Oscar Romero, Bote der Gewaltfreiheit
Zum 40. Todestag des Erzbischofs von San Salvador

Peter Bürger: Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus. Zum 40. Todestag des Lebenszeugen aus El Salvador. Norderstedt 2020. (112 Seiten; 8,90 Euro; ISBN: 9783750493773).

Vor vierzig Jahren wurde am 24. März 1980 Oscar Romero, Erzbischof von San Salvador und Stimme der Armen, von einem Auftragskiller im Dienst der reichen Minderheit im Land ermordet. Romero hatte öffentlich vom US-Präsidenten eine Einstellung aller Waffenlieferungen an das Militärregime verlangt und am Vortag seine Todes die Soldaten aufgefordert, Befehle zum Töten ihrer Mitmenschen zu verweigern. Fortan fehlte der Bote der Gewaltfreiheit. In der Folgezeit mussten 75.000 Salvadorianer ihr Leben lassen.

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

Romeros Botschaft an die Welt lautete nicht: „Schickt uns Waffen für die Revolution!“, sondern: „Beendet das Morden!“

Bezeichnender Weise wird Romero vor der Westwand von Westminster Abbey (London) an der Seite Martin Luther Kings dargestellt. Sein Aufruf zu einem aktiven Widerstehen – ohne tödliche Gewalt gegen Menschen – ist aktueller denn je.

Wir können freilich nicht beim Stand von 1980 stehenbleiben. Noch entschiedener muss heute die Aufklärung zu Haltungen und Strategien einer aktiven Gewaltfreiheit ausfallen. Nur sie entsprechen dem Weg Jesu und eröffnen dem Widerstand eine Aussicht auf Erfolg. 2016 hat die Internationale katholische Konferenz „Nonviolence & Just Peace“ (Gewaltfreiheit und Gerechter Friede) sich allen Traditionen einer Legitimierung von tödlicher Gewalt entgegengestellt und zugleich Einblicke in die Kompetenzen der weltweiten Kirche auf Schauplätzen des gewaltfreien Widerstehens vermittelt.

Die Botschafter der aktiven Gewaltfreiheit und die Vertreter*innen der Befreiungstheologie sollten in einen intensiven Dialog eintreten, denn sie können nur einen gemeinsamen Weg gehen! Gewaltfreier Widerstand ist die einzige Revolution, die den Agenten einer aggressiven Ökonomie, die über Leichen geht, Sorge bereitet. Die Kirche kann durch praxisorientierte Werkstätten auf dem ganzen Globus ihren diakonischen Auftrag erfüllen und dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen – nicht nur Christinnen und Christen – mit der intelligenten Methode einer Revolution ohne Blut vertraut werden.

Aus Predigten und Stellungnahmen Oscar Romeros

„Verfolgt und attackiert wird jener Teil der Kirche, der sich auf die Seite der Armen gestellt und sich ihrer Verteidigung angenommen hat. Und wiederum findet sich hier der Schlüssel, um die Verfolgung der Kirche zu verstehen: die Armen. Wiederum sind es die Armen, die verständlich machen, was wirklich passiert.“ (Rede in Löwen, 2.2.1980)

„Wir wissen sehr wohl, dass Regierung und Oligarchie unterschiedslos all jene als Subversive bezeichnen, die sich der Ungerechtigkeit bewusst geworden sind, die wirksam versuchen, diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Wenn wir aber für einen Augenblick die Probleme der Ideologien hintansetzen, in deren Namen man die verabscheuungswürdigsten Verbrechen zu rechtfertigen sucht, so glaube ich, dass für uns alle, als Bischöfe, Christen und gewöhnliche Salvadorianer, die Ursache unserer Not offensichtlich ist: Die Massen der Armen und all jener, die sich auf ihre Seite stellen, werden systematisch ausgerottet. Fragwürdiges kann auch auf deren Seite bisweilen geschehen. Wer der großen Menge der Armen zu helfen oder sie zu verteidigen sucht, wird immer wieder an die menschlichen Grenzen stoßen. All dies aber ändert nicht ernstlich die grundlegende Tatsache, dass in unserem Land die Kinder Gottes, besonders die Armen, die Lieblinge Gottes, zu deren Gunsten wir uns in Puebla entschieden haben, ungestraft ermordet werden.“

