Nikolai Koslow, geboren am 19. März 1917, und der Handkarren in der Siedlinghauser Heimatstube.

Grabplatte auf dem Friedhof in Siedlinghausen. (foto: schiebener)

In „Die Frau, die den ,Friedhof Röbbecken’ in Siedlinghausen besuchen wollte, aber Angst vor Bullen hatte“[1] zitiere ich aus dem Kapitel „Die Geschichte der russischen Kriegsgefangenen“ aus Carl Casparis Buch „Unser Dorf Siedlinghausen“[2]. Darin wird einmal ein „Handkarren“ und zweimal ein „Handwagen“ erwähnt.

1. Handkarren:
„Wie qualvoll und grausam das Gefangenendasein war, kann man schon daran erkennen, daß es viele Tote gab. In dem Gefangenenlager des Steinbruchs Bertram am Iberg gab es keine Toten. Alle sind bei Dietrich Krämer am Meisterstein umgekommen. …

Ab November 1941 wurden die verstorbenen russischen Soldaten auf dem Viehfriedhof begraben. …

Hier fuhr man auch die toten russischen Gefangenen mit dem Handkarren herauf. Sollte ein toter russischer Gefangener beerdigt werden, so legte man ihn in einer Kiste mit einem Deckel. … Man stellte sie auf eine Karre. Die Gefangenen fuhren sie hinauf zum Röbbecken. Dort mußten sie auch das Grab ausheben. … Die Kiste wurde einfach umgekippt und der Tote fiel in das Grab. …

Später fertigten der Schreiner Se.[3] oder der Schreiner Si. eine andere Kiste an. Sie hatte auch im Boden eine Klappe. Man stellte sie einfach über das Grab, öffnete die Klappe am Boden und der Tote fiel nach unten.“[4]

2. a) Handwagen:
„Am frühen Morgen des Karfreitags 1944 floh ein russischer Kriegsgefangener aus des dem Steinbruch am Meisterstein. Er lief durch den Allenberg am Schieben (heute Ennertstraße) herunter und versteckte sich in dem Holzschuppen hinter dem Haus von Rudolf K. in der Sorpestraße. …

Der Nachbarjunge Reinhard K., der damals 13 Jahre alt war, erlebte das Drama als Augenzeuge mit und erzählte mir folgende Geschichte. … Der Geflohene saß auf dem Boden und lehnte vor Erschöpfung an einer Leiter. Mein Vater sagte zu den Wachposten: ,Der Mann braucht Hilfe!’ Der Wachposten gab zur Antwort: ,Der braucht keine Hilfe mehr.’

So gingen die beiden Soldaten wieder aus dem Schuppen heraus. Auf der Straße hatten sich mittlerweile einige Nachbarn eingefunden. Ein Soldat sagte ihnen, sie sollten nach Hause gehen, das wäre hier kein Kindergarten.

Danach ging er noch einmal in den Schuppen und erschoß einfach den wehrlosen Mann. Auf die Frage, warum er das gemacht hätte, antwortete der Soldat, es wäre Notwehr gewesen. …

Kurze Zeit später wurde der Tote mit einem Handwagen abgeholt. Noch heute sieht Reinhard dieses Bild vor sich.“[5]Karfreitag ist ein beweglicher Feiertag und fiel 1944 auf den 7. April -wenn es stimmt, was im Internet steht[6].

Sieht man sich die Sterbedaten der 30 sowjetischen Zwangsarbeiter auf dem Friedhof in Siedlinghausen an, gibt es niemanden, der am 7.4.1944 starb. „Koslaw“ starb am 12. (8), „Gurischkin“ (20) am 21. April 1944. Die Zahlen in Klammern sind die Gräber auf meiner Friedhofskizze, hier mit Blickrichtung auf die Friedhofstraße: …

[…]

2. b) Handwagen:
„Was ich aber 1943 oder 1944 mit einigen Freunden, wir waren etwa 14 Jahre alt, in der Abenddämmerung im November gesehen und gehört habe, war so furchtbar, daß ich das mein Leben lang nicht vergessen kann.

Hinter dem Stacheldrahtverhau sah man schon mal kahlgeschorene Gefangene hervorschauen. Davor patrouillierten die Wachposten natürlich mit Karabinern. Wir kamen mit einem Posten ins Gespräch. Plötzlich aber schrie ein Gefangener in der Baracke ganz fürchterlich. Der Wachposten jedoch verzog keine Mine[18] und meinte, daß der Gefangene Kameradendiebstahl begangen hätte und nun Prügel dafür bekäme….

Es war auch schlimm, als wir Kinder mit ansehen mußten, wie die kranken Gefangenen zu unserem Dorfarzt Dr. Schranz gingen und andere, die nicht mehr gehen konnten, wurden auf einem Handwagen von anderen Kranken gezogen. Sie sahen zerlumpt und abgemagert aus und hatten kahl geschorene Köpfe. Manchmal konnte man meinen, sie wären schon halb tot. Sie wurden immer von Soldaten mit Gewehren begleitet.“[19]

Reinhard erlebt mit 13, wie ein Gefangener von einem deutschen Soldaten in einem Schuppen in seiner Nachbarschaft erschossen wird. Er hört dessen klare Ansage „Der braucht keine Hilfe mehr“ und dann (mindestens) einen Schuß.

Dann sieht er wahrscheinlich, wie halb tote Gefangene, mit zerrissener Kleidung und kahlgeschoren, die blutige Leiche mit einem Handwagen wegziehen.

Er wird weiter neben diesem Schuppen wohnen und ihn täglich sehen müssen und noch ein ganzes Jahr die ewige Propaganda hören und sehen, bis zur letzten Durchsage nach Adolf Hitlers Tod: „Aus dem Führerhauptquartier wird gemeldet, daß unser Führer, Adolf Hitler, gestern in seinem Befehlsstand in der Reichskanzleibis zum letzten Atemzuge gegen den Bolschewismus kämpfend, für Deutschland gefallen ist.“[20] …

[…]

Weiterlesen mit sämtlichen Anmerkungen und Abbildungen (PDF):

https://www.schiebener.net/wordpress/wp-content/uploads/2020/10/245.-Nikolai-Koslow-und-der-Handkarren-in-der-Siedlinghauser-Heimatstube.pdf