Zwei frühe „Kirchenrebellen“ aus dem Sauerland

Der Briloner Franz Heinrich Reusch (1825-1900) und Graf Clemens August von Westphalen (1805-1885) in Meschede erprobten im 19. Jahrhundert die „katholische Freiheit“

Der Briloner Franz Heinrich Reusch (1825-1900) war ein akribisch arbeitender Gelehrter. Als Professor, zeitweilig sogar Rektor der Universität Bonn betreute er eine führende Zeitschrift der fortschrittlichen katholischen Theologen in Deutschland. Seine Weigerung, die neuen Papstdogmen von 1870 anzuerkennen, führte zur Exkommunikation. (Buchumschlag)

In der deutschen katholischen Kirche vollzieht sich nach den Erkenntnissen über sexuelle Kleriker-Gewalt gegenwärtig eine wahre Revolution. Frauen fordern Gleichberechtigung. Die Diskriminierung von Schwulen und Lesben geht dem Ende zu. Die unselige Zweiklassengesellschaft von geweihten Oberhäuptern, die alles bestimmen, und dienenden Laien, die gehorsam sein sollen, wird von den meisten Kirchenmitgliedern nicht mehr geduldet.

(Ein Gastbeitrag von Peter Bürger)

Weil Franziskus, der Papst aus Argentinien, die Freiheit liebt, wird aber niemand exkommuniziert oder auf andere Weise kaltgestellt. Das war vor 150 Jahren ganz anders. In Rom wurde damals der Zentralismus auf die Spitze getrieben. Pius IX., ein Papst mit sehr bedenklichen Charakterzügen, begünstigte nur noch Bischöfe, die 1870 ein neues Dogma über eine päpstliche Unfehlbarkeit abnickten. Erstaunlich viele Sauerländer bzw. Südwestfalen waren im 19. Jahrhundert am Protest gegen den autoritären Kirchenkurs beteiligt. Zwei von ihnen werden jetzt in Buchbänden einer neuen Reihe „Geschichte und Kirchenreform“ vorgestellt:

Franz Heinrich Reusch (1825-1900) – Zeugnis einer katholischen Freiheit.
Ein dokumentarischen Sammelband mit Texten von Franz Heinrich Reusch, Leopold Karl Goetz, Johann Friedrich von Schulte u.a.
Ausgewählt und herausgegeben von Peter Bürger.Reihe Geschichte & Kirchenreform – Zweiter Band. Norderstedt: BoD 2022.ISBN: 978-3-7557-6774-9 ; 528 Seiten; Preis 18,90 Euro.(Verlagsangebot & Leseprobe oben links):
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Der Briloner Franz Heinrich Reusch (1825-1900) war kein besonders schöpferischer Theologe, sondern ein akribisch arbeitender Gelehrter. Als Professor, zeitweilig sogar Rektor der Universität Bonn betreute er eine führende Zeitschrift der fortschrittlichen katholischen Theologen in Deutschland. Seine Weigerung, die neuen Papstdogmen von 1870 anzuerkennen, führte zur Exkommunikation. Reusch wurde erster Generalvikar der Alt-Katholiken, konnte allerdings als skrupulöser Priester manche einschneidenden Reformen (Liturgie, Aufhebung des Zölibatzwangs) nicht mittragen. Nach 1870 wandte sich der Bibelexeget (AT) unter enger Zusammenarbeit mit Ignaz Döllinger ganz der Kirchengeschichte zu. Sein bahnbrechendes Werk über den Index der verbotenen Bücher (1883/85) hat die vatikanische Behörde förmlich zu einer Reform genötigt.

Der hier vorgelegte dokumentarische Band enthält die maßgebliche Monographie über Reusch (Leopold Karl Goetz, 1901), Texte zur Maßregelung der Bonner Professoren durch den Kölner Erzbischof und eine Auswahl der ab 1871 veröffentlichten Schriften von F.H. Reusch: Das Unfehlbarkeits-Dekret (1871); Theologische Fakultäten oder Seminare? (1873); Die deutschen Bischöfe und der Aberglaube (1879); Der Theologe und Dichter Fray Luis de Leon (1873); Anmerkungen zu „Kardinal Robert Bellarmin“ (1887); „Predigten“ (ediert 1876). Erschlossen wird das Schaffen eines gewissenhaften, überaus bibliophilen Forschers, der auf scharfe Polemik verzichtet und gerade so die größte Wirkung erzielt: wissenschaftliche Aufklärung als Beitrag zur Kirchenreform.

Der eigenwillige Adelige hat 1873 und erneut kurz vor seinem Tod anonym eine der schärfsten Broschüren wider das neue Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit veröffentlicht. (Buchcover)

Clemens August von Westphalen: Wider das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes
Nachdruck der Schrift über Infallibilismus und Katholizismus von 1873/1885
(Geschichte und Kirchenreform – Band 1). Herausgegeben von Peter Bürger. Norderstedt: BoD 2022.
440 Seiten; Paperback; 16,90 Euro – ISBN: 978-3-7557-8444-9
Portofreie Bestellung hier (Leseprobe/Inhaltsverzeichnis oben links):
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Mit diesem anderen Band der Reihe „Geschichte & Kirchenreform“ wird ein weithin unbekanntes Kapitel der heftigen Auseinandersetzungen um das Erste Vatikanische Konzil erschlossen: Nach dem Tod des Grafen Clemens August von Westphalen zu Fürstenberg (1805-1885) auf Schloss Laer in Meschede ergeht sich die ultramontane Presse in Lobreden auf den berühmten „Anwalt der katholischen Sache“. Doch die Paderborner Bistumsleitung verbietet ein kirchliches Begräbnis. Mit Genugtuung enthüllt das „Organ für katholische Reformbewegung“ dann am 16. Oktober 1885, dass der eigenwillige Adelige 1873 und erneut kurz vor seinem Tod anonym eine der schärfsten Broschüren wider das neue Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit veröffentlicht hat. Die gräfliche Familie kauft die gesamte Auflage auf. Für fast 100 Jahre ist eine breitere, sachgerechte Rezeption des Textes verhindert.

Clemens August von Westphalen zählt wie Joseph Pape, Franz Heinrich Reusch oder Johann Friedrich von Schulte aus Winterberg zu den namhaften Kritikern des I. Vatikanischen Konzils aus dem Sauerland. Die vorliegende Edition enthält beide Auflagen seiner brisanten Broschüre (1873/1885) und dokumentiert im Anhang deren Hintergründe, insbesondere altkatholische Reaktionen und den Austausch des Grafen mit seinem Jugendfreund Wilhelm Emmanuel von Ketteler. Gegenüber dem Mainzer Bischof beanspruchte der Laie ein Recht zum theologischen Einspruch. Das hatte mit seinem Verständnis von Kirche zu tun. – Diese Edition erhält, dass der Graf sich nicht von Streitsucht, sondern durch seine persönliche Frömmigkeit leiten ließ. Aus der „Gesellschaft Jesu“ im weiten Sinn konnte ihn keine Kleriker-Behörde exkommunizieren.