Meschede gedenkt der Pogromnacht von 1938

So viele Teilnehmende wie nie zuvor hatte der Mescheder Schweigemarsch am 9. November zur Erinnerung an die Pogromnacht von 1938. Etwa 250 Personen besuchten die unterschiedlichen Stationen.

(Gastbeitrag: Verein Bildung und Freizeit)

Allein das Städtische Gymnasium war mit 100 Teilnehmenden, Schülern, Eltern und Lehrern, gekommen. Die Schule hat das Thema in ihren Lehrplan aufgenommen.
 
Nach der Eröffnung durch Guido Hügen vom Benediktinerkloster trugen Schülerinnen des Gymnasiums einen Text vor, der ihre Motivation zum Ausdruck brachte: Sie wollen „angesichts über 200 antisemitisch motivierter Übergriffe im Jahr 2021 in der BRD ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen.“ Sie wollen der Mescheder Opfer des Novemberpogroms von 1938 gedenken und mit der Erinnerung „einen Grundbaustein für eine bessere Zukunft legen.“

Im Anschluss an den Schülerbeitrag sprach der evangelische Pfarrer Dirk Schmäring über 1700 Jahre Geschichte jüdischen religiösen Lebens in Deutschland.

Der Schweigemarsch zog zum jüdischen Friedhof in der Beringhauser Straße, wo am Gedenkstein Jugendliche von der kurdischen Gemeinde an die Meschederinnen und Mescheder erinnerten, die im Zusammenhang mit der Judenverfolgung verschleppt und ermordet worden sind.

An der nächsten Station, dem heutigen Bürgerzentrum Synagoge, erinnerte der Verein Bildung und Freizeit BiF an zwei Menschen, die sich sehr um die Erinnerungsarbeit verdient gemacht hatten: Hans Frankenthal aus Schmallenberg, der im Oktober 1999 diesen Ort besucht hatte, um aus seinem Buch „Verweigerte Rückkehr“ vorzutragen. Und die Musikerin und Antifaschistin Esther Bejarano, die am 10. Juli 2021 im Alter von 96 Jahren verstorben ist. 

Beide, Frankenthal und Bejarano, hatten das Vernichtungslager Auschwitz nur mit einer Notlüge überlebt: Frankenthal, indem er sich bei der Selektion als fünf Jahre älter ausgab; Esther Loewy, wie sie damals noch hieß, indem sie vorgab, Akkordeon spielen zu können, als ein Lager-Orchester zusammengestellt wurde. Sie mussten spielen, damit die neu einrückenden Gefangenen, die zum Teil schon vom Zweck des Lagers gehört hatten, beruhigt würden: Wo zur Begrüßung musiziert würde, könnte es ja so schlimm nicht sein.

Hier an der Synagoge endete der Schweigemarsch, die religiösen Teilnehmenden trafen sich anschließend noch zu einem Friedensgebet auf dem Stiftsplatz.

Anläßlich der Reichspogromnacht am 9. November 1938: Drei Häuser, drei Tafeln in Winterberg – Geschichte vergeht nicht.

Ehemals jüdischer Besitz, das Haus Itziges in der Hauptstraße (alle fotos: zoom)

„Die Novemberpogrome 1938 steigerten den staatlichen Antisemitismus zur Existenzbedrohung für die Juden im ganzen Deutschen Reich.

Entgegen der NS-Propaganda waren sie keine Reaktion des „spontanen Volkszorns“ auf die Ermordung eines deutschen Diplomaten durch einen Juden. Sie sollten vielmehr die seit Frühjahr 1938 begonnene gesetzliche „Arisierung“, also die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes und jüdischer Unternehmen planmäßig beschleunigen, mit der auch die deutsche Aufrüstung finanziert werden sollte. Der Zeitpunkt der Pogrome hing eng mit Hitlers Kriegskurs zusammen.“ (Wikipedia)

Update: Wie es der Zufall will, lese ich gerade heute Abend den dritten Teil des Buchs „schneeflocken greifen“ von Barbara Kreissl. „Sara unf Israel“ heißt der Abschnitt und befasst sich mit der Geschichte der jüdischen Bevölkerung Winterbergs. Als Appetithäppchen die ersten Seiten 103 bis 109 in gut acht Minuten vorgelesen:
 

 
Das Buch ist im Selbstverlag mit der ISBN 987-3-00-060295-5 in Reutlingen erschienen. Die Autorin ist laut Impressum unter barbara.kreissl@email.de zu erreichen.

Zu Barbara Kreissl und ihrem Buch siehe auch hier im Blog.

