Heute wird die Nicaraguanische Bevölkerung – so die Prognosen – erneut Daniel Ortega zum Präsidenten wählen. Nach der Verfassung ist dies nicht zulässig, das ficht den amtierenden Staatschef jedoch nicht an.
Daniel Ortega gehört der Oberschicht an. Man kennt sich in diesem kleinen Land mit rund 5 Millionen Einwohnern. Unter den Ortegas, Chamorros und einigen anderen Familien werden politische Ämter, Zeitungen und Positionen in der Wirtschaft aufgeteilt.
Die Mittelschicht ist zahlenmäßig sehr klein und daher wirtschaftlich und politisch schwach. Die Mehrheit der nicaraguanischen Bevölkerung ist arm bis bettelarm. Die Arbeitslosigkeit beträgt rund 30-50%, viele Nicaraguaner versuchen im informellen Sektor, durch Landflucht oder Auswanderung ihre Lage zu verbessern.
„Comandante“ Daniel
Daniel Ortega war in den 80er Jahren Hoffnungsträger, ein Comandante der Sandinisten. Diesen gelang 1979 der Sturz des despotischen und verhassten Diktators Somoza. Die USA sahen ihre Interessen bedroht und initiierten und unterstützten den Contra-Krieg, dem zahlreiche nicaraguanische Soldaten und Zivilisten zum Opfer fielen. Der Krieg band Ressourcen, die an anderer Stelle fehlten.
Kriegsmüde wählte die Bevölkerung Daniel Ortega und die sandinistische FSLN 1990 ab.
Präsident revisited
Im Jahr 2006 stellte sich Daniel Ortega erneut erfolgreich zur Wahl. Internationale Wahlbeobachter warfen den Organisatoren Unregelmäßigkeiten und Betrügereien vor. Ortega wurde mit einer einfachen Mehrheit von 38% der Stimmen Präsident eines der ärmsten Länder Lateinamerikas.
Die Katholische Kirche, der Präsident und die Frauen
Die Katholische Kirche spielt in dem kleinen mittelamerikanischen Land eine zentrale Rolle. Nach dem Sturz Somozas wurde der katholische Priester Ernesto Cardenal Kulturminister in der sandinistischen Regierung. 1985 suspendierte Papst Johannes Paul II den eigensinnigen Kirchenmann von seinem Priesteramt.
Der Erzbischof von Managua Miguel Obando Bravo galt als konsequenter Gegner der Sandinisten und befand sich in steter Konfrontation zur Sandinistischen Regierung. Nun unterstützt Obando Bravo – inzwischen im Ruhestand – den wandlungsfähigen Politiker. Der Preis: Reumütige Entschuldigungen Ortegas für seine frühere kirchenfeindliche Politik und im Jahr 2004 Ortegas Zustimmung zu einem generellen Abtreibungsverbot .
Noch immer gilt in Nicaragua ein grundsätzliches Abtreibungsverbot. Selbst bei Vergewaltigungen oder Gefahr für das Leben der Mutter ist eine Abtreibung ausgeschlossen. Der Machismo prägt dieses Land und die Bedeutung des Mannes misst sich an seinen Eroberungen. Männer, die etwas auf sich halten, sind untreu.
Vor diesem Hintergrund ist ein generelles Abtreibungsverbot doppelt zynisch und hat einem Bericht von amnesty international zufolge im ersten Halbjahr des Jahres 2009 allein 30 Mädchen und Frauen das Leben gekostet. Der Preis für das Wohlwollen eines alten emeritierten Erzbischofs? Der Preis der Macht?
Traurige Entwicklung. Anscheinend fehlt es aber auch an Alternativen. Gibt es einen Kandidaten mit glaubhaft sozialer Gesinnung und liberaler Haltung zur Abtreibung? Ich bin nicht so auf dem laufenden in puncto Nicaragua. Dass sich auch Sandinisten nach der Revolution bereichert haben, erzählte mir in den 90ern Dietmar Schönherr, der dort lange Zeit sehr engagiert war oder immer noch ist. Dass Ortega inzwischen fast eine 180-Grad-Wende vollzogen hat, bekam ich aber erst vor ein paar Jahren mit.
Die Versuchung der Macht – wer ist ihr nicht schon alles erlegen?! Menschen, die ursprünglich möglicherweise oder wahrscheinlich guten Gewissens aufbegehrten gegen die politischen Zustände ihrer Länder, sogar erfolgreich am Sturz autoritärer Regime beteiligt waren: Robert Mugabe, Sam Nujoma, Eduardo dos Santos, Fidel Castro, vielleicht auch Ghaddafi. So unterschiedlich die Entwicklungen verlaufen sind – ich behaupte nicht, dass aus jedem ein Tyrann geworden ist – gemeinsam ist allen, so mein Eindruck, dass die hohen Ideale aus unterschiedlichen Gründen im Laufe der Zeit aufgegeben wurden. Zumindest einige. Und der Machterhalt scheint wichtiger zu werden als alles andere.
Richtig spannend wird es nun, denkt man darüber nach, wie es mit den Hoffnungsträgern der demokratisch gewählten Regierungschefs aussieht. Was tun sie noch aus Überzeugung, was nur zum Machterhalt? Die Große Enttäuschung – so könnte eine gemeinsame Überschrift lauten. Eigentlich ein Grund, politisch aktiv zu werden. Würden wir irgendwann auch der Versuchung der Macht erliegen?