In der Wochenendausgabe vom 19. Mai 2018 veröffentlichte die kostenlose, werbefinanzierte Zeitung „Sauerlandkurier“ den mehrspaltigen Leserbrief[1] eines mutmaßlichen AfD-Anhängers, in der dieser die menschenverachtende Kleine Anfrage der AfD „Schwerbehinderte in Deutschland“[2] mit großem rhetorischen „Geschwurbel“ und Demagogie verteidigt.
Der Autor arbeitet sich mit einem sehr langen Text an einer Stellungnahme der SPD[3] ab, die am 24. April 2018 in eben diesem Sauerlandkurier erschienen war.
Auch unser Blog hatte die Pressemitteilung der SPD am 16. April 2018 veröffentlicht[4].
Zu dem oben genannten Leserbrief haben wir heute die folgende Zuschrift erhalten (VerfasserIn ist der Redaktion bekannt):
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Hat der Sauerlandkurier seinen Leserbriefschreiber Hengsbach eigentlich gefragt, wie er es anstellen möchte, „dass (schwer)behinderte Menschen“, die nach seiner Auffassung „wünschen, dass alles Mögliche dafür getan wird, dass in Zukunft den Menschen ein Schicksal, wie es Ihnen selbst beschieden ist, erspart bleibt“?
Was schlägt er vor? Tötung behinderter Menschen? Nein, davon wird er sich vehement distanzieren. Allein die Frage hält er sicher für eine abstruse Unterstellung.
Also (Zwangs-)Sterilisierung? Das doch mindestens, denn ansonsten hätte die Anfrage der AfD zu Daten über vererbte Behinderung, die der Leserbriefschreiber des Sauerlandkuriers unterstützt, gar keinen Sinn.
In der Tat werden hier Erinnerungen an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wach, als in sogenannten Euthanasieprogrammen Menschen mit Behinderungen als „unwertes Leben“ bezeichnet und in Krankenhäusern und Kliniken im ganzen Land zu Tode gespritzt oder zwangssterilisiert wurden.
Der Sauerlandkurier räumt diesem Leserbrief vier Spalten ein, die eine halbe Seite umfassen. Im besten Fall hat der Sauerlandkurier nicht verstanden, worauf H.-G. Hengsbach hinaus will, im schlechtesten Fall teilt der Sauerlandkurier seine Auffassung. Das allerdings kann ich mir nicht vorstellen.
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[1]Leserbrief 19. Mai 2018 im E-Paper des SK
https://epaper.sauerlandkurier.de/bkbackoffice/getcatalog.do?catalogId=159101#page_26
[2]Link zur Anfrage der AfD
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/014/1901444.pdf
[3]Artikel „Menschenverachtend“ vom 28. April 2018 im E-Paper des SK
https://epaper.sauerlandkurier.de/bkbackoffice/getcatalog.do?catalogId=157638#page_40
[4]Artikel im Blog
Ich habe vor ein paar Tagen den Artikel von Raul Krauthausen im Neuen Deutschland -ja, dort- mit Gewinn gelesen.
Zur Information: Der Behindertenrechtsaktivist Raul Krauthausen moderiert die Talksendung »KRAUTHAUSEN – face to face« auf Sport1.
Er schreibt:
„Erinnerung an dunkelste Zeiten …
Was vor kurzem moralisch noch undenkbar war, wird mittlerweile laut ausgesprochen: In einer kleinen Anfrage an die Bundesregierung stellte die AfD-Fraktion Zusammenhänge zwischen Inzest in Familien mit Migrationshintergrund und der Geburt schwerbehinderter Säuglinge her.
Außerdem wurde darin nach den Ursachen für Schwerbehinderungen gefragt – und das in einer Weise, die einen Schluss nahe legt: Man möchte Menschen mit Behinderungen verhindern. Denn laut Anfrage werden behinderten Säuglinge nicht wie Menschen geboren, sondern sie entstehen. Wie Dinge.“
Alles lesen:
https://www.neues-deutschland.de/m/artikel/1088453.diskriminierung-von-behinderten-menschen-erinnerung-an-dunkelste-zeiten.html
„Zwangssterilisierungen“ sind keine deutsche „Spezialität“. Sie sind zum Beispiel auch Teil des „Amerikanischen (Alb-) Traums“ – man beachte, dass das Programm erst 1981 [sick!] auslief:
„Zwangssterilisation in den USA
Die verdrängte Schande
Mehr als 60.000 Amerikaner wurden im 20. Jahrhundert auf Geheiß des Staates zwangssterilisiert. Die Nazis nahmen sich das schreckliche Eugenik-Programm zum Vorbild, das erst 1981 endgültig auslief …“
http://www.spiegel.de/panorama/zwangssterilisation-in-den-usa-die-verdraengte-schande-a-806709.html
Ich war auch sehr erstaunt, dass der SK einen derartig ausführlichen Leserbrief veröffenticht. Nicht nur, weil Frau Höchst hier in höchstem Maße in Schutz genommen wird, sondern auch, weil Herr Wiese angegangen wird, nicht umfassend aufzuklären.