„Es geht um den Kampf für das Reich Gottes. Für diesen Kampf brauchen wir keine Panzer oder Maschinengewehre, keine Schwerter oder Karabiner. […] Wir kämpfen unseren Kampf mit Gitarren und Liedern der Kirche. Denn auf diese Weise streben wir die Bekehrung der Sünder an: Wir säen in den Herzen und verändern die Welt. […] Das ist die ›Rache‹ der Christen. Wir wollen, dass auch die sich bekehren, die uns schlagen.“

„Die einzige Form von Gewalt, die das Evangelium zulässt, ist diejenige, die man sich selber gegenüber anwendet. Wenn Christus zulässt, dass er getötet wird, dann ist das Gewalt: sich töten zu lassen. Die Gewalt gegen sich selbst ist wirksamer als die Gewalt gegen andere. Es ist leicht, zu töten, vor allem, wenn man Waffen hat; aber wie schwer ist es, sich töten zu lassen aus Liebe zum Volk!“

„Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Bild Gottes und dem Menschen. Wer einen Menschen foltert, wer einen Menschen beleidigt, der beleidigt das Bild Gottes.“

„Das Leben ist immer heilig. Das Gebot des Herrn ‚Du sollst nicht töten‘ heiligt das ganze Leben. Und auch wenn es das eines Sünders ist, das vergossene Blut fleht immer Gott an. Und die, die töten, sind immer Mörder.“ (Predigt vom 24.6.1979)

„Nichts ist so wichtig für die Kirche wie das menschliche Leben, wie die menschliche Person. Vor allem die Person der Armen und Unterdrückten, die nicht nur menschliche, sondern auch göttliche Wesen sind; denn über sie sagte Jesus, dass Er all das, was ihnen angetan wird, selbst empfängt, als sei es Ihm angetan worden. Und dieses Blut und der Tod sind jenseits aller Politik. Sie berühren das Herz Gottes. Weder die Agrarreform, noch die Verstaatlichung der Banken, noch andere versprochene Maßnahmen können fruchtbar sein, wenn Blut vergossen wird.“ (Predigt vom 16.3.1980).

Romero zitiert aus einer Briefzuschrift: „Wir sind der Waffen und der Geschosse müde. Wir hungern nach Gerechtigkeit, nach Nahrung, nach Medikamenten, nach Bildung und nach wirksamen Programmen einer aussichtsreichen Entwicklung. Sind die Menschenrechte einmal beachtet, werden wir keine Verwendung für Waffen und Tötungsmethoden haben.“

Romero fordert die Soldaten am 23. März 1980 (Vortag seiner Ermordung) auf, Befehle zum Töten zu verweigern: „Brüder, ihr gehört zu unserem Volk. Ihr tötet eure eigenen Brüder unter den Bauern. Wenn ein Mensch euch befiehlt zu töten, dann muss das Gesetz Gottes mehr gelten, das da lautet: Du sollst nicht töten! Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der gegen das Gesetz Gottes gerichtet ist. Ein unmoralisches Gesetz verpflichtet niemanden. Es ist höchste Zeit, dass ihr auf euer Gewissen hört und mehr seinem Gebot Folge leistet, als der Ordnung der Sünde! Die Kirche, die Verteidigerin der Rechte Gottes und der menschlichen Würde, der Würde der Person, kann angesichts solcher Abscheulichkeiten nicht schweigen! Wir wollen, dass die Regierung sich darüber klar wird, dass Reformen, die mit so viel Blut befleckt sind, zu nichts taugen. Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Klagen von Tag zu Tag lauter zum Himmel steigen, bitte ich euch, flehe ich euch an, befehle ich euch: Hört auf mit der Unterdrückung!“ (Sonntagspredigt am Vortag seiner Ermordung)

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Zwei Neuerscheinungen im März 2020

Peter Bürger: Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus. Zum 40. Todestag des Lebenszeugen aus El Salvador. Norderstedt 2020. (112 Seiten; 8,90 Euro; ISBN: 9783750493773). https://www.bod.de/buchshop/oscar-romero-die-synodale-kirche-und-abgruende-des-klerikalismus-peter-buerger-9783750493773

