehört habe.
Rzewski hatte ich im November beim Konzert von Sergei Babayan kennengelernt, aber das Rondo war kürzer und verdaulicher.
Igor Levit ist ein „Fan“ von Frederic Rzewski und sein Vortag war leidenschaftlich virtuos, wie auch bei den drei anderen Stücken des Abends.
Damit ihr euch vorstellen könnt, was ich mit „harte Arbeit“ meine, hier die komplette Einspielung von „Dreams“ vom Meister persönlich:
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=DkhbGeHj_n8
Der Musikabend mit Igor Levit hat mich sehr bewegt, gerade weil es keine HeiaPopeia-Für-Elise-Musik zu hören gab. Mein etwas älterer Sitznachbar auf dem Balkon bemerkte: „Klasse, aber da muss ich noch eine Menge zu Hause nacharbeiten und recherchieren.“ Das sei keine Musik, die er gemütlich auf dem Sofa hören könne. Ich schlug vor, das ganze beim Kochen in der Küche zu goutieren, was er aber nicht nachvollziehen konnte.
Überhaupt – die Sitznachbarn und die Pausengespräche bildeten einen zweiten Hintergrund, ein Stück im Stück.
Schnitt … Pause
Ich sitze auf einem der Kunstleder-Quader vor dem Saal, blättere im Programm, ein älterer Herr: „Entschuldigen Sie, aber wissen Sie, welches Stück gerade gespielt wurde? Ich war zu spät. Stau.“
Rzeweski, sage ich. Nein, ich murmele etwas mir R und W, völlig falsch.
Ah, „Schewski„, das slawische RZ … bemerkt mein neu gewonnener Pausen-Gesprächspartner. Das Stück wäre ihm schwer gefallen, denn er käme eigentlich eher vom Theater.
Und dann ging irgendwie die Post ab. Wir kamen von der Überwindung des deutschen Idealismus zum Höderlinjahr 2020 und der Pop-Geschichte von Diedrich Diederichsen.
„Lesen sie die Adorno-Vorlesungen. Suhrkamp. Lesen Sie Diederichsen.“
Diederichsen habe seit einigen Jahren eine Professur in Wien, ja … und seine Frau …
Ich lasse einige Wendungen des Gesprächs aus, aber auf jeden Fall müsse ich die Hamlet-Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus sehen. Mit Johan Simons sei das Theater aus einer Krise heraus gekommen.
Und was die Philosophie anginge, die er an der Ruhruniversität gelehrt habe, ich müsse Christoph Menke lesen.
Es gongte zum zweiten Teil des Konzerts und wir verabschiedeten uns in Hochstimmung. Er ein emeritierter 80-jähriger Professor und ehemaliger Dramaturg, ich ein kleines Licht mit vielen neuen Aufgaben:
Diederichsen lesen
Hamlet im Schauspielhaus sehen
Christoph Menke lesen.
Wird gemacht. Tickets für Hamlet sind gebucht. Jetzt noch der Rest.
Die Revierpassagen berichten ebenfalls:
„Spiel mit barocken Formen: Der Pianist Igor Levit trat mit einem ausgeklügelten Programm im Konzerthaus Dortmund auf“
https://www.revierpassagen.de/104674/spiel-mit-barocken-formen-der-pianist-igor-levit-trat-mit-einem-ausgekluegelten-programm-im-konzerthaus-dortmund-auf/20200111_1641
Johann Sebastian Bach, Chaconne aus Partita für Violine solo Nr, 2 d-moll BWV 1004
“Bach transponierte Bachs Violinstimme eine Oktave tiefer und nahm einige Notenänderungen und Richtungswechsel vor, um die Musik ganz für das Klavier einzurichten. Es ist ihm unglaublich gut gelungen.”
„Bach transponierte Bachs …“ klingt nach _UNGLAUBLICH_ viel Hochkultur …:
„Johannes Brahms: Chaconne aus der Partita für Violine solo Nr. 2 d-moll BWV 1004 von Johann Sebastian Bach, für die linke Hand allein bearbeitet“
https://www.konzerthaus-dortmund.de/de/programm/09-01-2020-igor-levit-221967/
war das vielleicht „Brahms“, der an Bach herumgeschraubt hat?
@Andreas Lichte
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Ja, es war Brahms. Ich habe den Text entsprechend geändert.
… es geht um ein höheres Ziel:
„gesellschaftliches Kulturkonzept besagte im Wesentlichen, dass die Masse für die künstlerische Produktion der Elite aufnahmefähig gemacht werden solle, weil die unteren Stände von sich aus kulturell nichts Positives mehr leisten könnten“
Du hast den Link zu Kessler vergessen …
… das ist „universal“, sonst würde es jetzt nicht bei Deiner Hochkultur-Konzertkritik stehen …
(und natürlich war mir klar, dass Du das googelst …)
… wie es der Zufall will, habe ich heute den Popstar der klassischen Musik wiederentdeckt … mit einem „Sketch“ auf diesem Blog:
https://www.schiebener.net/wordpress/weltberuehmte-unbekannte-designer-russell-herbert-bert-gold/
finde ich immer noch Klasse …
@Andreas Lichte
Zitate, aus dem Zusammenhang gerissen, ohne Quellenangabe als Kommentar posten, finde ich Mist,
… wenn Du den Zusammenhang nicht verstehen willst …
Ich habe die vielen Äußerungen Igor Levits gegen Antisemitismus und Rassismus seit längerem bei Twitter mitgelesen und hoffe, dass er durch die Morddrohungen nicht eingeschüchtert wird und seinen Mut behält.