Details zum Haus Itziges

Damit stellt sich unmittelbar die Frage nach den Vermögensübergängen auch in Winterberg. Das jüdische Vermögen verschwand ja nicht einfach, es wechselte „nur“ den Besitzer.

Das Haus Salomons in der Hauptstraße

Der letzte mir bekannte zusammenhängende Text zu den Juden in Winterberg ist 1992 in „De Fitterkiste“ Nr. 4 erschienen. Der Medebacher Rechtsanwalt und Notar Nikolaus Schäfer gibt dort auf Seite 81 bis 88 einen kurzen Abriss der  Geschichte der „Juden in Winterberg“.

Details zum Haus Salomons

Vor einigen Monaten hat Gisela Quick gemeinsam mit dem Stadtmarketingverein die drei Tafeln an den ehemaligen jüdischen Häusern enthüllt. Ein ausführlicher Bericht dazu wurde am 28. August 2020 in der Westfalenpost veröffentlicht.

Haus Davids in der Marktstraße

Stolpersteine gibt es in Winterberg nicht. Der ehemalige Bürgermeister der Stadt hat sie mit dem Hinweis auf Charlotte Knobloch in München auch für Winterberg abgelehnt.

Wenn es mir irgenwann die Zeit erlaubt, das kann noch ein paar Wochen oder Monate dauern, werde ich mich dem Thema ausführlicher widmen.

Heute wollte ich den 9. November nicht kommentarlos verstreichen lassen.

Anmerkungen anlässlich des Pogroms vom 9./10. November 1938

Die Sicht von außen auf das Eingangstor zum Konzentrationslager Buchenwald, heute Gedenkstätte. (foto: zoom)

Nach dem hervorragenden Beitrag von Gabi Joch-Eren über die jüdische Familie Löwenstein in Assinghausen (Ortsteil von Olsberg), möchte ich anlässlich der  Novemberpogrome von 1938 lediglich einige Bemerkungen machen.

Die Geschichte der Juden in Winterberg ist bislang nur unzureichend aufgearbeitet. Es gibt  in Winterberg, im Gegensatz zu den umliegenden Städten, keine Stolpersteine vor den ehemals „jüdischen“ Häusern und Häusern, in den Juden wohnten.

Ich finde das peinlich für eine Stadt, in der das örtliche Gymnasium nach den Geschwistern Scholl benannt ist.

Hier im Blog wurde schon seit Jahren auf diese Erinnerungslücke der Stadt Winterberg hingewiesen, beispielsweise hier: „Verbrechen an den jüdischen Mitbürgern: Winterberg will sich anscheinend seiner historischen Verantwortung stellen„.

Als ich vor ein paar Wochen das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald besuchte, hat mich nicht die Pforte mit der Inschrift „JEDEM DAS SEINE“ am meisten betroffen, vielleicht noch nicht einmal die teuflisch hintertückische Genickschussanlage vor dem angeschlossenen Krematorium.

Chris Klein hat dazu vor über fünf Jahren einen immer noch aktuellen Beitrag geschrieben:

https://www.schiebener.net/wordpress/weimar-eindrucke-aus-einer-stadt-zwischen-kultur-und-barbarei/

Voll getroffen hat mich im Jahr 2018 die Installation am Anfang des Museumsrundgangs, die sich um ein Zitat von Victor Klemperer dreht: „Wieder ist es erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht.“

Angesichts der alten und neuen Nazis in der Bundesrepublik, angesichts der Lügen der AfD und ihrer Anhänger, angesichts des weltweiten Aufstiegs von Despoten und Autokraten, angesichts des Niedergangs der US-amerikanischen Demokratie, frage ich mich, wie stabil unsere Demokratie ist.

„Wieder ist es erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht.“

Der Satz beunruhigt mich.

Umleitung: Die Novemberpogrome 1938 – Terror gegen die Juden in Deutschland

Geschichte vergeht nicht. (foto: zoom)
Geschichte vergeht nicht. (foto: zoom)

„Es begann in Kurhessen: Am 7. November 1938 zündeten Nationalsozialisten in Kassel die Synagoge an und zerstörten die Geschäfte jüdischer Ladenbesitzer. Noch in derselben Nacht folgten in umliegenden Gemeinden und in Magdeburg-Anhalt Angriffe auf Geschäfte und Wohnungen von Juden sowie auf Synagogen. Am 8. November weiteten sich die Pogrome aus, und in der Nacht vom 9. auf den 10. November erreichte der Terror gegen die Juden in Deutschland – ab dem 10. November auch in Österreich – einen neuen Höhepunkt.“ …  alles lesen bei Publikative.org