Im biographischen Ergänzungsband zur Esloher Chr.Koch-Werkausgabe findet man schon seit 1993 (!) alle unveröffentlichten oder gedruckten Beiträge der Dichterin mit Voten zugunsten des Dritten Reichs, auf die Willy Knoppe in seiner 12 Jahre später erschienenen Dissertation von 2005 zurückgreift.
Von Peter Bürger (04.04.2014). Bitte die Literatur (Daunlots) am Ende des Beitrags beachten.
Weitere Funde haben wir fortlaufend veröffentlicht; zuletzt ist 2012 – noch vor Einsetzen der neueren Straßennamen-Debatte im Sauerland – als „daunlots nr. 59“ (s.u.) eine sehr umfangreiche Internetdokumentation „Nationalkonservative, militaristische und NS-freundliche Dichtungen Christine Kochs 1920-1944“ erschienen (vgl. jetzt auch das neue „daunlot nr. 72“, S. 15-19).
Christine Koch nicht vorbildlich
Unser Archiv lässt seit 1993 keinen Zweifel daran, dass die Haltung Christine Kochs im Faschismus NICHT vorbildlich zu nennen ist. Vielmehr hat die Dichterin – wie die breite Masse auch des katholischen Milieus – vor Veröffentlichung der Papstenzyklika „Mit brennender Sorge“ (April 1937) die „Neue Zeit“ des Dritten Reiches ausdrücklich begrüßt (es gibt bis 1936 fünf besonders unmissverständliche Voten, in denen wörtlich ein Bekenntnis zu „Führer“ und/oder „deutschem Gruß“ auftaucht; es handelt sich freilich nicht um „Hitler-Hymnen“). In der Zeit danach gibt es bis 1941 noch Beiträge Christine Kochs mit Voten für Deutschlands „Größe“ und „Deutschlands Sieg“ im Krieg (danach folgen in den Feldpost-Beiträgen Kochs, salopp gesagt, nur noch „fromme Weihnachtsgrüße“).
Unmöglich, Christine Koch politisch in den Kreis Nellius-Berens-Kahle einzureihen
Diese Befunde sind erschreckend. Ein Vergleich mit Georg Nellius, Josefa Berens-Totenohl oder Maria Kahle macht es jedoch – in Kenntnis der für alle gut erschlossenen Quellenlage – unmöglich, Christine Koch politisch in den Kreis Nellius-Berens-Kahle einzureihen. Die drei Letztgenannten waren überregional (und zwar durchgehend) propagandistisch für den NS-Staat äußerst aktiv, besiegelten ihre glühenden Bekenntnisse zu Führer und NSDAP durch einen Parteieintritt, sind alle drei als aggressive Rassisten (& Antisemiten) in Erscheinung getreten und stützten auch noch nach Stalingrad den Glauben an NS und „Endsieg“. Chr. Koch wurde hingegen öffentlich nicht als Nationalsozialistin präsentiert wie die anderen, trat keiner NSDAP-Gliederung bei und hat nach Forschungsstand nicht eine einzige antisemitische Zeile geschrieben (sich im Gegenteil in ihrer Dichtung für das Menschenrecht von Minderheiten ausgesprochen). Ihre abweichende Stellung im Rahmen der Westfälischen Literaturpreisvergabe hat Dr. Karl Ditt bereits 1992 erhellt (Text in: daunlots Nr. 71, S. 79-96). Im Gegensatz zu Nellius, Berens und Kahle (völkische Umdeutung religiöser Inhalte, keine christlichen Inhalte mehr) liegt bei Chr. Koch durchgehend eine kompromisslose Treue zu ihrer röm.-kath. Kirchlichkeit vor, die sie dann bis 1944 in religiösen Texten sogar noch stärker betonte. Darin liegt keinerlei „Weißwaschung“ begründet, aber doch ein weiterer Hinweis auf die weltanschauliche Differenz zum Nationalsozialismus. Fazit im Gesamtbild: Es gibt (anders als bei Nellius, Kahle und Berens) keine ZWINGENDEN Gründe für eine Umbenennung von Christine-Koch-Straßen.
Wikipedia-Einträge zu Christine Koch vermitteln keine seriösen Informationen
Diverse Wikipedia-Einträge zu Christine Koch, auf die in der Hobby-Expertise gerne zurückgegriffen wird, vermitteln keine seriösen Informationen, die auf wirklicher Quellenkenntnis beruhen (z.B. wurde das bis 1929 abgeschlossene plattdeutsche Hauptwerk zeitweilig als völkisch-nationalistisch qualifiziert, was absurd ist). Merkwürdigerweise wird dort auch nicht vermittelt, dass wir im Esloher Christine-Koch-Mundartarchiv die Dichterin nie als politisches Vorbild aus der NS-Zeit vorgestellt haben, sondern vielmehr mit größter Sorgfalt alle unbequemen Textbefunde seit zwei Jahrzehnten publizieren. Mit welchen Intentionen bisweilen anderes in der Öffentlichkeit suggeriert wird, darüber kann man nach Kenntnis der Sachlage (unsere Publikationen 1993-2012) spekulieren.