Beim Konzert habe ich sehr viel Polizei rund um das Konzerthaus gesehen. Traurig, dass dies nötig geworden ist.
„Auschwitz Komitee ehrt Igor Levit für Mut gegen Judenhass
Das Internationale Auschwitz Komitee hat den Pianisten Igor Levit für sein Engagement gegen Antisemitismus und rechtsextremen Hass geehrt. Levit verteidige mit Mut, Kreativität und Lebensfreude die Werte der Demokratie, erklärte das Komitee zur Preisverleihung am Sonntag in Berlin.
Levit selbst beklagte, »der Versuch, Biografien zu zerstören, kostet gar nichts mehr, außer einem Smartphone«. Ein Knopfdruck und »theoretisch kann man damit rechnen, dass ein Mensch zerbricht«.“
https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/auschwitz-komitee-ehrt-igor-levit-fuer-mut-gegen-judenhass/
… und ich dachte, es geht hier um „Musik“? Ist Igor Levit ein guter Pianist? War es ein gutes Konzert? Wenn ja: warum?
„Antisemitismus“ allerorten nervt (apropos: die Familie „Gold“ hat sich in „Gould“ umbenannt, um nicht mit Juden verwechselt zu werden)
@Andreas Lichte
„… wenn Du den Zusammenhang nicht verstehen willst …“
Ich bin raus. Nicht ohne Grund habe ich in die Nettiquette geschrieben:
„Darüber hinaus bitte ich darum
keine unkommentierten Links zu posten
Zitate als solche zu kennzeichnen und zu belegen“
Höre dir ein paar CDs von Igor Levit an, und vielleicht außerdem Rzewski, der wie Levit Musik/Kultur und Politik verbindet:
https://youtu.be/yLGeJ9mrNfU
… dass Du mir jetzt auch noch mit der „Nettiquette“ kommst …
auf „Igor Levit“ habe ich nach Deinen Kommentaren sicher keine Lust mehr
Ende der Hochkultur.
Prima!
Allen anderen empfehle ich:
Igor Levit & WDR Sinfonieorchester Köln, am 18. Juni 2020 im Konzerthaus Dortmund.
https://www.konzerthaus-dortmund.de/de/programm/2020-06-18-igor-levit-wdr-sinfonieorchester-koeln-222068/
… kannst Du stolz drauf sein! Gute Nacht!
Gute Nacht!
Ich sehe gerade, dass es nur noch ein paar Restkarten für das Konzert im Juni gibt.
Noch eine Sache, die mir sehr nahe geht:
Der Ausnahme-Pianist Igor Levit wird für sein Engagement gegen Rassismus, Antisemitismus und rechtsextremen Hass vom Auschwitz-Komitee geehrt.
https://www.deutschlandfunk.de/engagement-gegen-antisemitismus-auschwitz-komitee-ehrt-igor.2849.de.html
Seit letztes Konzert in Dortmund habe ich besucht (siehe Artikel). Es fand unter starkem Polizeischutz statt.
Und jetzt kommt die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst daher und schreibt auf ihrer Facebook-Seite:
„Starker Tobak. Da wird jemand für seine menschenfeindlichen Aussagen geehrt. Hab ich was verpasst? Wann wurde Artikel 1 des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt?“
Quelle: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=998392967226858&id=200054723727357&__xts__%5B0%5D=68.ARDLiJTFmwUyRgHTffpdhjDdi4Ym6cn1gAx7meLVZIhRKmABbd30m7hgjUTr5f68EDM-HDoxamKQGWxYd8CLFnqjcjevaA0qbh90t8hHMQuUQS3hXejp9xpvOXA1vRBAX4Mi2hQSJtSp45r-KVGIPr9vhbX85MauXdyzglZgrmQUxC82Z3D8yZnHY6FN_5WG8vYi-oHKfzRPd4mcuL7fS4KKT3Xmp4nxt90fjZ8BUzL196C5aE-fFEZUa29dvglx0wSDNhhkvjhn4D9klAlRft9LuR4d3y1yENz71WeKcw-XTaBRKeUSHEueVKwN_9Bc2ZCeEaL4urbQ5BdLoqmZovk&__tn__=-R
Igor Levit menschenfeindlich?
Die AfD gehört mit diesen Aussagen imho nicht zu einem demokratischen Deutschland.
Wikipedia über die Lehrerin aus Speyer:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicole_H%C3%B6chst