Bremen: Grüngürtel, Weserburg und Lauschorte

13 Tage unterwegs – was ist geblieben?

Hashtag im Bremer Grüngürtel (foto: zoom)

Ich springe an den Beginn unserer kleinen Reise durch das nördliche Deutschland. Bremen hatte ich schon mehrmals mit dem Fahrrad besucht und hatte dann in der Jugendherberge an der Weser übernachtet. Diesmal aus Gründen mit dem Auto, nicht optimal, aber es ging nicht anders.

Man kann sich auf dem Markt bei den Bremer Stadtmusikanten in einem schlechten Café mit teurem Kaffee und schlechtem Kuchen aufhalten, während Staßenmusiker*innnen von morgens bis abend unentwegt Bella Ciao fideln, flöten, schrammeln und aus dem Akkordeon quetschen. Allein der Dudelsackspieler bleibt beim Wild Rover.

Bessser gefallen hat mir ein Spaziergang durch den Grüngürtel der Stadt. Entspannend, wenn man auf die vielen Radfahrer*innen, die sich oft unbemerkt von hinten nähern, achtet.

Skulptur im Grüngürtel (foto: zoom)

Vor über acht Jahren hatte ich eine Austellung im Museum Weserburg gesehen:
https://www.schiebener.net/wordpress/bevor-ihr-denkt-dass-ich-mich-aus-dem-bloggen-verabschiedete/

Jetzt waren wir erneut in der Weserburg. Damals hatte ich geschrieben: „Mir hat sie sehr viel Spaß(!) bereitet. Kunst muss unterhalten und zum Denken anregen.“ Auch für den aktuellen Besuch kann der Satz so stehen bleiben.

Denkt euch was, beim Bildnis des Dorian Gray von Norbert Schwontkowski (geb. 1949 in Blumenthal, gest, 2013 in Bremen). Weitere Erklärungen gibt es nicht.

Das Bildnis des Dorian Gray (foto: zoom)

Dorian Gray, 2011, Öl auf Leinwand, Familiensammlung Pitrowski-Rönitz. Mehr war nicht zu erfahren.

Die kleine Skulptur „Hansi goes down“ (2009) von Via Lewandowsky hat mich ein wenig verwirrt. Ist der kopfüber gestürzte Wellensittich lustig oder tragisch anzuschauen?

Verstörend: Hansi goes down (foto: zoom)

Die Erklärungen auf der Tafel nebenan: „Via Lewandowsky ist für seine Skulpturen und installativen Arbeiten bekannt, die einen Hauch von Absurdität und Paradoxie in sich tragen. Dabei bedient er sich häufig [der] Symbole des deutschen Spießbürgertums wie zum Beispiel des Wellensittichs…“

Eine weitere Teilausstellung junger Künstler*innen war eher von Pessimismus geprägt. Der Satz PLEASE GOD MAKE TOMORROW BETTER fasst unseren Eindruck ganz gut zusammen. Mehr als den unteren Satz an der Wand habe ich von dort allerdings nicht mitgenommen.

Das politische Lebensgefühl junger Künstler*innen:“Please God make tomorrow better“ (foto: zoom)

Erst dachte ich, die Grafik BOSS* hätte etwas mit einer bekannten Modemarke zu tun. Vielleicht indirekt, aber es geht um die Zuspitzung der geschlechtergerechten Sprache. Gestaltet worden ist dieses Austellungsstück von der 1971 in Lübeck geborenen, heute in Bremen lebenden Künstlerin Claudia Christoffel.

Ultimativ gendergerecht: BOSS* (foto: zoom)

Auf der Erklärtafel ist zu lesen: „Christoffel nimmt sich mit „Boss“ eine patriarchalisch geprägte Bezeichnung und öffnet sie mit dem Gendersternchen für alle Geschlechter – auf grammatikalischer und gesellschaftlicher Ebene.“

Vor dem Museum und in der Stadt – hingen viele Regenbogenfahnen. Das passste irgendwie zum gegenderten BOSS* im Museum.

Schaufenster-Dekoration: die Intersex-inklusive Pride-Flagge von Valentino Vecchietti. (foto: zoom)

Und wenn wir schon beim Thema Regenbogenfahne sind, gab es eine weiteren Raum im Museum Weserburg, in dem ein ca. 80 cm hoher Stapel von DIN-A-4-Kopien sorgfältig aufgeschichtet vom Boden aufragte. Daneben die Aufforderung sich doch bitte zu bedienen. Das Kunstwerk war also zum Abbau vorgesehen.

Jede kopierte Seite trug den gleichen Text, der mit „I want a dyke for president“ (dt. Ich möchte eine Lesbe als Präsidentin) beginnt.

„I want a dyke for President“. Hoch gestapelte DIN-A-4-Kopien waren im Ausstellungsraum platziert: „Zum Mitnehmen“ (foto: zoom)

Den Text dürft ihr euch selber übersetzen. Die Geschichte dahinter lautet folgendermaßen:

„Ich möchte einen Präsidenten“ ist ein Gedicht, das die Künstlerin Zoe Leonard 1992 geschrieben hat.

