Die Neuordnung des ärztlichen Notdienstes. Kein Grusel-Szenario.

Das Podium im großen Sitzungssaal des Kreistags in Meschede (Foto: zoom)
Das Podium im großen Sitzungssaal des Kreistags in Meschede (Foto: zoom)

Meschede. Ich hatte gestern nur sehr knapp von der Veranstaltung der Sauerländer Bürgerliste(SBL) zur Neuorganisation des hausärztlichen Notdienstes berichtet. Hier der Nachtrag.

Knapp 50 Besucher erhielten von den Teilnehmern auf dem Podium kompakte und detailierte Einblicke in die jetzige und künftige Notfallversorgung der Patientinnen und Patienten im Hochsauerlandkreis. Der Abgeordnete Reinhard Loos betonte zu Beginn der Veranstaltung, dass die SBL ursprünglich „dem Kreis eine solche Diskussionsrunde“ vorgeschlagen hätte. „Die wollten aber nicht“, so Loos, so habe die SBL die Sache selbst in die Hand genommen. Die Veranstaltung sei als „offenes Forum“ geplant.

Update: Den informativen Einstieg in das Thema habe ich gerade als PDF erhalten: Präsentation von Reinhard Loos in Meschede

Diese Offenheit hatte einen Vorteil und einen Nachteil.

Der Vorteil: Die Diskussionen verliefen sehr sachlich und unaufgeregt, die Schilderungen und Einlassungen der teilnehmenden Ärzte und Ärztefunktionäre waren nach meinem Eindruck ehrlich, unverstellt oder wie man heute sagt „authentisch“.

Der Nachteil: Kontra-Positionen, so vorhanden, traten nicht scharf zu Tage. Es fehlte der produktive Streit, die Zuspitzung, die oft nötig ist, um Positionen zu verdeutlichen. Es fehlte weiterhin eine „Aktionsorientierung“. Man ging klüger nach Hause, aber wusste nicht, was oder ob man etwas machen unternehmen sollte. Der Vorschlag eines Pfarrers im Ruhestand über Vernetzungen und eine politische Bewegung nachzudenken, um doch noch eine zentrale Notfall-Praxis nach Meschede oder Olsberg zu holen, verlief folgerichtig im Sande.

Einige Positionen der Podiumsteilnehmer

Dr. med. Frank Koslowski, Arzt für HNO-Heilkunde, Mitglied der Kammerversammlung, Brilon:

Die Demografie zwinge dazu umzudenken: „Nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte werden im Durchschnitt immer älter“.

Mehr ältere Patienten bedeuteten

  • mehr chronische Erkrankungen
  • mehr akute Erkrankungen
  • häufigere Arztbesuche
  • schlechtere Mobilität

und erforderten eine ortsnahe Versorgung.

Dr. med. Friedhelm Schmitten, Facharzt für innere Medizin, Vorsitzender des Ärztevereins Meschede, Bestwig-Ramsbeck:

Der Rettungsdienst 112 und der kassenärztliche Notdienst sollten wie im Marsberger System zumindest teilweise zusammengelegt werden. Die Medizin der Zukunft werde weiblich. Schon 65% aller Studienanfängerinnen in diesem Fach seien Frauen, und die wollten als Notfall-Ärztinnen nicht allein durch die Nacht fahren.

Annette Loos, Ärztin für Allgemeinmedizin und Sportmedizin, Brilon:

Wenn die Notdiensbezirke zu groß seien, würden die Patienten trotzdem dahin fahren, wohin sie wollen, sie gingen nachts sowieso ins nächste Krankenhaus.

Die Idee, dass die zentrale Notarztpraxis an ein Krankenhaus angegliedert sei, wäre gut, insbesondere für weibliche Ärzte mit Familie.

Dr. med. Rolf Kleinmann, Mitglied der Kammerversammlung, Facharzt für innere Medizin, Oberarzt im Marienhospital Arnsberg:

weist darauf hin, nicht den teuren Rettungsdienst (Arzt + 2 Sanitäter, 500-800 €) mit dem Kassenärztlichen Notdienst zu verwechseln. Kleinmann sieht Vorteile in der Einführung einer einheitlichen europaweiten Nummer (116 oder 117), die die Patienten dann weiterleite.

