Eine “Aktuelle Stunde” – nur für den Landrat

Wie berichtet [1], hatte die SBL/FW-Fraktion für die Kreistagssitzung am Freitag wegen der Ereignisse rund um die Abschiebung des Geschwisterpaars aus Bestwig in dieser Woche den Dringlichkeitsantrag für eine “Aktuelle Stunde” zu diesem Thema eingebracht.

(Der Beitrag ist heute zuerst auf der Website der Sauerländer Bürgerliste erschienen.)

Über diesen Antrag zur Tagesordnung wurde zu Beginn der Kreistagssitzung debattiert und abgestimmt. Er wurde von SBL/FW, Grünen, Linken, Pirat und einigen SPD-Kreistagsmitgliedern unterstützt, aber von der Mehrheit des Kreistags abgelehnt.

Der Landrat gab dann selbst eine lange Erklärung zu den Ereignissen vom Rednerpult ab, zu der kein Kreistagsmitglied Fragen stellen durfte. So hatte er seine persönliche “Aktuelle Stunde”, aber die notwendigen Fragen konnten nicht gestellt werden und die Antworten blieben aus.

Dies betrifft z. B. die Kernfrage, warum die Ausländerbehörde in Meschede Edgar und Elina trotz gültiger Duldung und wenige Wochen vor ihren Schulabschlüssen abschob, obwohl die Behörde über die Schulausbildungen informiert war. Und warum die Ausländerbehörde behauptet, sie hätte nicht anders handeln können, obwohl sie bei solchen Maßnahmen über einen sehr großen Ermessenspielraum verfügt. Denn die Entscheidung über Durchführung und Zeitpunkt einer Abschiebung wird nur im Kreishaus getroffen, nirgendwo anders!

Statt dessen wurde versucht, der Familie und der Flüchtlingsberatung in Meschede indirekt die Schuld für die Durchführung der Abschiebung in die Schuhe zu schieben, wegen angeblich mangelnder Mitwirkung.

Hier sollte offensichtlich von der eigenen Verantwortung abgelenkt werden. Auch das Verhalten einiger Polizeibeamter während der Abschiebung gegenüber den beiden jungen Menschen bedarf noch der näheren Betrachtung.

Auf der Zuschauertribüne hatten sich zu Sitzungsbeginn zahlreiche MitschülerInnen von Edgar und Elina eingefunden. Sie machten mutig von ihrem Fragerecht in der Einwohnerfragestunde Gebrauch und äußerten ihr Unverständnis über die Vorgehensweise der Behörden. Auch bei den Schülern und mehreren weiteren Fragestellern wurde von der Sitzungsleitung versucht, ihr Fragerecht einzuschränken, z.B. mit falscher Zählung der gestellten Fragen. Als das Kreistagsmitglied der Piraten sich mit einer Frage selbst an der Einwohnerfragestunde beteiligen wollte, wurde ihm das verwehrt. Die Antworten auf die gestellten Fragen klangen wenig überzeugend und stellten die Schüler nicht zufrieden. Eines wurde aber deutlich: Edgar und Elina werden von ihren Mitschülern sehr geschätzt, und die Schüler werden weiter dafür kämpfen, dass die beiden Armenier ihre Ausbildungen fortsetzen können.

Nachdem die Kreistagsmitglieder zu diesem Thema zunächst schweigen mussten, stellte ein Kreistagsmitglied der SBL/FW-Fraktion wenig später bei dem Tagesordnungspunkt, in dem es um die Operativen Jahresziele der Kreisverwaltung für das laufende Jahr 2016 ging, den Antrag, als weiteres Ziel aufzunehmen: “Der Kreis ermöglicht allen Einwohnern den Abschluss von Schul- und Berufsausbildungen”. Als er in der Begründung des Antrags auf die aktuellen Ereignisse einging und erläuterte, dass sich so etwas nicht wiederholen dürfte, versuchten Zwischenrufer aus der CDU-Fraktion, diese Ausführungen zu verhindern. Auch das zeigt die mangelnde Sensibilität der Mehrheitsfraktion im Kreistag für die Betroffenheit vieler Menschen, die durch das Vorgehen der Ausländerbehörde in Meschede entstanden ist.

Aber es wurden auch Hoffnungsschimmer deutlich: Mittlerweile scheint im Kreishaus in Meschede die Bereitschaft gewachsen zu sein, dass unter bestimmten Umständen Edgar und Elina ihre Ausbildung fortsetzen können.