Oscar Romero und die Kirche der Armen. Sonderband der edition pace.
Hrsg. in Kooperation mit dem Ökumenischen Netzwerk Initiative Kirche von unten, dem Ökumenischen Institut für Friedenstheologie und der Solidarischen Kirche. (194 Seiten.) Internetfassung, 13.03.2020:
https://friedenstheologie-institut.jimdofree.com/publikationen/oscar-romero-und-die-kirche-der-armen/

Hörprobe: Oscar Romero „Aber es gibt eine Stimme die Stärke ist und Atem …“

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Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=-TGvnCbxcL0

 
 
Am 27. September hatte Peter Bürger hier im Blog unter anderem sein Hörbuch zu Oscar Romero vorgestellt. Ich hatte ihn damals nach einer Hörprobe gefragt, denn wer will schon die Katze im Sack kaufen.

Seit Anfang Oktober ist ein zehnminütiger Ausschnitt auf Youtube eingestellt, den ich oben verlinkt habe. Hört ihn euch an und überlegt, ob ihr 10 Euro für ein Stück interessanter Zeitgeschichte übrig habt.

Die Hörprobe habe ich ebenfalls in den Ursprungsartikel eingebaut, aber wer scrollt schon in einem Blog über mehrere Seiten. 😉

Oscar Romero, Stimme der Armen und Fürsprecher einer anderen Globalisierung – Zwei Neuerscheinungen

ABER ES GIBT EINE STIMME, DIE STÄRKE IST UND ATEM …
Ein Hörbuch von Peter Bürger (bild: Cover)

Am 24. März 1980 lässt die winzige Minderheit der Reichen in El Salvador in der Hauptstadt Erzbischof Oscar Romero ermorden. Die von ihm vertretene Kirche der Armen wird als Angriff auf die herrschenden Besitzverhältnisse und Privilegien verstanden.

(Pressemitteilung von Peter Bürger)

Heute ist Romero Fürsprecher einer anderen Globalisierung unter dem Vorzeichen von Empathie, Solidarität und Gerechtigkeit: Teilen, nicht töten oder „absaufen“ lassen!

Die zentralen Botschaften der Predigten Romeros lassen uns aufhorchen ob ihrer drängenden Aktualität in einer Welt, in der wenige Individuen über mehr Besitztümer verfügen als die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit.

Nachfolgend werden zwei Neuerscheinungen vorgestellt, die mit Blick auf die offizielle „Kanonisation“ in Rom am 14. Oktober den ungezähmten – politischen – Romero und dessen „Heiligsprechung durch die Armen“ in den Mittelpunkt stellen.

OSCAR ROMERO -
ABER ES GIBT EINE STIMME, DIE STÄRKE IST UND ATEM ...
Ein Hörbuch von Peter Bürger. – Onomato-Verlag
Gesamtspielzeit 78 Min. - ISBN 978-3-944891-67-5
Preis 10,- € [Auslieferung ab 01.10.2018]
https://www.onomato.de/detail/index/sArticle/432/number/SW10136?number=SW10136 
Autor & Textredaktion: Peter Bürger; Aufnahmetechnik & Gestaltung: Axel Grube; Sprechende: Gabriele Inhetvin, Peter Bürger, Peter Wege, Axel Grube; Musik: Detlef Klepsch und Axel Grube.

Mit freundlicher Unterstützung durch: Christliche Initiative Romero; Institut für Theologie und Politik; Solidarische Kirche im Rheinland; Wir sind Kirche; Bodo Bischof, Willem Lueg, Marco A. Sorace, Christian Weisner.

Das neue Hörbuch vermittelt die Geschichte Oscar Romeros, seinen Weg zur Kirche der Armen und Unterdrückten. Zeugnisse über den „Märtyrer der Gerechtigkeit“ und Selbstaussagen ermöglichen es, seine Wandlung und den Weg einer Pastoral an der Seite der Unterdrückten nachzuvollziehen.

Papst Franziskus will den Klerikalismus überwinden und sehnt sich nach einer Kirche der Armen. Auch an diesem Punkt kann Romero als Vorbild für einen neuen Aufbruch betrachtet werden. Der ehedem verschlossene und ängstliche Seelsorger erkannte seine Berufung, Sprachrohr zu sein für jene, die keine Stimme haben. Seine Predigten entstanden im Dialog. Er lernte das Zuhören und ließ sich von den kleinen Leuten stark machen. So wurde Romero trotz Todesdrohungen zu einem glücklicheren Menschen und glaubwürdigen Anwalt der Armen.