Jedes Krankenhaus nehme wie bisher am Notdienst teil. Es werde in Westfalen-Lippe weiterhin 63 Standorte davon 60 an Krankenhäusern geben.

90 Prozent der Menschen könnten weiterhin den Notdienst in 10 bis 15 Minuten erreichen. Dies sei eine „europaweit einmalige Luxusversorgung der Bevölkerung“.

Der gegenwärtige Bereitschaftsdienst der Ärzte an Krankenhäusern sei in Wirklichkeit ein umfassender Dienst für die Patienten der Intensivstation, der übrigen Patienten und der Notfälle und oft eine Überforderung.

An Krankenhäuser angegliederte Notfallpraxen würden die Krankenhäuser und Bereitschaftsdienste entlasten.

Walter Kuhlmeyer, Geschäftsführer des St. Walburga Krankenhauses Meschede GmbH:

„Wir haben uns bei der Kassenärztlichen Vereinigung um einen Standort für Meschede beworben.“ Die KV habe sich mit freundlichen Grüßen für das Angebot bedankt, aber es habe nie ein Gespräch zwischen Krankenhaus Meschede und der KV stattgefunden.

Im Moment würden 4500 bis 5000 ambulante Fälle pro Jahr im Krankenhaus Meschede behandelt werden. Die Tendenz sei steigend. „Wir werden auch in Zukunft Notfälle versorgen“. Zur Zeit habe man 9000 stationäre Patienten pro Jahr und stelle 500 Arbeitsplätze.

Er sei traurig darüber, dass Arnsberg(mit Sundern) zwei Standorte erhielte und Meschede keinen.

Dr. med. Henning Förster, Arzt für Allgemeinmedizin. Mitglied der Kammerversammlung, Medebach:

Er schätze, dass die meisten Leute „wegen Meschede“ gekommen seien. Er gab zu bedenken, dass es auch in der Stadt lange Wege gäbe. Das Land sei heute wirtschaftlich nicht mehr attraktiv. Heute würden einem interessierten Arzt „die Praxen nachgeworfen“.

Als er vor 26 Jahren nach Medebach gekommen sei, habe er 250.000 DM für die Praxis bezahlt, heute bekäme man 50.000 Euro (= 100.000 DM).

Aus Bochum und Münster, den Zentren der Mediziner-Ausbildung,  gehe kaum jemand weiter weg als 100 km.

Die Kriterien seien Wirtschaftlichkeit und Lebensqualität.

Zur Zeit müssten sich in Medebach 6 Kollegen die Notfalldienste teilen. Das bedeute jedes sechste Wochenende Dienst. Je weniger Ärzte, desto höher die Dienstbelastung.

Das „Winterberger Modell“ sei gut für die Patienten, denn die wüssten, dass zur selben Zeit, am selben Ort immer jemand da ist. Merkwürdigerweise seien in Winterberg vor der Einführung Unterschriften dagegen gesammelt worden und nicht in Hallenberg oder Medebach, obwohl die Patienten doch von dort den längeren Weg hätten.

Seiner Meinung nach hätten die geplanten Leitstellen Vorteile, außerdem sei Arnsberg „nicht so wahnsinnig“ weit.

Einige Stimmen aus der Diskussion:

„Sehen Sie noch eine Chance für Meschede oder Olsberg?“

Schmitten: Mit den Füßen abstimmen und nach Mesched ins Krankenhaus gehen, dann wird der KV nichts anderes übrig bleiben als eine Notfallambulanz einzurichten. Die 6000  gesammelten Unterschriften müssen an Laumann entsprechend überreicht werden. Die Presse habe unfair berichtet.

Kuhlmeyer: Die 15 Minuten sind nicht ehrlich, weil wir kein gut funktionierendes öffentliches Personen- und Nahverkehrssystem haben.

Kleinmann: skeptisch wegen der Übergabe der 6000 Unterschriften an Laumann. Das gehe doch immer nach dem gleichen Prinzip. Von oben wird eine Summe Geld gegeben und behauptet: „Das reicht, nun mach‘ mal.“ Unten fänden dann die Verteilungskämpfe statt.

SPD-Abgeordnete: Ich denke, das Ding ist durch, da wird sich nicht mehr viel ändern.

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