Klimakrise: Die Atomlobby wittert Morgenluft

Ach, waren das herrliche Zeiten. Tolle Reisen, prima Atomkraftwerke und böse Windräder (Archiv, Ausriss WP 2004: zoom)

Wer sich aufmerksam lesend in den sozialen Netzwerken bewegt, aber auch wer meinungsbildende Zeitungen wie den Spiegel oder die Zeit (Papier oder digital)  konsumiert, nimmt den „anschwellenden Bocksgesang“ der Atomlobby wahr.

Gegner*innen der regenerativen Energien haben lange Zeit den Klimawandel mit Unterstützung unwissenschaftlicher Lobbyorganisationen  und Vereine wie EIKE und Vernunftkraft schlichtweg geleugnet.

Seit klar wird – nicht zuletzt durch das Insistieren der jungen Klimabewegung auf Wissenschaft und Fakten – , dass der Klimawandel eine Tatsache ist, gewinnt eine neue alte Lobbyorganisation verstärkt in den Medien auf – die Atomlobby.

Ihre Argumentation im Kern: ok, Klimawandel gibt es, aber Windräder und andere erneuerbare Energieanlagen sind Mist [Platzhalter für alles]. Einzig Atomkraftwerke seien stabile und CO2-freie Energielieferanten.

Mit dieser Linie können die Gegner der Windenergieanlagen weiter gegen die „Verspargelung der Landschaft“ anrennen.

In einem Spendenaufruf von „ausgestrahlt“ wird die Situation folgendermaßen beschrieben:

„Die öffentliche Debatte um die Atomenergie nimmt gefährliche Formen an. Eine Gruppe von Atom-Fans, meist Beschäftigte aus der Atombranche, hat sich im Verein „Nuklearia“ zusammengeschlossen und streitet mit Vehemenz für eine Neubewertung der Atomkraft in Zeiten des Klimawandels. Sie bedienen sich dabei der Mär vom neuen Reaktor, der angeblich sicher sei und angeblich allen Atommüll verbrenne. Den gibt es zwar nicht, wie ja im aktuellen .ausgestrahlt-Magazin nachzulesen ist. Aber das stört Nuklearia nicht.

Ein Problem: Diese falsche aber einfache Geschichte sorgt sowohl in der Klimadebatte als auch in der Atommüll-Debatte für Verwirrung: Könnten neue sichere AKW das Klima retten? Könnten neue Reaktoren ein tiefengeologisches Atommüll-Lager überflüssig machen? Gerade bei manchen jungen Leuten kommen diese Märchen erschreckend gut an.

Ein weiteres Problem: Die Medien lieben Menschen, die gegen den Mainstream argumentieren. Und da in Deutschland derzeit der Atomausstieg noch (!) Mainstream ist, räumen sie denjenigen viel Platz ein, die es anders sehen und das Blaue vom Himmel versprechen. Nuklearia-Vertreter*innen bekamen etwa ein großes Interview auf „Spiegel Online“ oder einen ganzseitigen Gastbeitrag in der „Zeit“.

Ein drittes Problem: Die Mitglieder von Nuklearia, zum Teil Ingenieur*innen oder Naturwissenschaftler*innen, sind extrem aktiv in den sozialen Medien (Facebook, Twitter, YouTube), in den Kommentar-Funktionen unter Artikeln von Online-Medien und auf den Leser*innenbrief-Seiten der Zeitungen. Ihre von Halbwahrheiten dominierte technische Argumentation ist für Laien schwer zu durchschauen oder gar zu widerlegen.“

Ein Redakteur der Deister-Weser-Zeitung (Dewezet), Regionalzeitung um das AKW Grohnde, habe Gespräche mit Menschen geführt, die in den Kommentaren unter seinen Online-Artikeln Pro oder Contra Atom argumentiert haben.

Zitat:

„Einer, der sich ebenfalls kräftig zu Wort meldete: Rainer Reelfs. Kaum einer weiß, dass er stellvertretender Vorsitzender des Vereins Nuklearia ist, der kräftig für die Kernenergie wirbt. Inzwischen dauert es manchmal nur wenige Minuten, bis der Diplom-Ingenieur als einer der ersten die Debatten nach Veröffentlichung eines Dewezet-Beitrages zum AKW auf Facebook eröffnet. (…)

Der Nuklearia-Sprecher sieht sich in seinem Ziel bestätigt. Das Thema Kernenergie ‚kommt aus der Tabuzone heraus‘, beobachtet er selbst die Tendenz, dass sich die Einstellung zu der umstrittenen Technik wieder wandelt. ‚Ich habe das Gefühl, dass wir die Faktenhoheit zurückgewinnen.‘ (…) Ohne es empirisch zu belegen, zeichnet die Entwicklung auf, dass die Befürworter zeitweise die Oberhand gewinnen. (…)

