Das Mescheder Sühnekreuz – die Geschichte eines Fotos

Das „Mescheder Sühnekreuz“ zum Gedenken an 80 ermordete „russische Zwangsarbeiter“ nach seiner Ausgrabung im November 1964 mit den Spuren von Äxten, Feuer, Erdlagerung seit 1947 sowie verwitterter Inschrift (Foto: Franz Petrasch jun., Archiv Andreas Evers/Peter Bürger).

Vor etwas mehr als sieben Jahren hatte ich hier im Blog eine Presseinformation des Christine-Koch-Archivs am Museum Eslohe veröffentlicht: „70 Jahre danach: MASSENMORDE AN ZWANGSARBEITERN IM SAUERLAND VOR KRIEGSENDE” – Dokumentation über die Massaker im Raum Meschede/Warstein (20.-22 März 1945) und die Geschichte des „Mescheder Sühnekreuz“.

In dem Beitrag war das oben abgebildete Foto des Mescheder Sühnekreuzes kurz nach seiner Ausgrabung im Jahr 1964 veröffentlicht. Die Bildunterschrift war die gleiche, mit einem Unterschied: Der Fotograf Franz Petrasch jun. fehlte beim Bildnachweis. Ich habe seinen Namen inzwischen ergänzt, und das kam so:

Franz Petrasch jun. hat sich vor einigen Tagen bei mir gemeldet und mir die Geschichte des Fotos erzählt, die auch ein Teil seiner eigenen Geschichte ist, und sie hat mich sehr bewegt.

„Das Foto bezieht sich auf das liegende Kreuz, von vorn ist es mit einem Stock abgestützt. Es geht mir nicht um die Rechte. Ich habe das Negativ ca. 1 Jahr nachdem wir das Kreuz ausgegraben haben, ich glaube, an Familie Rode, abgegeben. Und von da aus nahm es den Weg bis hin zur dem Buch von Herrn Hahnwald und Bürger, ohne dass mein Name jemals genannt wurde, wahrscheinlich wußte auch niemand, dass ich es war, der es geknipst hatte.

Auch ich selbst hatte es lange Jahre vergessen. Früher hat man einfach Dinge weitergegeben, ohne sich Gedanken zu machen, um Urheber, und ähnlichem. Von mir aus können Sie das Bild verwenden, Sie könnten ja meinen Namen dazuschreiben. vielleicht noch „jun.“ dazu.

Ich hoffe, sie kennen die Geschichte um das Sühnekreuz. Mein Vater hat nach Auffinden der Gräber die erschossenen Menschen untersuchen müssen. Er hieß auch Franz. Er hat selten darüber gesprochen, er unterlag ja auch der ärztlichen Schweigepflicht. Einmal las ich unter dem abgebildeten Foto als Quelle : Westfalenpost. Und dann dachte ich, es wäre an der Zeit, dass ich mich ins Spiel bringe. Es geht mir um die Sache.

Bei der Ausgrabung mit dabei waren Ivo Rode, Martin Stankowski, Reinhard Wegener und ich, Franz Petrasch, von einer katholischen Jugendgruppe in Meschede und Herr Heidingsfelder, der uns den Platz gezeigt hat, etwa 100 m oberhalb des Weges. Herr Heidingsfelder hat ja seinerzeit das Kreuz mit eingegraben. Nach diesen 15 Jahren hat sich der Platz vom Bewuchs her nicht groß verändert. Herr Heidingsfelder zeigte uns einen Platz, und nach kurzer Zeit des Grabens in diesem sumpfigen Gelände stießen wir auf Holz. Es war tatsächlich das Sühnekreuz.

Die Oberfläche war ein bißchen vermodert, aber der Kern war fest. Wir säuberten es etwas und stellten es an den Baum. Ich machte das Foto. Ich machte aber nur dieses eine Foto. Was dann später mit dem Kreuz geschah, wer es abgeholt hat, und getrocknet und vielleicht bearbeitet hat, weiß ich heute nicht mehr. Ich denke, Familie Rode hat sich sehr darum bemüht. Wahrscheinlich haben sie auch später das Negativ des Fotos bekommen.

Mir persönlich geht es nicht um die Rechte daran, aber ich möchte genannt werden. Wollen wir hoffen, dass derartige Verbrechen niemals wieder ( in Deutschland ) passieren.

Im Grunde passieren sie ja ständig, aber wir Deutschen haben die größten Verbrechen der Menschheit begangen. Wenn man jetzt die zerschossenen Häuser in der Ukraine sieht, zerbombte Kliniken und anderes, dann ist das übel und Gott sei Dank haben wir eine wunderbare Außenministerin, die endlich Klartext spricht. Unsere deutschen Vorfahren haben aus Lust und Laune die Menschen auf der Straße erschossen.

1967 war ich mit einer Gruppe junger Christen in Polen und Auschwitz. Berge von Haaren, Brillengestelle, Kinderschuhe. Es ist ein Grauen, wie Menschen miteinander umgehen können. Jetzt engagiere ich mich für Sinti und Roma , die ja bis heute verfolgt werden.

Herr Schiebener, ich könnte ein Buch über mein Leben schreiben, in Briefen. Da habe ich oft dran gedacht, aber es ist vergangener Ruhm, wollen wir daran arbeiten, dass unsere Nachkommen in einer menschenfreundlichen Welt leben können. Ich sage immer: Das Beste liegt immer vor uns, aber manchmal ist es schwer, das zu verinnerlichen.

Mit freundlichen Grüßen. Franz Petrasch.“


Wer die Geschichte des Mescheder Sühnekreuzes noch nicht kennt, sollte sie in der eingangs genannten Darstellung von Peter Bürger / Jens Hahnwald / Georg D. Heidingsfelder nachlesen. Zum Einstieg das Kapitel II ab Seite 51. Nachfolgend als kostenlose PDF:

http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2076.pdf



2 Gedanken zu „Das Mescheder Sühnekreuz – die Geschichte eines Fotos“

  1. Es hört sich bestimmt ziemlich gönnerhaft an, wenn man selbst nur mitliest, aber ich finde lokale Geschichte über Blogs sehr spannend und verdienstvoll und kann mir vorstellen, wie bewegend es ist, wenn sich plötzlich Zeitzeugen melden.
    Schaue immer wieder gerne bei Ihnen vorbei.

    1. Vielen Dank. Ich habe mich sehr über den Kommentar gefreut. Ein Lichtblick am heutigen feucht-kalten letzten Märztag.

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