Zoe Leonard ist eine in New York City lebende Künstlerin, Feministin und Aktivistin. Außerhalb von „I want a president“ arbeitet Leonard hauptsächlich mit Fotografie und Skulpturen, die oft speziell für den jeweiligen Installationsort entworfen werden. Ein Großteil ihrer Arbeit ist von der AIDS-Epidemie der 1980er und 1990er Jahre und der damit verbundenen Politik beeinflusst oder eine Reaktion darauf.

„I want a president“ wurde durch die Ankündigung von Leonards Freundin Eileen Myles inspiriert, einer Dichterin und Aktivistin, die bekannt gab, dass sie als „offen weibliche“ Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen 1992 in den Vereinigten Staaten kandidieren würde. Myles kandidierte als Unabhängige gegen George H. W. Bush, Bill Clinton und Ross Perot. Myles‘ Identität stand im Gegensatz zu ihren wohlhabenden männlichen Gegnern; sie identifizierte sich damals als homosexuelle Frau und stammte aus einer Gemeinschaft, die sowohl von Armut als auch von AIDS direkt betroffen war.

Das Gedicht sollte ursprünglich in einem LGBT-Magazin veröffentlicht werden, das jedoch später eingestellt wurde. Stattdessen wurde das Dokument fotokopiert und verteilt. Vice beschrieb es als „so etwas wie ein Meme aus der Zeit vor dem Internet – etwas, das geteilt, kopiert und neu interpretiert wurde, lange bevor die meisten Amerikaner zu Hause über einen Internetanschluss verfügten“.

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/I_want_a_president (Übersetzt mit deepl.com)

Genug des Museums.

Beim Spaziergang entlang der Weser kamen wir an einen der vielen Bremer Lauschorte: https://lauschorte.de/

Am Mahnmal zur Erinnerung an den NS-Raub an Jüdinnen und Juden haben wir uns auf die Bank gesetzt und per QR-Code den Podcast angehört.

https://lauschorte.de/mahnmal-zur-erinnerung-an-den-ns-raub-anjuedinnen-und-juden/

„Am 10. November 1938, in der Pogromnacht, hörte die Familie Zwienicki den Lärm der sogenannten „Rollkommandos“ vor dem Haus in der Bremer Neustadt. Es war 04 Uhr 10, als drei SA-Männer bei den Zwienickis an der Ecke Große Sortilienstraße/Hohentorstraße klingelten. Benno, der Sohn, gerade 20 Jahre alt geworden, öffnete die Tür. Zwei Männer liefen in die oberen Zimmer, Benno musste mit dem anderen SA-Mann an der Tür warten. Dann vernahm er von oben Schreie seiner Mutter, danach ein Geräusch, als sei jemand zu Boden gefallen. Kurze Zeit später hielt Benno seine Mutter im Arm, einer der Männer hatte ihr ins Herz geschossen, vermutlich aus Wut, dass sie das Versteck ihres Ehemanns nicht preisgeben wollte.

Der Regierende Bürgermeister von Bremen hatte Stunden zuvor den Befehl gegeben, Synagogen in Brand zu stecken, jüdische Geschäfte zerstören zu lassen und Wertsachen zu beschlagnahmen. Und so stand auch der aus der Ukraine stammende Fahrradhändler Joseph Zwienicki auf der Liste der Rollkommandos, doch er konnte über die Dächer fliehen…“

Auf der Bank sitzen und einige Minuten zuhören. Lauschort am Ufer der Weser: Mahnmal zur Erinnerung an den NS-Raub an Jüdinnen und Juden (foto: zoom)

Beim Abtransport der geraubten Güter war das Logistikunternehmen Kühne + Nagel gern behilflich und wurde dabei reich und vermögend.

„Bei der sogenannten ‚MAktion‘ („M“ für Möbel), dem Transport des Hausrats aus über 70.000 jüdischen Wohnungen aus den besetzten Westgebieten, hat die Firma geholfen, das Raubgut mit Güterzügen und Frachtschiffen im Reich zu verteilen.“

Die Firma weigert sich bis heute ihre NS-Geschichte aufzuarbeiten. Ihr Stammsitz ist in Bremen.

Hört euch einfach den Podcast an oder lest das Transkript auf derselben Seite.

Abends saßen wir entspannt bei teurem Bier (6,90 Euro) auf Holzbänken, schauten auf die Weser und ließen den Tag ausklingen.

Abends beim teuren Bier mit Pommes an der Weser (foto: zoom)

3 Gedanken zu „Bremen: Grüngürtel, Weserburg und Lauschorte“

  1. „Das Bildnis des Dorian Gray“ – Norbert Schwontkowski (geb. 1849 in Blumenthal, gest, 2013 in Bremen)

    ich denke, das Bild funktioniert, hält jung – ohne das Bild wären es wohl keine 164 Jahre geworden

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