Infame Zitat-Kürzung im Wikipedia-Artikel „Christine Koch“
Besonders infam ist eine Zitat-Kürzung im Wikipedia-Artikel „Christine Koch“ (Abruf 04.04.2014). Im Mundartautoren-Lexikon „Im reypen Koren“ schreibe ich 2010 auf Seite 343 über Kochs plattdeutsche Gedichte: „Naturlyrik, unbeschwertes Dorfleben, Kinderparadies, volksliedhaftes Liebeswerben und kraftvolle Lebenskunst werden kontrastiert durch ein Leiden an Sprachlosigkeit, Unverstehen und Enge, durch betonte Solidarität mit Außenseitern oder Heimatlosen und ein umfassendes Mitfühlen, das auch Pflanzen und Tiere einschließt.“ Daraus macht bzw. präsentiert ein Wiki-Redakteur (als mein angebliches Referat zu Christine Koch): „Sie habe >betonte Solidarität mit Außenseitern oder Heimatlosen< gezeigt, was >auch Pflanzen wie Tiere< miteingeschlossen habe.“ Durch die gezielte Auslassung in der nicht ganz glücklich formulierten Aufzählung erscheint nun Christine Kochs Solidarität mit Außenseitern in der menschlichen Gesellschaft auf der gleichen Ebene wie ihr Mitgefühl für „Pflanzen wie Tiere“. Die Absicht ist in Kenntnis des vollen Originalzitates schnell zu durchschauen. Sowohl die Dichterin als auch meine Person sollen in ein faschistoides Licht gestellt werden. Woher diese gehässige Wikipedia-Attacke kommt, weiß ich nicht. Sie hat auf jeden Fall ungleich mehr Leser als unsere Archiv-Publikationen (s.u.).
Zuletzt nun hat sich der CDU-Bürgermeister von Finnentrop in der Diskussion zu Wort gemeldet. Zum Beschluss „Umbenennung Kahle/Berens-Straßen“ berichtet WAZ-Online vom 02.04.2014:
„Dass das Thema >Umbenennung von Straßennamen< damit erledigt ist, bezweifelte Bürgermeister Heß. Er ist der Überzeugung, dass man sich in absehbarer Zeit auch über Christine Koch Gedanken machen muss. Zwar wolle er sich in den nächsten Monaten noch intensiver mit dem Leben und Werk Christine Kochs auseinandersetzen, er habe aber den Eindruck, dass sie zumindest lange Zeit >genau so braun< wie die beiden jetzt diskutierten Josefa Berens und Maria Kahle gewesen sei. Mit dieser Sicht stehe er wohl in Opposition zu Peter Bürger, für den Christine Koch zu den Guten zähle.“
(http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-olpe-wenden-und-drolshagen/einstimmig-fuer-die-umbenennung-aimp-id9194171.html)
Hier irrt sich Bürgermeister Heß von Finnentrop doppelt
Falls dies zutreffend berichtet ist: Hier irrt sich Bürgermeister Heß von Finnentrop doppelt. Zu den sog. „Guten“, d.h. zu den Vorbildern aus der NS-Zeit, habe ich die Dichterin nie gezählt. Außerdem würde ich es ausdrücklich begrüßen, wenn Dietmar Heß über die oben genannten einschlägigen Arbeiten hinaus einen neuen seriösen Beitrag zur Christine-Koch-Forschung vorlegt! – Falls er dabei zum hinlänglich Bekannten nichts Neues ermitteln kann, halte ich es dennoch für legitim, in Finnentrop strengere antifaschistische Maßstäbe an Straßenbenennungen anzulegen als anderswo in NRW (also am Ort auch Christine Koch als zeitweilige Sympathisantin bzw. Anhängerin des „Dritten Reiches“ von der Benennung auszunehmen, obwohl bei ihr z.B. keine NSDAP-Mitgliedschaft und kein Antisemitismus vorliegen). Die besondere Situation der drei großen Finnentroper Christen (Maria Autsch, Kilian Kirchhoff, Josef Quinke), die in NS-Haft den Tod gefunden haben, würde dies verständlich machen – zumal die Frau unter diesen drei bedeutsamen Christen im öffentlichen Straßenbild Finnentrops noch gar nicht geehrt wird. Eine rigorose Umbenennung auch der Christine-Koch-Straße zugunsten eines christlichen Vorbildes aus dem Widerstand ist ein sehr ernst zu nehmender Vorschlag. Ein entsprechendes Vorgehen könnte zudem als ein Signal verstanden werden, welches Mitläufertum und Mittun der breiten Bevölkerungsmehrheit zur NS-Zeit auch im katholischen Sauerland in Erinnerung ruft.
