Kontroverse um Lorenz Jaeger erst am Anfang

Lorenz Jaeger vor seiner Wahl zum Paderborner Bischof als Militärgeistlicher in Hitlers Wehrmacht; über dem Kreuz der Kappe und an der Brust prangt das Hakenkreuz der „Feinde Christi“. (Umschlagcover)

Wegen seiner Hirtenworte zugunsten des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges war Erzbischof Lorenz Jaeger 2015 erneut „Gegenstand“ einer Paderborner Kontroverse. Nach Auskunft aus den Priester- und Solidaritätsgruppen wird die aktuelle Rechtfertigungsstudie des Erzbistums Paderborn auf Kosten der Kirchensteuerzahler*innen an alle 800 Kleriker der Diözese versandt.

(Gastbeitrag Peter Bürger, siehe auch hier im Blog: Lorenz Jaeger – Kriegsbischof der deutschen Blutsgemeinschaft)

Das Buch enthält u.a. Verunglimpfungen von Vertretern der katholischen Friedensbewegung wie dem verstorbenen Theologieprofessor Heinrich Missalla (1926-2018).

Ebenfalls enthalten ist auf Seite 326 wörtlich folgendes Fazit von Prof. Joachim Kuropka zum Bischofsdienst von L. Jaeger im Nationalsozialsozialismus: „Zusammengefasst: Er hat es gut gemacht.“

In der Anlage (PDF) finden Sie meine erste, vorläufige Rezension zu dem Werk, ebenso unten noch einen Link zum zugehörigen Sonderdruck meines letzten Aufsatzes zu L. Jaeger vom Juli 2029 (im Bistumsbuch – trotz ISBN – übergangen).

Die neue kirchliche Publikation überspannt den Bogen des apologetischen Paradigmas aus meiner Sicht so extrem, dass sie auf paradoxe Weise der geschichtswissenschaftlichen und kirchlichen Debatte einen großen Dienst erweist.

PDF-Anlage Peter Bürger: Bistums-Studie zu Lorenz Jaeger.
Warum jetzt eine ganz neue Paderborner Kontroverse „Kirche im Nationalsozialismus“ ansteht – eine erste Stellungnahme (Textstand 08.09.2020; der Text enthält den Emailkontakt zum Verfasser)
http://upgr.bv-opfer-ns-militaerjustiz.de/uploads/Dateien/Links/pb-zu-jaegerstudie20200908.pdf

Dazu der Sonderdruck (zuerst Juli 2019): Peter Bürger: Lorenz Jaeger – Kriegsbischof der deutschen Blutsgemeinschaft. IKvu-Digitalfassung, 07.08.2020. [67 Seiten]
https://www.ikvu.de/kontexte/texte-personen/kommentar2020-03-buerger.html
Direkt zum PDF:
https://www.ikvu.de/fileadmin/user_upload/IKvu_Sonderdruck_Lorenz_Jaeger_2020-08-07.pdf

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HIER EINE AKTUELLE PRESSEINFORMATION DER PADERBORNER LINKSFRAKTION AUS DEM INTERNET
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Kontroverse um Lorenz Jaeger erst am Anfang

Linke Ratsfraktion sieht den kriegsfördernden Kardinal durch die neue Bistumsstudie noch stärker belastet
09.09.2020

Im August hat das Erzbistum in Buchform das Ergebnis einer Auftragsstudie zu Lorenz Jaeger vorgestellt. Anlass des Projektes war 2015 der DIP-Antrag im Paderborner Rat, den Namen des Kardinals aus der Liste der Ehrenbürger zu streichen.
Reinhard Borgmeier, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Paderborner Rat: „Aus Sicht der Linksfraktion steht mit der Veröffentlichung der Studie jetzt erst recht eine neue Kontroverse um den Erzbischof zur Zeit des Nationalsozialismus an. Dazu haben wir heute eine weitere Stellungnahme des Publizisten und Theologen Peter Bürger auf unsere Internetseite gestellt. Das Dossier enthält alle nötigen Quellenverweise.“

Verunglimpfung friedensbewegter Katholiken?
Bürger, der schon vor 5 Jahren die Kritiker der bischöflichen Ertüchtigungen zum Hitlerkrieg beraten hat, ist wenig erfreut über eine Verunglimpfung von pazifistischen Katholiken. Der verstorbene pax christi-Pionier und Theologieprofessor Heinrich Missalla, von Lorenz Jaeger zum Priester geweiht, werde z.B. mit militanten Atheisten in einen Topf geworfen. Das gehöre sich nicht für ein von allen Kirchensteuerzahler*innen finanziertes Buchprojekt.