Hörprobe aus dem 10. Kapitel

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Video-Link: https://www.youtube.com/watch?v=-TGvnCbxcL0

 
 
„Sie wollen nicht, dass auch nur eine Stimme von der Stimme der Mächtigen abweicht, sie wollen keine Worte, die für die eintreten, die keine Stimme haben, und erst recht keine Taten, die die Schutzlosen und Verfolgten in Schutz nehmen.“
(Oscar Romero, 27. Juli 1977: Brief an Bischof Leonidas Proaño in Ecuador)

„Aber es gibt eine Stimme, die die Wahrheit im Namen dieses ganzen leidenden Organismus fordert und ausspricht, eine Stimme, die Stärke ist und Atem. Und ich fühle, meine Schwestern und Brüder, dass ich diese Stimme bin und dass wir ganz bestimmt eine Mission erfüllen.“
(Oscar Romero: Predigt vom 8.5.1977)

„Transzendenz bedeutet, sich auf das Kind, auf den Armen, auf den in Lumpen Gekleideten, auf den Kranken einzulassen, in die Elendshütten und Häuser zu gehen und mit ihnen allen zu teilen. Transzendenz bedeutet, aus der Mitte des Elends selbst diese Lage zu überschreiten, den Menschen zu erheben, ihn voranzubringen und ihm zu sagen: Du bist kein Abfall. Du gehörst nicht an den Rand. Das Gegenteil ist der Fall: Du hast eine große, große Bedeutung.“
Oscar Romero

„Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Bild Gottes und dem Menschen. Wer einen Menschen foltert, wer einen Menschen beleidigt, der beleidigt das Bild Gottes.“
Oscar Romero

Romero-Hoerbuch-Infoblatt (PDF)

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„Gedenkt der Heiligsprechung von Oscar Romero durch die Armen dieser Erde“ (Buchcover)

„Wer stört, wird umgebracht!“ predigte Oscar Romero, um die Unterdrückung in El Salvador zur Sprache zu bringen. Ihn selbst traf bald darauf die Kugel eines Auftragskillers.

Die Besitzlosen des Kontinents, „Gottes Lieblinge“, sprachen den Bischof sofort heilig. Jahrzehnte später wird unter Bischof Franziskus von Rom jetzt auch die kirchenamtlichen Kanonisation (2015/2018) nachgeholt. An das „Lehramt von unten“ erinnert der im vorliegenden Buch dokumentierte Ökumenische Aufruf zum 1. Mai 2011:

„Wir bitten Euch, der Heiligsprechung des Märtyrers San Oscar Romero durch die Armen Lateinamerikas und durch Freundinnen und Freunde Jesu auf dem ganzen Erdkreis zu gedenken. (…) Diese ‚Beatifikation‘ ohne ein teures Verfahren von Kirchenbehörden verbreitet eine frohe Kunde unter dem Wehen des Gottesgeistes: ‚Das Beispiel unseres Bruders San Oscar Romero zeigt uns, wie schön und mutig wir Menschen werden können, wenn wir beginnen, der Botschaft Jesu zuzuhören‘.“

Der neue Buchband erschließt alle Begleittexte, Zuschriften und Sprachversionen zum internationalen Aufruf „San Romero“, die Namen der unterzeichnenden Christinnen & Christen und Organisationen aus über 20 Ländern sowie die Impulse eines Ermutigungsabends.

Über Romeros Weg und Bedeutung informiert ein „Lesesaal“ mit Beiträgen von Norbert Arntz, Andreas Hugentobler, Willi Knecht, Martin Maier SJ, Paul Gerhard Schoenborn, Stefan Silber u.a. – Vertreter einer basiskirchlichen Perspektive zeigen auf, dass Establishment und Traditionalisten das Zeugnis Romeros zähmen wollen. Doch dieser Märtyrer ruft uns zum Aufbruch in einer Kirche der Armen.

„Gedenkt der Heiligsprechung von Oscar Romero
durch die Armen dieser Erde“
Dokumentation des Ökumenischen Aufrufes zum 1. Mai 2011 – Zuschriften – Lesesaal

Herausgegeben von Christian Weisner, Friedhelm Meyer & Peter Bürger.
Mit Beiträgen von Norbert Arntz, Andreas Hugentobler, Willi Knecht, 
Martin Maier SJ, Paul Gerhard Schoenborn, Stefan Silber u.a.

