Kurz notiert – das hat mich berührt: „Die Erfindung DER Ostdeutschen“

Durch einen Tweet von Jürgen Hermes bin ich auf die persönliche Website von Marko Demantowsky gestoßen.


Jürgen Hermes hat Recht. Ich habe „Die Erfindung DER Ostdeutschen“ gelesen und war berührt.

Auch wenn ich gelernter Wessi bin und Marko Demantowsky seine Jugend von mir aus gesehen auf der anderen Seite der „Zonengrenze“ verbracht hat, habe ich ein paar Schnittpunkte entdeckt.

„Es gab auch wenig Gelegenheiten, eine solche Kategorie als Fremdzuschreibung zu erfahren, Ausnahmen waren vielleicht Besuche in Prag oder Budapest, wo die einheimischen Geschäftsinteressent_innen ihr Interesse sehr genau danach unterschiedlich adressierten, ob D-Mark zu erwarten war oder nicht. Es waren das also Situationen, wo Gruppen von Deutschen aus der DDR und der BRD zusammentrafen, in denen zuerst so etwas, alle internen Differenzen überbrückendes und durch Fremdzuschreibung erzwungenes Gruppenbewusstsein als „DDR-Bürger“ sich bemerkbar machte. Ex negatione, die Ohne-D-Mark.“

Ich weiß noch genau, wie ich auf einer Radtour durch Ungarn zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrtausends auf einem Campingplatz im Matra-Gebirge auf dem Weg nach Eger die ersten „DDRler“ außerhalb der DDR traf. Wir, die Taschen voller Forinth, gaben den Wein aus, die aus der DDR haben diskutiert. Durch das Matra-Gebirge schnauften derweil die Trabis mit Campingwagen. Wie haben die das nur geschafft? Ich höre und rieche sie heute noch hinauf zum Gipfel.

„Über die langfristigen kulturellen Auswirkungen der „Abwicklung“ an den ostdeutschen Universitäten 1992 habe ich schon hie und da eine Andeutung gemacht. Für mich und viele andere Studierende war es damals, um diese eine subjektive Beobachtung zu ergänzen, durchaus auch befremdlich, dass manche der neu berufenen Professoren (sic) „aus dem Westen“ die Zeit dringend gekommen sahen, nun endlich mit der Reeducation zu beginnen (was sei nicht alles versäumt worden seit 1990!), die Literaturlisten unserer Seminararbeiten politisch zu zensieren („Was hat der Soboul hier zu suchen??!“ [eine Geschichte für sich …]) und keine Gelegenheit verstreichen zu lassen, uns die Vorteile von Freiheit und Demokratie geduldig auseinanderzusetzen. Offenbar standen wir im Verdacht, die Diktatur zu bevorzugen.“

Ha! Walter Markov/Albert Soboul: 1789 Die große Revolution der Franzosen. 480 S., Akademie-Verlag, Berlin 1977, ging nicht mehr. Dogmatisch. Unwissenschaftlich. Nun ja, und wer ging alles „nach drüben“? Aus dem Nichts geborene „Unternehmensberater“, die der DDR die Marktwirtschaft beibringen wollten oder sollten. Das Geld floss in Strömen in die ehemalige DDR und einen Teil haben sich „die Wessis“ zurückgeholt. Goldgräberstimmung für uns im Westen. Was ist eigentlich aus Albert Soboul geworden? Auch wenn er schon seit 1982 tot war. Darf sein Buch über die „Große Französische Revolution“ wieder in die Seminare oder haben Furet und Richet „gewonnen“?

„Wer erinnert sich noch an den massenhaften Subventionsbetrug und die spekulativen Insolvenzen? Die begleitenden Massenentlassungen? „Die Ostdeutschen“ tun es, sie und ihre eigene kleine bürgerliche Ordnung waren betroffen.“

Die einen haben betrogen und die anderen wollten betrogen werden: „Kommt die DM bleiben wir kommt sie nicht geh’n wir zu ihr!