Die meisten Seiten der Rechtfertigungs-Studie enthielten das genaue Gegenteil des von der deutschen Bischofskonferenz in diesem Jahr vorgelegten Schuldbekenntnisses zur kirchlichen Kriegsbeihilfe ab 1939. An der Pader sollten offenbar weiterhin die Konzepte des letzten Jahrhunderts gelten.

Gelobt wird allerdings die mit anderen Themenschwerpunkten beauftragte kirchliche Kommission für Zeitgeschichte, weil sie zur fairen Diskussion auf einen Sonderdruck der Kritiker hinweist.

Abenteuerliche Thesen zur Jaeger-Kontroverse

Die Bistumsstudie der Fakultät handelt Bürger zufolge einige zentrale Fragen der Debatte auf abenteuerliche Weise ab. So werde z.B. phantasiert, die Behörden hätten Jaegers freie Ansprache zum staatlichen Treue-Eid irgendwie diktiert.

Fast der wichtigste Punkt sei aber die Fuldaer Dompredigt über eine Blutgemeinschaft „deutscher Schwestern und Brüder“, die 1943 den Bischofsappell enthielt: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen.“ Keiner der Buchautoren erfasse auch nur ansatzweise den brisanten Kontext dieser „Blutbande“-Rede.

Im Fastenhirtenwort 1942 habe Jaeger Russland als Tummelplatz von „fast zu Tieren entarteten“ Menschen bezeichnet – auf „Judas“, nicht auf Christus gebaut. Zuvor schon konnte die Theologische Fakultät des Bistums ein übles Gemisch von Antibolschewismus und Judenhass drucken lassen. Dass auf fast 500 Seiten niemand Jaegers „Judas-Predigt“ in diesen Zusammenhang stelle, sei ein beschämendes Zeugnis und schier unglaublich.

Die neue Bistumsstudie belastet Lorenz Jaeger
Andererseits entdeckt Peter Bürger im aktuellen Bistums-Buch, das einige sehr interessante Beiträge enthalte, neue Erkenntnisse, die Lorenz Jaeger schwer belasten. Aufgezeigt werde z.B. seine Verbundenheit mit Franz Justus Rarkowski, der auch bei bürgerlichen Historikern als „Hitlers Feldbischof“ gelte.

Jaegers einziger enger Freund seit Studientagen war der hochrangige Militärgeistliche Heinrich Joseph Henneke. Mit dessen Entnazifizierungsverfahren musste sich der Ausschussvorsitzende Johannes Gronowski (CDU) in Paderborn noch 1948 abmühen. Da hatte Jaeger seinen Vertrauten längst zum Domherrn gemacht.

Der Hauptvorwurf lautet nach wie vor: Predigt zugunsten des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges im Osten mit mehr als 20 Millionen Mordopfern. Der militaristische und nationalistische Kardinal könne nicht als Nazi bezeichnet werden. Das sei in diesem Zusammenhang aber auch gar nicht von Belang.

Zukünftige Initiativen – neue Diskussion
Nach Ende der Corona-Schutzzeit wird der in Düsseldorf lebende Publizist erneut zum Vortrag nach Paderborn eingeladen. Weitere kommunalpolitische Initiativen sollen inhaltlich intensiv vorbereitet werden und den Blick insgesamt auf das Thema „Kirche, Bistum und Nationalsozialismus“ richten. Dies sei schon immer der richtige Ansatz des Paderborner Journalisten Wolfgang Stüken gewesen. Der Plan bis Ende 2021: Alle maßgeblichen Quellen sollen frei im Netz abrufbar sein, damit sich jede/r ohne Bevormundung ein eigenes Bild verschaffen kann.

Vor allem Prof. Joachim Kuropka, der wie ehedem Lorenz Jaeger dem Ritterorden vom Heiligen Grab angehört, habe den Bogen jetzt eindeutig überspannt. Seine These zur NS-Zeit: Der Erzbischof hat seine Sache gut gemacht. Für diese Dreistigkeit müsse man ihm fast dankbar sein. Denn sie zeige vielen Menschen, dass die eigentliche Debatte um den Kardinal noch bevorsteht.