Beim Konzert von Igor Levit in Dortmund hatte mir ein Pausengesprächspartner geraten, ich müsse mir auf jeden Fall die Hamlet-Inszenierung am Bochumer Schauspielhaus anschauen. Mit Johan Simons sei das Theater aus einer Krise heraus gekommen.
Am letzten Freitag, aka Valentinstag, haben wir nun auch diesen Kulturpunkt erledigt. Hamlet begleitet mich als Buch, Film und Theaterstück seit der Schulzeit, aber wirklich verstanden hatte ich ihn nie.
Diesmal haben wir nichts dem Zufall überlassen und zwei Wochen vor dem Theaterbesuch den Hamlet Film von Franco Zeffirelli angeschaut, Englisch mit deutschen Untertiteln (englische gab’s nicht).
Im Nachhinein weiß ich, dass es eine gute Vorbereitung war. Zeffirelli konzentriert sich auf einen wesentlichen Konflikt und hält sich weitgehend an die Dialoge des Originals. Wobei … was ist eigentlich das Original?
Vom Jugend[sic!]gästehaus Bermuda3Eck sind es nur ein paar hundert Meter zum Schauspielhaus. Bochum ist keine Großstadt und im Zentrum ist alles fußläufig zu erreichen.
Im Programmheft (S. 15) erklärt Johan Simons, warum heute eine gute Zeit für Hamlet ist.
Es sei ein desperates Stück und er fühle sich im Moment ebenfalls desperat. Die Zeit sei aus den Fugen („The time is out of joint …“), mehr als je zuvor.
„Über die Umwelt und die anstehende Klimakatastrophe brauchen wir gar nicht zu reden. Auch die menschliche Natur ist in einem miserablen Zustand. Die Lüge regiert, auch die Selbstlüge. Mir scheint es manchmal so, als ob der Mensch dazu geschaffen sei, sich mit offenen Augen in den Abgrund zu stürzen. Ich bin im Moment nicht sehr optimistisch. […] Es gibt keine ehrliche, direkte Kommunikation. Die Älteren haben keinen Zugang zu den Jüngeren, wissen nicht, was sie bewegt und wie sie sie erreichen können“
Die Bühne ist stark reduziert. Der Bühnenbildner Johannes Schütz (S. 21/22)):
„Ich fand es interessant, über eine offene Bühne nachzudenken, an Stelle eines schwarzen Sockels für Einen, ein weißes Grab für Alle. Die weiße Farbe hat etwas Unbelastetes. Sie führt zu einer Klarheit der gesprochenen Sprache. Mein Lieblingssatz im Stück ist ‚Er ist allein’… Der Ball und die Fläche, die Beweglichkeit der beiden schwebenden Objekte, stiftet eine Ambivalenz, ein Rätsel ohne spezielle Lösung … Eine Bühne sollte sich durch die Handlungen der Schauspielerinnen verformen und nicht von vornherein eine Behauptung mit sich bringen.“
Hamlet, Prinz von Dänemark, wird von Sandra Hüller mit einer unglaublichen Präsenz gespielt. Kein Schnickschnack, keine Kostümierung, schwarzer Pulli, graue Hose, schwarze Schuhe; die Stimme variabel im Ausdruck. Schreien, Flüstern, Zorn, Enttäuschung, Verzweiflung …
Sandra Hüller:
„Es ist ein Wagnis und unheimlich schwierig, dieser Welt nicht zynisch zu begegnen. Man macht sich verletzlich, man wird vielleicht als Gutmensch beschimpft … Mir ist nicht alles egal. Daher der Versuch, den Zynismus zu unterbinden und Hamlet zu einer Figur zu machen, die trotz aller erlebten Enttäuschungen nach Ehrlichkeit, Nähe und Sinn strebt.“ (S. 11/12)
Die schlechte Nachricht: Die restlichen vier Aufführungen von Hamlet in der Inszenierung von Johan Simons am Schauspielhaus Bochum sind anscheinend ausverkauft.
Für Enthusiasten und Unverzagte gibt es Hoffnung:
+++ Berlin, Berlin … Wir fahren nach Berlin! +++
HAMLET BEIM BERLINER THEATERTREFFEN 2020
Johan Simons‘ Hamlet wird beim diesjährigen Berliner Theatertreffen gezeigt. Das gab die Jury des renommierten Festivals am Dienstag, 28. Januar, bei einer Pressekonferenz bekannt. Die diesjährige Einladung zum Berliner Theatertreffen ist für das Schauspielhaus Bochum die erste seit dem Jahr 2000. Insgesamt wurde das Schauspielhaus damit zum 30. Mal zu dem Festival eingeladen. Für Intendant Johan Simons ist es bereits die siebte Einladung.
Das Theatertreffen 2020 findet vom 1. bis 17. Mai statt.
Das Programm erscheint im April 2020.
Viel Glück beim Kartenkauf!
Ach, noch etwas; die Valentyne Suite, die dem Tag ihren Namen gegeben hat:
Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=cKFrsm4wqpg