Oder war es doch alles ganz anders. Ich erinnere mich an einen Besuch bei einem Freund in Kreuzberg – damals – die Mauer stand noch, aber die Grenzer ließen uns schon an vielen inoffizielleen Übergängen durch. Wir waren auf dem Weg zum Palast der Republik. Alternative Theatergruppen hatten sich dort etabliert. Wir sahen ein Stück aus dem „Untergrund“, der Alternativszene der DDR. Es herrschte Aufbruchstimmung. Nach dem Abend war ich von der großen Kraft einer demokratischen Erneuerung euphorisiert.

Die Euphorie ist verflogen, der Palast der Republik ist geschliffen. Vielleicht muss das so sein, wenn Mächte untergehen.

Am 9. Januar 1990 hat der 19-jährige Marko Demantowsky in seinem Tagebuch notiert:

„Die neue Freiheit möchte ich geniessen – nicht nur indem ich die Reisezeile verändere, sondern vor allem indem ich denke – ohne Schablonen und Zensuren.“

Heute lehrt Marko Demantowsky als Professor für Neuere/Neueste Geschichte und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule FHNW (Leiter der Professur für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften und ihre Disziplinen) an der Universität Basel.

Ein interessanter Mann.

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Marko Demantowsky bei Twitter: https://twitter.com/mdemanto

Public History, sein „Kind“: https://public-history-weekly.degruyter.com/

alles weitere -> Google und Co

5 Gedanken zu „Kurz notiert – das hat mich berührt: „Die Erfindung DER Ostdeutschen““

  1. -> Die einen haben betrogen und die anderen wollten betrogen werden: „Kommt die DM bleiben wir, kommt sie nicht geh’n wir zu ihr!“

    Mmmh, die „DM“ ist Geschichte … – der nächste „dm“ flächendeckend kurzwegig erreichbar … ?

  2. @gp

    Klar, aus dieser Sicht war es für einige ein „Flop“ – erst der Übergang von der DDR-Mark zur D-Mark und dann war sie plötzlich weg und es blieb nur noch dieser EURO.

    Im Ernst:

    Ich frage mich nach dem Lesen von Marko Demantowskys Artikel, wie ICH mich damals vor, während und kurz nach 89/90 definiert habe.

    Vielleicht sehe ich mich falsch, aber einen mich konstituierenden Gegensatz „Ostdeutscher-Westdeutscher“ gab es in dieser Form für mich nicht.

    Klar, wir hatten Verwandte in der „Ostzone“, die auch später DDR genannt werden durfte, denen zu Weihnachten Päckchen geschickt wurden: Schokolade, Kaffee … Aber das war nicht das, was mich als Bürger definierte, obwohl der Ost-West-Konflikt eine viele Diskussionen bestimmende Rolle hatte.

    Wie gesagt bin ich mir nicht sicher. Wie war das bei dir?

    Oder auch bei den anderen LeserInnen?

  3. @Andreas Lichte,

    Ja, dort sind ein paar interessante Details aus der Erinnerung von Marko Demantowsky nachzulesen.

    Die Betriebsbibliotheken haben es mir angetan. Ob es von denen noch welche in schockgefrorenen Zustand gibt?

    Ich stelle mir eine alte Fabrik vor, die nicht wie unsere Industriedenkmäler zu einem Kulturdenkmal umgemodelt worden wäre.

    Das Licht würde noch durch die verdreckten Fenster scheinen. Staub tanzte auf den Strahlen.

    Irgendwo in dem riesigen verdreckten Komplex wäre diese Bibliothek mit Originalmobiliar und den authentischen Büchern.

    Und wenn du den Blick über die Rücken der Einbände streifen ließest, dann …

    Hast du so etwas schon gesehen?

    1. … der Osten wird ja vom Westen systematisch entsorgt, aktiv zerstört („Palast der Republik“), oder dem Schicksal durch Vernachlässigung überlassen.

      Heute noch eine „Betriebsbibliothek“ zu finden, dürfte extrem unwahrscheinlich sein, falls überhaupt, irgendwo auf dem Land, ganz weit weg von allem.

      „Ich stelle mir eine alte Fabrik vor, die nicht wie unsere Industriedenkmäler zu einem Kulturdenkmal umgemodelt worden wäre.“

      so etwas (unter Denkmalschutz, aber allen ist es egal):

      http://www.urlaubs-insel-usedom.de/usedom_reisefuehrer/peenemuende_sauerstoffwerk.htm

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