Ein Konzertbericht und ein Tipp für den 2. Weihnachtstag:
Les Négresses Vertes und das Doppel von der Insel, Stiff Little Fingers und New Model Army im Kölner Palladium und The four Murders in Neheim

Zum Konzertbericht von Christopher kann ich meine alten Alben aus DM-Zeiten beisteuern. (foto: zoom)

Der Schalldruck der Bässe stimmte im Palladium zu Köln letzten Samstag von Beginn an, das Ambiente in der seit gut 20 Jahren zur Eventkultur umfunktionierten Industriehalle im neuen Kreativviertel Carlswerk in Köln-Mülheim ebenfalls. – Drei Bands stiegen im Laufe des Abends in den Ring: Die französischen Les Négresses Vertes und das Doppel von der Insel, Stiff Little Fingers und New Model Army.

Für Abwechslung und doch eine durchgängige Linie war gesorgt. Die Straßenmusikanten-Einlagen a la stilisierte Clowneskerien der Musiker von Les Négresses Vertes durchbrach das folgende monochromatische Pathos der Nordiren und Briten. Mehrmals featureten beide Bands von der Insel den Brexit vor dem ein oder anderen Lied an, um auf die Aktualität mancher Songs hinzuweisen bzw. auf die den Brexit befördernden Unterhauswahlen vom 12.12. (also drei Tage vor dem Konzert). Freilich erinnerten beide Bands an die unheimliche Aktualität der Sorgen um einen Nordirlandkonflikt bei Songs aus den 1980er Jahren.

Überhaupt schien am Abend zweierlei Mentalität auf, die beide auf unbehagliche Weise gleichzeitig modern sind: So angenehm Pose und Ironie der Franzosen postmodern zu konsumieren waren, so beschlich einen ein unangenehmes Gefühl bei der Zeitgemäßheit des Punkrock-Pathos von Stiff Little Fingers und noch mehr bei der Agonie von New Model Army. In den besten Momenten wirkte der Punkrock frisch und geradlinig pazifistisch wie in „Wasted Life“. Wenn doch ein überspanntes Pathos misstönte, dann beglaubigte es die neue apokalyptische Gesellschaftsvision kommender Zeiten im Zeichen des Klimawandels – ganz gemäß der „Fridays for future“-Angst: „No future!“

Musikalisch gibt es auf dem derzeitigen Oldie-Markt der Musik sicherlich Anspruchsvolleres im Genre Punkrock/ Post Punk/ New Wave zu hören, wie etwa The Cure. Aber für einen unterhaltsamen Abend taugen die Bands der ersten Stunde in ihrem Genre sicherlich. Insofern ist die Altherren-Rechthaberei, die sich in manchen Song-Ansagen mitteilte, dass man es schon damals – in den 1980er Jahren – immer gesagt habe, verzeihlich: Sinngemäß habe man nämlich gesagt, dass Amerikanismus (New Model Army „51th state“) und Kapitalismus (expansiver Konsumismus, die Grenzen des Wachstums und das Elitenprojekt eines Main-Stream-Militarismus für Wirtschaftsinteressen*) unser Zeitalter beschleunigt besiegeln werden.

(* Vgl. sinngemäß H. Köhler, Bundespräsident A.D. 2010 im Interview mit „Deutschlandfunk Kultur“: „Ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit“ müsse wissen, dass im Notfall „auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern.“)

Verjüngt also unsere Zeit die Songs, so steht es um die Bandmitglieder nicht anders: Die eigentlich nicht mehr taufrischen Bands traten erstaunlich jugendlich auf (und nicht nur, weil manches jugendliche Bandmitglied zu New Model Army gestoßen ist) – Kompliment, gut gehalten! Das galt auch fürs Publikum, dessen Schnitt bei 50+ lag.

Wer übrigens frisch gebliebene Musik eines längst vergangenen Jahrzehnt aus der Sauerländer Heimat zwischen den Jahren hören möchte, finde sich in der Musikkneipe „Pro-Bier’s“ (dem früheren „Bei Pichel“) in Neheim (Goethestr. 44) am 2. Weihnachtstag ein: Die überregional bekannte Band „The four Murders“ (*), ursprünglich aus Neheim-Hüsten der 1980er Jahre, spielt zu einem wiederholten Revival auf. Danach gibt’s Musik zum Tanzen aus dem Genre Punkrock/ Post Punk/ New Wave/ NDW von versierten DJs aus der Neheimer Kulturszene. Es lohnt sich garantiert!

(* https://www.sauerlandkurier.de/hochsauerlandkreis/arnsberg/murders-zurueck-buehne-5757075.html.)

Update

Leserzuschrift:

„Meines Wissens spielen „4 Murders“ am 27.12.2019 in der ehrenamtlich geführten KulturKneipe „Der Golem“ (Neheim, Lange Wende 30).
http://dergolem.de/
hier Golem-Flyer: http://59609431.swh.strato-hosting.eu/veranstaltungen/
Und ja, es ist eine ziemlich vertrackte Geschichte mit „Pichel“, „Pengel Anton“ und „Pro Biers“:

Im heutigen „Golem“ war vor Dekaden sowohl „Pichel“, „Pengel Anton“ und „Tacheles“ angesiedelt.
„Pichel“ zog Ende der 1980er in die Goethestraße 44 um … – um 1994 rum erfolgte Umbenennung in „Pro Biers““