Rigoristische Position überzeugend
Insbesondere ist die besonders rigorose Position, wie sie der Finnentroper Bürgermeister Heß jetzt vertritt, ungleich überzeugender als der sehr befremdliche Geschichtsdebatten-Beitrag „Straßennamen in Bamenohl“ auf Seite 5-6 der örtlichen Parteizeitung „Im Blickpunkt“ (März 2014). Hier wird anhand einkopierter Zeitungsartikel nämlich suggeriert, eigentlich sei die nunmehr schon im Hauptausschuss einstimmig befürwortete Umbenennung von Berens- und Kahle-Straßen gar nicht gerechtfertigt oder notwendig …
(http://cdu-finnentrop.de/image/inhalte/file/Blickpunkt%20M%C3%A4rz%202014%20.pdf)
peter bürger (04.04.2014)
I. NEUE DAUNLOTS APRIL 2014:
http://www.sauerlandmundart.de/daunlots.html
NR. 70
Josefa Berens-Totenohl (1891-1969), nationalsozialistische Erfolgsautorin aus dem Sauerland. – Forschungsbeiträge von Peter Bürger, Reinhard Kiefer, Monika Löcken, Ortrun Niethammer, Ulrich Friedrich Opfermann und Friedrich Schroeder. Herausgegeben vom Christine Koch-Mundartarchiv in Zusammenarbeit mit dem Kreisheimatbund Olpe. = daunlots nr. 70. Eslohe 2014.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2070.pdf
NR. 71
Bürger, P. (Red.): Maria Kahle (1891-1975), Propagandistin im Dienst der Nationalsozialisten. – Beiträge von Hans-Günther Bracht, Peter Bürger, Karl Ditt, Walter Gödden, Wolf-Dieter Grün, Roswitha Kirsch-Stracke, Werner Neuhaus, Iris Nölle-Hornkamp und Friedrich Schroeder. = daunlots nr. 71. Eslohe 2014. [Herausgegeben vom Christine Koch-Mundartarchiv in Zusammenarbeit mit dem Kreisheimatbund Olpe und „Bunt statt Braun – Mendener Initiative für Straßenumbenennung“]
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2071.pdf
NR. 72
P. Bürger (Bearb.): Dai van der Stroten – Menschen des Straßenlebens in der Mundartlyrik Christine Kochs und in der Geschichte des Sauerlandes. = daunlots. internetbeiträge des christine-koch-mundartarchivs am museum eslohe. nr. 72. Eslohe 2014.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2072.pdf
In der Reihe „daunlots“ (www.sauerlandmundart.de) vor den Neuerscheinungen Nr. 70 und 71 bereits folgende Ausgaben mit Bezügen zur Straßennamen-Debatte erschienen:
NR. 50
Peter Bürger: Plattdeutsche Kriegsdichtung aus Westfalen 1914-1918. Karl Prümer – Hermann Wette – Karl Wagenfeld – Augustin Wibbelt. = daunlots nr. 50. Eslohe 2012.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2050.pdf
NR. 59
Peter Bürger (Bearb.): Nationalkonservative, militaristische und NS-freundliche Dichtungen Christine Kochs 1920-1944. = daunlots nr. 59. Eslohe 2012.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2059.pdf
NR 60
Peter Bürger: Der völkische Flügel der sauerländischen Heimatbewegung. Über Josefa Berens-Totenohl, Georg Nellius, Lorenz Pieper und Maria Kahle – zugleich ein Beitrag zur Straßennamen-Debatte. = daunlots nr. 60. Eslohe 2013.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2060.pdf
NR. 61
Peter Bürger (Bearb.): Josef Rüther (1881-1972) aus Olsberg-Assinghausen. Linkskatholik, Heimatbund-Aktivist, Mundartautor und NS-Verfolgter. = daunlots nr. 61. Eslohe 2013.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2061.pdf
NR. 69
Georg Nellius (1891-1952). Völkisches und nationalsozialistisches Kulturschaffen, antisemitische Musikpolitik, Entnazifizierung – Darstellung und Dokumentation im Rahmen der aktuellen Straßennamendebatte. Vorgelegt von Peter Bürger und Werner Neuhaus in Zusammenarbeit mit Michael Gosmann (Stadtarchiv Arnsberg). = daunlots nr. 69. Eslohe 2014.
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2069.pdf
[Vgl. hierzu für Sundern: http://www.nein-zu-nellius.de/]