Internationale Recherche mit WDR, NDR und SZ
Recherchen des „Deforestation Inc.“-Projekts (auf Deutsch „Abholzung Inc.“) unter Leitung des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ) zeigen, wie Greenwashing und systematische Abholzung weltweit den Wald und das Klima gefährden. In Deutschland sind WDR, NDR, SZ und der Spiegel an dem Projekt beteiligt. Schwerpunkte der Recherchen sind die Folgen des europäischen Hungers nach Holzenergie, die Geschäfte der sogenannten rumänischen Holzmafia und die fragwürdige Praxis von Zertifizierungsunternehmen.
(Pressemitteilung WDR)
Den Recherchen zufolge erkennen selbst große Zertifizierungsunternehmen, die für die Nachhaltigkeit der weltweiten Holzwirtschaft entscheidend sind, nicht immer, wenn ihre Standards bei zertifizierten Unternehmen unterlaufen werden. Eine systematische Datenauswertung des ICIJ ergab, dass Prüfer und sogenannte Zertifizierungsfirmen auch Produkte validieren, die mit Entwaldung, Abholzung in Konfliktgebieten und Raubbau an der Natur in Verbindung gebracht werden. Für die Recherche wurden tausende Prüfberichte, Gerichtsdokumente und Ermittlungsunterlagen ausgewertet.
Demnach haben weltweit 48 Zertifizierungsunternehmen in den vergangenen Jahren auch solchen Firmen ein nachhaltiges Wirtschaften attestiert, denen Umweltdelikte und andere Verfehlungen vorgeworfen werden. Seit 1998 gingen somit Umwelt-Zertifikate an 340 holzverarbeitende Betriebe, denen beispielsweise illegale Abholzung oder Brandrodungen vorgeworfen werden. Kritiker bemängeln seit Jahren eine zu große Nähe zwischen der Zertifizierungsindustrie und ihren Kunden. Angefragte Zertifizierungsunternehmen erklärten, man gehe aktiv gegen betrügerische Firmen vor und arbeite mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Im Mittelpunkt der Recherchen steht auch der zunehmende Einsatz von Holz zur energetischen Verwertung, vor allem in Europa. Die EU definiert Holz als klimaneutralen Brennstoff und subventioniert dessen Einsatz, was zu einer enormen Nachfrage auf dem Weltmarkt geführt hat. Und das, obwohl wissenschaftliche Studien nachweisen, dass Holzverbrennung im Verhältnis zur erzeugten Energiemenge sogar mehr CO2 freisetzt als Kohleverbrennung. Dennoch braucht man für die Holzverbrennung keine CO2-Zertifikate, was die Nachfrage nach Holz als Brennstoff zusätzlich anheizt.
Doch Europas Wälder sind schon durch den Klimawandel massiv unter Druck. Beides zusammen führt dazu, dass sie eine essenzielle Funktion im Kampf gegen den Klimawandel immer weniger erfüllen: CO2 aus der Atmosphäre zu speichern. Hat der deutsche Wald 2016 noch knapp 64.000 Tonnen CO2 pro Jahr zusätzlich aufgenommen, waren es 2020 nur noch knapp 46.000 Tonnen. Besonders alarmierend: In waldreichen Ländern wie Finnland und Estland geben die Wälder statistisch schon mehr CO2 ab, als sie aufnehmen, auch weil immer mehr Bäume für die Holzverbrennung abgeholzt werden.
Doch nicht nur Europas Wälder sind betroffen, auch die Ökosysteme anderer Kontinente, wie die Recherchen zeigen. Im US-Bundesstaat North Carolina in den USA etwa werden immer wieder Waldflächen gerodet, auch um Holz zu Pellets zu verarbeiten. Die Pellets werden zu einem großen Teil nach Europa verschifft. Verbrannt werden sie unter anderem auch von deutschen Energiekonzernen wie RWE, das in zwei Kohlekraftwerke in den Niederlanden auch Holz verbrennen lässt. „Co-firing“ nennt sich das, und RWE macht das im großen Stil. Auf Anfrage bestätigt der Konzern, ein Kohlekraftwerk in Amer mit 80 % Biomasse und eines in Eemshaven mit 20 % Biomasse zu betreiben. Biomasse steht hier vor allem für Holzpellets.
Auf die Frage, wie das Verbrennen von Pellets mit den ehrgeizigen Zielen zur Reduzierung von Emissionen zusammenpasst, die sich RWE selbst gesetzt hat, teilt der Konzern mit: „RWE verwendet in seinen Anlagen ausschließlich Holzabfälle aus der Forstwirtschaft und aus Sägewerken als Biomasse.“
Ein weiteres Thema der Recherche ist Rumänien, das in der EU als das Land gilt, das am stärksten von einer illegalen Holzwirtschaft betroffen ist. Offiziellen Zahlen zufolge verschwinden in Rumänien jährlich mehr als 20 Millionen Kubikmeter Wald. Kritiker werfen der rumänischen Regierung seit Jahren vor, nicht genug gegen die „Holz-Mafia“ zu tun. Im Rahmen der Recherchen konnte unter anderem ein mutmaßlich illegaler Holzeinschlag in Nord-Ost-Rumänien dokumentiert werden. Mehrere EU-Politiker befürchten, dass die illegale Abholzung in Rumänien in diesem Jahr weiter zunehmen könnte. Verantwortlich dafür sei das anstehende Superwahljahr 2024 in Rumänien, in dem neben der Parlamentswahl noch drei weitere Wahlen anstehen. „Dieses ganze System wäre ohne politische Rückendeckung nicht möglich“, sagt der rumänische Politiker Nicolae Stefanuta, der für die Liberalen im Europaparlament sitzt. „Wir müssen davon ausgehen, dass illegales Geld aus der Forstwirtschaft auch in den Wahlkampfkassen landen könnte“. Die bevorstehenden Wahlen könnten insofern einen Anreiz schaffen, noch mehr Geld umzusetzen. Die illegale Holzwirtschaft zählt weltweit zu den profitabelsten Feldern der Organisierten Kriminalität.
An dem Projet Deforestation Inc. waren weltweit mehr als 140 Journalistinnen und Journalisten von 40 Medien beteiligt. Alle Rechercheergebnisse werden ab sofort weltweit geteilt. Über das Projekt wird auf tagesschau.de und in der Süddeutschen Zeitung ausführlich berichtet. Außerdem in Hörfunk und Fernsehen, unter anderem in den ARD-Tagesthemen (Mittwoch, 22.15 Uhr, ARD) und im ARD-Magazin Monitor (Donnerstag, 21.45 ARD). Der NDR präsentiert die Ergebnisse u.a. als Folge des Podcasts „Organisiertes Verbrechen“ („Gestohlener Wald“), der in der ARD-Audiothek abrufbar ist.