Gestern waren wir im Modus „Kleine Fluchten“: ins Auto setzen und irgendwohin fahren, parken, Currywurst essen, Kaffee trinken und weiter in das nächste Städtchen …
Hannoversch Münden (siehe auch die Artikel hier im Blog) lag auf dem Weg. Mit dem Fahrrad bin ich dort schon mehrmals aufgeschlagen: Jugendherberge, nettes Städtchen; so eine Art Open Air Fachwerk-Museum mit vielen Konsum-Möglichkeiten, also in erster Linie Essen und Trinken, im Sommer entspannt auf dem Platz vor dem Rathaus.
Am Zusammenfluss von Werra und Fulda der kitschige Stein „Wenn Werra sich und Fulda küssen“ und der schiefe Baum. Der Stellplatz für die Wohnmobile ist heute übersichtlich und leer.
Keine Sentimentalitäten. Gestern sah das Städtchen unter der netten Oberfläche schon ein wenig anders aus als ich es in Erinnerung habe. Viele Leerstände: Hotels, Geschäfte … blühen die im Sommer wieder auf?
Ich möchte ja nicht „Unken“ allerdings vermute ich, dass das unsere Zukunft ist. Wir werden weniger, die Menschen ziehen dahin wo die Jobs sind (z. B. nach Hamburg) , die Inhaber gehen nicht mit der Zeit und dann geht alles seinen Weg.
stellen wir uns Pasolini in Hann. Münden vor – was käme dabei heraus, wenn die Kraft der Vergangenheit sich in Disney-D-Land wiederfände?
Io sono una forza del passato.
Solo nella tradizione è il mio amore.
Vengo dai ruderi, dalle chiese,
dalle pale d’altare, dai borghi
abbandonati sugli Appennini o le Prealpi,
dove sono vissuti i fratelli.
Pier Paolo Pasolini
Ich bin eine Macht aus vergangenen Zeiten.
Nur in der Tradition liegt meine Liebe.
Ich komme von den Ruinen, den Kirchen,
den Altartafeln, von den verlassenen Dörfern
des Apennin und der Voralpen,
wo die Brüder einst lebten.
„Ich bin eine Macht aus vergangenen Zeiten“
So ist es, es sind vergangene Zeiten bzw. die Zeiten aendern sich und mit den sich aendernden Zeiten müssen wir leben. Das bedeutet, das wir den Wandeln bzw. die Änderungen akzeptieren und „gestalten“ müssen. Wahrscheinlich bedeutet dass, die Städte kleiner werden, Dörfer werden vielleicht aufgegeben, die Anbindung an den ÖPNV wird gestrichen etc.
Nicht schön, aber „Times are changing“
Zufällig heute jemanden getroffen, der Wurzeln in Hann. Münden hat. O-Ton: „Früher haben wir immer unseren Besuch zu einem Ausflug dorthin eingeladen, wegen der schönen Altstadt. Seit ein paar Jahren machen wir das nicht mehr. Wir schämen uns, weil alles so heruntergekommen ist.“
Mein Eindruck ist, dass dort vor x Jahren viel Geld in die Stadtsanierung gesteckt wurde, dass sich aber der Stand von damals nicht erhalten lässt.
Fast noch trauriger sieht es übrigens 40 Kilometer Weser-abwärts in Bad Karlshafen aus. Dort hatte ich mich am Montag ebenfalls umgesehen: Leerstand, Verfall.
Eine Bekannte sagte heute: „wie damals in der DDR“. Dieses Urteil finde ich ein wenig weit hergeholt, aber die Richtung stimmt vielleicht.
@ Knobelsdorff
Orson Welles [ als Regisseur, Stellvertreter Pasolinis ] erklärt das besser noch einmal selber, mit dem vollständigen Text des Gedichts … ab 12:20 Minuten:
https://www.youtube.com/watch?v=U-FxFN0VTAE
La ricotta – Pier Paolo Pasolini (Completo) subtitles ENG SPA FRE
Ich kann mich an der Diskussion nur als Bildbetrachter beteiligen, ich war noch nie in Hann.Münden, das vorab. Wenn ich die Fotos von Zoom ansehe, sehe ich Haustüren aus den späten 1960 Jahren. Natürlich auch die passenden Fenster. Das ganze natürlich absolut nicht zum Charakter des jeweiligen Hauses passend. Ich vermute, solange die Geschäfte dem Hauseigentümer gehörten war alles OK. Als das Geschaeft verpachtet wurde, ist nichts mehr am Gebäude renoviert worden. Oder es konnte gar nicht verpachtet werden, da die Pacht viel zu hoch ist.
Und es liegt nicht alles am BÖSEN Internet, im www kann ich immer noch nicht in die Kneipe gehen und davon machen immer mehr zu. Und am Rauchverbot liegt es auch nicht, es haben reichlich Kneipen vorher geschlossen.
Das Leben ist ein Wandel, nicht immer zum schönen.
ich bin kürzlich über Winterberg Marburg Gießen nach Butzbach gefahren.
Was man dort so unterwegs sieht, ist mehr als traurig und Ha-Mü macht mir dagegen noch einen ausgesprochenen lebendigen Eindruck.
Landleben oder die Zukunft der Abruchunternehmer?
@Denkmal:
Oh – Todenhausen oder heißt es Totenhausen? Der Unterschied wäre aber doch, dass diese Orte vor dem Verfall nicht mit vielen Mittel aufgepäppelt worden waren.
Die Fallhöhe ist bei Hann. Müden und Bad Karlshafen größer …
@ zoom
auf immoscout24 und anderen gibt es für Ha-Mü Beispiele großer Kapitalvernichtung bei solider Erwerbsbiografie.
Hier beginnt dann für viele das Drama.
Herr lass für die armen Menschen dort kaufwillige Holländer vom Himmel regnen.
Könnten Sie das bitte, bitte genauer beschreiben. Ich bin kein Immobilienfachmann 🙁
Ich denke da an die Menschen die dort Eigentum haben und wie viele daran geglaubt haben, damit ein Stück weit gut für das Alter vorgesorgt zu haben. In der Vergangenheit schien sich mit der allgemeinen Investition an den Häusern dies auch zu bestätigen und heute …
schnuckliges Fachwerkhaus mit Ladenlokal in interessanter Einkaufslage mit Schaufenstern fast über die komplette Häuserfront für 40.000 €
Wann ist was aus dem Ruder gelaufen.
Danke! Ja, das kann wirklich für den Einzelnen eine Tragödie werden bzw. schon sein.