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[1] http://sbl-fraktion.de/?p=6510
und
Sauerländer Bürgerliste: Dringlichkeitsantrag zum Abschiebefall aus Bestwig gestellt

Sauerländer Bürgerliste: Dringlichkeitsantrag zum Abschiebefall aus Bestwig gestellt

Am Freitag, 04.03.2016, tagt der Kreistag ab 15 Uhr im Kreishaus in Meschede. Aus aktuellem Anlass hat die SBL/FW-Kreistagsfraktion am 03.03. per Dringlichkeitsantrag einen weiteren Tagesordnungpunkt beantragt, und zwar eine “Aktuelle Stunde” mit Informationen und Fragen zum aktuellen Abschiebefall.

(Der Artikel ist zuerst auf der Website der Sauerländer Bürgerliste erschienen.)

Es geht um die von der Ausländerbehörde in Meschede am 01.03. eingeleitete Abschiebung eines Geschwisterpaars aus Bestwig nach Armenien. Beide lebten mit ihren Eltern seit über 3 Jahren in Deutschland; vor etwa einem Monat kam noch ein Baby in der Familie hinzu. Beide Schüler standen kurz vor dem Abschluss ihrer Schulausbildungen und hatten außerdem Zusagen für berufliche Ausbildungsplätze. Viele Menschen sind über den Umgang der Ausländerbehörde mit diesen sehr gut integrierten jungen Menschen fassungslos.

Am 03.03. berichteten diverse Medien außerhalb des Kreisgebiets über den Fall. Berichte sind z.B. hier zu lesen bzw. zu sehen und zu hören:

http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/aktuelle-stunde/video-schueler-fluechtet-vor-abschiebung-100.html
http://www.ksta.de/koeln/verzweiflungstat-vor-abschiebung-fluechtling-stuerzt-sich-sieben-meter-in-die-tiefe-23661076
http://www.sauerlandkurier.de/hochsauerlandkreis/bestwig/armenier-edgar-haertefallantrag-eingegangen-vorwuerfe-gegen-bundespolizei-wegen-abschiebung-6179329.html
http://www.sat1nrw.de/aktuell/abschiebung-schueler-sprang-in-tiefe-155509/
http://www.bild.de/regional/ruhrgebiet/abschiebung/bringt-jungen-armenier-zur-verzweiflung-44785180.bild.html

Hier der komplette Antrag:

“Dringlichkeitsantrag gemäß § 5 Abs. 2 der Geschäftsordnung
für die Tagesordnung der Kreistagssitzung am 04.03.2016

Sehr geehrter Herr Landrat,

die SBL/FW-Fraktion beantragt aus aktuellem Anlass für die morgige Sitzung des Kreistags den folgenden Tagesordnungspunkt 1a wegen der Dringlichkeit zusätzlich aufzunehmen:
„Aktuelle Stunde zu den am 01.03.2016 von der Ausländerbehörde des HSK eingeleiteten Abschiebungen eines Geschwisterpaars aus Bestwig”

Begründung und Erläuterung:
Die Schüler Elina und Edgar wurden am 01.03.2016 auf Veranlassung der Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises aus ihrer Wohnung abgeholt und zum Flughafen Köln/Bonn “transportiert”, um sie von dort nach Armenien abzuschieben. Beide waren seit über drei Jahren in Deutschland, sehr gut integriert und standen insbesondere kurz vor dem erfolgreichen Abschluss ihrer Schulausbildungen in Bestwig, was der Ausländerbehörde bekannt sein musste.

Über diesen Fall und über den Unfall, den Edgar bei der Aktion erlitt, wurde heute auch in diversen Medien außerhalb des Kreisgebiets berichtet. Es besteht ein erheblicher Informationsbedarf. Die Aussagen der Kreisverwaltung in der heutigen Ausgabe der NRW-weit ausgestrahlten WDR-Sendung “Aktuelle Stunde” zu diesem Fall geben Anlass für Nachfragen.
Gesetzliche Aufgabe des Kreistags ist es ausdrücklich, auch “den Ablauf der Verwaltungs¬angelegenheiten” zu überwachen (§ 26 Abs. 2 Kreisordnung NRW). Daher soll der Kreistag aktuell über diesen Fall informiert werden und Fragen an Landrat und Kreisverwaltung stellen können.”

UPDATE 04.03.2016
Für diejenigen, die meinen, Armenien sei – wie offiziell behauptet – ein “sicheres Herkunftsland”:
In der “Süddeutschen Zeitung” ist in dieser Woche ein aktueller Beitrag erschienen, aus dem hervorgeht, dass Armenien von einer Demokratie noch weit entfernt ist und es dort nach wie vor Verfolgung von Oppostitionellen gibt:

http://www.sueddeutsche.de/bayern/haft-abgeschoben-nach-armenien-maenner-acht-betten-kein-fenster-1.2886715