Ich kann nicht beurteilen, wie Ernesto Cardenal Martínez (* 20. Januar 1925 in Granada), ein nicaraguanischer suspendierter katholischer Priester, sozialistischer Politiker und Dichter, von der Geschichte beurteilt werden wird.
Er ist einer der bekanntesten Vertreter der Befreiungstheologie und gilt neben Rubén Darío als einer der bedeutendsten Dichter Nicaraguas. Im Zuge der erfolgreichen Revolution in Nicaragua durch die Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) war er zwischen 1979 und 1987 Kulturminister von Nicaragua.
1994 verließ Ernesto Cardenal die FSLN, aus Protest gegen den seiner Ansicht nach autoritären Führungsstil von Daniel Ortega. Er stellte aber gleichzeitig klar, dass er sich weiterhin als „Sandinist, Marxist und Christ“ verstehe. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernesto_Cardenal
Sicher scheint, dass Cardenal in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts einen großen Einfluss auf die westdeutsche Linke hatte und sie teilweise mit dem Linkskatholizismus versöhnen konnte.
Der Niedergang der Nicaraguanischen Revolution (Projektionsfläche vieler Träumereien – „Sandalistas“) und der aufkommende Neoliberalismus ließen das Bild von Ernesto Cardenal in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit verblassen.
Vielleicht wäre es in der heutigen Ära der Renaissance der Religionen gar nicht verkehrt, lesend zu prüfen, ob seine Lyrik und die Befreiungstheologie die Zeitgeschichte überleben werden.
In der Sendung „Religionen“ auf Deutschlandradio Kultur ist gestern ein lesens- und hörenswerter Beitrag über Ernesto Cardenal erschienen: Ernesto Cardenal wird 90 – Priester, Lyriker, Revolutionär
Zum Schluss, um eine Idee vom Denken des Nicaraguanischen Priesters zu bekommen, ein paar Zitate aus Ernesto Cardenal, Das Evangelium der Bauern von Solentiname, Bd. 1, Wuppertal 1976:
Wenn wir nicht die Wahrheit sagen, dann betrügen wir – oder wir beuten andere aus (S. 19)
Wir Armen sollen von den Reichen befreit werden, und die Reichen von sich selbst, das heißt, von ihrem Reichtum. (S. 21)
… die Sünde ist der Egoismus […] Die Reichen, die leiden nie. (S. 42)
Christus dagegen sagt, das Wichtigste sei das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit oder das Reich der Gerechtigkeit, was genau dasselbe ist. Er sagt nicht, wir sollten zuerst nach einer religiösen Bekehrung trachten, alles andere würde uns von selbst zufallen. Es ist nämlich eine geschichtliche Tatsache, dasß religiöse Bekehrungen keineswegs das System der Ausbeutung abschaffen. Im Gegenteil, die Religion hat nur allzuoft dazu beigetragen, daß noch mehr ausgebeutet wurde. (S. 148)
„The combined wealth of the richest 1 per cent will overtake that of the other 99 per cent of people next year unless the current trend of rising inequality is checked, Oxfam warned today ahead of the annual World Economic Forum meeting in Davos.“
http://www.oxfam.org.uk/blogs/2015/01/richest-1-per-cent-will-own-more-than-all-the-rest-by-2016
Schuljahr 1971/1972 Cuno-Berufsschule 2 in Hagen:
Der Stundenplan der Vermessungstechniker-Lehrlinge enthielt neben berufsspezifischen Dingen auch das Fach „Gesellschaftskunde“.
Ein in Ehren ergrauter Oberstudienrat langweilte mit abstrakten Abhandlungen über politische Systeme, Organisationsformen von Wirtschaftsunternehmen („Wat is ne OHG, KG, AG …“) etc.
Mitten im Schuljahr fiel dieser Herr krankheitsbedingt aus.
Als Vertretung wurde ein sog. „Junglehrer“ (wahrscheinlich Referendar?) installiert.
Dieser junge Mann ließ Schulbuch Schulbuch sein … – er verteilte in der
ersten Stunde hektografierte Blätter mit Texten von Pablo Neruda, Victor Jara und Ernesto Cardenal.
In den nachfolgenden 4 bis 5 Wochen war das Fach „Gesellschaftskunde“ richtig spannend … – jedoch kam der Stellvertreter dann irgendwann irgendwie geknickt in die Klasse.
(*) Es war nicht konkret das Wirtschaftswunder, es war eine diesem entsprechende staatstragende Thematik. Aber vor allem wurde so nicht über Cardenal und Genossen gesprochen …
Max Frisch, das Scheitern der Aufklärung beklagend, malt seinen Kollegen dieses Schreckensbild:
„Da die Vereinigten Staaten von Amerika unsere Schutzmacht sind, wird der Aufstand der Reichen gegen die Armen, der dort geglückt ist, unaufhaltbar auch in Europa.“