ISBN: 978-3-7460-7979-0
(Paperback, 268 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Preis: 9,99 €)
Mit Angabe der ISBN-Nummer überall im Buchhandel bestellbar.
Leseprobe/Inhaltsverzeichnis (oben links anklicken) beim Verlag:
https://www.bod.de/buchshop/gedenkt-der-heiligsprechung-von-oscar-romero-durch-die-armen-dieser-erde-9783746079790

Oscar Romero – presente! Ein Wort unter Christen zum Gedenktag des salvadorianischen Märtyrerbischofs am 24. März (Gründonnerstag 2016)

„Auf einem Platz in El Salvadors Hauptstadt San Salvador am 22. Mai 2015, dem Tag der Seligsprechung Oscar Romeros.“ (Foto: Luis Astudillo C. / Cancillería; https://commons.wikimedia.org)
„Auf einem Platz in El Salvadors Hauptstadt San Salvador am 22. Mai 2015, dem Tag der Seligsprechung Oscar Romeros.“
(Foto: Luis Astudillo C. / Cancillería; https://commons.wikimedia.org)
Vor zweitausend Jahren wurde Jesus von Nazareth an ein Kreuz der römischen Besatzungsmacht geschlagen. Seine Kunde von einem Reich des rein geschenkten Lebens stürzt die unheilige Dreieinigkeit „Mammon – Macht – Krieg“ noch immer vom Thron.

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

Die Herrschenden haben keineswegs Angst vor bloßen Empörern, sondern nur vor jenen, die gegenüber den Versprechen von Geldvermehrung, Machtausübung und Gewalt immun sind. Sie haben Angst vor den Geliebten, vor dem Mann aus Galiläa und auch vor dem salvadorianischen Bischof Oscar Romero (1917-1980), einem seiner entschiedenen Jünger. Wer sich nicht verstricken lässt in die Strukturen des Ungeliebtseins und sich nicht einkaufen lässt von den Agenten des Todes, wird ermordet.

Die Blutzeugen und Propheten, die dem Rad in die Speichen fallen, kommen ungelegen. Wir basteln uns die christliche Existenz lieber so zurecht, dass es zu einer ernsteren Konfliktsituation erst gar nicht kommen kann. Sehr löblich ist es, Opferanbetung, Blutkulte und Leidenssehnsucht zu entlarven. Doch danach dringen die Glücklich-Preisungen der Bergpredigt umso vernehmlicher ans Ohr: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden … nicht, weil sie leiden, sondern weil sie lieben.“ (P. Jacob, Chile)

Oscar Romero verfügte bei seinem Amtsantritt als Erzbischof von San Salvador über keine mutige Prophetenstimme und hat sich sein Martyrium nicht selbst ausgesucht: Am 12. März 1977 wird der Jesuit und Armenpriester Rutilio Grande mit zwei Begleitern ermordet. Während der nächtlichen Totenwache für diesen Freund und die beiden anderen Opfer beginnt eine Wandlung Romeros zum entschiedenen Bischof der Armen und Kritiker des herrschenden Systems: „Die Zeiten sind vorbei, meine Schwestern und Brüder, wo man sagte, das sei der Wille Gottes. Viele Dinge, die geschehen, sind nicht der Wille Gottes.“ Noch in seiner Amtszeit werden hunderte engagierte Gläubige und fünf weitere Priester ermordet!

Im Jahr darauf erhält Romero wegen seines Einsatzes für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung den Ehrendoktor der Georgetown-University in den USA, wo er in Kreisen der ökumenischen Bewegung großes Ansehen genießt. Es folgen weitere Ehrungen aus dem Ausland. Der Erzbischof ist weltweit als Prophet der Armen sehr bekannt. Hohe Würdenträger einer „Kirche“ der Macht und der Privilegien überlegen deshalb, wie man ihn auf ein Abstellgleis schieben könnte. Die Bischöfe Lateinamerikas bekräftigen jedoch 1979 in Puebla (Mexiko) ihre „vorrangige Option für die Armen (bzw. Option wegen der Armen)“.