Einer, der im Frühjahr die Stimme gegen das AKW erhob, war Marcel M. – 30 Kommentare überwiegend von Befürwortern folgten. Selbst wenn er ebenfalls versucht, mit fundierten Erkenntnissen aus der Wissenschaft zu argumentieren: Marcel M. stand auf verlorenem Posten. (…) ‚Es ist aber sehr anstrengend, zeit- und nervraubend‘, meint Marcel M. über die Debatten. (…)

Reelfs unterscheidet zwischen drei Gruppen, wie er sagt. Die ‚Hardcore-Gegner‘, die für keine Argumente empfänglich seien, die zunehmende Zahl derer, die der Kernkraft positiv gegenüberstünde, und ‚die große Masse, die keine klare Meinung hat, sich aber oft von Medienberichten leiten lässt.‘ Die Unschlüssigen will Reelfs erreichen, wie er sagt. ‚Und ich habe das Gefühl, dass sich die Stimmung dreht.‘“

Auch auf Twitter witterten Atomenergiebefürworter Morgenluft. „ausgestrahlt“ zitiert:

„Für die meisten Antis ist der Drops mit den AKW gelutscht, und nicht wir sind stärker, sondern die älter & lahmer geworden.“

Leider sei diese Einschätzung nicht ganz von der Hand zu weisen: „Einige atomkritische Menschen denken ja wirklich, der Atomausstieg sei unumkehrbar. Sie kümmern sich inzwischen nicht mehr groß um die Atom-Debatte, sondern engagieren sich in anderen (nicht weniger wichtigen) Politikbereichen.“

Was bedeutet das für die Alt und müde gewordenen AKW-Gegner*innen und die anderen jungen und älteren Streiter*innen gegen die Klimakrise?

Ganz einfach – das gleiche, was wir beim Thema „Klimawandel“ gemacht haben: Fragen stellen, sich informieren, Antworten finden, sich informieren, sich informieren …

Ein guter Einstieg kann die Website „ausgestrahlt“ sein.

Guckt mal!

2 Gedanken zu „Klimakrise: Die Atomlobby wittert Morgenluft“

  1. Die „GWUP“, „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.“, macht verdeckte Werbung für Kernenergie, beispielsweise mit diesem Artikel:

    „Neues Addendum-Projekt: »Klimaretter Atomstrom?«“

    https://blog.gwup.net/2019/10/09/neues-addendum-projekt-klimaretter-atomstrom/

    In einem Kommentar schreibt Amardeo Sarma, Vorsitzender des Vorstandes der „GWUP“ (siehe das Stichwort „Nuklearia“ im Artikel, oben):

    „Amardeo Sarma

    19. Oktober 2019 um 07:19

    Morgen am 20. Oktober 2019 findet in 32 Städten der Welt die Veranstaltung „Stand Up For Nuclear“ statt, u.a. in Berlin von 11 bis 15 Uhr auf dem Pariser Platz, in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor.

    Weitere Städte sind Amsterdam, Bariloche, Berkeley, Brüssel, Buenos Aires, Charlotte, Copenhagen, Dublin, Helsinki, Johannesburg, London, Los Angeles, Manila, Melbourne, Milan, Mumbai, Nanaimo, New York, Paris, Taipei, Toronto, San Luis Obispo, Seattle, Seoul, Stamford, Stockholm, Trento, Triest, Washington D.C., Warschau und Zürich.

    Der Veranstalter, die Nuclear Pride Coalition, ist nach eigenen Angaben eine Allianz von unabhängigen und „non-profit“ Organisationen, die sich der Rettung und Erweiterung der Kernenergie verpflichtet haben. Sie wird in Deutschland von der Nuklearia e.V. und der Oekomoderne e.V. unterstützt.“

    https://blog.gwup.net/2019/10/09/neues-addendum-projekt-klimaretter-atomstrom/#comment-144115188075922631

    1. … und hier noch einmal ganz deutlich die Verbindung von „GWUP“ (siehe Kommentar, oben) und „Nuklearia“ – ein Artikel von „Nuklearia“:

      „Ärmel hoch für Europas Kernkraftwerke!

      (…)

      Dadurch habe EP viel Erfahrung gewonnen und gelernt, was funktioniert, um Kernkraftwerke zu retten – und was nicht. Jetzt will EP das Erfolgsrezept auch nach Europa bringen. Losgehen soll es mit einem Strategietreffen am 1. und 2. September in Amsterdam. Michael Shellenberger und Amardeo Sarma, Vorsitzender des GWUP e. V., laden dazu ein.

      (…)“

      https://nuklearia.de/2018/07/24/aermel-hoch-fuer-europas-kernkraftwerke/

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