Also muss ein Herr Hengsbach aus Olsberg aufklären?!
Vielleicht hat die Initiatorin der Anfrage ein persönliches Interesse daran, sich über „Inzucht“ zu informieren, weil sie einen behinderten Sohn hat?! Im Zeitalter der Inklusion ist eine derartige Anfrage nicht nur irritierend oder unklug, sondern „abstrus“!
Was hat diese Datenabfrage als Mutter mit ihren Sorgen und Zukunftsängsten für ihren (bereits geborenen) behinderten Sohn zu tun? Vielleicht möchte sie anderen Familien auch „das Leid“ ersparen und entgegen der „Convention on the Rights of Persons with Disabilities“ der Vereinten Nationen in Deutschland wieder uralte, unhaltbare Zustände herbeiführen?
Der letzte Satz/Abschnitt war dann ja eindeutig. (Schwer)behinderte wollen nach seiner Mutmaßung also angeblich selbst nicht, dass anderen ein gleiches Schicksal widerfährt??
Herr Hengsbach wohnt in Olsberg, wo viele (Schwer)behinderte wohnen. Vielleicht sollte er sich überlegen umzuziehen – wenn ihm das nicht passt.
@SN
Der Sauerlandkurier ist in der Verantwortung, denn er hat diesen üblen Brief abgedruckt. Ich habe vor ein paar Tagen ein Buch verliehen, welches sich mit der Ermordung von behinderten Menschen während des Faschismus im Josefsheim Bigge beschäftigt, wenn auch imo unzureichend.
@zoom
kann ich mir das Buch auch ausleihen? Bitte um Infos zu diesem Thema. Danke.
Das ist der Buchtitel:
Zwischen Fürsorge und NS-Ideologie: Einrichtungen der Josefs-Gesellschaft in der Zeit der Euthanasie Gebundene Ausgabe – 1. Oktober 2001
von Josefs-Gesellschaft e.V. (Herausgeber)
Der folgende Post hat nur indirekt etwas mit dem obigen Beitrag zu tun. Nichts desto trotz frage ich mich, welchen Stellenwert die Unterstützung einer jungen Frau mit Down-Syndrom bei unseren Behörden hat?
Die „Story“:
Willkür in der Kreisverwaltung des HSK? – Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) fragt beim Landrat nach
Aussichtslos scheinender Kampf mit der Behörde
Die WP Meschede berichtete in der Ausgabe vom 15.02.2020 über den seit 20 Monaten dauernden Kampf, den die Familie Lübke aus Eslohe mit dem Hochsauerlandkreis führt.
„H“ für Hilflosigkeit
Der Grund für die Auseinandersetzung mit der Behörde wäre die Verweigerung der Eintragung des „H“ für Hilflosigkeit im Schwerbehindertenausweis der volljährigen Tochter der Familie Lübke. Die junge Frau wurde mit dem Down-Syndrom geboren.
Hilfebedürftigkeit entfällt sofort nach der Volljährigkeit?
Dem Zeitungsbericht entnehmen wir, dass der HSK offenbar die Situation von Frau Lübke und ihrer Familie jetzt anders einschätzt als in den früheren Jahren. Die Kreisverwaltung geht jetzt offenbar davon aus, dass die junge Frau mit Erreichung der Volljährigkeit quasi von einem Tag zum anderen nicht mehr ständig auf fremde Hilfe bzw. auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen ist.
Falsche Einschätzung?
Vielleicht trifft diese Einschätzung des Hochsauerlandkreises nicht die Lebenswirklichkeit eines mit Trisomie 21 geborenen Menschen?
Spielt Geld eine Rolle?
Das „H“ würde die betreffende Person u.a. zur kostenlosen Nutzung des ÖPNV und zur Inanspruchnahme einer Begleitperson berechtigen, sowie Steuervorteile für Therapie- und Fahrtkosten bringen. In dem WP-Artikel wurden daher auch Mutmaßungen, dem HSK ginge es wohl ums Geld und nicht um die Unterstützung der jungen Frau, formuliert.
SBL/FW schreibt den Landrat an
Die Kreistagsfraktion Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) nahm die „Story“ zum Anlass, dem Landrat am 25.02.2020 diese zwei Fragen zu schicken:
• Aus welchen für uns nachvollziehbaren Gründen verweigert Ihre Behörde Frau Lübke die Eintragung des Buchstaben „H“ in ihrem Schwerbehindertenausweis?
• Wie viele ähnlich gelagerte Fälle gab und gibt es seit dem Jahr 2015 im HSK und wie wurde und wird mit ihnen verfahren?
Klick: http://sbl-fraktion.de/?p=9401