Am 17. Februar 1980 schreibt Romero einen Brief an US-Präsident Jimmy Carter mit der Bitte, dass die USA keine weiteren Waffen an die Junta der Reichen in El Salvador liefern. Am 23. März 1980 ruft er wenig später in seiner Sonntagspredigt die Soldaten und andere „Sicherheitskräfte“ auf, Befehle zum Töten und Foltern zu verweigern: „Ich bitte euch, flehe euch an, befehle euch: Hört auf mit der Unterdrückung!“

Am Folgetag predigt Oscar Romero in einer Abendmesse: „Es ist zwecklos, nur sich selbst zu lieben und sich vor den Gefahren des Lebens zu hüten.“ Am Altar trifft ihn die tödliche Kugel aus dem Gewehr eines Auftragskillers. Beim Militär und in Kreisen der Oberschicht wird mit Champagner auf die gelungene Mordattacke angestoßen. Die Armen Lateinamerikas aber sprechen den Bischof sofort heilig – ohne ein kostenpflichtiges Amtsverfahren.

In diesem Jahr fallen Todestag und weltkirchlicher Gedenktag Romeros auf den Gründonnerstag. Bei uns fördern einige gut abgesicherte und im Neoliberalismus sozialisierte Christenmenschen die Ansicht, das Geschick Romeros und der lateinamerikanischen Kirche der ungezählten Märtyrer sei ein Drama vergangener Zeiten. Man spekuliert lieber über eine überzeitliche Dramatik des Kreuzes, in der sich irgendwelche mysteriösen Absichten Gottes andeuten und die mit der leibhaftigen Welt wenig zu tun hat:

„Solange die Kirche jenseitige Erlösung verkündet, ohne selbst in die realen Probleme dieser Welt einzutauchen, wird sie geachtet und gepriesen und sogar mit Privilegien überschüttet. Wenn sie aber ihrer Sendung treu ist […], wenn sie die Hoffnung auf eine gerechtere und menschlichere Welt verkündet, dann wird sie verfolgt und verleumdet, wird subversiv und kommunistisch genannt.“
Oscar Romero

Die Verteilung des Reichtums auf der Erde, auf der wir leben, ist in globalem Maßstab heute so skandalös wie zu Romeros Zeit im kleinen Land El Salvador. (Der Bischof bedachte übrigens mit Sorgfalt entsprechende Statistiken.) Eine winzige Minderheit auf dem Globus verfügt über so viel Vermögen wie die Hälfte der ganzen Weltbevölkerung. Die von Militärapparatur und politischen Machtsystemen flankierte Geldvermehrungsmaschine lässt nicht nur Jahr für Jahr 20 Millionen Hungertote am Wegrand liegen, sondern schickt sich auch an, die Lebensgrundlagen der nach uns kommenden Generationen zu zerstören.

Mancher mag vielleicht meinen, die recht willkürlich ausgewählten, immer gleichen Konfliktschauplätze der Abendnachrichten würden uns schon die „Welt“ zeigen, wie sie ist. Doch wir wissen hierzulande wenig von der Welt, wie sie wirklich ist, und noch weniger von der Rolle, die unser Land als mächtige Volkswirtschaft im Weltgefüge einnimmt. Das Drama der Verelendeten dieser Erde ist so real wie nur irgendetwas. Real ist auch der schichtenübergreifende Verdummungsprozess unter den Bedingungen einer grundfalschen, aggressiven Form von „Globalisierung“ ohne Solidarität, bei der die Menschheit als Ganzes nur verlieren kann:

„Wie viel ist nötig, damit Menschen von heute, die ihr Kapital dem Menschen vorziehen, merken, dass der Mensch mehr wert ist als alle Millionen der Erde?“
Oscar Romero

Um Befreiungsprozesse auf dem Erdkreis, eine Ermutigung der Armen und die Überwindung todbringender Mächte werden ernsthafte Christen allüberall ringen – heute drängender noch als im Jahr 1980. Das steht der Heilung unserer zerbrochenen, leeren Herzen mitnichten entgegen, sondern inspiriert auch in unserem eigenen Leben zum Auszug aus dem Imperium der Traurigkeit. Nostalgische Folklore – das ist hingegen Sache der stark ausgedünnten Bürgerkirche, die noch nicht verstehen will, dass der unbequeme Märtyrer aus El Salavdor ein Wegweiser des 21. Jahrhunderts ist:

Oscar Romero – presente!